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Geschäftsnummer: Cs 65 Jz 21802/90

Bavarian Coat of Arms

IM NAMEN DES VOLKES!

URTEIL

des Amtsgerichts   M i e s b a c h

in der Strafsache gegen XX

wegen Vergehen nach dem Heilpraktikergesetz

aufgrund der Hauptverhandlung vom 12. Januar 1995, an der teilgenommen haben

RiAG XXXXX als Strafrichter
StA'in XXXXXXXXXX als Beamter der Staatsanwaltschaft

RA XXXXXX als Verteidiger
JAnge XXXX als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

I.
Der Angeklagte XXXXXXXXXXXXXXX, geb. XXXXXXXX in XXXXXX, led., dtsch. StA., wh. XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
ist schuldig 200 Einzelfälle der Ausübung der Heilkunde ohne Erlaubnis.

Der Angeklagte wird   v e r w a r n t .

Die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je DM 40,-- bleibt vorbehalten.

II.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.

Angew. Vorschriften: §.5 Heilpraktikergesetz in Verbindung mit § 14/I StGB.

Gründe

I.

Der 35jährige ledige Angeklagte begann im Alter von 13 Jahren mit dem Konsum von Drogen. Vor seinem 16. Lebensjahr an nahm er regelmäßig Heroin ein. Im Alter von 18 Jahren, als er, nach eigenen Worten, voll auf Drogen stand, mußte der Angeklagte wegen Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz eine Jugendstrafe verbüßen. Nach der Haftentlassung fand der Angeklagte im Rahmen einer Therapieauflage Anschluß an Narconon, einen Verein, der unter dem Einfluß der "Scientology-Church" nach dem Ideengut von Arthur [sic] Hubbard Drogenentzugsprogramme durchführte. Dem Angeklagten gelang es bei Narconon nach einigen Rückfällen endgültig von der Sucht loszukommen. Er fühlte sich mit seinen Suchtproblemen verstanden und empfand die menschliche Nähe zu Betreuern und Pfleglingen als wohltuend. Von einer Ideologie empfand sich der Angeklagte nicht vereinnahmt.

Der Angeklagte blieb als Betreuer bei Narconon und leitete vom 25.10.88 bis 5.2.1992 als Präsident den im Vereinsregister des Amtsgerichts Miesbach unter VR 400 eingetragenen Verein "Narconon e.V." in Schliersee.

Differenzen mit dem Verein führten dazu, daß dem Angeklagten Hausverbot erteilt wurde. Er trat von seiner Funktion zurück. Seitdem ist der Angeklagte nicht mehr für Narconon tätig. Er hat auch keine Verbindung mehr zur "Scientology-Church". Derzeit arbeitet der Angeklagte als Begleithelfer beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin.

Das Bundeszentralregister enthält keine Eintragungen zu Lasten des Angeklagten.

II.

Während der Zeit, in welcher der Angeklagte Vereinspräsident war, wurden in einem Heim in Schliersee von 10-15 Mitarbeitern, die alle selbst als Drogenabhängige Anschluß an Narconon gefunden hatten, jeweils 10-20 Klienten betreut, insgesamt mindestens 200 Personen. Der Tagessatz betrug DM 120,--. Die Klienten waren alkohol-, tabletten- oder drogenabhängig. Sie kamen, meist auf Empfehlung von Anhängern der "Scientology-Church", aus ganz Deutschland und dem Ausland, vornehmlich der Schweiz. Die Aufenthaltsdauer schwankte zwischen wenigen Monaten und einem Jahr.

Keiner der Betreuer gehörte einem anerkannten Heiberuf an. Nach Aufnahme in das Heim mußten sich die Klienten einer Eingangsuntersuchung bei dem Internisten XXXXXXXXXXXXXXX in München oder dem praktischen Arzt XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX in XXXXX unterziehen. Die Untersuchungen waren auf den körperlichen Zustand gerichtet und sollten Aufschluß geben, ob die Entzugsbehandlung nach dem Programm von Narconon durchgeführt werden könne.

Das Programm sah für den unmittelbaren Entzug im wesentlichen körperliche Arbeit vor. Daran schloß sich ein Reinigungsprogramm mit häufigen Saunabesuchen an. Von Bedeutung waren sog. "Assists", bei denen durch Berührungen körperliche Nähe hergestellt wurde. Außerdem wurden Präparate verabreicht, wie Vitamin E, Calcium und Niacin. Die Dosen der Präparate wurden von Narconon vorgeschrieben . Die Ärzte XXXXXXXXXX und XXXXXXXXXXXXXXX, denen jeweils eine Zusammenstellung der für den Klienten vorgesehenen Präparate vorgelegt wurde, prüften, ob die Verabreichung nach dem Standardprogram ohne Schaden vorgenommen werden könne oder Abweichungen erforderlich seien. Es lag im Ermessen der Betreuer, die Mengen der Präparate auch zu steigern.

Nach der Eingangsuntersuchung wurden die Klienten nur dann nochmals zum Arzt gebracht, wenn sich erhebliche gesundheitliche Probleme einstellten.

Der Angeklagte, der während seiner Tätigkeit ein Taschengeld von monatlich DM 300,-- bis DM 500,-- bezog, wußte, daß es sich bei der Behandlung von drogen- und alkoholabhängigen Personen um eine Tätigkeit zur Heilung und Linderung von Krankheiten handelte, zu deren Ausübung weder er noch seine Mitarbeiter eine Erlaubnis hatten.

III.

Der Sachverhalt ist nachgewiesen durch die Einlassung des Angeklagten, durch die Angaben der Zeugen XXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX und XXXXXXXXXXXXXXX sowie durch das Gutachten des Sachverständigen XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXXX.

Der Angeklagte, auf dessen Angaben die Feststellungen zu seinem Werdegang und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen, ließ sich zu Tatvorwurf dahingehend ein, die Grundidee von Narconon sei, als Selbsthilfegruppe Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Bei Narconon sei man nach dem Programm von Arthur [sic] Hubbard vorgegangen. Zunächst habe eine Eingangsuntersuchung bei XXXXXXXXX oder XXXXXXXXXXXXXXX stattgefunden. Nach der Entzugsphase, für die im wesentlichen körperliche Arbeit vorgesehen gewesen sei, habe man ein Reinigungsprogramm mit Saunabesuchen und Joggen durchgeführt. Die Klienten hätten untereinander Kommunikationsübungen mit sogenannten "Assists" vorgenommen. Damit seien Körperberührungen zum Zwecke des Beistands und der Zuwendung gemeint. Es seien solche Präparate verabreicht worden, die der Arzt verschrieben habe. Die Klienten seien von 10-15 Mitarbeitern betreut worden, die ehemals alle selbst als Abhängige zu Narconon gekommen seien. Während der Zeit, in der er das Heim in Schliersee geleitet habe, seien jeweils 10-20 Pfleglinge, insgesamt 200-400 Personen, betreut worden. Grundsätzlich habe man einen Aufenthalt von etwa einem Jahr vorgesehen. Viele seien jedoch früher ausgeschieden. Aus Gesprächen mit Herrn XXX XXXXXXXXX, dem Leiter des Staatlichen Gesundheitsamts in Miesbach, habe er gewußt, daß gegen die Art der Therapie bei Narconon Bedenken bestanden hätten.

Die Angaben der genannten Zeugen ergaben, daß die Klienten im wesentlichen nur einer ärztlichen Eingangsuntersuchung zugeführt wurden und die daran anschließenden Behandlungsprogramme ohne medizinische Beaufsichtigung durchgeführt wurden.

Die Zeugin XXXXXXXXXXXXXX, die nach eigenen Angaben 1989 als Alkoholabhängige zu Narconon in Schliersee gekommen war und in der Folgezeit bis März 1992 als Mitarbeiterin darauf zu achten hatte, daß bei der Behandlung der Klienten das Programm von Arthur [sic] Hubbard Anwendung finde, bekundete, die Klienten seien in der Regel einmal zum Arzt gebracht worden. Bereits während der Entzugsphase seien Vitamine und Mineralien verabreicht worden. Das Reinigungsprogramm mit Saunabesuchen und der Verabreichung von Niacin habe vom Arzt genehmigt werden müssen. Die Mitarbeiter und letztlich Arthur [sic] Hubbard hätten jedoch über die Dosis des verabreichten Präparats entschieden.

Der Zeuge XXXXXXXXXXXXXXXX, Arzt am Staatlichen Gesundheitsamt in Miesbach, gab an, er habe sich bei Besuchen im Heim von Narconon in Schliersee von dem schlechten Zustand des renovierungsbedürftigen Hauses überzeugt. An Präparaten habe er Mineralstoffe, wie Calcium, und Vitamintabletten gesehen. Zur Verabreichung der Präparate habe er keine Feststellungen treffen können.

Der Zeuge XXXXXXXXXXXXXXX bekundete, er habe die zu ihm gebrachten Klienten untersucht und geprüft, ob das Standardprogramm entsprechend eines ihm jeweils vorgelegten Formulars angewendet werden könne. Wenn ein Klient nicht sofort auf das Reinigungsprogramm habe gesetzt werden können, habe er körperliche Arbeit ohne Einnahme von Präparaten leisten müssen. Mit dem Reinigungsprogramm sei erst nach dem Abklingen der Entzugserscheinungen begonnen worden. Narconon habe sich wegen des einzelnen Klienten dann wieder mit ihm in Verbindung gesetzt, wenn Schwierigkeiten aufgetreten seien. An Präparaten seien Vitamin B und Niacin verabreicht worden. Durch Niacin sollten die Gifte im Fettgewebe abgebaut werden.

Der Zeuge XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX erinnerte sich, er habe von 1986 oder 1987 an bis 1991 Klienten von Narconon untersucht. Dabei habe er die Drogenvorgeschichte erhoben und einen körperlichen Status erstellt. Eine Medikation habe er nicht verordnet. Dies habe er dem Haus überlassen. Er habe lediglich überprüft, ob die Medikamente, die in der Regel verabreicht worden seien, dem Klienten schaden könnten. Aus dem strengen Programm seien häufig Patienten ausgegrenzt worden. Es seien auch immer wieder Leute gebracht worden, wenn es Probleme gegeben habe. Gelegentlich habe er auch Patienten ins Krankenhaus überwiesen.

Durch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. XXXXXXXXX ist erwiesen, daß die Behandlung von Suchtkranken durch Narconon keine fachgerechte Therapie darstellte.

Der Sachverständige führte überzeugend und nachvollziehbar aus, die von Narconon behandelten Formen der Sucht seien Erkrankungen des psychischen Formenkreises. Zu ihrer Therapie seien intensive Fachkenntnisse erforderlich. Die Methoden von Narconon seien medizinisch nicht anerkannt. Sie müßten zwar nicht unbedingt Gesundheitsschäden zur Folge haben, führten jedoch dazu, daß eine wirksame Behandlung unterlassen werde. Während der Betreuung durch Narconon sei bei dem Klienten ein positives Moment in der Geborgenheit der Institution zu sehen. Nach der Entlassung würden jedoch die früheren Probleme wieder aufbrechen. Eine wirksame Suchtbehandlung setze eine Zusammenarbeit von geschulten Fachleuten aus der Psychiatrie und der Psychotherapie voraus. Jedenfalls müsse die gesamte Therapie von einem Mediziner mitgetragen werden. Dies sei bei Narconon nicht der Fall gewesen.

Infolge der von XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX dem Angeklagten gegenüber geäußerten Bedenken wußte dieser auch, daß es zur Suchttherapie einer ärztlichen Aufsicht bedurft hätte und eine Erlaubnispflicht bestand.

IV.

Der Angeklagte hat sich durch sein Verhalten in 200 Einzelfällen eines Vergehens der Ausübung der Heilkunde ohne Erlaubnis nach § 5 Heilpraktikergesetz schuldig gemacht. Gemäß § 1/II Heilpraktikergesetz ist Ausübung der Heilkunde jedoch berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Entsprechend § 14/I StGB ist der Straftatbestand auf den Angeklagten als vertretungsberechtigtes Organ des eingetragenen Vereins Narconon anzuwenden.

V.

Unter Berücksichtigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat der Angeklagte Einzelgeldstrafen von 60 Tagessätzen und eine gemäß § 54 StGB zu bildende Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verwirkt.

Zugunsten des Angeklagten kann berücksichtigt werden, daß er wegen eigener positiver Erfahrungen mit Narconon aus ideellen Motiven, nicht aber um Gewinn zu erzielen, bei der Betreuung von Drogenabhängigen tätig wurde. Der Angeklagte ist nicht vorbelastet und räumte den Sachverhalt unumwunden ein.

Gegen den Angeklagten spricht, daß er über Jahre hinweg und in einer Vielzahl von Fällen in maßgeblicher Position die Verantwortung für eine ideologiegefärbte Betreuungseinrichtung trug.

Ein Tagessatz von DM 40,-- entspricht den wirtschaftlichen Verhältnissen.

Nach Sachlage konnte die Verurteilung zu der Strafe vorbehalten werden, § 59 StGB. Es ist zu erwarten, daß der Angeklagte, der mit seiner Vergangenheit bei der "Scientology Church" vor 3 Jahren abgeschlossen hat, nicht erneut in entsprechender Weise straffällig wird. Der Angeklagte ist dabei, sich eine neue Existenz aufzubauen. Aus seiner früheren Tätigkeit hat er keine Gewinne gezogen. Im Hinblick darauf gebietet auch die Verteidigung der Rechtsordnung nicht die Verurteilung zu einer Strafe, zumal konkrete Fälle von gesundheitlichen Schädigungen nicht festgestellt werden konnten.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.

[Unterschrift]
Richter am Amtsgericht

[Stempel]
Urteil mit Gründen
zu den Akten gelangt
am 27. Jan. 1995
[Unterschrift]