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Faten Mukarker

Faten Mukarker, als christliche Palästinenserin eine Minderheit in ihrem Land, ist in Bethlehem geboren, in Deutschland aufgewachsen.

Mit 20 ging ich zurück in meine Heimat und habe dort geheiratet. Es war eine arabische traditionelle Art zu heiraten: ich war eine Woche verlobt und habe meinen Mann dreimal vor der Ehe gesehen. Das ist nicht zu bewerten, es ist halt anders als in Deutschland. Ich habe vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Mein ältester Sohn heißt Fuad: "Herz". Es ist sehr wichtig, wie der älteste Sohn heißt, denn bei uns wird man nach der Heirat nicht mehr mit dem Vornamen angesprochen, sondern mit dem Namen des ältesten Sohnes. Die Familie sprach mich so an, aber ich reagierte nicht. Mein Mann gab mir unter dem Tisch einen Stoß und sagte: "Antworte meiner Großmutter, sie spricht mit dir." Da erfuhr ich, dass ich ab heute "Im Fuad" heißen werde, "denn, wenn wir - Inshallah! - einen Sohn haben werden, wird er Fuad heißen wie mein Vater". Ich schluckte. Seinen eigenen Vornamen nach zwanzig Jahren einfach aufzugeben, war nicht leicht. Ich fragte etwas zaghaft: "Aber vielleicht kriegen wir eine Tochter, wie heiße ich dann?"

Mein Mann lachte, denn wäre ich in Palästina aufgewachsen, hätte ich diese Frage nicht gestellt. Er sagte gelassen: "Auch wenn wir, Gott behüte, fünf Mädchen bekämen, heißt du trotzdem "Im Fuad", ganz einfach bis Fuad kommt." Jetzt schluckte ich zweimal: "Eigentlich wollte ich keine zehn Kinder wie deine Mutter." Er sagte etwas energisch: "Willst du etwa eineinhalb wie die Deutschen?"

Hätte ich vier Mädchen, stände ich heute bestimmt nicht hier, sondern hätte kleine Kinder in Beit Jala, denn man hat Kinder, bis die Söhne kommen. Das hat damit zu tun, dass es bei uns kein soziales Netz gibt. Ohne Söhne keine Zukunft, denn die Töchter heiraten in eine fremde Familie hinein und gehören dann zur neuen Familie. Ich hatte Glück, mein erstes Kind war ein Sohn.

Wir leben in Großfamilien zusammen, Eltern, Großeltern, Kinder leben in einem Haushalt. Die Eltern zu ehren, ist das höchste Gebot. Unsere Jugend unterscheidet sich von der Jugend in Europa dadurch, dass sie nicht aus dem Elternhaus ausziehen, sondern nur vom Elternhaus direkt ins Ehehaus. Ausnahmen gibt es nur, wenn jemand zum Studium ins Ausland geht oder auswandert. Die Größe einer Großfamilie kann unterschiedlich sein, aber es sind immer sehr viele Menschen, und die Generationen liegen nah beieinander. Den Ausdruck "Einpersonenhaushalt" gibt es nicht, man kann sich nicht vorstellen, dass ein einziger Mensch alleine in einer Wohnung lebt. Soweit einige Eindrücke aus meiner Heimat.

Nach dem gescheiterten Camp-David-Treffen 2000 war die Hoffnungslosigkeit bei den Menschen so groß, dass Wut aufkam. Es brauchte nur noch einen Funken, um ein Feuer zu entfachen. Der Besuch von Sharon auf dem Tempelberg im Oktober 2000 war dieser Funken. Sharon kam auf den Tempelberg nicht als Religiöser, sondern als Besatzer mit mehreren hundert Soldaten im Schlepptau und mit der Mentalität: Ich bin Israeli, ich kann jeden Winkel des Landes betreten. Den Tempelberg, die drittheiligste Stelle der Muslime zu betreten, hieß, mit den religiösen Gefühlen zu spielen. Und so wurde die zweite Intifada entfacht, die jetzt schon zwei Jahre andauert.

Für mich war bis dahin das Wort Krieg ein Begriff, den ich nur aus dem Geschichtsunterricht, aus Filmen und aus Erzählungen einer älteren Frau aus Deutschland kannte. Sie erzählte mir von den schlimmen Nächten, die sie verbracht hatte. Als ich eines abends mit meiner Familie in Beit Jala saß, hörten wir Schüsse. Wir schreckten hoch, doch dann waren es nicht mehr nur Schüsse, sondern Einschläge und Explosionen. Ich schaute aus dem Fenster und sah rote Laserstrahlen an unserem Fenster vorbei fliegen. Mein Mann schrie: "Schnell auf die andere Seite!" Und wir liefen auf die andere Seite unserer Wohnung. Doch dann kamen sie von dort, und wir wollten wieder zurück laufen, doch es war plötzlich dunkel. Man hatte das Netzwerk getroffen, und ganz Beit Jala lag im Dunkeln. Mein Mann schrie: "Werft euch auf die Erde!" Wir konnten nicht ausmachen, wo die Einschläge trafen. War es das Nachbarhaus, oder war es eine Straße weiter? Die Erde unter uns bebte und die Fenster vibrierten. Das muss der Krieg sein, dachte ich, von dem diese ältere Frau erzählt hatte. Aber irgend etwas aus ihren Erzählungen fehlte: die Bunker und die Keller in denen sie saß, bis alles vorüber war. Wir haben keine Bunker, und unsere Häuser haben keine Keller. Dem Zufall ausgeliefert lagen wir dort. Meine jüngste Tochter Monika schrie und krallte sich an mir fest. "Werden sie jetzt in unser Haus kommen und uns erschießen?" fragte sie mich. Was sollte ich antworten? Ich selber hatte so etwas noch nie erlebt und wusste nicht, was geschehen würde. Und sie spürte, dass ich sie nicht beruhigen konne, weil ich selber vor Angst zitterte.

(Ein halbes Jahr später.)

"Weißt du, was ich heute geträumt habe?", sagte meine Tochter Monika am Morgen, bevor sie zur Schule ging. "Die Zeit eilt!", sagte ich. "Erzähl schnell!" "Ich habe geträumt, dass die Panzer wiedergekommen sind und Papa einen Kopfschuss hat und ich ein Schuss ins Bein." - Was für ein Traum, dachte ich, für ein kleines Mädchen. Und bedrückt kämmte ich ihre Haare. Sie ging zur Schule und ließ mich mit einem beklemmenden Gefühl von Ohnmacht zurück. Wenn ich die Situation in Bethlehem beschreiben wollte, so würde ich sagen, es ist eine "unnormale Normalität" eingetreten. Nach mehr als zwei Jahren Intifada, d.h. Abriegelung, Tod, Zerstörung, ist das unser Alltag geworden. Wir sind froh, wenn wir nicht direkt besetzt sind, d.h. nicht unter Ausgangssperre leben wie in den letzten Monaten. Denn nicht aus dem Haus zu dürfen, ist noch einmal eine Steigerung als "nur" abgeriegelt und nicht aus Bethlehem zu dürfen. Die Abriegelung hat große wirtschaftliche Not über die Palästinenser gebracht. Mehr als die Hälfte leben unter der Armutsgrenze. All die Arbeiter, die vorher in Israel gearbeitet haben, dürfen nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen. Entwürdigung und Demütigung nehmen ihren Lauf - in einem Land, in dem Ehre einen hohen Stellenwert hat. Wenn ein Familienvater vor seinen Kindern steht und ihnen nichts bringen kann, ist das demütigend. Eine Kettenreaktion beginnt: Keine Arbeit - kein Einkommen, Armut und Not breiten sich aus, die wiederum Hass und Aggressionen hervorrufen, die sich dann in Israel in Anschlägen widerspiegeln. Ein Teufelskreis der Gewalt.

Fast in jedem Haus, in das ich gehe, ist die Rede von Auswandern. Viele bei uns sehen es als letzte Lösung, die ihnen geblieben ist. "Was sollen wir noch hier?", sagen sie. Es gibt kaum eine Familie in Beit Jala, die nicht schon Verwandte im Ausland hat. So ist der Sprung zum Auswandern leichter. Selbst mein Mann würde lieber heute als morgen das Land verlassen. Diese Stimmung bei den Menschen erschreckt mich.

Faten Mukarker ist Schriftstellerin. In ihrem Buch "Zeitzeugen" wird das Leben vor der Intifada und unter der Besatzung geschrieben. Sie ist häufig in Deutschland zu Gast, wo sie Vorträge hält und über die Situation ihrer Landsleute berichtet.


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