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Was lernen wir aus Matriarchaten?

Gespräch mit Heide Göttner-Abendroth

Matriarchate waren und sind sozial und spirituell hoch entwickelte, mit der Natur harmonierende und stabile Kulturen, in denen Frauen und Männer nicht gleich waren, aber gleichwertig: Beide Geschlechter waren Kinder der Schöpfungsgöttin. Heide Göttner-Abendroth erforscht seit 30 Jahren geschichtliche und zeitgenössische Matriarchate. Wir bringen Auszüge aus dem Nachgespräch ihres Vortrages beim Frauenkongreß "Die weibliche Stimme" im Juni 2000. (Der Vortrag wurde in "Weibliche Stimme" Nr. 1 abgedruckt.)

Frage: Können wir zurück in die Matriarchate? Wollen wir überhaupt zurück? Wie sieht ein Vorwärts aus?

Heide Göttner-Abendroth: Die Begriffe zurück oder vorwärts sind sehr eindimensional gedacht. Wenn ich sehe, welch hochstehende soziale Kultur und Differenzierung matriarchale Gesellschaften haben, da ist das "Zurück" für uns keine Schande. Die Ausgleichsökonomie und die Verwandtschaftsgesellschaft, die in Matriarchaten gelebt wurden, sind für uns nicht mehr realisierbar. Was also ist übertragbar? Diese Übersetzungsarbeit zu leisten, ist ein Vorwärts. Was ich an Wissen weitergeben möchte, betrifft die Differenziertheit der Regeln: WIE sie Ausgleichsökonomie machen, WIE sie dieses soziale Hilfssystem bauen, WIE sie Konsensprinzip anwenden - das sind für mich die Beispiele für eine große soziale Intelligenz und eine hochstehende Kultur. Dahin können wir zurückgehen, um dann nach vorne zu gehen. Wir sind heute historisch in einer besonderen Situation. Was in der Zukunft wird, liegt in unserer Hand. Wir sind aufgefordert, das Wissen über matriarchale Gesellschaften als eine Anregung zu brauchen, um kreativ an vielen konkreten praktischen Problemen und in vielen konkreten Gruppen damit zu arbeiten. Und aus diesen vielen konkreten Lösungsversuchen entsteht etwas Neues. Das ist nicht mehr das archaische Matriarchat. Das ist eine moderne Neuschöpfung von uns Frauen und Männern heute.

Frage: Was könnte ein Ersatz für das Verwandtschaftssystem sein?

Heide Göttner-Abendroth: Das ist eine zentrale Frage. Es geht heute um das Prinzip der Wahlverwandtschaft, der symbolischen Verwandtschaft. Sie läuft nicht mehr über Blutsbindungen, sondern über Gesinnungsbindungen. Auch Wahlverwandtschaft braucht Regeln, wie sie sich aufbaut. Wenn Sie eine quasi-matriarchale Wahlverwandtschaftslinie aufbauen wollen, dann müssen zuerst Frauen untereinander ihre Bedeutung in der Generationenabfolge erkennen und eine neue Solidarität gründen. Diese hat in meinen Augen zwei Dimensionen. Einmal die Dimension auf der gleichaltrigen Ebene: die Schwestern. Es wird ja viel von "Sisterhood" geredet, aber manchmal frage ich mich, wo sie eigentlich bleibt. Ich würde mich als Schwester von Frauen meiner Generation verstehen, das ist eine andere Generation als die 30jährigen. So oft in feministischen Zusammenhängen das Wort "Schwester" gebraucht wird, ist das ein Pool für alles und jedes geworden. Es wird nicht differenziert.

Beim Aufbau von matriarchalen Gesellschaften sind Differenzierung und Anerkennung der Unterschiede und des Reichtums, den die Unterschiede bedeuten, das Wesentliche. Wir zucken heute oft zusammen, wenn wir das Wort "Unterschiede" hören, weil im Patriarchat Unterschied sofort bedeutet: höher oder niedriger, besser oder schlechter. Unterschied heißt im Patriarchat sofort Hierarchie und Herrschaft. Da sind wir gebrannte Kinder. Aber die Verschiedenheit zwischen Geschlechtern, zwischen Generationen stellt einen Reichtum dar, und diesen Reichtum gilt es zu leben. Deshalb denke ich, die Solidaritätsbildung unter Frauen braucht nicht nur die gleiche Generation, sondern auch die Generationskette, von den alten Frauen über die mittleren und jungen bis hin zu den kindlichen Frauen. Im Patriarchat reißt diese Kette immer wieder ab. Die Pionierinnen der Frauenbewegung merken, daß die Töchtergeneration ihnen wenig dankt und immer weniger über sie weiß. Aber die Bildung einer Generationskette für die Weitergabe von Informationen ist enorm wichtig. Es ist eine weibliche Wahlverwandtschaft zu erkennen, daß wir geistige Vormütter haben, geistige Schwestern, geistige Töchter und Enkelinnen. Dadurch entsteht nicht etwa Hierarchie. Was sind denn die geistigen Mütter ohne die geistigen Töchter? Niemand. Was sind die geistigen Töchter ohne die geistigen Mütter? Im Patriarchat herumirrende Wesen. Wir haben noch viel zu lernen. Den Grabenkrieg zwischen den Generationen, der für das Patriarchat unter Männern so typisch ist, den haben Frauen leider stark übernommen.

Der nächste Schritt wäre dann, wie sich die Männer eingliedern, wenn die Frauen unter sich eine solche Genealogie gebildet haben. Denn die Männer bilden unter sich auch solche Linien, um ihre geistigen Brüder, Väter oder Söhne zu erkennen. Wie werden die beiden Systeme miteinander verflochten? Dadurch entsteht ein kompliziertes Gefüge. Aber in der Kompliziertheit stecken die matriarchalen Werte: Anerkennung der Verschiedenheit, Wissen um den Reichtum der Verschiedenheit. So lassen sich tragfähige Netze aufbauen. Es ist etwas anderes, wenn ich zu einer älteren Frau sage: Ich schätze dich, du bist eine wichtige Frau für mich. Oder wenn ich sage: Du bist meine geistige Mutter. Das ist ein großer Unterschied in der Vertrauensgebung und in der Verbindlichkeit.

Frage: Matriarchate sind stabile Gesellschaften. Wie konnte überhaupt aus ihnen das Patriarchat entstehen? Waren klimatische Veränderungen eine Ursache?

Heide Göttner-Abendroth: Sicher eine Teilerklärung. Aber dann muß man sich fragen, warum sich in den Jahrzehntausenden vorher keine Patriarchate entwickelt haben, obwohl es auch gravierende klimatische Veränderungen gegeben hat, ich erinnere an die Eiszeiten, die Wüstenbildung usw.

Die Erklärung ist hier: Die Menschen hatten damals die Möglichkeit auszuwandern. Wenn Europa vereist war, dann tummelten sich diese Gesellschaften eben in Nordafrika, dort war offenbar genug Platz. Insofern spielen Klimaveränderungen schon eine Rolle, aber die gab es immer. Wir müssen die wachsende Zahl der Menschheit dazu denken: Dadurch wurden die Auszugsmöglichkeiten langsam immer weniger, bis sie in bestimmten Regionen gar nicht mehr bestanden. Da kommen also zwei Faktoren zusammen: Unfruchtbarwerdung von Land, sei es durch Hitze, Kälte, Überflutung - und die abnehmende Möglichkeit, bebaubares Land zu finden, wohin man auswandern kann. Das ist ein Anfangsszenario, das aber nur bedingt etwas erklärt. Es müssen noch weitere Erklärungen folgen, denn stellen Sie sich vor: In der frühen Epoche hatte Ägypten gerade mal 100.000 Einwohner. Dieses langgestreckte fruchtbare Land am Nil hatte so viel Bevölkerung wie eine heutige Kleinstadt. Wieso sollte den Menschen damals die relativ dünne Besiedlung zu eng gewesen sein?

Frage: Spielte die Entstehung des Privateigentums eine Rolle?

Heide Göttner-Abendroth: Wenn man die Ausgleichsökonomie studiert, sieht man: Es ist darin unmöglich, Privateigentum anzuhäufen. Es gibt keine innermatriarchale Gründe, wodurch ein Matriarchat sich in ein Patriarchat verwandeln kann. Dazu hätte es in seiner langen Geschichte tausend Möglichkeiten geben müssen. Es ist aber nicht passiert.

In der Geschichte müssen wir mit den nachweisbaren Fakten arbeiten - wo sind Völker durch ökologische Probleme in ihrem Gebiet zum Auswandern gezwungen gewesen? Was hat Auswanderung, die nicht mehr aufhörte, für eine matriarchale Ordnung bedeutet? Das sind historische Vorgänge, die uns einige Erklärungsglieder geben. Wir haben die Fakten für die Versteppung ganzer oder halber Kontinente. Wir haben die Fakten der Völkerwanderungsbewegungen, die keinerlei feste Struktur haben, also den Zusammenbruch. Patriarchat ist entstanden aus einem Niederbruch ganzer matriarchaler Kulturregionen und dem Absinken auf ein niedrigeres Kulturniveau. Aus dieser Desintegration und den daraus folgenden anomalen Zustände haben sich dann in manchen Gegenden erste patriarchale Muster gebildet - aus Existenznot. Bis diese dann zu bewußten patriarchalen Herrschaftssystemen wurden, ist noch ein langer Weg. Man muß den Gedanken fallen lassen, daß die matriarchale Gesellschaft irgendwo defizitär oder nicht ganz funktionierend war und deshalb ein Patriarchat daraus wurde. So ist auch die Entstehung von Privateigentum in einer matriarchalen Gesellschaft gar nicht möglich.

Frage: Was denken Sie zu der Theorie, daß Männer Gebärneid hatten oder sich benachteiligt fühlten und sich dadurch irgendwann gegen ihre Gesellschaft wandten?

Heide Göttner-Abendroth: Woher soll der Gebärneid kommen? Woher sollen Minderwertigkeitsgefühle kommen, wenn Männer in diesem System von Ehre, Würde und Funktion vollständig integriert sind? Es gibt eine Gleichwertigkeit der Geschlechter, wie sie in keiner nachfolgenden Gesellschaft jemals wieder erreicht worden ist.

Dieser Erklärungsversuch folgt modernen psychologischen Mustern, die in die Frühgeschichte hinein interpretiert werden. Wenn Sie Männer der heutigen Zeit in ein Matriarchat hinein setzen und Ihnen erklären würden, sie müßten per Konsensbildung entscheiden und seien gleichwertig wie Frauen, dann würden sie es als Herabsetzung empfinden. Das hat mit der Psychologie der Männer heute zu tun und nicht mit der Verfassung der Männer im Matriarchat. Menschen und Geschlechter werden aufeinander doch nur dann neidisch, wenn eine Gesellschaft nicht mehr in Balance ist. Die heutige Gesellschaft ist durchzogen von Sozialneid, Penisneid, Gebärneid und Neiderei bis zu Haßformen. Wir kennen nur den "Kampf aller gegen alle", aber kein Aufgefangen-Werden in einem Netz. Im Matriarchat als Verwandtschaftsgesellschaft ist dieses Netz da für jedes Individuum, weiblich oder männlich. Es gibt die ökonomische Ausgleichsgesellschaft, ferner die Mitbestimmung für alle Mitglieder der Gruppe. Es gibt keinen Anlaß für solchen Neid. Wenn Sie zu einem matriarchalen Mann gehen und ihn fragen, ob er sich in seiner Gesellschaft zweitrangig fühlt, dann wird er Ihre Frage nicht verstehen. Ein Mosuo-Mann, den wir gefragt haben, ob die matriarchalen Mosuo-Männer nicht die Zielscheibe sind für den Spott der patriarchalen Männer der Umgebung, sagte: Ja, das sind wir. Wir fragten: "Was sagt ihr dann?" Sie sagen: "Ihr tut uns leid, daß ihr so lebt. Und ihr tut uns leid, daß ihr eure Frauen so schlecht behandelt. Denn ihr behandelt sie so schlecht wie Tiere. Ihr tut uns leid, weil ihr damit nicht gut leben könnt." Sie haben ein Gefühl für die Balance zwischen den Frauen und Männern. Die matriarchalen Frauen haben dieselben Werte und dasselbe Gefühl für Balance.

Wenn ich sage, daß die Frau als Quelle des Lebens verehrt wird, heißt das nicht, daß der Mann nicht auch verehrt wird. Sie ehren die Verschiedenheit der Geschlechter und der Altersstufen. Und für alle Verschiedenheiten gibt es Feste: zu Ehren der alten Frauen, der jungen Frauen, der Mädchen, der Männer mit dem, was sie in der Gesellschaft tun. Die Männer haben politisch die wichtige Rolle, den Clan nach außen zu vertreten. Sei es im Dorfrat, sei es regional oder überregional. Einer von den Männern wurde gefragt, ob es nicht viel interessanter wäre, wenn er sich selbst und seine Macht vertreten würde. Dazu hat er den Kopf geschüttelt und geantwortet: Er sehe seine Ehre darin, daß er den Clan seiner Mütter und Schwestern vertrete und nicht nur sich selbst. Sich nur selbst zu vertreten, das hat keinen Wert - es ist Egoismus, der verachtet wird.

Frage: Im Gegensatz zu Matriarchaten halten sich die heutigen westlichen Staaten viel darauf zugute, daß sie Politik und Religion trennen. Auch in der Friedensbewegung gibt es die Spaltung zwischen politischen und spirituellen Gruppen. Wie sehen Sie das?

Heide Göttner-Abendroth: Ich muß mir viele Angriffe anhören von politisch aktiven Frauen, weil ich über Göttinnen forsche und spirituell damit arbeite. Bei ihnen bin ich eine "Spiri-Tante". Doch ich forsche auch über die Ökonomie von matriarchalen Gesellschaften und habe das größte Interesse an politischen Fragen. Wenn ich das äußere, bin ich eine "Kopf-Frau". Das ist diese ewige Spaltung, die das Patriarchat vollzieht an denen, die es beherrschen will. Da sind die Kopf-Frauen, da die Bauch-Frauen, da die Mütter, da die Lesben, da die Heteras, da ist die Kunstfrau, da die Wissenschaftsfrau. Wo sind wir eigentlich, daß wir Frauen dieses Schubladendenken mitmachen und auf diese Weise das Patriarchat stärken? Spiritualität und Politik gehören zusammen. Matriarchale Gesellschaften sind immer sakrale Gesellschaften. Dort ist jede Handlung, die scheinbar alltäglich ist, gleichzeitig sakral. Ob Säen, Ernten, die Zubereitung von Nahrung, das Stillen eines Kindes: alles ist gleichzeitig in ihrem Bedeutungshorizont symbolisch und ein Ritual. Wir dagegen trennen das Sakrale und das Profane. Da gibt es das Schein-Heilige am Sonntag, und von Montag bis Samstag gibt es die Schweinereien im Profanen. In matriarchalen Gesellschaften ist zum Beispiel auch die politische Verhandlung spirituell. Und das ist vielleicht das Geheimnis, warum ihnen die Konsensbildung gelingt: Es ist für sie ein spiritueller Akt.

Frage: Matriarchale Kulturen entschieden nach dem Konsensprinzip - welche Erfahrung haben Sie mit der Anwendung des Konsensprinzips heute?


Das vollständige Gespräch lesen Sie in der Weiblichen Stimme Nr. 2, bestellen hier.

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