Wer einmal das Museum der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde
besuchte, wird dort keinen Hinweis auf das Heimat Lager Slate (Süd) bei Parchim
gefunden haben. Selbst unter der Bevölkerung in Parchim und Umgebung gab es so gut wie
keine Kenntnis über seine wirkliche Zweckbestimmung. Die Anwendung harter Strafen
(Kriegsgericht, Todesstrafen) bewirkte tatsächlich eine weitgehende Abschirmung der hier
vorgehenden Aktivitäten. Um so erstaunlicher sind die Informationen zu Slate und der V2
(A4), die Rainer Gessert in jahrelangem Suchen zusammentrug. Nach mehreren Vorträgen in
Parchim stellt er nun seine Arbeit der Öffentlichkeit vor. In den letzten Kriegsjahren des NS-Reiches gab es in den Wäldern bei Parchim - Slate ein militärisches Geheimnis, das auch zu einer Gefahr für die Stadt Parchim hätte werden können. Es steht mit dem Bau der V2, der "so genannten" Vergeltungswaffe im Zusammenhang, einer ballistischen Rakete, mit der die deutsche Wehrmacht Ende 1943/Anfang 44, die sich anzeigende Niederlage des II. Weltkrieges, verhindern wollte. Die erste Bauprojektplanung 1935/36 zur Munitionsanstalt des Heeres und der Baubeginn 1936, in den Wäldern bei Parchim - Slate Aktenzeichen Az.63 H 38 SI (D IV 2), war von der Grundkonzeption ein Munitionslager, das die Lagerung und Fertigung von konventioneller Munition vorsah. Der Kauf der Fläche, im Stadtforst Slate (161ha, 96 a, 42 qm) für 277.192,00 RM und die Grundbucheintragung am 18.09.1942 durch die Heeresstandortverwaltung Parchim, von der Stadt Parchim, war der Vollzug des gesetzliche Aktes. Mit Ausbruch des II. Weltkrieges 1939 wurde die Fertigstellung der Munitionsanstalt, unter Einbeziehung von Kriegsgefangenen , bis dahin erfolgte ihr Aufbau mit zivilen Baubetrieben aus dem Kreis Parchim und Umgebung, forciert vorangetrieben. Der vorliegende Beitrag berichtet über die Munitionsanstalt des Heeres im Zeitabschnitt 1943 bis 1945. Der erste geglückte Start einer ballistischen Rakete im Oktober 1942 in Peenemünde wurde richtungweisend für zusätzliche militärische Schwerpunkte zur weiteren Führung des Krieges. Man setzte jetzt auf so genannte "Vergeltungswaffen", um die Kriegslage noch für sich zu entscheiden. Das Machtstreben und die Begehrlichkeiten der SS technisch-technologische Neuheiten in ihren Einfluss zu bringen, verschaffte dem Standort Munitionsanstalt Slate - Süd neue Aspekte zu den bis dahin eigentlichen inhaltlichen Aufgaben. Ab etwa Juni 1943 entstand, entsprechend neuer Befehlslage, nun ein Lager für so genannte V-Waffen. In diesem speziellen Fall war es, bei strengster Geheimhaltung, eine Lagerstätte zur Lagerung von V2 Raketen, unter Einflussnahme der SS, durch den Stab des SS-Obergruppenführer Dr. H. Kammler. Unter dem Aktenzeichen Az. 63 h 38 Fz Jn (für Feldzeuginspektion) Ie vom 16.06.43 gibt es ein Dokument, welches sich unter dem Oberbegriff "Geheime Kommandosache" mit der Lagerung von Raketen befasst. In diesem Schreiben wird dargestellt, dass die Kompetenz zur Festlegung der Standorte und den Aufbau der Lagerstätten für Raketen des Typs A4 Serie B/V2 nur und alleinig beim Waffenamt (Wa Prüf 11/ für Abt. für Sondergerät), deren Leiter Generalmajor W. Dornberger war, liegt.
Es wird weiterhin festgestellt, dass bei zukünftiger Serienproduktion der A4 Serie
B/V2 in Peenemünde die Standorte: Die Aufgaben der Munas bestanden, ab diesem Zeitpunkt, in der Zwischenlagerung von Geräten (Mittelteil und Brennofen der Rakete), Nutzlastspitzen (Sprengkopf), Druckstücke (Graphitruder), Hochgeschwindigkeitskreisel (Vertikant) und funktechnischem Zubehör. Weitere ihre zugedachte Aufgaben bestanden im Zusammenbau von Baugruppen (Ruderanlage), der Prüfung der Druckstücke (Gewindeprüfung der Graphitruder), das Komplettieren der Nutzlastspitze (Montage von Kopf und Bodenzünder am Sprengkopf), das Überprüfen der Tanks und Leitungen (Abdrücken /Stickstoffprüfung) nach Leckstellen, mit der Maßgabe der Bereitstellung der Raketenbaugruppen für die SS Werferbatterie 500. Die Realisierung des inhaltlich neuen Bauvorhabens, die Belegung mit Raketen des Typs A4 Serie B/V2, hatte für die Munitionsanstalt des Heeres Slate-Süd, ab jetzt begrifflich als Heimat Lager für Peenemünde ausgewiesen, bis 01.10.1943 zu erfolgen und für die Muna Neuwedell, ebenfalls jetzt als Heimat Lager bezeichnet, bis 01.01.1944. Für die Baudurchführung selbst, das Beschaffen der notwendigen Baracken (Standart), Kontingente, Arbeitskräfte usw. ist nun alleinig verantwortlich die Abteilung für Sondergerät beim Waffenamt im Zusammenwirken mit der SS. Die künftige Kapazitätsplanung zur Lagerung von V2-Raketen für das Heimat Lager Slate belief sich auf 540 und für Neuwedell auf 466 Raketen, sodass sich eine Lagerkapazität von 1008 Raketen für Peenemünde, bei Realisierung dieses Bauvorhabens, ergeben hätte. Durch die endgültige und alleinige Übernahme des weiteren Baus der Gleisanlage ab Mitte des Jahres 1943 durch das Militär im jetzigen Heimat Lager Slate wurden die Prioritäten auf den Bau eines Feldeisenbahnnetzes (600/750 mm) gesetzt. Der Bau des Feldeisenbahnnetzes ab Mitte 1943 im Heimat Lager Slate wurde unter dem spezifischen Aspekt der Lagerung und des Transportes der V2 auf dem Schienenweg vollzogen. Mit dem Einsatz von Kriegsgefangenen entstand eine Feldbahnanlage, die voll den militärischen Erfordernissen entsprach und die Lagerung von V2 Raketen ab dem 01.10.1943 zuließ. Da zur damaligen Zeit die Kriegsführung logistisch auf die Schiene setzte, entsprach die Anlage dem Stand der Technik. Es wurden Holzbaracken errichtet, die in etwa 20 m lang waren (Länge der Rakete 14 m). Die Einfahrt wurde mit einem großen Tor ausgerüstet, welches bei Öffnen die Einfahrt bzw. die Ausfahrt der Rakete in oder aus der Baracke auf den hineinführenden Feldeisenbahnstrang gewährleistete. Ansonsten waren die Holzbaracken eher schlicht, wohl aber den Anforderungen entsprechend, gebaut. Der Grundkörper war aus Holz (vorgefertigte Standartteile) und war auf Betonpfahlsockel verankert. Das Dach war ein schräges Pappdach und insgesamt waren diese Raketenschuppen mit Tarnfarbe entsprechend getarnt. Sie wurden in die Altkiefernbestände, unter geringster Entnahme von Kiefern eingepasst, um eine perfekte Tarnung zu gewährleisten, um für die Alliierten bei eventuellen Luftaufklärungsflügen unsichtbar zu sein. Alle Raketenschuppen hatten einen Feldeisenbahnanschluss und verliefen fischgrätenartig zum Feldeisenbahnhauptanschluss.
Zum beurteilenden Stand des Baus an der Gleisanlage, ist es mittels einer Luftbildaufnahme vom 31.05.1944 möglich, sechs solche fischgrätenartige Stränge zu erkennen. Diese vereinigen sich zu einem Ring, so dass ein Rangieren und ständiges Aus- und Einlagern in jedem Raketenschuppen innerhalb des Ringes möglich ist. Spezielle Feldbahnloren, die eine über 14 m lange Rakete transportieren konnten, wurden hierzu genutzt. Die Problematik des Umladens einer Rakete von Reichsbahnwaggons auf Feldbahnloren wurde auf dem Adapterbahnhof, 300 m entfernt vom Verladebahnhof technisch gelöst. Sie wurden mit speziellen Kranvorrichtungen auf die Feldbahnloren gehievt. Dieser Vorgang war auch umkehrbar, da die V2 nur zeitweilig hier lagerte. Bei Bedarf wurden sie wieder auf Reichsbahnwaggons gehievt, um zum Abtransport in die Feuerstellung der SS-Werferbatterie 500 nach Holland/Hellendoorn zu gelangen. Spezielle Feldbahnloren gab es auch zum Transport von Nutzlastspitzen, den Sprengköpfen der Rakete V2. Beide Großteile wurden immer getrennt voneinander, aus Sicherheitsgründen, transportiert und gelagert. Die Lagerung der Sprengköpfe erfolgte, in der im ersten Bauabschnitt geschaffenen Bunkeranlage der alten Munitionsanstalt, auf speziell dafür geschaffene Lagerplattformen.
Mit der mehrmaligen Bombardierung von Peenemünde, mit insgesamt 600 Bombenflugzeugen und rund 1,5 Mio. Kilogramm Sprengstoff an Bord, bspw. am 17./18. August 1943 durch die Royal Air Force /RAF), folgte am 26.08.1944 der Befehl zur Auslagerung des Fertigungswerkes von Peenemünde nach Nordhausen in die unterirdischen Produktionsstätten des Mittelbaus "Dora". Durch die Verlagerung der Produktionsstätten von Peenemünde in den Mittelbau "Dora" kam es zu Verzögerungen in der Produktion von Raketen. Mit der Auslagerung aller Produktionskapazitäten entfiel für Peenemünde nun endgültig die Aufnahme der Serienproduktion und die Belieferung seiner Heimat Lager mit der Rakete V2. Das Heimat Lager Slate wurde ab Aufnahme der Produktion im Mittelbau "Dora" ausschließlich von dort beliefert. Unter diesen gegebenen Umständen erreichte das Heimat Lager weder baulich noch kapazitiv seine vorgegebene ständige Lagerung von 540 Raketen. In Auswertung eines neueren Luftbildes aus einer Höhe von 7000 m, als ein so genanntes Abfallprodukt zur Luftobservierung des Fliegerhorstes Parchim vom 05.08.1944, durch die USA-Luftwaffenaufklärung, der USAAAF 544. Staffel, ist davon auszugehen, dass bis dato eine Lagerkapazität von etwa 70 Raketen in Holzbaracken erreicht wurde. Weitere Indizien auf dem Luftbild und auf Grund von Zeugenaussagen, die unmittelbar nach Beendigung des II. Weltkrieges das Lager aufsuchten, deuten darauf hin, dass sich die Anlage im stetigen Aufbau befand und weitere Raketen getarnt auf dem Feldeisenbahnnetz zur Lagerung standen.
In der Phase des Aufbaus beider Heimatlager gab es ein Zusammenwirken. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass das Heimat Lager Slate (Deckname Ute) und das Heimat Lager Neuwedell (Deckname Gerda) gemeinsame dementsprechende Sachzeugen im Lager Slate hinterließen. Beide Heimatlager hatten analoge Aufgaben und man kann davon ausgehen, dass ein Technik- und Technologietransfer bestand. Augenfällig im Zusammenwirken aller drei militärischen Einheiten ist es auch, dass in der Bezeichnung der Lagerstätten der Begriff Heimat ab Mitte 1943 auftaucht. Dieser Begriff ist sicherlich der Tatsache gestundet, dass ab Mitte 1943 beide Lagerstätten der Heeresversuchsanstalt Peenemünde unterstellt waren. Peenemünde trug zu diesem Zeitpunkt den Tarnnamen Heimat Artillerie Park 11 und es ist davon auszugehen, dass bei der Umbenennung der Lagerstätten das Wort Heimat inhaltliche Gemeinsamkeiten zu Peenemünde darstellen sollte. Die weitere Zukunft des Heimat Lager Slate im NS-Reich hätte mit angrenzender Wahrscheinlichkeit nach so ausgesehen, dass diese Anlage unter der alleinigen Einflussnahme der SS ein militärisch wichtiges Zentrum für Norddeutschland geworden wäre. Allen Spekulationen zum Trotz sind die Tatsachen aber so, dass das Bauvorhaben, Heimat Lager Slate entsprechend der einstigen Planung durch die Beendigung des II. Weltkrieges nicht realisiert wurde. Abschließend sei an dieser Stelle noch einmal vermerkt, dass auf Grund von Zeitzeugenaussagen, Funden und vor allem der Dekontaminierung (Säuberung eines Sprengplatzes) von 7 ha Forstfläche im Jahre 2002 durch einen Kampfmittelbergungs- und Entsorgungsbetrieb endgültig der Beweis erbracht wurde, dass komplette Raketen des Typs A4 Serie B auf dem Gelände der ehemaligen Muna Slate-Süd lagerten. Es wurden insgesamt 25 t Eisenschrott und eine Tonne Aluminiumschrott bei dieser Aktion geborgen, den man zweifelsfrei der Rakete zuordnen konnte. Welche Gesamtanzahl von Raketen es vor Ort gab, teilweise schon durch das deutsche Militär vor Kriegsende im Lager gesprengt, auf Grund des Nerobefehls (vom 19.03.1945), der die Vernichtung aller militärisch relevanten Gegenstände bei Rückzug befahl und wie viel Raketen dann nach Beendigung des II. Weltkrieges (für Slate 03.05.1945) im Lager noch vorhanden waren, ist schwer einzuschätzen. Man kann aber davon ausgehen, dass das Lager bis zur Beendigung des Krieges noch voll funktionsfähig war. Als Beispiele seien hier genannt, dass im Umfeld des Lagers und der Stadt Parchim (bspw. an der Darzer Weiche) Transportzüge der Reichsbahn mit Raketenteilen warteten, um ins Lager geleitet zu werden. Der damalige Bürgermeister Prestin und der Polizeileutnant Kühn bemühten sich noch am 28.04.1945 in einer Zusammenkunft mit dem Kommandanten des Lagers vor Ort, die Gefahr, für die Stadt Parchim, durch eventuelle Luftangriffe der Alliierten auf diese Transportzüge, abzuwenden. Die Verhandlungen verliefen jedoch ohne Erfolg.
Endgültig vernichtet, entsorgt und demontiert wurde das Heimat Lager Slate bis Ende der 40-er Jahre durch die Rote Armee (Reparationsleistungen), durch die Vergabe von Materialscheinen der Stadtverwaltung Parchim, zwecks Entnahme von Baumaterialien usw., die ab 01.07.1945 Verwalter des Lagers war und durch den Zugriff der Bevölkerung aus den umliegenden Gemeinden. Mit Beendigung des II. Weltkrieges verlor auch die dazugehörige Reichsbahnstrecke Parchim-Suckow für den Personen -und Güterverkehr gänzlich ihre Bedeutung. Eine vorübergehende Nutzung des inneren Lagergleiskörpers und der Reichsbahnstrecke durch die Rote Armee war zeitweise gegeben. Die Nutzung erfolgte unter dem Aspekt des Abbaus der Immobilien im Lager, des gesamten Gleiskörpers, einschließlich Equipment. Insgesamt ist die Demontage des Lagergleiskörpers und die Reichsbahnstrecke Parchim - Suckow bis 31.12.1947, durch die damalige sowjetische Besatzungsmacht und durch die Deutsche Reichsbahn vollzogen worden. Rainer Gessert
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