(STUDY OF AN ISLAND)
1977-79
1.
"Beschreibung einer Insel" ist ein Film Über Leute, die etwas
zu machen versuchen, was von vornherein zum Scheitern verurteilt
ist. Fünf Europäer (eine Engländerin, ein Österreicher, eine Österreicherin,
eine Schweizerin und eine Norddeutsche - alle mit deutlich hörbarem
lokalem Akzent) und ein zufällig zur Gruppe stoßender Amerikaner
reisen zu der abgelegenen Südseeinsel Ureparapara, die zur Gruppe
der Neuen Hebriden gehört. Der erste weiße Mann, der diese Insel
gesehen hat, war Captain Bligh, der nach der Meuterei auf seinem
Schiff "Bounty" dort vorbeitrieb und es nicht wagte an Land zu
gehen: Aus Angst aufgefressen zu werden. Die Fünf wollen in einem
Buch beschreiben, was es alles auf dieser Insel gibt: die Menschen,
ihre Sprache, ihre Bräuche, ihre Institutionen, ihr Verwandtschaftssystem,
ihre Lieder, ihre Geschichten. Aber nicht nur das, sondern auch
die Pflanzen, die Namen der Pflanzen und das, was die Bewohner
der Insel damit machen. Und auch die Tiere, die Muscheln am Strand,
die Fische im Meer und die Steine. Es ist der naive Versuch, eine
Totalität zu erfassen. Sie haben sich eine kleine, begrenzte Welt,
eine Insel, ausgesucht - in der Hoffnung, alles dort Vorfindbare
sei zu überschauen. Die chaotischen Zustände in der nicht mehr
verstehbaren, nicht mehr überschaubaren zivilisierten westlichen
Welt haben diese Sehnsucht nach Einfachheit und Klarheit in ihnen
ausgelöst.
2.
Ureparapara ist ein gewaltiger Vulkan, dessen Ostwand eingebrochen
ist. An derStelle des früheren Kraters ist eine riesige Bucht.
Der Film beginnt damit, wie die Fünf mit einem Schiff langsam
in diese Bucht hineinfahren. Sie fahren wirklich dahin, wovon
sie vorher geträumt haben. Sie gehen wirklich in diese fremde
Welt. Sie erklären den Bewohnern der Insel, warum sie gekommen
sind und arrangieren sich mit ihnen: für die Leistungen der Inselbewohner
müssen die Europäer mit einem Motorboot bezahlen. Doch bald merken
sie, daß das, was sie machen, nicht das ist, wovon sie geträumt
haben. Der Übergang in das Inselleben ist mißglückt. Sie sind
gleichzeitig da und nicht da. Sie haben ihre eigene Welt, ihre
Lebensgewohnheiten, ihre Art zu essen, zu reden in diese Welt
mitgebracht. Sie haben Angst vor dem Fremden (obwohl sich die
Inselbewohner sehr herzlich zu ihnen verhalten), sie ziehen sich
zurück und beklagen ihre Situation. Gegensätze brechen zwischen
ihnen auf. Es bilden sich feindliche Lager. Die Gruppe zerfällt
in einen englisch- und einen deutschsprachigen Teil. Jeder zieht
sich in sich selbst zurück. Sie haben Moskitonetze, um sich vor
den Moskitos, die es auf Ureparapara sowohl am Tage, wie auch
in der Nacht gibt, zu schützen. Aber die Moskitonetze schützen
sie auch vor der fremden Welt. Anna, die Malerin, sagt am Schluß
des Films: "Ich weiß gar nicht mehr, wie ich jemals wieder ohne
Moskitonetz leben kann
3.
"Beschreibung einer Insel" ist ein Film. Es muß eine Kamera, ein
Tonbandgerät und Leute, die sie bedienen, gegeben haben. Und es
muß Jemanden gegeben haben, der entschieden hat, was gefilmt wird
und was nicht (Regie). Im Film, der ein Spielfilm sein will, aber
die Grenzen, die Regeln des Spielfilms nicht beachtet, sieht der
Zuschauer diese Leute (das Filmteam) nicht. Der Film geht, frustiert
von den Frustrationen seiner Protagonisten, einen eigenen Weg.
Er beginnt, zunächst zögernd, das zu tun, was diese nicht können.
Er übernimmt die Aufgabe der Personen im Film und versucht - domonstrativ
- das zu tun, was diese ursprünglich tun wollten. Er zeigt, wie
die Inselbewohner ein Haus bauen. Er zeigt, wie Laplap, ein im
Erdofen zubereitetes Gericht aus zerriebenen Yams- und Taro-Knollen,
gemacht wird. Er zeigt wie Kava, das nationale Rauschgetränk der
Inselgruppe, zubereitet wird. Er nimmt die Rolle der Besucher
ein. Er erklärt nichts, sondern zeigt alles so, wie es sich abspielt.
So genau wie möglich. Für den Zuscheuer ist diese Kommentarlosigkeit,
das unvermittelte Konfrontiertsein mit einer total fremden Welt,
ein Schock. Es ist so, als wäre er plötzlich selbst (für einige
Augenblicke) auf dieser Insel.
4.
"Beschreibung einer Insel" ist wie ein Traum. Das, was man als
Zuschauer sieht (und hört) verselbstständigt sich, entwickelte
eine vertrackte Eigengesetzlichkeit. Das alles klingt kompliziert,
aber der Film ist klar und einfach: eigentlich muß man nur Zeit
haben und hinschauen. Und auch Geduld, um den verschlungenen Wegen,
die er geht, zu folgen. Es ist etwa so, als ob man einen wunderschönen
Traum hat, den man gerne weiterträumen möchte, aber irgendwelche
Ereignisse aus der Umwelt versuchen einen aufzuwecken. Der Film
klammert sich verzweifelt an seinen Traum. An sein Traumziel.
Er versucht zu tun, was getan werden muß. Und er vernachlässigt
- was wiederum konsequent ist - das, was eigentlich mit diesen
sechs Menschen auf der Insel geschieht. Er zeigt die Ereignisse
auf der Insel nicht mehr in ihrer zeitlichen Abfolge. Vieles passiert.
Krankheiten, Streitigkeiten. Der Film zeigt davon, wie die Spitze
eines Eisbergs, nur noch einen Teil: Gespräche der Beteiligten,
Reflexe. Reflektionen, so wie es im normalen Leben westlicher
Menschen üblich ist. Das alles sieht schrecklich aus, die Gespräche
der Europaer hören - in dieser Umgebung - sich schrecklich an.
Das, was man im Film sieht, ist ein erschreckendes Porträt von
uns selbst: "In der Fremde ist niemand exotisch als der Fremde
selbst." (Ernst Bloch).
5.
Wir leben in einer Welt, in der es wichtig ist, ununterbrochen
auf die Uhr zu schauen. Ureparapara ist eine Welt, in der es zwar
bereits ein paar Uhren gibt, in der es bereits einige Transistorradios
gibt, die am Abend, wenn die Sonnne untergegangen ist, vor den
Nachrichtensendungen, die Zeit ansagen. Aber das, was für uns
die Uhrzeit bedeutet, existiert dort nicht. Wichtig sind dort
die Rhythmen der Natur. Der Mond. Die Sonne, am Allerwichtigsten
ist das Meer, ist Ebbe und Flut. Die Gezeiten bestimmen die Zeit.
Das was getan werden muß, weil es jetzt getan werden kann, Der
Film versucht, so gut er es eben kann, das westliche Zeitgefühl
abzuwerfen und in diese Zeit, die sich noch nicht verselbständigt
hat, die nur von den Ereignissen der Natur bestimmt ist, einzutauchen.
6.
Auch das ist eine Utopie. Sie spiegelt sich wider ein bißchen,
in der Zeit, die es dauert, um diesen Film zu sehen: drei Stunden
und zwölf Minuten. Das ist sehr lange für Menschen, die (anders
als die Menschen auf Ureparapara) täglich mindestens zehmal auf
die Uhr schauen, die müde sind, weil sie den ganzen Tag haben
arbeiten müssen und die vielleicht am nächsten Tag wieder arbeiten
müssen. Aber der Film vermittelt das Gefühl für eine Welt, die
neben oder besser mit unserer Welt existiert. Sich auf diesen
Film einzulassen ist ein Abenteuer, das das, was wir jeden Tag
tun (tun müssen, um zu Überleben in unserer Welt) in Frage stellt.
7.
"Beschreibung einer Insel" stellt den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.
Wissenschaftlich sein heißt, erkennen, was ist und dabei methodisch
vorgehen. Der Film zeigt Menschen, die naiv und direkt, als Amateure,
zu verstehen versuchen, warum die Menschen auf Ureparapara, dieses
oder jenes tun. Gin versucht in einer zehn Minuten dauernden Szene
das Tamate-System (eine Art Geheimbund der Männer) zu verstehen.
Je genauer Donald, ein Bewohner der Insel, ihr zu erklären versucht,
was jede Einzelheit bedeutet und je mehr sie die sich darin verbergende
Philosophie der Ureparaparaner zu verstehen scheint, um so mehr
verstehen wir Zuschnuer, daß wir es nicht verstehen können. Ganz
unmittelbar werden wir hier mit einer anderen Art des Lebens und
Denkens konfrontiert. Wir werden in dieser Szene gezwungen zu
verstehen, daß wir nicht verstehen können. Das ist ein Schock.
Weil es uns auf die Relativität unserer Denkmöglichkeiten verweist.
Der Film, der diesen Übergang, diese Grenzüberschreitung zeigt,
wagt in diesem Augenblick das Unmögliche: er zeigt, was man nicht
zeigen kann und erfüllt in der Negation sozusagen, seinen wissenschaftlichen
Anspruch. Gins Szene über das Tamate-System, eine Art philosophisches
Ballett, versucht, das, was Plato in seinen Dialogen mit Sokrates
zu zeigen versucht, die Grenzen unserer Denkmöglichkeiten darzustellen.
Rudolf Thome (in einem Flugblatt zum Filmstart)
Rudolf Thomes und Cynthia Beatts Film "Beschreibung einer Insel"
Ein ethnographischer Spielfilm, ein Film, in dem Ethnographie
mitspielt - beiläufig werden die fiktiven Triebfedern, die Abenteuerlust,
die Träume an den verwobenen Wurzeln von Wissenschaft mit bloßgelegt.
Die armen Künstler bezahlen so oft mit schlechtem Gewissen, daß
sie den Nachweis ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit nur schwer
erbringen können. Egal, was einen Forscher in die Ferne treibt,
er leistet immer etwas für die Menschheit. Ein weites Feld. Vom
Film gelegentlich berührt. Der Film ist nämlich dreieinviertel
Stunden lang. Ausreichend Zeit, Gedanken und Blicke wandern zu
lassen.
Rudolf Thome wird zurecht unwirsch, wenn man seinen Film ethnologisch
nennt. Dessen Geschichte ist die Erstellung eines Buches, Vorarbeit
zum Schreiben, zur Graphie. Mit anderen Mitteln. Keineswegs interpretative
Völkerkunde. Ethnographie passiert, wie heute die Sprachschöpfer
von Politik und Fernsehen sagen, vor Ort.
Fünf junge Leute spielen für den Film Forschungsreisende, nicht
wie Kinder, die, eher abstrakt, Indianer spielen. Sie fahren wirklich
um die Welt bis in die Südsee. So einfach ist das heute. Bis auf
die muschelförmige Kraterinsel Ureparapara im englisch-französischen
Condominium der Neuen Hebriden. Die Expedition hat eigens eine
Zeichnerin dabei. "Captain Cook und die anderen Entdeckungsreisenden
in der Südsee haben immer einen Zeichner dabei gehabt. Das ist
für diesen Film zweihundert Jahre nach Captain Cook ein ernster
Grund. Außerdem gibt es einen Vermesser und eine Botanisiererin
und zwei kümmern sich um Sprache und Gebräuche. Zu ihnen stößt,
schon auf der Insel, ein weißer Eingeborener, der Bruder der Koregisseurin.
Die Neuen Hebriden
Wem die Gelegenheit sich bietet, der sollte, vor oder nach dem
Film, die Nummer der Zeitschrift Filmkritik vom Mai 77 lesen,
die das Projekt Beschreibung einer Insel beschreibt. Nicht um
dann hämisch den Finger legen zu können auf die zerplatzten Träume,
auf alles, was daneben gegangen ist, was nicht im Film ist. Der
Abstand vom Vorwurf zur Realisation beschreibt die Intention der
Regisseure. Der Weg ist die Methode, sagt Jean Rouch.
Ich glaube Thome, wenn er sagt, mit Leuten, die sich besser verstanden
hätten, mit weniger Krankheit, mit weniger Pannen hätte für ihn
der Film nicht besser werden können. So wie er konzipiert ist,
hätte er mit besser harmonisierenden Leuten auch schlechter werden
können. Und sicher wäre er auf einer glücklicheren, weniger umwölkten
Insel nicht so dramatisch geworden. Es war Teil des Projekts,
daß alle sich ereignenden Dinge gleichermaßen Platz finden könnten
in dem Film. Das alte Erzählschema mit Anfang, Mitte und Ende
ist außer Kraft. Ereignisse im letzten, im sechsten Monat des
Aufenthalts hätten sehr wohl alles Vorhergehende in ein neues
Licht versetzen können.
worüber der Zuschauer sich eingangs klar sein muß: Die Bilder
im Film sind so realistisch wie beim abgefeimtesten Kommerzkino.
Sie sind simuliert, für die Kamera wiederholt. Sie spielen ihre
Unschuld. An ihnen ist genausoviel natürlich wie an den Fernsehbildern,
die lebensvoll und hautnah Vertrautheit mit den großen Ereignissen
dieser Welt in unseren Wohnzimmern installieren. Dieser Film rechnet
mit dem, was das Fernsehen fürs Sehen an Veränderung gebracht
hat. Er stellt sich um. Er versteht sich als Kinomöglichkeit im
Fernsehzeitalter. Er hat sich vorgenommen zu konkurrieren mit
der Unmittelbarkeit, die täglich aus der kleinen Kiste kommt.
Die, wie jedermann weiß, mit Unmittelbarkeit aber auch gar nichts
zu tun hat. Deshalb ist die Beschreibung einer Insel wie durchs
Lorgnette geschaut.
Die Kamera ist in den Bildern allgegenwärtig, aber anders als
in den Filmen, die man zu seinen Vorläufern oder Verwandten rechnen
könnte. Keine partizipierende Kamera wie bei Flaherty, keine Kontaktkamera
wie bei Jean Rouch. Sie ist wie eine dicke Studiokamera, die auf
Distanz hält. So kommt eine unindividuelle, kollektive Sache zustande.
Der nicht sichtbare Mann hinter der Kamera ist nicht der alte
Autor-Gott, der alles schon immer weiß. Er ist wie Warhol die
Registriermaschine, die gleichermaßen entfernt von den alten Unterscheidungen
fiktiv und dokumentarisch ein Auge hat für Minimales, Ungeplantes,
das früher aus dem Rahmen und damit unter den Tisch fiel.
Erfindung und Wirklichkeit
Thome will an den Kinoprozeduren nicht eigentlich die Abbildung
verändern, wie Michael Snow das tut durch eine Veränderung im
Gebrauch der Apparate oder auch Costard. Er möchte der Kamera
anderes Futter bieten, statt Geschichten einen freien Raum für
Spielbegabung. Das heißt, die Grenzen zwischen Erfindung und Wirklichkeit
sind noch mehr verwischt als üblich. Und, wie man sich erinnern
möchte, war genau das der springende Punkt für die ersten Zuschauer
der bewegten Bilder. Auch wenn heute der Zuschauer blasiert so
tut, als sei er über dieses Stadium seit langem hinaus, lebt,
abgesehen vom Experimentalfilm, das Kino noch immer von dieser
Grundkonstellation.
Die Leute auf der Insel, unter schwierigen, ungewohnten Lebensbedingungen,
hatten Streit miteinander. Was wir davon zu sehen bekommen, ist
zwar ein intensiv gefühlter, aber dennoch selektiver Teil. Es
ist ein abgebildetes Stück Streit, dem eine im üblichen Spielfilm
nicht vorkommende Qualität beigemischt ist. In diesem Film darf
man grundsätzlich als gegeben annehmen, was man als ordentlicher
Kinozuschauer sich sonst versagt; daran zu denken, wenn Lauren
Bacall und Humphrey Bogart sich auf der Leinwand küssen, es nicht
allein für uns. die Zuschauer ist. Als Filmperson zum Beispiel
heißt Cynthia Beatt auch weiter Beatt, nur ihren Vornamen hat
sie in Gin vertauscht.
Es gibt noch mehr Indizien, daß die Beschreibung einer Insel ein,
wenn auch anders konstruierter, aher doch gespielter Film ist.
Das, was vom Leben auf der Insel gezeigt wird, bleibt immer beispielhaft,
zitiert, lebendes Bild. Ähnlich genau gestaltet ist, das Gesprochene
des Films. Es alternieren Erörterungen, Unterhaltungen mit Geschichten
erzählen. Der Customchief erzählt eine Legende, Brian Beatt eine
Münchhausen-Aufschneiderei, die Botanisiererin steckt das ganze
Unternehmen in Traummetaphern. Die Regisseure aktivieren auf diese
Weise ihre Figuranten, die sprechend Fiktives und Persönlichstes
verbinden. Das erinnert an Brice Parrain in Godards Vivre sa Vie,
wenn er nach der Erklärung linguistischer Probleme Anna Karina
die Geschichte des Porthos aus den Drei Musketieren erzählt.
In diesem Film spiegeln sich nicht nur zwei Welten ineinander
und stellen aneinander sich dar, im Grunde sind es drei. Das Trüppchen
der Deutschsprachigen, deren Akzente allein sich so voneinander
unterscheiden, daß man zuweilen den Eindruck hat, allein das könnte
Anlaß genug zu Dramen sein; dann die dunklen Bewohner der Insel
und schließlich die beiden, zwischen den Kulturen verlorenen "Kolonisatoren".
Ein so perfekt konserviertes Englisch mit entsprechenden Gesten,
ein solches "over" wie bei Brian, der sich über Funk mit seiner
Schwester im Krankenhaus verbinden läßt, bekommt man allenfalls
von Hollywoodchargen englischer Herkunft zu hören, von George
Sanders oder C. Aubrey Smith. '
I am walking in the light of God, singen zwei Halbwüchsige, wenn
sie in den tiefgrünen Wald marschieren, um eine Falle aufzustellen.
Es klingt wie Hulahula. Auch die anderen Lieder, die man hört,
haben anglisierten Text zur fremden Musik. Der Rhythmus scheint
aus einer anderen Zeit zu kommen. Als sie zuvor glücklich auf
einer anderen Insel wohnten, von der die Hurricane sie vertrieben.
Man sieht sie als langen glitzernden Strich am Horizont, ein Traumbild
von einer Insel in der Sonne. Ein wehmütiger Schwenk, in den entfernte
Musik einfällt. Aus dem Ureparapara-Projekt ließ sich auf jeden
Fall nur ein Spielfilm machen, weil das, wovon er handelt, so
weit weg ist. Definitiv vorbei.
FRIEDA GRAFE, Süddeutsche Zeitung 30.11.79
Rudolf Thomes und Cynthia Beatts Film "Beschreibung einer Insel"
1977 publizierte die Filmkritik" als Mai-Nummer das Projektbuch
zu diesem ethnographischen Spielfilm" mit Texten sowie Fotos und
Karten von Ureparapara, einer kleinen Vulkaninsel im Norden der
Neuen Hebriden. "Ich habe mir die, Insel nicht so vorgestellt",
spricht mir eine der Expeditionsteilnehmerinnen aus dem Mund,
während sich das Boot durch das Tiefblau des Meeres auf ein riesenhaftes,
schwarzgrünes Massiv zubewegt.
Begrüßung und Abschied stehen am Anfang und Ende des Films. Für
ihre Arbeit wollen die Inselbewohner kein Geld, sondern schlagen
ein Boot vor als Gegengabe. Sie erzeugen Kopra aus Kokosnüssen
und kaufen sich für den Erlös Tabak, Zucker, Zündhölzer, Seife,
Reis, Biskuit, Bier, Thunfisch und Batterien. Ein kleiner Junge
findet Gefallen am Kassettenrecorder von einem der Deutschen und
bezahlt am Ende mit Muscheln. Diese Kinder, die nachher, in Europa,
so sehr vermißt werden wie "das Pflanzliche der Umgebung, das
Hinuntergehen zum Meeresstrand nach dem Aufstehen, das Geborgensein
- bei aller Fremdheit - im festgefügten, langsamen Lebensrhythmus
der Inselbewohner ...
Die Expedition besteht aus vier Frauen und einem Mann. Sie hat
zum Ziel die Publikation eines Buches über die Insel. Geographie,
Sprache, Überlieferungen, Lebensverhältnisse werden arbeitsteilig
von den jungen Leuten untersucht. Wie sie die Dinge erfragen,
daran hat der Zuschauer teil. Ihm sind dieselben Rätsel aufgegeben,
vor denen sie, die Fragenden, stehen: Das zähe Begreifenwollen
eines Brauches, der zu tun hat mit Teufeln und mit einem bemalten
Hut. Dann das Ausquetschen aus Wurzelrinden und Anrühren der Farben,
das Bemalen des Hutes, und im Surren der Mücken die reine Gegenwart,
der Augenblick des Filmens. Auf den Tonbandprotokollen, die sie
mit nach Hause bringen, wird im festgehaltenen Krähen der Hähne
den Zurückgekehrten noch einmal die schwere Luft entgegenströmen,
die sie krank machte.
Auf Reef-Island, bevor sie nach Ureparapara kamen, waren die Eingeborenen
glücklich. Warum werden sie hier nicht glücklich? Der Zustand,
in dem sie leben, ist "low". Was heißt das? Sie arbeiten hier
für Geld, und das nur, um am nächsten Tag wieder von vorn anzufangen.
Sie leben unter einer drückenden Wolke. Der Himmel schließt sich
über den Menschen wie der Deckel eines Koffers. Die Bucht ist
ein Loch, in das der Wind hereinweht und verfault.
Die "customs", kultische Bräuche, wurden von christlichen Missionaren
verboten. Die Missionare starben einen frühen Tod in diesem höllischen
Klima. Jetzt gibt es eine Partei, die dafür eintritt, daß die
alten Bräuche wieder aufleben. Sie ist verbreitet über die Inselgruppen
der Neuen Hebriden und vertritt die Rechte der Eingeborenen. Ein
Brautkauf und dann eine Hochzeit nach christlichem und nach "Custom"-Ritus,
überschattet von Trauer wie ein Begräbnis. Ein Stammestanz.
Zuerst wird für die Fremden ein Gemeinschaftshaus aufgebaut. Ein
kleines Kind hat vor sich ein großes Palmenblatt liegen, aus dem
es die Blattadern zieht. Ein anderes Kind trägt eine Falle in
den Wald. Die Kinder dort kennen kein Spielzeug in unserem Sinn.
Sie stellen sich selbst etwas her, und dieses Herstellen macht
ihnen Spaß. Wenn das Spielzeug dann fertig ist, besitzt es für
sie oft keinen Wert mehr.
Ein Wort für "Dach", scheinen die Eingeborenen nicht zu kennen.
Sie sprechen von einer "Seite", so wie von den anderen Seiten
des Hauses. Einige sprechen englisch. Die Neuen Hebriden sind
britisch-französische Kolonie. Diejenigen der Expeditionsteilnehmer,
deren Muttersprache Englisch ist, zeigen sich im Umgang mit den
Inselbewohnern spontaner, inniger und freier als die deutschsprachigen.
Von dieser Innigkeit ist der liebevollste Ausdruck die Stelle,
an der sich ein kleiner Polynesierjunge in der Hängematte an den
Bruder von Cynthia Beatt schmiegt, der später noch zu den andern
auf die Insel gestoßen ist.
Joris Ivens hat in seinen China-Filmen etwas getan, was auch auf
"Beschreibung einer Insel" zutrifft. Er hat dem europäischen Zuschauer
eine Welt entdeckt, die der unseren fern ist, aber in diesem anderen
hat er gleichzeitig das Ähnliche gesehen, das, was uns unmittelbar
mit den Leuten in China verbindet. Dies ist die entgegengesetzte
Haltung zum Exotismus, der das Fremdartige, seinen pittoresken
Aspekt, isolierend, ausbeutet. Gleichzeitig nehmen Beatt und Thome,
so wie sie die Menschen von Ureparapara ernst nehmen, auch diejenigen
ernst, die zu ihnen kommen, um sie und die Insel zu studieren.
Darin, wie sie ihre Vorgehensweise, Schwierigkeiten und Konflikte
aussprechen, reflektiert der Film sich selbst im Prozeß seines
Entstehens.
Und dann sind da wieder die wirklichen Bilder dieser "Beschreibung".
Ein Baumstamm, der durch das silbrig-grüne Wasser an Land gebracht,
ausgehöhlt und als Trommel verwandt wird. Die Südseemusik und
das T-Shirt eines der Trommler mit der Aufschrift "Air Polynésie".
In der Locke eines anderen Trommlers zwei tiefrote Blüten, leuchtende,
brennende Punkte vor dem modrigen Grün der Berge. Ein dunkles
Gesicht in der Schwärze der Nacht. Geschichten von bösen Geistern
und faulen Haien. Das Tauchen im grünen Blau des Meeres wie in
einer Spiegelung bewaldeter Berge.
"Das Schiff kommt an", sprechen am Ende die Zurückbleibenden,
wenn ihr weggeht, werden wir bleiben. Das ist alles." (Klick)!
Peter Nau in "Der Tagesspiegel 13.10.79
Mit einem ganz eigenartigen und doch im Grunde sehr normalen Film
geht am Dienstag die Retrospektive des «Filmpodiums» auf das Werk
des deutschen Filmemachers Rudolf Thome zu Ende: mit der etwas
über drei Stunden dauernden «Beschreibung einer Insel», die Thome
einen «ethnographischen Spielfilm» nennt. In manchem sieht «Beschreibung
einer Insel» den Beziehungsfilmen «Made in Germany und USA» und
«Tagebuch» ähnlich, in Wesentlichem geht sie darüber hinaus.
«Beschreibung einer Insel» gibt ein filmisches Bild des Atolls
Ureparapara und seiner Einwohner, einer der «hintersten Ecken»
der Welt (das Atoll gehört zu den Banks-Inseln, Neue Hebriden;
man findet es nur in sehr guten Atlanten). Der Film gibt aber
auch ein Bild einer irgendwie fiktiven «Forschergruppe», die mit
dem Vorsatz dahin gekommen ist, alles zu sammeln, um ein Buch
über diesen abgelegensten Flecken Erde zu machen, der 1789 erstmals
von abendländischen Menschen erblickt wurde. Es gibt also einen
Forschungsgegenstand und eine fiktive Situation, die ihrerseits
natürlich real ist; im Idealfall konnte Rudolf Thome, dieser ziemlich
unerreichte Spezialist eines «neutralen Blicks», beides gleich
behandeln, und das, obwohl er und Cynthia Beatt selber - wie schon
im «Tagebuch» - ebenso Personen des Dramas (des fiktiven und realen)
waren wie Berichterstatter.
Prinzipielle Offenheit
Rudolf Thome schrieb ungefähr ein Jahr vor dem Aufbruch ins total
Ungewisse: «Die Tatsache, dass es während der gesamten Drehzeit,
bis zum letzten Drehtag offenbleibt, ob nicht an diesem Tag eine
Szene entstehen wird, die die Bedeutung alles Vorangegangenen
über den Haufen werfen wird und die alles bisher Geschehene, Erarbeitete
und Erlebte in einem neuen Licht erscheinen lassen wird, ist eine
Herausforderung an die Phantasie jedes an diesem Prozess Beteiligten.»
Die prinzipielle Offenheit dieser Europäer, die die Insulaner
kennenlernen und sich selber durch die Insulaner stellt eine bestimmte
ethnographische Literatur in Frage. Der englische Kapitän, der
das Atoll als erster Abendländer gesehen hat, hat sein Schiff
nicht einmal verlassen, aus Angst, wie er schrieb. Knapp 200 Jahre
später sind Rudolf Thome und seine Equipe an Land gestiegen mit
dem Vorsatz, sich mit dem Land und mit sich selber einzulassen.
Wenn man «Beschreibung einer Insel» sieht, fragt man sich oft
nach der Brauchbarkeit und der Stichhaltigkeit ethnographischer
Klassiker (Malinowski und Mead zum Beispiel). Warum haben sich
diese Autoren hinausdividiert, und wie war das überhaupt möglich?
Warum liest man nichts von den Erkrankungen der Forscher, nichts
von der Dynamik eines «neuen Lichts», das auf die Methode und
die ersten Ergebnisse dieser Methode in einem bestimmten Feld
geworfen wurde? Warum waren sie unfähig oder zu stolz, Ergebnisse
als einen Prozess darzustellen?
Möglichkeiten, Grenzen der Kommunikation
«Beschreibung einer Insel» ist ein Film über Möglichkeiten uhd
Grenzen der Kommunikation. Verschiedene Szenen machen die spezifische
und darüber hinaus die allgemeine Problematik jeder Mitteilung
erlebbar. Wenn zum Beispiel die Ethnologin Gaby Baur sich eine
Geschichte erzählen lässt in einer Sprache, die sie nicht versteht,
und den Erzähler mit diversen «Mhm, mhm» ermuntert, wenn sie später
ein Originaltranskript erstellt und sich die Geschichte von der
Entstehung der Insel in ein fast so fremdes Pidgin English übersetzen
lässt (und wir das in unser Deutsch übertragen), Jann geht uns
gleichzeitig auf, dass im Grunde nie zwei Personen das gleiche
denken können.
Rudolf Thome lässt in «Beschreibung iner Insel» immer offen, ob
die Konflike seiner Inselbeschreiber echt oder «nur» gespielt
sind; sie könnten immer beides sein. Echt bleiben die Inselbewoher,
echt bleibt der Urwald, echt sind die Krankheiten, die sich die
Mitglieder der Filmequipe geholt haben. So ergibt sich ein äusserst
vieldeutiges und eng geknotetes Gewebe aus Reflexion und Beschrieb,
aus nah und fern, in einem eigentümlichen Licht von milder und
beiläufiger Rationalität. Man kann in «Beschreibung einer Insel»
viel lernen und viel begreifen, indem man sich sowohl der Realität
wie dem Spiel aussetzt, indem man teilnimmt an dem Anverwandlungsprozess,
den Thome inszeniert/erlebt. «Beschreibung einer Insel» läuft
im Movie 1 heute Dienstag, 26. Februar, um 14.00, 17.30 und 21.00
Uhr.)
Martin Schaub in Tagesanzeiger, Zürich