Rush Hour am Sambesi
Wenn die Hitze des Tages nachläßt, tuckert eine Armada von Touristenbooten zu den Victoriafällen |
Gemächlich dümpeln die Boote an den von Büschen und Palmen gesäumten Ufern und Flußinseln vorbei. Silbergraue Vervet-Äffchen lausen ihresgleichen, Krokodile wärmen sich in der Sonne und vorwitzige Baboons, afrikanische Steppenpaviane, sitzen auf runden Steinen und schauen interessiert zu den Menschen herüber.
In bequemen Korbstühlen unter Sonnendächern geben die Urlauber sich der angenehmen Brise und dem Sundowner, dem afrikanischen Dämmerschoppen, hin. Mit einer reichlich gefüllten Kühlkiste trägt die "Intombi" uns stromaufwärts bis hin zu jener kleinen Insel, wo 1855 der schottische Missionar, Abenteurer und Kolonialschreiber David Livingstone nächtigte. Tagelang hatte er in der Ferne Wolken beobachtet, die sich ständig am selben Ort neu formierten.
Einheimische brachten ihn schließlich am Morgen des 16.November im Einbaum die etwa sieben Kilometer den Strom hinab, bis an jene Schlucht, wo der Fluß sich auf einer Breite von bald 1 700 Metern tosend in die Tiefe des dunklen Gesteins stürzt und wo durch die Kraft des Wassers hoch aufsteigende Sprühnebel entstehen."Mosi oa tunya", donnernder Rauch, so der afrikanische Name dieses atemberaubenden Naturwunders.
Schillernde Regenbögen überspannen die verwinkelte Schlucht, und zu jeder Tageszeit zeigen die Fälle sich anders. Am schönsten aber sind sie frühmorgens, wenn das Sonnenlicht sich vielfarbig in der brausenden Gischt zwischen Teufelskatarakt und Palmenwäldchen bricht. Ergriffen notierte Livingstone: "Der Anblick war so schön, als hätten die Engel es im Fluge erblickt."Und zu Ehren seiner Königin taufte er die Wasserfälle kurzerhand um in "Victoria Falls". Bei diesem Namen ist es bis heute geblieben.
Das erste Gasthaus, das Victoria Falls Hotel, eröffnete seine Pforten im Juni 1904, kurz nachdem die Eisenbahn diesen Teil Südrhodesiens, benannt nach Cecil John Rhodes, dem mächtigen britischen Minenspekulanten und ersten Premierminister der damaligen südafrikanischen Kapprovinz, erreichte. Noch immer besitzt die Bahngesellschaft des heutigen Simbabwe das Hotel, das anfangs ein schlichter Bau aus Holz und Eisen zur noblen Komfortherberge für die wachsende Zahl betuchter Besucher aus der Kolonie ausgebaut wurde. Hier findet man das alte England in Afrika. Jagdtrophäen und edle Hölzer, an Wänden und Decken Jugendstil und schimmernde Lüster. In sonnendurchfluteten Räumen üppige Fauteuils in braunem Büffelleder, schwere Tische aus dunklem Ebenholz und rotem Teak.
Der herrschaftliche Pomp des Empire feierte sich und den Reichtum seiner besetzten Territorien und schwieg über das Leid der Unterjochten. Das Logo des Hotels zeigt den südafrikanischen Löwen und die ägyptische Sphinx, Reminiszenz an den imperialen Traum des Cecil John Rhodes. Der wollte einst den Kontinent mit einer Bahnlinie von Kapstadt bis nach Kairo erschließen. Doch alle Macht ist vergänglich. Die Züge vom Kap enden heute bei den Kupferminen von Sambia.
Das 20 000 Einwohner zählende Städtchen Victoria Falls lebt allein von den Urlaubern. Und in Simbabwe boomt der Tourismus. Zu Beginn der 80er Jahre, kurz nach der Unabhängigkeit, kamen jährlich etwa 50 000 Besucher nach Victoria Falls. 1996 waren es 300 000.Wie lange die Infrastruktur des Ortes diesen Ansturm noch mitmacht, ist fraglich. Immerhin ist der Wasserverbrauch und Fäkalienausstoß einer solchen Anzahl von Menschen beträchtlich. Doch Vertreter der Tourismusbranche scheinen unbekümmert und versichern auf Nachfrage, man habe alles im Griff.
Tatsächlich wuchsen in den letzten Jahren Lodges, Hotels und Restaurants ungezügelt aus dem Boden. Auf einer Mini-Konsummeile bieten zahllose Agenturen Trips in die nähere und weitere Umgebung an. Und weil wirklich alles mit dem Auto erledigt wird, drängen die Fahrzeuge von früh bis spät durch die wenigen, engen Straßen.
Was unlängst noch lustvoll zu Fuß erkundet wurde, etwa der Weg zu den Wasserfällen oder zu einem mächtigen Baobabbaum, dessen Alter auf 2 000 Jahre geschätzt wird, und auch die Wanderung zu einer Krokodilfarm wird zum Halbtagstrip arrangiert, bei dem selbstverständlich ein Auto notwendig ist.
Und schließlich auch ist Müßiggang beim gemächlichen Sunset-Cruise oder Ergriffenheit vor den Wundern der Natur nicht jedermanns Sache an diesem Ort. Mit schrillen Angeboten zu Wildwasser-Touren, Helikopterflügen oder sogar zum Bungeespringen locken Veranstalter die Fun-Suchenden aus aller Welt, die sich das Mütchen mit einem Sprung am Gummiband von der Brücke in die Schluchten der Wasserfälle kühlen möchten. Ganze LKW-Ladungen erlebnishungriger Besucher in festem Schuhwerk und knallbunten Westen werden täglich an die Stromschnellen des Sambesi gekarrt.
So ist es mit der Ruhe, die seinerzeit Livingstone und womöglich auch die Engel beim Betrachten der Wasserfälle gehabt haben mögen, vorbei. Heute knattern ständig Helikopter über dem Naturwunder. Sie verschrecken die Wildtiere derart, daß selbst der Veranstalter TUI schon in den Reiseinformationen auf diese Folgen touristischer Übernutzung hinweist.
Behutsam lenkt unser Steuermann die "Intombi" mit ihren dreizehn Passagieren auf die Anlegestelle zu. Vor einer Weile hat ein mächtiger Feuerball den Tag verabschiedet. Für Momente noch bleibt ein orangeroter Widerschein am Himmel zurück.Über terrakottafarbener Erde verschmelzen die Konturen der Bäume und Büsche zu einem schwarzen Scherenschnitt. Selbst wenn in Simbabwe nicht alles so unberührt und paradiesisch erstrahlt, wie die Reiseprospekte es glauben machen wollen wer sie sucht, findet sie auch, die berauschende Weite und die schmerzliche Schönheit des Landes.
Inzwischen ist es halb sieben und stockdunkel. Die afrikanische Nacht begrüßt uns mit ihrem Konzert der Stimmen. Über uns wölbt sich mit funkelnden Sternen übersät dieser Himmel, der, so will es scheinen, unendlich und ewig ist.
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