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Landgericht München I Justizpalast Prielmayerstraße 7 80316 München |
Az: 30 O 21972/03 Ba. |
verkündet am 8.6.2001 XXXXXX XXXXXX Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |
In dem Rechtsstreit
New Era Publications GmbH, vertr. durch den Geschäftsführer Winfried Günter, [Adresse gelöscht]
- Klägerin -
Prozeßbevollmächtigte/r:
Rechtsanwälte Wilhelm Blümel und Kollegen, Bayerstraße 13/IV,
80335 München Gz.: ß/ns/00004B9/00
gegen
1) Junge Union München, vertr. durch den Geschäftsführer
Christian Baretzi, [Adresse gelöscht]
- Beklagte -
2) Joachim Haedke, [Adresse gelöscht]
- Beklagter -
Prozeßbevollmächtige/r:
zu 1,2: Rechtsanwälte Bossi, Ufer - Dr. Ziegert,
Schrankfach 148, Sophienstraße 3, 80333 München
wegen Unterlassung
erläßt das Landgericht München I, 30. Zivilkammer, durch Vorsitzenden Richter am Landgericht Deyhle als Einzelrichter, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.3.2001 folgendes
I.
Die Beklagten haben es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu DM 500000,--, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft bezüglich der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß Werbefirmen aufzufordern oder auffordern zu lassen, keine Werbemittel mit Werbung für das Gedankengut von Scientology auf Werbeträgern zu veröffentlichen, wenn diese Aufforderung mit der Ankündigung verbunden ist, die Namen der Werbefirmen zu veröffentlichen, welche dieser Aufforderung der Beklagten keine Folge leisten.
II.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
IIII.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,-- DM vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch eine unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft einer inländischen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Die Klägerin ist Inhaberin der Nutzungsrechte zum Vertrieb der Werke des amerikanischen Schriftsteller L. Ron Hubbard auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Dieser 1986 verstorbene Autor war Gründer der Scientology Bewegung. Diese Bewegung wird in Deutschland von verschiedenen Seiten, insbesondere von den sogenannten Amtskirchen und von einigen politischen Parteien heftig angefeindet.
"Junge Union" ist die Bezeichnung der Nachwuchsorganisation der CSU. Deren Bezirksverband München, die Beklagte zu 1), ist in das rechtliche Gewand eines nicht rechtsfähigen Vereins gekleidet, dessen Vorsitzender der Beklagte zu 2) ist.
Die Klägerin wirbt mit Plakaten für das von ihr vertriebene Buch
von L. Ron Hubbard "Scientology - Die Grundlagen des Denkens".
Diesbezügliche Plakate der Klägerin veröffentlichte auch
die Firma XXXXX GmbH auf ihren Plakatwänden und Litfasssäulen.
Die Beklagte zu 1) gab daraufhin am 22. August eine Pressemeldung heraus
unter der Überschrift: "Scientology wirbt wieder öffentlich in
München - Junge Union veröffentlicht ab sofort immer die Namen
der Werbefirmen und ruft zum Boykott auf". Im Text dieser Pressemitteilung
heißt es u.a.:
"Mit Plakaten versucht die umstrittene Sekte Scientology derzeit in München
auf Mitgliederfang zu gehen. Geworben wird für das Buch "Scientology -
Die Grundlagen des Denkens" von L. Ron Hubbard. ..."
Die Sekte, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht und der
auch zahlreiche Prominente angehören, ist seit langem im Kreuzfeuer
öffentlicher Kritik. Die Junge Union München fordert von den
Verantwortlichen der Stadt, gegen diese Kampagne vorzugehen.
Joachim Haedke, MdL und Bezirksvorsitzender der Jungen Union München,
sagte hierzu wörtlich: "Immer wieder lassen sich Plakatfirmen zu
solchen Buchungen hinreißen. Offensichtlich ist die Aussicht auf ein
paar Mark hier wichtiger als die Überzeugung. Daher veröffentlichen
wir diese Werber. Damit muss jetzt jeder rechnen, der für Scientology
Werbung macht. Die Information erhalten jeweils die Münchner Medien,
sind aber auch auf unserer Homepage unter "Pressemeldungen" nachlesbar".
Der Name ist:
[gestrichen]
Verfasser: Büro Haedke, 22.08.2000.
Die Firma XXXX, die ihrerseits Standflächen für ihre Werbemittel bei verschiedenen Grundstückseigentümern angemietet hatte, beugte sich dem Druck von der Beklagtenseite, nachdem ihr verschiedene Grundstückseigentümer Vertragskündigungen solcher Standflächen angedroht hatten. Sie musste außerdem besorgen, dass andere Auftraggeber Aufträge für laufende Werbung zurückziehen und keine neuen Aufträge mehr erteilen würden, falls solche Werbemaßnahmen für die Klägerin in Zukunft veröffentlicht würden. Die Firma XXXX hat deshalb den Werbevertrag mit der Klägerin fristlos gekündigt.
Die Klägerin trägt vor: Das Verhalten der Beklagten verletze ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht und stelle zugleich einen unerlaubten Eingriff in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.
Der Beklagte zu 2) sei auch persönlich passivlegitimiert.
Die Klägerin stellt folgenden Antrag:
Die Beklagten haben es samtverbindlich bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,--, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft bezüglich des Beklagten zu 1) an dessen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß Werbefirmen aufzufordern oder auffordern zu lassen, keine Werbemittel mit Werbung für das Gedankengut von Scientology auf Werbeträgern zu veröffentlichen, wenn diese Aufforderung mit der Ankündigung verbunden ist, die Namen der Werbefirmen zu veröffentlichen, welche dieser Aufforderung der Beklagten keine Folge leisten.
Die Beklagten beantragen
Klageabweisung
Der Beklagte zu 2) bestreitet seine Passivlegitimation.
Die Beklagten tragen vor, ihr Verhalten sei, sofern durch dieses überhaupt Rechte der Klägerin verletzt worden seien, durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Klage ist zulässig und sachlich auch begründet.
Der Beklagte zu 2) ist passivlegitimiert. Er wusste von der Pressemeldung vom 22.8.2000 und auch davon, dass als Verfasser dieser Meldung sein eigenes Büro angegeben worden war.
Das Verhalten der Beklagten stellte einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin dar, der als sonstiges Rechtsgut im Sinne von § 823 BGB geschützt ist. Die Beklagten haben zum Boykott solcher Werbefirmen aufgerufen, die für die Klägerin künftig Werbung verbreiten würden. Dieser Boykottaufruf wurde nicht mehr durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung geschützt, weil er nicht nur auf geistige Argumente gestützt wurde, sich also auf die Überzeugungskraft von Darlegungen, Erklärungen und Erwägungen beschränkte, sondern darüber hinaus sich solcher Mittel bediente, die den Angesprochenen die Möglichkeit nahmen, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit und ohne wirtschaftlichen Druck zu treffen (so das Bundesverfassungsgericht wörtlich in der sogenannten Blinkfüer-Entscheidung, BVerfGE 25, 256/264, 265).
Die Ausübung des Grundrechts nach Artikel 5 Abs. 1 GG wird durch das Verhalten der Beklagten im Grunde pervertiert. Die eigentliche Stoßrichtung dieses Grundrechts geht in die Richtung eines Voltaire zugeschriebenen Ausspruchs, er halte die Ansicht eines anderen Mannes zwar für abwegig, würde aber sein Leben dafür einsetzen, dass der Mann diese Ansicht dennoch verbreiten könne.
Demgegenüber berufen sich die Beklagten auf die Freiheit der Meinungsäußerung für ein Verhalten, mit dem sie einem anderen dessen Freiheit zur Meinungsäußerung durch moralischen Druck, der unmittelbare wirtschaftliche Folgen haben konnte und sollte, beschränken wollten und wollen.
Der Scientology-Bewegung wird in der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere in deren Medien derzeit viel Widerstand entgegengesetzt (ob zu Recht oder zu Unrecht, ist nicht Gegenstand dieses Urteils), weshalb Plakatwerbung ein wichtiges Mittel ist, überhaupt öffentlich auf sich oder bestimmte Bücher aufmerksam zu machen. Werbungsfirmen, die für Auftraggeber Plakate anschlagen, kümmern sich um deren Inhalte im allgemeinen nicht, sofern er nicht strafbar ist. Auch die Betrachter und Leser von Plakaten unterstellen diesen Firmen keine über das Geldverdienenwollen hinausgehenden Absichten.
Die Beklagten drohten also bewusst dritten Werbefirmen, die am Gedankengut der Klägerin uninteressiert waren, wirtschaftliche Nachteile zuzufügen, falls diese künftig für "Scientology" würben, wobei angesprochener Anlass die Werbung für das erwähnte Buch von L. Ron Hubbard war.
Die Firma XXXX kündigte daraufhin den Werbungsvertrag mit der Klägerin, da sie, was unbestritten ist, Einbußen von Seiten künftiger Auftraggeber oder von Vermietern von Plakatstellflächen befürchtete.
All dies ist fern von dem Austausch geistiger Argumente, die Artikel 5 Abs. 1 GG im Auge hat.
Nebenentscheidungen: §§ 91, 100 Abs. 1, 709 ZPG.
[Unterschrift]
Deyhle
Vorsitzender Richter
am Landgericht