Weiblicher Wein
Wenige Männer, viele Frauen, ein Tigerstreifenbaby. Eine Rudolf-Thome-Retrospektive
im Arsenal
"Zur Arbeit, ihr müßt zur Arbeit? Marquard Bohm in "Rote Sonne"
faßt es nicht - jetzt wollen die Frauen auch noch arbeiten. "Was
tust du überhaupt hier, niemand hat dich gebeten hierzubleiben",
sagt Uschi Obermaier zu Bohm. Sie sitzt auf der Bettkante. Wird
sie ihn jetzt verführen? Hochdramatische Geigenmusik setzt ein.
Bohm wird in dieser Geschichte nur noch selten allein sein. Gleich
mehrere Mädchen erkennen, daß dieser Mann viel Zuwendung braucht.
Rudolf Thome, Regisseur, drehte "Rote Sonne" 1969. Und wahrscheinlich
- sind die Thomeschen Essentials hier schon alle vorhanden. Es
geht immer um einen einzelnen Mann, der tapsig durch die Gegend
stapft, meist ein paar Millimeter über dem Boden schwebend. Thomes
Männer sind Traumtänzer, die ohne das weibliche Element heillos
verloren sind in der Welt. Deshalb brauchen sie bedingungslose
Liebe. Doch die Frauen verfallen einem solchen Mann nicht, sie
wählen ihn bei Thome bewußt aus. In "Der Philosoph" eröffnen "seine"
drei Frauen extra ein Modegeschäft, weil sie wissen, das "ihr
Mann" irgendwann einen Anzug brauchen wird. "Ihr habt mich also
in eine Falle gelockt? Tja ... wir werden den Laden jedenfalls
schließen, wir brauchen ihn nicht mehr." Diese Männer begreifen
ihr Glück natürlich gar nicht, die Frauen müssen ihre Love-Traps
aufstellen, aber natürlich nicht, um sich zu bereichern oder den
Mann auszubeuten. Nein, nur um ihm Liebe zu schenken, morgens
Kaffee ans Bett zu bringen,bei Fieber Wadenwickel zu machen. Die
letzte große Utopie! Einige halten das wohl für Machoträume, doch
die haben Thome nicht verstanden.
Denn daß diese Frauen keine Dummchen sind, versteht sich von selbst.
Für einige muß man es aber immer dazusagen. Superselbstbewußt,
in sich ruhend, anmutig statt sexy sind sie. Kein vernünftiger
Mann kann ihnen widerstehen.
Ganz vorsichtig behandeln sie das rohe Ei Mann, ganz vorsichtig
wollen sie ihm zu ihrem und seinem Glück verhelfen. "Der Philosoph"
zieht bei drei Frauen ein - immer wohnen die Männer, wie auch
im neuen "Tigerstreifenbaby", mit mehreren Frauen zusammen -,
und eine der Frauen besorgt ihm einen Computer. Sie erklärt ihm,
wie einfach man damit schreiben kann. Der Philosoph beginnt zu
schreiben, kann aber nicht, solange "Sie" hinter ihm steht. Willst
du mich verführen? fragt er.
Die Frauen sind keine Musen mehr, sie nehmen Männerrollen ein.
Alles wird weiblich. Das ist kein bißchen ironisch gemeint bei
Thome. Sein Feminisierungsprojekt geht so weit, daß der Wein,
den die Frauen für den Philosophen kaufen, vom Händler als weiblich
im Bouquet charakterisiert wird. Sogar die Landschaft ist weiblich.
Ja, wenn man ganz genau hinschaut, sind auch Thomes Autos, mit
denen die Frauen am Steuer mit den Männern zum See fahren, weiblich.
Haben runde Formen wie der Käfer in "Rote Sonne" oder sind kugelig
wie der Peugeot 205 in "Der Philosoph". Phalluswagen gibt's nur
für absolute Machos, wie einen Ford Mustang in "Rote Sonne", und
dessen Fahrer wird nach dem Sex von den Drohnen-Frauen natürlich
getötet.
Und Orte, die in der Realität häßliche Hundestrände sind, werden
bei Thome zum Platz der ersten Liebe. In einer WDR-Dokumentation
über die Dreharbeiten zu den aktuellen Thome-Filmen "Tigerstreifenbaby"
und "Just Married" versucht das Team eine Sexszene am Strand zu
drehen. Herbert Fritsch weiß nicht, wie er das machen soll, wie
man das spielen soll. Ihr könnt das doch so machen, daß sie auf
dir drauf sitzt, sagt Thome und deutet an, daß sie "es" so nicht
unbedingt machen müssen, es aber schon echt aussehen sollte. Man
spürt die Unsicherheit von Fritsch und seiner Partnerin. Werden
sie gleich zusammen schlafen, oder werden sie nur so tun? So schafft
Thome Spannung zwischen den Schauspielern, die sich als eine Art
Hyperrealismus in den Filmen manifestiert. An diesen Figuren kommen
wir als Zuschauer nicht so einfach vorbei, die haben zu viel von
uns selbst.
Andreas Becker in TAZ 3. 9. 98
Mit "Rote Sonne" hat RUDOLF THOME deutsche Filmgeschichte geschrieben.
Seine neuen Filme "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan" und "Just
Married" laufen im Kino. Der Berliner Schriftsteller Bodo Morshäuser
unterhielt sich für den TIP mit Rudolf Thome über die Männer,
die Frauen, Eric Rohmer und das Filmemachen.
Bodo Morshäuser: Herr Thome, Sie haben mit "Just Married einen frauenfeindlichen
Film gedreht, das finde ich klasse. Wie gehen Sie mit meinem Lob
um?
Rudolf Thome: Das gefällt mir natürlich überhaupt nicht. Über all die Jahre
ist eigentlich der Tenor gewesen, ich sei ein frauenfreundlicher
Regisseur. Bei "Just Married" nehme ich eine objektive Position
ein gegenüber beiden Geschlechtern. Ich zeige in diesem Film,
wie Frauen einen Mann sozusagen auseinandernehmen und fertigmachen
können, aber meine Sympathie liegt bei beiden. Wenn die Frau ihm
am Meer sein Lieblingsspielzeug, den Taschencomputer, wegnimmt
und ins Meer schmeißt, dann zeige ich nicht, wie er leidet, sondern
wie sie leidet.
Morshäuser: Die Schikane beginnt damit, daß die Frau das 5000-Mark-Spielzeug
ins Meer wirft. Ich hatte den Eindruck, einem fürchterlichen Beziehungsparadox
beizuwohnen. Sie läßt ihn, der danach gestürzt ist, verletzt daliegen.
Thome: In der ursprünglichen Drehbuchversion hat sie, nachdem er heruntergestürzt
ist, sich auf den Felsen des Ufers gegenüber gesetzt und ein Buch
zu Ende gelesen. Das erschien uns dann beim Drehen doch zu hart.
Morshäuser: Würden Sie diese Ehe ab normal bezeichnen?
Thome: Genau! Ich würde diese Ehe als normal bezeichnen.
Morshäuser: Sie meinen, Gleichberechtigung sei eine Fiktion und Liebe oder
Ehe bedeuteten Kampf seien ein Hin und Her zwischen den Gewichten?
Thome: Ja. Und ich zeige eine Ehe mit Kindern. In einer Ehe mit Kindern
verschiebt sich das Gleichgewicht, wo es vorher auch immer gewesen
sei, auf die Seite der Frau. Die Frauen sind ja keine Monster,
sondern sie werden die Möglichkeiten, die ihnen das Kind bietet,
nämlich einen Machtzuwachs, ausnützen. Sie sind mehr oder weniger
dazu gezwungen. Das wollte ich zeigen, durchaus demonstrativ und
als Modell.
Morshäuser: Ich habe gelesen, daß es zum Schluß des Films Probleme mit dem
Hauptaarsteller gab, weil er einen negativeren Schluß wollte ab
sie.
Thome: Nachdem sie ihm am Schluß auch noch seinen Piepser ins Wasser
schmeißt, da wollte er nicht gerade versöhnlich neben ihr und
den beiden Kindern weitertrotten. Er sagte, "Ich schlage nie Frauen,
aber der würde ich eine in die Fresse hauen". Wir haben die Dreharbeiten
unterbrochen. Wir waren dabei, eine Notlösung zu wählen, die meinem
gewünschten Schluß nahekommt, und dann hat es doch funktioniert,
wie von selbst, dann konnte er das Happy-End spielen. Wie durch
ein Wunder machten dann auch die Kinder mit, und alle taten genau
das, was wir für die Kamera brauchten.Damit haben die beiden es
sogar noch versöhnlicher gespielt als in jeder Probe vorher. Sie
schmeißt den Piepser ins Wasser, er lacht und nimmt ihre Hand,
das heißt, ihre beiden Hände finden sich, das passiert dann von
ganz alleine.
Morshäuser: Auf der Leinwand sieht man nicht, ob etwas von alleine passiert
ist, sondern man sieht den Film. Wenn Sie sagen, dieser Schluß
sei ein Happy-End, dann heißt das doch, daß dieser ganz normale
Terror weitergeführt wird. Ist das erstrebenswert? Macht das jemanden
happy? Warum "befreit der Mann sich nicht?
Thome: Das ist ein Happy-End, weil sie zusammenbleiben. Die beiden
werden zusammen auch noch glückliche Momente mit ihren Kindern
erleben. Sie wird so bleiben, wie sie war, aber mit der Zeit wird
ihre Macht schwinden, denn je älter die Kinder werden, desto geringer
wird ihre Macht über ihn. Ich hätte diese Geschichte auch in einer
anderen Umwelt ansiedeln können. Es ging mir wirklich nur um das
Modell. Der andere wichtige Punkt, warum ich unbedingt diesen
Film machen wollte, war die Art, wie der Film erzählt ist. Er
ist ziemlich anders erzählt als meine meisten Filme, weil er mit
extremen Ellipsen arbeitet. Das hat mich gereizt.
Morshäuser: Ich finde, das ist Ihnen wunderbar gelungen.
Thome: Eine Ehe beginnt mit der Hochzeit, dann kommt die Hochzeitsreise,
dann gibt es einen Zeitsprung, dann ist das erste Kind da, dann
gibt es noch mal einen Zeitsprung, und dann ist das zweite Kind
da. Im letzten Abschnitt betrügt er sie, und dann betrügt sie
ihn. Das finde ich wunderbar, daß sie ihn auch betrügt, um quitt
zu sein. Sie hat zwar nichts davon, sie tut sich selbst weh, aber
ich finde es wunderbar, daß sie das tut.
Morshäuser: Die Preview von "Just Married" wurde so angekündigt, daß man
nicht sagte, welcher Film gezeigt werde, daß man nur sagte, es
sei kein Mainstream-Film. Sind Sie stolz darauf nicht zum Mainstream
zu gehören? Oder ist Ihnen das alles egal?
Thome: Nein, egal ist es mir nicht. Ich habe nichts gegen den Mainstream.
Da muß man aber unterscheiden zwischen deutschem und Hollywood-Mainstream.
Zum deutschen Mainstream tendiere ich nicht, aber Hollywood-Mainstream,
wenn er gut ist, das sind genauso tolle Filme wie der beste europäische
Autorenfilm. Die sind voller Phantasie und Kinobegabung gemacht.
Das ist aufregendes Kino.
Morshäuser: Was haben Sie gegen den deutschen Mainstream?
Thome: Das sind Filme mit meistens historischen Themen, mit meistens
literarischen Vorlagen oder Sachen aus der Nazizeit oder aus den
zwanziger Jahren, das ist alles so schwer und bedeutungsvoll,
und mein Kino ist eigentlich das Gegenteil von bedeutungsvoll.
Deswegen ist meine Position in Deutschland auch so schwierig.
Im Mainstream sitzen Sie als Zuschauer vor einer Maschinerie,
und Sie haben keine Chance. Wenn der Film zu Ende ist, wird man
aus dem Kino gespuckt, und das war's. Das mag ich nicht.
Bei mir soll man in seinem Sessel sitzen, sich zurücklehnen und
gucken. jeder sucht sich selber aus, was er sehen will, oder was
er nicht sehen will, ich stupse ihn nicht mit der Nase darauf,
was er sehen sollte. Meine Filme kann man mehrmals sehen, und
man wird immer wieder Neues finden, was man vorher übersehen hat.
Morshäuser: Nach meinem Gefühl ist Ihnen das bei "Just Married" gelungen.
Thome: Da bin ich dann glücklich.
Morshäuser: Wie finden Sie die Filme von Eric Rohmer?
Thome: Das ist eine Frage, die ich liebe. Ich kenne Rohmer von Anfang
an. Ich muß gestehen, daß ich die Filme, bis auf den ersten, nicht
sonderlich mochte. Die waren mir zu intellektuell, und da wurde
zuviel geredet. Dann habe ich "Die Frau des Fliegers" Anfang der
Achtziger gesehen. Ich bin da rausgekommen und war einfach beflügelt
und wollte sofort auch einen Film machen.
Von diesem Moment an habe ich seine Filme aufmerksamer gesehen
und mochte jeden zweiten oder dritten Film von denen, die dann
folgten, doch sehr. "Vollmondnächte" habe ich total geliebt. "Das
grüne Leuchten" fand ich wundervoll. Der letzte, den ich wirklich
geliebt habe, das war "Sommer".
Als ich die Trilogie mit "Mikroskop", "Philosoph" und "Sieben
Frauen" machte, haben die französischen Filmkritiker gesagt, der
Thome macht den Rohmer nach, aber es sei besser, weil bei ihm
nicht soviel geredet werde. Dabei habe ich das nur deswegen gemacht,
weil die Berliner Filmförderung eine Low-Budget-Förderung einrichtet
hat. Der erste Film war erfolgreich, und dann konnte ich weitermachen.
So kam es zu meiner Trilogie.
Rohmer ist einer der wichtigsten lebenden Regisseure, und ich
bewundere ihn sehr. Mich erinnert er an einen Hochschulprofessor,
weil er alles so genau nimmt. Ich bin das Gegenteil, ich bin schlampig,
ich arbeite mit dem Zufall und mit Improvisationen.
Morshäuser: Das tut Rohmer auch.
Thome: ja, aber er bereitet die Improvisation besser vor. Er arbeitet
mit den Schauspielern ein halbes Jahr. Ich fange wirklich erst
in dem Moment an, in dem ich drehe.
Morshäuser: Würden Sie Ihrem Publikum Ihre politische Meinung verkünden,
zum Beispiel jetzt vor der Bundestagswahl?
Thome: Nein.
Morshäuser: Weil Sie Künstler sind?
Thome: Ich hab' da keine Hemmungen, ich sage Ihnen, was ich wähle.
Morshäuser: Meine Frage ist, ob Sie es Ihrem Publikum sagen würden.
Thome: Nein. Dann wär' ich ja Politiker. Ich versuche nie, anderen
Menschen aufzureden, was ich für richtig halte. Es gibt Filmemacher,
die zwingen ihr Team, das zu tun, was es vielleicht gar nicht
tun will. Und ich verlange überhaupt nichts von den Leuten, ich
frage die Leute: Wie wollt Ihr es machen?
Morshäuser: Passiert es Ihnen da nicht hin und wieder, daß am Ende ein Film
rauskommt, den Sie gar nicht drehen wollten?
Thome: Bei diesen beiden neuen Filmen wollte ich etwas völlig anderes
machen als vorher, ich habe mit einem neuen Team gearbeitet, ganz
junge Leute, ein Kameramann, der noch nie einen Spielfilm gedreht
hatte, und was ist rausgekommen? "Tigerstreifenbaby" ist ein Thome-Film
par excellence. Obwohl der Kameramann eine unglaubliche Freiheit
hatte, er dachte manchmal, er dreht den Film.
Morshäuser: Sind Sie ein demokratischer Regisseur im Gegensatz zu einem
autoritären?
Thome: Ich bin ein so extrem demokratischer Regisseur, daß es beim
Drehen immer einige Leute gibt, die meinen, da gibt es überhaupt
keinen Regisseur.
Morshäuser: Hat Sie das irgendwann einmal richtig gestört? Wollen Sie nicht
auch einmal bestimmen, was gemacht wird?
Thome: Ich bestimme es doch. Meine Entscheidung ist, den Leuten ihre
Freiheit zu lassen. Einen Film zu drehen ist ein Stück Leben in
Hochpotenz, das ist wie eine Liebesgeschichte, man ist total konzentriert
für einige Wochen, nichts anderes ist eine Liebesgeschichte im
Anfangsstadium. Diese Zeit will ich doch angenehm erleben. Und
das schaffe ich, wenn ich den Leuten ihre Freiheit lasse. Darin
werden die Filme besser. Der Film wird stärker, wenn die Phantasien
von mehreren Leuten zusammenkommen.
TIP 19/98 vom 2.9.98
Die Gammelei ist vorbei
Das Arsenal zeigt sämtliche Filme des Berliner Regisseurs Rudolf
Thome
Schinkenbrötchen mit Marmelade und eiskalter Wodka zum gebratenen
Steak sind in den frühen Filmen von Rudolf Thome wichtige Details.
Uschi Obermeier, Marquard Bohm, Iris Berben oder Diana Körner
leben in "Detektive" (1968) und "Rote Sonne" (1969) einen Traum:
Sie frühstücken abends im Bett, lungern tagsüber in Münchner Cafés,
tanzen zu zeitgenössischer Musik, rauchen, trinken und quatschen.
Die Geschichten erzählen immer von jugendlicher Faulheit, von
schönen, starken Frauen und vom vergeblichen Traum, "richtige
Filme" machen zu können. Die Männer auf der Leinwand und im Kino
müssen oft viel leiden.
Beiläufige Glücks-Utopien
Später wurden in Thomes meisterhafter Goethe-Adaption "Tarot"
(1985) oder in der hinreißenden Komödie "Das Mikroskop" (1987)
edler Rotwein und Grappa aus der Toskana getrunken. Das "laisserfaire"
war verschwunden, die Gammelei längst vorbei, man lebte als Filmregisseur,
Computerprogrammierer, Jungphilosoph oder als Kinobesitzer wie
in "JustMarried" (Kinostart am 24. September), Thomes jüngstem
Film, der praktisch zeitgleich entstand mit "Tigerstreifenbaby
wartet auf Tarzan". In 30 Jahren hat Thome alle Zeitgeister in
mittlerweile 18 langen und sechs kurzen Filmen festgehalten, für
die gemeinsame Erinnerung geformt. Um Glücks-Utopien, meist beiläufig
durchgespielt, selten prononciert, geht es noch immer.
Im eigenen Land stand Rudolf Thome lange im Schatten von Kollegen
wie Fassbinder und Herzog, gegen die seine Filme erfreulich undeutsch
wirken. Womöglich liegt das an ihren lakonischen Erzählweisen,
die eher aufs präzise Dokumentieren von Alltagssituationen gerichtet
sind als auf ausdrückliche Botschaften. Nach einer Vorführung
von "Rote Sonne" war Wim Wenders 1970 verzückt durch die Möglichkeit,
90 Minuten lang nichts als die Oberfläche einer "amerikanischen
Haltung" auszubreiten.
Thome war Liebling einer Berliner Kritik, deren Begeisterung sich
an "Berlin Chamissoplatz" (1980) und "System ohne Schatten« (1982/83)
entzündete. Männliche Kritiker haben Gedichte und Hommagen an
Thome geschrieben, die vom "Thome-Bazillus" sprechen und in denen
es darum geht, wie jemand den Gang von Marquard Bohm ausprobiert.
Von Frauen liest man solche Elogen nach wie vor selten. Ihrer
Kritik weicht Thome jedoch nicht aus, wie man auch im Internet
nachlesen kann: Unter www.moana.de führen er und Petra Seeger
ein aufschlußreiches Gespräch zu "Just Married.
Handkamera statt Cinemascope
Der Film wurde in langen, ungeschnittenen Plansequenzen mit der
Handkamera gedreht - eine Entscheidung des jungen Kameramannes.
Thome sieht die Handkamera als guten Ersatz für das früher von
ihm mehrfach verwendete Breitwandformat: "Bei CinemaScope ist
man auch bei einer Zweiereinstellung nah an den Personen und sieht
genau, was in den Gesichtern passiert. Und bei Cinemascope kommt
noch dazu, man sieht etwas von der Umgebung, dem Raum, in dem
sich die Leute bewegen. Bei der Plansequenz ist es genau das gleiche.
Thome ist der wunderliche Realist geblieben, der die Wirklichkeit
weniger präpariert als präsentiert. Das Zufällige in einem Film,
einfache Gesten, sind das eigentlich wichtige. Entscheidend ist,
wie die Story erzählt wird. Heute ist Thome dieser Haltung nicht
mehr in aller Konsequenz treu, seine Interessen haben sich ein
wenig zum psychologischen Erzählen verschoben. Seine ironische
Haltung, voller verhaltener Komik, hat sich erhalten.
Die Auseinandersetzung mit dem Publizisten Thome steht noch aus.
Schon in seinen frühen Texten lassen sich Spurenelemente jener
Haltung finden, die später in den eigenen Filmen wiederkehren.
"Jedes Drehbuch enthält von vornherein eine Unzahl allgemein-menschlicher
Themen", schrieb er einmal über einen Film von Jean-Pierre Melville.
Auch seine eigenen Arbeiten bleiben stets offen für allerlei Perspektiven,
bieten gerade keine besondere Interpretation an. Die Filme und
ihre Figuren lassen sich nicht unmittelbar an der "Realität" messen,
obgleich sie aus unzähligen Alltagsbeobachtungen komponiert sind.
"Kunst erfordert nicht notwendig eine nonkonformistische Gesinnung",
schrieb Thome einmal über den Regisseur und Autor Buster Keaton.
Man könnte das manchmal auch über Thome sagen.
Rolf Aurich in Berliner Zeitung 7.9.98