Der Planet ist unsere Heimat

Interview mit Wangari Maathai


Wangari Maathai ist Umweltaktistin und Professorin in Kenia. Wir trafen sie auf dem Treffen alternativer Nobelpreisträger vom 31.5. bis 2.6. in Basel. Wangari Mathaai ist eine Erscheinung, die mit ihrer Präsenz einen ganzen Raum füllen kann, wenn sie in ihren traditionellen afrikanischen Kleidern hereinkommt. Niemand würde auf die Idee kommen, daß diese energiegeladene und vitale Person fast sechzig Jahre als ist. Aufgewachsen auf dem Land in Kenia studierte sie Biologie in den USA und bekam als erste Frau in Nairobi einen Lehrstuhl. Als Mitglied im nationalen Frauenrat fragte sich sich: Was sind die größten Nöte der Frauen auf dem Land. Den Frauen fehlt es an Brennholz, um das Essen zu bereiten, das Wasser wird knapp in den Dürrezeiten, es gibt kein Baumaterial, und das Essen wird weniger. Die Antwort auf diese Nöte war einfach: Bäume. Sie gründete 1977 und leitet heute noch das Green Belt Movement in Kenia. Mittlerweile haben 100.000 Frauen rund 20 Millionen Bäume gepflanzt, um ihr e Lebensgrundlagen und die Natur in Afrika zu schützen. Wangari Maathai setzt sich immer mehr für Menschenrechte ein. Für ihr Engagement wurde sie im kenianischen Moi-Regime oft angegriffen. Im Februar wurde sie bei einer Protestveranstaltung attackiert und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Wir haben sie zu unserem Frauenkongreß zu Mittsommer 2000 nach Berlin eingeladen. Sie ist angetan von unserem Programm und wird versuchen, es bei ihren vielen Verpflichtungen möglich zu machen.

Frage: Sie wurden im Februar von Wachpersonal angegriffen und geprügelt. Was ist geschehen?

Wangari Maathai: Wir haben friedlich in einem Stadtwald in Nairobi protestiert, der von Räubern zerstört wird, die sich selbst Entwickler nennen. Es sind Menschen, die einen öffentlichen Wald privatisieren und hochklassige Grundstücke für Reiche daraus machen. Wir protestierten, denn wir fühlten und fühlen es immer noch, daß dieses Stück Wald sehr wichtig ist für die Stadt Nairobi. Wir forderten die Polizei auf, uns zu beschützen. Aber die Polizei zog sich zurück und statt dessen ließen sie die privaten Wachposten im Wald zurück. Diese haben uns dann attackiert.

Frage: Wie konnten sie das tun? Sie sind eine bekannte Person.

Wangari Maathai: Ich benutzte die Bekanntheit meiner Person, um auf weiter bekannt zu machen, wie sehr in unserem Land die Korruption regiert. Und diese Korruption wird von unseren Führern ausgeübt. Genau die Leute, die die Wälder und die natürlichen Ressourcen beschützen sollten. Genau die Leute, die Konventionen unterschrieben haben und sagten, sie erhalten die biologische Vielfalt. Genau die Leute, die sagten, sie würden menschenwürdige Städte aufbauen. Genau die Leute, die Wälder privatisieren und die Umwelt zerstören. Deshalb es sehr wichtig für mich, aufzustehen und die Zerstörung bekanntzumachen, die durch unsere Führer verursacht werden, die sonst unberührbar sind. Und das ist natürlich der Grund dafür, daß sie dieses Wachpersonal angestellt haben, um mich anzugreifen. Sie denken, ich hindere sie daran, Reichtum anzusammeln und dieses sehr wertvolle Stück Land zu privatisieren. Ihre Wertschätzung gilt dem materiellen Besitz. Aber unser Schmerz gilt der Wahrnehmung dessen, daß Menschen es wagen, den Wald in der Stadt zu zerstören und den Leuten die frische Luft zu versagen. Wir sind sehr wütend. Wir hoffen, daß es mehr von uns gibt und wir letztlich gewinnen.

Frage: Womit befaßt sich das Green Belt Movement aktuell?

Wangari Maathai: Die erste Phase der Green Belt Movement war, daß wir Bäume mit Frauen auf ihren Farmen pflanzten. Wir haben uns hauptsächlich um das Bedürfnis nach Brennholz, nach Baumaterial, nach Nahrung gekümmert. Das Bewußtsein über die Notwendigkeit, Bäume zu pflanzne, ist jetzt recht verbreitet. Jetzt beginnt die zweite Phase, in der wir uns um öffentliches Land kümmern. Die Bauern haben das Recht darauf, gutes Land zu haben, nicht vergiftetes und nicht verschmutztes Land. Ein Recht, ihre Waren anzubieten und den richtigen Preis dafür zu bekommen. Nicht ausgebeutet zu werden durch Mittelsmänner, ob auf dem Markt oder bei der Produktion. Ausgebeutete Bauern werden sehr arm und überstrapazieren das Land. Sie zerstören die Umwelt, um noch das letzte bißchen herauszuholen. Die Menschen sollen sich von ihren persönlichen Bedürfnissen weg bewegen: meine Farm, mein Haushalt. Hin zu mehr gemeinsamen und gemeinschaftlichen Rechten und Bedürfnissen. So daß Menschen anfangen, Wälder zu beschützen, auch wenn sie ihnen gar nicht gehören. Öffentliche Wälder gehören uns allen. Daß Menschen anfangen, mehr für die zukünftige Generation zu sprechen, die nicht für sich selbst sprechen können, und die Wasserressourcen, Böden und Wälder für die zukünftigen Generationen zu beschützen. Das wird die Hauptarbeit der zweiten Phase des Green Belt Movement. Ich glaube, daß die Gemeinden jetzt bereit dazu sind, von ihren persönlichen Bedürfnissen wegzugehen, hin zu mehr gemeinschaftlichen und globalen Bedürfnissen. Wenn wir den Planeten wirklich als unsere Heimat betrachten, dann beschützen wir ihn. Nicht, daß wir ihn besitzen. Nicht, daß er uns gehört. Aber so, daß jeder, der auf dem Planeten lebt, in die Lage kommt, ihn zu genießen und ein behagliches qualitatives Leben zu führen.

Frage: Kann die afrikanische Tradition eine Orientierung sein für eine ökologischere und gemeinschaftlichere Lebensweise?

Wangari Maathai: Viele traditionelle Kulturen, die der Natur sehr nahe sind und sie respektierten, interagierten mit ihr und trugen Verantwortung für eine nachhaltige Lebensweise. Und diese Verantwortung war nicht individuell, sondern gemeinschaftlich. Heute sind wir sehr individuell. Und das ist ein Teil der Gründe, aus denen wir die Natur zerstören. Wir wollten Teile der Natur besitzen, anstatt das zu benutzen, was wir während unserer Lebenszeit brauchen und den Rest für die lassen, die nach uns kommen. Es gibt ein schönes Beispiel für eine alte Zeremonie. Die Menschen hatten ein enges Verhältnis mit dem Schöpfer, mit Gott. Aber sie versuchten nicht, Gott die Verantwortung für alles zuzuschieben. Sie übernahmen große Verantwortung auf sich. Sie respektierten die Natur. Wenn sie Probleme hatten, die ihre Macht überstiegen, dann brachten sie die ganze Gemeinschaft zusammen und überzeugten sie, für eine Stunde still zu sitzen. In dieser Stunde fokussierte die ganze Gemeinschaft auf das Problem, das sie bedrängte. Sie versuchten, sich mit dem Schöpfer oder mit der Kraft zu verbinden, die sie geschaffen hatte. Und versuchten zu verstehen, warum der Schöpfer ihnen dieses Problem auferlegt hatte. Ich denkt, das ist ein phantastisches Gebet, ein sehr wichtiger Fokus. Denn dann wußte jeder, daß es dieses Problem gab und sie alle was dafür tun mußten. Ich denke letztlich, auch der Schöpfer kooperierte mit ihnen. Aber nun ist jeder allein und arbeitet für seinen eigenen Vorteil, es gibt keine Fokus, und jeder zieht die Natur in eine andere Richtung. Am Ende können wir das Problem nicht lösen, da wir in unterschiedliche Richtungen ziehen. Es ist sehr wichtig, einiges der Weisheit und des Wissens wiederzuerlangen, das unsere Leute hatten, bevor sie davon überzeugt wurden, daß das alles nutzlos und ignorant sei. In Wirklichkeit war es eine sehr tiefe Weisheit.

Frage: Ihr mutiges Eintreten bringt sie oft in gefährliche Situation, und sie gingen bereits mehrfach in den Untergrund. Wie gehen Sie mit ihrer eigenen Angst um?

Wangari Maathai: Die Angst ist da. Ich weiß, da sind Menschen, die gegen mich sind. Ich versuche, Situationen zu vermeiden, die mich in eine schwierige Lage bringen. Ich weiß, ich bin nützlicher für die Welt, wenn ich lebe. Wenn ich sterbe, kann ich nur ein wenig Kompost mit meiner Leiche beitragen. Also will ich am Leben bleiben und Ideen und Aktivitäten beitragen: Bäume pflanzen und Leute zu ermutigen, für sich und ihre Umwelt zu sorgen. Und für eine bessere Zukunft zu hoffen und nicht aufzugeben. Ich habe eine Wahl getroffen. Und sehr oft, wenn man eine Wahl in seinem Leben getroffen hat, übernimmt man das Risiko dafür. Meine Entscheidung dafür, Dinge auszusprechen, bedeutet, daß ich mein Leben in Gefahr bringe. Ich hoffe einfach, daß ich lange genug überleben werde, die Feinde der Natur zu überwinden. Denn die wir bekämpfen, sind die Feinde des Lebens. Sie sind die Menschen, die das Leben zerstören wollen für ihre eigene selbstsüchtige gierige Lebensweise. Sie denken nicht an morgen. Sie sind nur an sich selbst und an heute. Dies sind die Feinde, die überwunden werden müssen. Und diese Feinde sind manchmal lokal, manchmal regional, manchmal global. Wir sprechen heute viel über Globalisierung. Manche Aspekte der Globalisierung sind Teil des Feindes. Denn sie wollen die kleinen Bauern zerstören und das Leben in Besitz nehmen. Sie wollen die großen Korporationen vereinigen, um die Welt zu regieren. Die Regierungen verlieren immer mehr an Macht. Aber wenn es keine Regierungen mehr gibt und man den Konzernen ausgesetzt ist, dann werden viele von uns an den Rand gedrängt, verarmen und werden für unwichtig erklärt. Niemand besitzt wirklich den Planeten. Niemand besitzt wirklich Leben. Niemand besitzt uns. Wir gehören dem, der uns geschaffen hat. Wir haben alle ein Recht, hier zu sein. Und wir sollten keinen Kräften, ob ökonomisch oder politisch oder religiös, gestatten, einige von uns als weniger wichtig zu erklären. Alle von uns sind wichtig.

Was ich noch sagen will in diesem Zusammenhang: wenn einige von uns bedroht werden, dann ist das traurig. Aber ich weiß: wenn ich bedroht werde, ist jeder bedroht. Wenn ich sicher bin, ist jeder sicher. Und bis alle von uns sicher sind, ist niemand von uns sicher.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.


Copyright (c) von Leila Dregger 7 Juni 1999


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