Die Poesie des alltäglichen Kannibalismus
Mit "Sieben Frauen" beendet Rudolf Thome seine Trilogie"Formen
der Liebe"
Glücklicherweise sind die "Formen der Liebe" weit vielfältiger,
als es Rudolf Thomes gleichnamige Trilogie zeigen kann; aber leider
sind sie in Wirklichkeit ganz, ganz selten so leicht, schwebend
und märchenhaft wie im Kino dieses undeutschesten aller deutschen
Filmemacher. Bei ihm nämlich ist die Liebe weder eine Kopfgeburt
noch ein Lendenleiden, sondern von vornherein nichts anderes als
ein heiteres, wehmütig-naives Kinostück, das seine Wahrheit nirgends
anders beweisen will als auf der Leinwand.
Das ist die Größe des Filmemachers Rudolf Thome; das ist seine
Schwäche. Er, der Unglücksrabe des Neuen deutschen Films, der
stets haarscharf neben dem Zeitgeist lag, weil er immer ein bißchen
zu früh dran war - was ihm aber auch im nachhinein niemand dankte
-, hatte ja stets eine sehr eigentümliche Auffassung von Kino.
Man hätte sie sicherlich honoriert, wenn er Franzose oder gar
Brasilianer wäre, dem gebürtigen Deutschen nahm man sie immer
etwas übel, so als wäre bei ihm das Leichte, Spielerische nicht
echt, nicht authentisch.
Als Filmautor stürzt sich Thome mit geradezu abenteuerlicher Naivität
ins Leben. Trotz seiner fünfzig Jahre, die er in diesen Tagen
vollendet, ist er ein neugieriges und eigensüchtiges Kind geblieben.
Aber er hat sich jene, für den Künstler eben doch recht glückliche
Mischung bewahrt, die auch den Erwachsenen in die Lage versetzt,
noch das Selbstverständliebste wie zum ersten Mal zu sehen und
es dann sofort dem eignen Bewußtseinsstrom einzuverleiben.
Sieben Frauen - der Film schließt die Trilogie "Formen der Liebe"
ab - beginnt so, als wollte Thome ausdrücklich ein Bekenntnis
zu seiner Seh- und Daseinsweise ablegen: Hans Hummel (so dürfte
eigentlich kein Filmheld heißen!) kommt nach Jahren der Abwesenheit
ins Haus seines Vaters zurück, das er nach dessen Tod nun zusammen
mit einem beträchtlichen Vermögen erben soll. Langsam, bedächtig
macht er einen Rundgang, schaut von Zimmer zu Zimmer - und die
Kamera folgt ihm, als wäre hier ein verwunschener Schatz versteckt
oder ein grauenhaftes Ereignis. Da weder das eine noch das andere
der Fall ist, fühlt man sich allmählich als Zuschauer auf den
Arm genommen. Zwölf, fünfzehn Minuten sind inzwischen vergangen
und noch immer ist nichts passiert. Das also kann man Thome gewiß
nicht vorwerfen: daß seine Bilder ihre Bedeutung wie ein Aushängeschild
vor sich hertragen.
Und doch hat dieser Gang durch die Räumlichkeiten, neben der Aufmerksamkeit
für die kleinen Belanglosigkeiten, neben der registrierenden Sorgfalt
gegenüber dem Schauplatz des Geschehens, seinen dramaturgischen
Sinn. Hans nämlich muß sich sein Erbe, das der Vater bei nicht
ganz einwandfreien Spekulationen angehäuft hat, nun im Computer
zusammensuchen wie einst als Kind in den Zimmern die Ostereier.
Ein Spieler sei er gewesen, hat ihm der Vater noch schriftlich
eingestanden. Spielerisch geht auch Thome mit dieser Form der
Liebe um: wie sich ein Sohn dem Vater nähert, zu dem er zu dessen
Lebzeiten kaum ein inniges Verhältnis hatte.
Die Formen der Liebe: Im ersten Teil mit dem Titel Das Mikroskop
näherte sich Thome seinem Thema gewissermaßen wissenschaftlich;
da ging es mehr um die Formen der Fortpflanzung und der unvermeidlichen
Lächerlichkeit, die solche mechanische Auffassung naturgemäß in
erotischen Beziehungen auslöst. Der Philosoph, zweiter Teil der
Trilogie, entfaltete sein Sujet unterm Blickwinkel sozialer Fürsorglichkeit:
Drei sinnliche Grazien sorgen sich um einen asketischen Theoretiker
und bringen ihm mühsam das praktische (Liebes-)Leben bei. Sieben
Frauen endlich, der sich übrigens frech den Titel von John Fords
letztem Film klaut, singt das Hohe Lied der uneigennützigen Liebe,
dieses abendländischen Ideals, das die Lust der Moralisten und
die Last der Realisten ist.
All das aber klingt schon wieder viel zu deutsch, zu vergrübelt,
zu bedeutungsschwer. Thome geht ja eher mit der unbekümmerten
Einfachheit eines Märchenerzählers an seine Geschichte heran.
Sieben Frauen haben sich nämlich um das Haus gekümmert, und nun
kümmern sie sich um Hans: Großmutter, Mutter und fünf Töchter.
Wie selbstverständlich integrieren sie den jungen Mann in ihre
Familie, so wie umgekehrt durchaus offen bleibt, ob der Vater
nicht auch intime Beziehungen zu diesem Nachbarhaus hatte. Ati
jedenfalls, die draufgängerische Karatekämpferin, die den weltfremden,
aber durchaus zielstrebigen Jungen unverblümt zur Heirat auffordert,
wird von ihm sanft zurückgestoßen mit dem Hinweis, daß man doch
seine Schwester nicht heiraten dürfe.
Solche Skrupel hat er bei Johanna, der ältesten Schwester, ganz
und gar nicht. Dafür hat Johanna die ganz unvernünftige idée fixe,
auf keinen Fall einen reichen Mann heiraten zu wollen. Da bleibt
nur die märchenhafte List des Mythos, der bekanntlich die Zweideutigkeit
der Wörter schamlos ausnutzt. Hans schenkt sein Erbe der Großmutter.
Damit ist er ein armer Mann, den Johanna heiraten kann, das Geld
bleibt trotzdem in der Familie. Ein augenzwinkerndes "Ende gut,
alles gut". Liebe ist eben selbstlos und selbstsüchtig zugleich.
Ihre Uneigennützigkeit funktioniert nur im Märchen, das die Schrecken
der Wirklichkeit bannt und den Wünschen zum Leben verhilft.
Genauso blickt Thomes Kamera in die Welt. Hans Hummel, dieser
moderne Hans-guck-in-die-Luft oder Hans-im-Glück, schaut auf die
Frauen als seien sie nur ganz allein für ihn auf der Welt; und
die Frauen, obwohl stark und selbstbewußt, benehmen sich genau
so, als sei eben dies der Fall.
Thomes Personen sind nämlich immer nur für einander da. Die Kamera
betrachtet sie dabei, wie sie sich gegenseitig einfangen, umklammern,
wegschieben. Ein jeder terrorisiert den andern mit seinen unverhohlen
eigensüchtigen Wünschen. Das ist fast kannibalisch, und doch fließt
kein Blut. Das ist das wahrhaft Wunderbare an diesem Kino. Eigentlich
müßten sich diese Menschen dauernd gegenseitig verletzen, aber
es gibt aus unerfindlichen Gründen keine Wunden.
Es ist dies eine sehr kindliche Auffassung von Poesie, weil ja
auch Kinder ganz erfüllt sind von dem, was sie im Augenblick tun;
die Folgen spielen keine Rolle. Vielleicht ist dies das Geheimnis
von Thomes wunderbarer Leichtigkeit. Alles passiert nur auf der
Leinwand, mit selbstverständlicher Präsenz und dem Versprechen,
folgenlos zu bleiben. Welch eine herrliche Form der Liebe zum
Kino. (in München im Türkendolch und im Neuen Rex)
PETER BUCHKA in Süddeutsche Zeitung, 16.11.89
Rückkehr in ein Rätselhaus.
"Sieben Frauen" von Rudolf Thome
Ein Film wie ein Traum, von jenem goldenen Zeitalter, in dem das
Denken und das Handeln, das Sinnieren und das Zupacken wie von
selbst zur Einheit kommen, zu jener Selbstverständlichkeit, wie
sie bislang am reinsten im amerikanischen Action-Kino zu erleben
war.
Ein Anfang wie in einem Western: Ein Mann tritt ins menschenleere
Bild, den Rücken zur Kamera. und schaut in die Weite der Landschaft.
Ach, dieses Land ... Eine Heimkehr auf Zeit, ein Augenblick zwischen
Ankunft und Weiterfahrt, bewegend wie der Beginn von Wenders "Falsche
Bewegung.
Hans Hummel (Johannes Herrschmann) ist der Heimkehrer. Jahre hat
er auf einer Südseeinsel verbracht, so weiß er, das Paradies ist
anderswo. Erst mag er einem noch ein wenig vorkommen wie der naive
Henry Fonda in Preston Sturges' "Lady Eve", am Ende aber sieht
man, daß er von Anfang an der Hans im Glück war. der seinen Batzen
Gold tauscht gegen das Glück.
"Sieben Frauen, der dritte Film aus Rudolf Thomes Trilogie zu
den "Formen der Liebe, ist reiner noch als die beiden vorangegangenen
Filme ein Märchen: Hans Hummels Lehrjahre der Gefühle und der
Geschäfte, auf der Suche nach dem verschwundenen Vater. Der zwar
gestorben ist, aber weiterlebt in dem Computer, den er Hans hinterläßt,
und in dem Programm, das er für den Sohn ausgedacht hat. Auch
das ein Traum: der Vater als Spieler, sein Vermächtnis eine Schatzsuche,
ein Ostereiersuchen. Hans läßt sich darauf ein, er akzeptiert
die Regeln. "Spiel und Kontrolle", sagt Thome, "das sind ja keine
Gegensätze."
Das Natürliche wird faßbar
Auch sein neuester Film forscht den Zusammenhängen von Stimulus
und Respons nach, jenen Gesetzen, nach denen Anstöße von außen
sich in Eigenbewegung umwandeln. In Spielszenen versucht er, das
Natürliche in seinen Akteuren faßbar zu machen, mit Hilfe seiner
behutsamen Inszenierung kommt die Kamera direkt an die Realität
heran. Aus solcher Handelnsfreiheit entsteht die Transparenz seiner
Filme. "Alle Dinge, die wir tun", sagt Thome, "Spielen sich in
einem völlig offenen Raum ab." Sieben Frauen, man sollte bei diesem
Titel keine falschen Erwartungen hegen, er ist nicht mehr als
- eine Erinnerung an einen alten Film, den letzten, den John Ford
gedreht hat 1965. Ein wenig verunsichernd muß der erste Auftritt
der Frauen aus dem Nachbarhaus wirken, Großmutter und Mutter und
fünf Töchter (die eine erst mal nur auf einem Foto). aber schnell
merkt man, daß sie kein dominierendes - Matriarchat darstellen,
eher eine in sich versponnene Familienbande. Fürsorglich, lustvoll
und ironisch spielen sie mit Hans ein wenig Katz und Maus, ohne
daß er deshalb in Panik geraten würde. Eine entspannte Atmosphäre,
in der auch die drohenden Gebärden der Vertreter der (kriminellen)
Geschäftswelt ihre Gefährlichkeit verlieren.
Idyllen des Alltags
Der Film ist voller kleiner Idyllen, sanft angespielt, nicht ausgemalt
im Detail. Ein heißes Bad, sich ein wenig verschlafen noch an
den gedeckten Frühstückstisch setzen, im Gras in der nachmittäglichen
Sonne liegen. Aus solchen Momenten setzt eine Welt sich vor unserem
Blick zusammen, in die wir eintreten, Einstellung für Einstellung,
wie Hans bei seiner Rückkehr ins väterliche Haus.
Ein Abenteuerfilm aus dem Alltag. Aber auch wenn der Vergleich
naheliegen könnte: im Grunde hat das Kino Thomes nichts zu tun
mit dem Rivettes. Bei dem führen Kinder sich auf wie Erwachsene,
bei Thome kommen Erwachsene daher, als wären sie wieder Kinder.
Die Intrigen von "Sieben Frauen erinnem eher an Lubitsch als
an Hawks. Beim Abendessen reden Hans und die in ihn verliebte
Ati (Adriana Altaras) über Frau und Mann, mit wie vielen Frauen
er schon geschlafen habe, will sie wissen, und dann erklärt sie
ihm, sie schlafe nur mit Männern, die sie liebt. Ein Gespräch,
bei dem es wichtig ist, darauf zu schauen, wie die beiden essen,
hastig Hans, adrett Ati, um mitzukriegen, was da zwischen ihnen
passiert.
Eine Passionsgeschichte mit einem Happy-End. Zum Schluß gibt es
die Erlösung für den Sohn wie für den Vater, als Medium fungiert
der Computer. Der Anti-Odipus kehrt in den Schoß der Familie zurück,
und die Zukunft läßt, das ist in der Tat beruhigend, so gut wie
alle Fragen offen. (Broadway)
Fritz Göttler in Kölner Stadtanzeiger