Sieben Frauen (1989)

 

 

Die Poesie des alltäglichen Kannibalismus
Mit "Sieben Frauen" beendet Rudolf Thome seine Trilogie"Formen der Liebe"

Glücklicherweise sind die "Formen der Liebe" weit vielfältiger, als es Rudolf Thomes gleichnamige Trilogie zeigen kann; aber leider sind sie in Wirklichkeit ganz, ganz selten so leicht, schwebend und märchenhaft wie im Kino dieses undeutschesten aller deutschen Filmemacher. Bei ihm nämlich ist die Liebe weder eine Kopfgeburt noch ein Lendenleiden, sondern von vornherein nichts anderes als ein heiteres, wehmütig-naives Kinostück, das seine Wahrheit nirgends anders beweisen will als auf der Leinwand.

Das ist die Größe des Filmemachers Rudolf Thome; das ist seine Schwäche. Er, der Unglücksrabe des Neuen deutschen Films, der stets haarscharf neben dem Zeitgeist lag, weil er immer ein bißchen zu früh dran war - was ihm aber auch im nachhinein niemand dankte -, hatte ja stets eine sehr eigentümliche Auffassung von Kino. Man hätte sie sicherlich honoriert, wenn er Franzose oder gar Brasilianer wäre, dem gebürtigen Deutschen nahm man sie immer etwas übel, so als wäre bei ihm das Leichte, Spielerische nicht echt, nicht authentisch.

Als Filmautor stürzt sich Thome mit geradezu abenteuerlicher Naivität ins Leben. Trotz seiner fünfzig Jahre, die er in diesen Tagen vollendet, ist er ein neugieriges und eigensüchtiges Kind geblieben. Aber er hat sich jene, für den Künstler eben doch recht glückliche Mischung bewahrt, die auch den Erwachsenen in die Lage versetzt, noch das Selbstverständliebste wie zum ersten Mal zu sehen und es dann sofort dem eignen Bewußtseinsstrom einzuverleiben.

Sieben Frauen - der Film schließt die Trilogie "Formen der Liebe" ab - beginnt so, als wollte Thome ausdrücklich ein Bekenntnis zu seiner Seh- und Daseinsweise ablegen: Hans Hummel (so dürfte eigentlich kein Filmheld heißen!) kommt nach Jahren der Abwesenheit ins Haus seines Vaters zurück, das er nach dessen Tod nun zusammen mit einem beträchtlichen Vermögen erben soll. Langsam, bedächtig macht er einen Rundgang, schaut von Zimmer zu Zimmer - und die Kamera folgt ihm, als wäre hier ein verwunschener Schatz versteckt oder ein grauenhaftes Ereignis. Da weder das eine noch das andere der Fall ist, fühlt man sich allmählich als Zuschauer auf den Arm genommen. Zwölf, fünfzehn Minuten sind inzwischen vergangen und noch immer ist nichts passiert. Das also kann man Thome gewiß nicht vorwerfen: daß seine Bilder ihre Bedeutung wie ein Aushängeschild vor sich hertragen.

Und doch hat dieser Gang durch die Räumlichkeiten, neben der Aufmerksamkeit für die kleinen Belanglosigkeiten, neben der registrierenden Sorgfalt gegenüber dem Schauplatz des Geschehens, seinen dramaturgischen Sinn. Hans nämlich muß sich sein Erbe, das der Vater bei nicht ganz einwandfreien Spekulationen angehäuft hat, nun im Computer zusammensuchen wie einst als Kind in den Zimmern die Ostereier. Ein Spieler sei er gewesen, hat ihm der Vater noch schriftlich eingestanden. Spielerisch geht auch Thome mit dieser Form der Liebe um: wie sich ein Sohn dem Vater nähert, zu dem er zu dessen Lebzeiten kaum ein inniges Verhältnis hatte.

Die Formen der Liebe: Im ersten Teil mit dem Titel Das Mikroskop näherte sich Thome seinem Thema gewissermaßen wissenschaftlich; da ging es mehr um die Formen der Fortpflanzung und der unvermeidlichen Lächerlichkeit, die solche mechanische Auffassung naturgemäß in erotischen Beziehungen auslöst. Der Philosoph, zweiter Teil der Trilogie, entfaltete sein Sujet unterm Blickwinkel sozialer Fürsorglichkeit: Drei sinnliche Grazien sorgen sich um einen asketischen Theoretiker und bringen ihm mühsam das praktische (Liebes-)Leben bei. Sieben Frauen endlich, der sich übrigens frech den Titel von John Fords letztem Film klaut, singt das Hohe Lied der uneigennützigen Liebe, dieses abendländischen Ideals, das die Lust der Moralisten und die Last der Realisten ist.

All das aber klingt schon wieder viel zu deutsch, zu vergrübelt, zu bedeutungsschwer. Thome geht ja eher mit der unbekümmerten Einfachheit eines Märchenerzählers an seine Geschichte heran. Sieben Frauen haben sich nämlich um das Haus gekümmert, und nun kümmern sie sich um Hans: Großmutter, Mutter und fünf Töchter. Wie selbstverständlich integrieren sie den jungen Mann in ihre Familie, so wie umgekehrt durchaus offen bleibt, ob der Vater nicht auch intime Beziehungen zu diesem Nachbarhaus hatte. Ati jedenfalls, die draufgängerische Karatekämpferin, die den weltfremden, aber durchaus zielstrebigen Jungen unverblümt zur Heirat auffordert, wird von ihm sanft zurückgestoßen mit dem Hinweis, daß man doch seine Schwester nicht heiraten dürfe.

Solche Skrupel hat er bei Johanna, der ältesten Schwester, ganz und gar nicht. Dafür hat Johanna die ganz unvernünftige idée fixe, auf keinen Fall einen reichen Mann heiraten zu wollen. Da bleibt nur die märchenhafte List des Mythos, der bekanntlich die Zweideutigkeit der Wörter schamlos ausnutzt. Hans schenkt sein Erbe der Großmutter. Damit ist er ein armer Mann, den Johanna heiraten kann, das Geld bleibt trotzdem in der Familie. Ein augenzwinkerndes "Ende gut, alles gut". Liebe ist eben selbstlos und selbstsüchtig zugleich. Ihre Uneigennützigkeit funktioniert nur im Märchen, das die Schrecken der Wirklichkeit bannt und den Wünschen zum Leben verhilft.

Genauso blickt Thomes Kamera in die Welt. Hans Hummel, dieser moderne Hans-guck-in-die-Luft oder Hans-im-Glück, schaut auf die Frauen als seien sie nur ganz allein für ihn auf der Welt; und die Frauen, obwohl stark und selbstbewußt, benehmen sich genau so, als sei eben dies der Fall.

Thomes Personen sind nämlich immer nur für einander da. Die Kamera betrachtet sie dabei, wie sie sich gegenseitig einfangen, umklammern, wegschieben. Ein jeder terrorisiert den andern mit seinen unverhohlen eigensüchtigen Wünschen. Das ist fast kannibalisch, und doch fließt kein Blut. Das ist das wahrhaft Wunderbare an diesem Kino. Eigentlich müßten sich diese Menschen dauernd gegenseitig verletzen, aber es gibt aus unerfindlichen Gründen keine Wunden.

Es ist dies eine sehr kindliche Auffassung von Poesie, weil ja auch Kinder ganz erfüllt sind von dem, was sie im Augenblick tun; die Folgen spielen keine Rolle. Vielleicht ist dies das Geheimnis von Thomes wunderbarer Leichtigkeit. Alles passiert nur auf der Leinwand, mit selbstverständlicher Präsenz und dem Versprechen, folgenlos zu bleiben. Welch’ eine herrliche Form der Liebe zum Kino. (in München im Türkendolch und im Neuen Rex)

PETER BUCHKA in Süddeutsche Zeitung, 16.11.89

 

 

Rückkehr in ein Rätselhaus.
"Sieben Frauen" von Rudolf Thome

Ein Film wie ein Traum, von jenem goldenen Zeitalter, in dem das Denken und das Handeln, das Sinnieren und das Zupacken wie von selbst zur Einheit kommen, zu jener Selbstverständlichkeit, wie sie bislang am reinsten im amerikanischen Action-Kino zu erleben war.

Ein Anfang wie in einem Western: Ein Mann tritt ins menschenleere Bild, den Rücken zur Kamera. und schaut in die Weite der Landschaft. Ach, dieses Land ... Eine Heimkehr auf Zeit, ein Augenblick zwischen Ankunft und Weiterfahrt, bewegend wie der Beginn von Wenders "Falsche Bewegung”.

Hans Hummel (Johannes Herrschmann) ist der Heimkehrer. Jahre hat er auf einer Südseeinsel verbracht, so weiß er, das Paradies ist anderswo. Erst mag er einem noch ein wenig vorkommen wie der naive Henry Fonda in Preston Sturges' "Lady Eve", am Ende aber sieht man, daß er von Anfang an der Hans im Glück war. der seinen Batzen Gold tauscht gegen das Glück.

"Sieben Frauen”, der dritte Film aus Rudolf Thomes Trilogie zu den "Formen der Liebe”, ist reiner noch als die beiden vorangegangenen Filme ein Märchen: Hans Hummels Lehrjahre der Gefühle und der Geschäfte, auf der Suche nach dem verschwundenen Vater. Der zwar gestorben ist, aber weiterlebt in dem Computer, den er Hans hinterläßt, und in dem Programm, das er für den Sohn ausgedacht hat. Auch das ein Traum: der Vater als Spieler, sein Vermächtnis eine Schatzsuche, ein Ostereiersuchen. Hans läßt sich darauf ein, er akzeptiert die Regeln. "Spiel und Kontrolle", sagt Thome, "das sind ja keine Gegensätze."

Das Natürliche wird faßbar

Auch sein neuester Film forscht den Zusammenhängen von Stimulus und Respons nach, jenen Gesetzen, nach denen Anstöße von außen sich in Eigenbewegung umwandeln. In Spielszenen versucht er, das Natürliche in seinen Akteuren faßbar zu machen, mit Hilfe seiner behutsamen Inszenierung kommt die Kamera direkt an die Realität heran. Aus solcher Handelnsfreiheit entsteht die Transparenz seiner Filme. "Alle Dinge, die wir tun", sagt Thome, "Spielen sich in einem völlig offenen Raum ab." Sieben Frauen, man sollte bei diesem Titel keine falschen Erwartungen hegen, er ist nicht mehr als - eine Erinnerung an einen alten Film, den letzten, den John Ford gedreht hat 1965. Ein wenig verunsichernd muß der erste Auftritt der Frauen aus dem Nachbarhaus wirken, Großmutter und Mutter und fünf Töchter (die eine erst mal nur auf einem Foto). aber schnell merkt man, daß sie kein dominierendes - Matriarchat darstellen, eher eine in sich versponnene Familienbande. Fürsorglich, lustvoll und ironisch spielen sie mit Hans ein wenig Katz und Maus, ohne daß er deshalb in Panik geraten würde. Eine entspannte Atmosphäre, in der auch die drohenden Gebärden der Vertreter der (kriminellen) Geschäftswelt ihre Gefährlichkeit verlieren.

Idyllen des Alltags

Der Film ist voller kleiner Idyllen, sanft angespielt, nicht ausgemalt im Detail. Ein heißes Bad, sich ein wenig verschlafen noch an den gedeckten Frühstückstisch setzen, im Gras in der nachmittäglichen Sonne liegen. Aus solchen Momenten setzt eine Welt sich vor unserem Blick zusammen, in die wir eintreten, Einstellung für Einstellung, wie Hans bei seiner Rückkehr ins väterliche Haus.

Ein Abenteuerfilm aus dem Alltag. Aber auch wenn der Vergleich naheliegen könnte: im Grunde hat das Kino Thomes nichts zu tun mit dem Rivettes. Bei dem führen Kinder sich auf wie Erwachsene, bei Thome kommen Erwachsene daher, als wären sie wieder Kinder. Die Intrigen von "Sieben Frauen” erinnem eher an Lubitsch als an Hawks. Beim Abendessen reden Hans und die in ihn verliebte Ati (Adriana Altaras) über Frau und Mann, mit wie vielen Frauen er schon geschlafen habe, will sie wissen, und dann erklärt sie ihm, sie schlafe nur mit Männern, die sie liebt. Ein Gespräch, bei dem es wichtig ist, darauf zu schauen, wie die beiden essen, hastig Hans, adrett Ati, um mitzukriegen, was da zwischen ihnen passiert.

Eine Passionsgeschichte mit einem Happy-End. Zum Schluß gibt es die Erlösung für den Sohn wie für den Vater, als Medium fungiert der Computer. Der Anti-Odipus kehrt in den Schoß der Familie zurück, und die Zukunft läßt, das ist in der Tat beruhigend, so gut wie alle Fragen offen. (Broadway)

Fritz Göttler in Kölner Stadtanzeiger