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Gloria Cuartas - Bürgermeisterin des Friedens

Ein Portrait von Monika Berghoff

Gloria Cuartas ist 43 Jahre, als sie 1995 das Amt der Bürgermeisterin von Apartadó in Kolumbien übernimmt. In Apartadó ist der Ausnahmezustand Normalfall. "Stadt des Todes" wird sie auch genannt. Die Bürgermeisterin will Frieden schaffen: "Im Zentrum meiner Politik stand das Leben, das ich mit allen Kräften nach Apartadó zurückbringen wollte. Frieden ist nicht das Gegenteil von Konflikten. Eine Gesellschaft ist dann friedlich, wenn sie gelernt hat, Probleme intelligent zu lösen anstatt mit Waffen."

Am Morgen fährt sie durch die Straßen und sammelt Tote ein, damit sich die Kinder auf ihrem Weg zur Schule nicht an deren Anblick gewöhnen. Während ihrer dreijährigen Amtszeit werden 17 ihrer Mitarbeiter ermordet. Auf ihren Kopf ist eine Prämie ausgesetzt. Als ihr Auto von einem Maschinengewehr durchlöchert wird, steigt sie um auf einen Motorroller. "Ich würde viel mehr leiden, wenn ich zu Hause sterben müßte, ohne etwas getan zu haben."

Apartado ist Schauplatz von Konflikten, die in ganz Kolumbien vorhanden sind. Im Zentrum stehen Kämpfe zwischen den Militärs, der Guerrilla, den Paramilitärs, der Drogenmafia und Banditen. Es ist ein Krieg, der keine Legitimation mehr braucht. Niemand weiß mehr, worum es geht. Banden aus den Bergen ziehen durch die Städte, ermorden "Kollaborateure, Zivilisten, Faschisten". Ein paar Nächte später kommt die Gegenseite und tut dasselbe. Ihre Logik: Wer ein Massaker überlebt, hat wohl mit der jeweiligen Gegenseite paktiert. Opfer ist die Zivilbevölkerung.

Gloria Cuartas hat kein Parteibuch und folgt keiner Ideologie. Sie hat wenig mehr auf ihrer Seite als moralische Macht. Sie folgt dem Gedanken der Verständigung und Öffnung. Im Rathaus hat sie ein Friedensbuch angelegt mit dem Titel "Respekt gegenüber dem Leben", im dem Bürger eintragen können, was sie empfinden. Sie beginnt, die Einwohner dazu zu verführen, über Lösungen nachzudenken. Sie gründet das "Komitee zur Bekämpfung der Gewaltepidemie" und versammelt die Frauen. Frauen sind die großen Leidtragenden. Ihre Männer und Söhne sind entweder Opfer oder Täter. Beides ist für sie schlimm. Sie müssen ihre Kinder allein großziehen, haben keine Bildung, keine Arbeit. Durch die Arbeit im Komitee erkennen die Frauen mehr und mehr ihr persönliches Problem als Teil eines umfassenden politischen Problems. Sie verstehen, daß nicht ausgeheilte seelische Verletzungen die Bereitschaft erhöhen, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Von den Männern ist zunächst keine Veränderung zu erhoffen. Cuartas gibt den Frauen öffentlich Gewicht, ernennt sie zu Friedensvermittlerinnen. "Die Macht der Frauen war immer unangefochten, aber hatte nur Gültigkeit innerhalb der Familie. Jetzt aber gingen sie an die Öffentlichkeit." Ein Frauenhaus etabliert sich; Kooperativen werden gegründet. Cuartas macht den Krieg in Apartado zu einem nationalen Thema der Frauen. Sie startet den Aufruf "Frauen für das Leben". Es kommt zu Großdemonstrationen und Solidaritätskundgebungen aus dem In- und Ausland. Der Ausbruch aus der politischen Isolation der Region gelingt. Apartadó gerät ins Licht der Öffentlichkeit. 1995 wird Cuartas Frau des Jahres in Kolumbien. Eine kolumbianische Tageszeitung karikiert sie als Mischung aus weiblichem Zorro und lateinamerikanischem Asterix. Cuartas legt Wert darauf, daß ihr Erfolg ein "weiblicher" Erfolg ist, der nur durch die Unterstützung der Frauen möglich war.

Die Menschenrechtlerin wird bekannt als "Bürgermeisterin der Kinder". Sie richtet Jugendtreffpunkte ein, gibt den Kindern einen eigenen Hörfunksender, baut Projekte für Straßenkinder auf. Wir bringt man das Leben nach Apartadó zurück? Was wird aus Kindern, die mitansehen mußten, wie man ihre Eltern enthauptete? Was wird aus den fast 5000 Kriegswaisen von Apartadó, die sich nachts frierend und hungrig in irgendeinem Winkel der Stadt zusammenkauern? Was heißt es, einer solchen Generation das Verzeihen zu lehren? Gloria Cuartas geht mit diesen Fragen schlafen und steht mit ihnen morgens auf. Sie kann keine leichtfertigen Antworten geben.

Sie arbeitet unermüdlich daran, Verbindungen zu schaffen, Menschen dazu zu bringen, Zusammenhänge zu sehen und global zu denken. Sie agiert in einer Stadt, in der niemand mehr an Worte glaubt. "Was kann ich tun, wenn es sich die Menschen zur Gewohnheit gemacht haben, nichts zu sehen, zu sagen oder zu hören? Was soll ich tun, wenn man mich auffordert zu schweigen? Schweigen signalisiert bereits ein Einverständnis mit dem, was sie tun. Es ist das größte Zugeständnis an ihre Macht. Also entschloß ich mich, weiter meine Stimme zu erheben."

Nach drei Jahren ist ihre Amtszeit beendet. Eine Verlängerung ist per Gesetz nicht möglich.

Das Rathaus wird "aus Sicherheitsgründen" wieder geschlossen, die Bäume, die Cuartas im Rathausgarten pflanzen ließ, wieder abgehackt. Das Friedensbuch verschwindet in der Schublade. Alles umsonst?

Eine Frage, auf die auch sie selbst keine endgültige Antwort hat. Heute arbeitet Gloria Cuartas als regionale Beraterin der UNESCO für Frauenfragen in Bogota. Für viele Menschen ist sie zu einem Symbol der Hoffnung geworden. Man bezeichnet sie liebevoll als "la alcaldesa" - die Bürgermeisterin.

Alle Zitate stammen aus dem Buch von Jeannette Erazo-Heufelder: Gloria Cuartas, Lamuv-Verlag, 1999. Gloria Cuartas kommt zur Sommeruniversität "Weibliches Friedenswissen" im August nach Portugal.


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