Inhalt:
Georg Hermes (30) hat bisher wie ein Eremit gelebt. Er hat Philosophie studiert, eine Doktorarbeit über ein Fragment des Herakles geschrieben und lebt seit Jahren in einer dunklen Einzimmeraltbauwohnung ohne Telefon und ohne Fernsehapparat. An den Tag, an dem sein erstes Buch mit dem Titel "Die Liebe zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken" publiziert wird, beschließt er, sich neu einzukleiden. Er geht in ein vornehmes Herrenbekleidungsgeschäft, das von drei jungen Frauen geführt wird. Da er von diesen praktischen Alltagsdingen keine Ahnung hat und auch mit der Mode nicht vertraut ist, sieht es im ersten Moment so aus, als würde dieser Einkauf für ihn eine Ktastrophe werden. Doch am darauf folgenden Sonntag, wo er eine 'Dichterlesung' im Berliner Buchhändlerkeller hält, sind unter den Zuhörern auch die drei jungen Frauen, die er im Herrenbekleidungsgeschäft offenbar näher kennengelernt hat. Franziska (28), Beate (25) und Martha (30) laden ihn im Anschluß an die Lesung in ein Weinlokal ein. Sie unterhalten sich angeregt über die Liebe und stellen fest, daß sie sich alle sehr sympathisch finden. Um die beginnende Freundschaft zu vertiefen, lädt Martha den Philosophen am nächsten Wochenende zu einem Essen ein. Beim Essen, die Frauen bewirten Georg wie einen König, stellt sich heraus, daß Georg sich vor allem in eine der Frauen, in Franziska, verliebt hat. Er schreibt ihr einen Liebesbrief und bekommt prompt die Antwort. Ihr erstes Renezvous, er macht mit ihr eine Bootspartie auf dem Schlachtensee, scheint wieder eine Katastrophe zu werden. Bei dem Versuch, sich Franziska im Boot zu nähern, verliert er das Gleichgewicht und fällt samt Kleidern ins Wasser. Da Georg die Kunst des Schwimmens nicht beherrscht, muß ihn Franziska schwimmend an Land schleppen. Sie machen ein Feuer und schlafen miteinander. Franziska möchte, daß Georg in die Wohnung der Frauen, einer an der Spree gelegenen Fabriketage in Kreuzberg, zieht. Georg ist einverstanden und muß plötzlich feststellen, daß er nicht in eine Liebesgeschichte mit einer, sondern mit drei Frauen geraten ist. Da die drei Frauen anders sind als normale Menschen, ist ihr Zusammensein nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Georg fühlt sich wie in eine Märchenwelt versetzt, beginnt mit der Arbeit an einem neuen Buch und fragt, um das, was er hat, nicht zu zerstören, nicht nach weiteren Einzelheiten. Kann man mehr als glücklich sein?
Des Menschen Seele gleicht dem Wasser
Rudolf Thomes neuer Film "Der Philosoph" / Von Norbert Grob
Das Abenteuer einer märchenhaften Verführung, die nichts erzwingt,
aber alles erweckt: Für seinen neuen Film hat Rudolf Thome eines
der großen Themen des Kinos gewählt. Drei schöne, weltgewandte
Frauen erwachen morgens in fremden Betten. Die eine flüchtet noch
vor dem Frühstück. Die zweite greift gelangweilt zu einem Buch.
Die dritte kennt noch nicht einmal den Mann, der neben ihr liegt.
Am selben Morgen, in derselben Stadt: Ein schüchterner, etwas
ungelenker Mann bedrängt voller Aufregung seinen Briefträger.
Das Päckchen, das er erhält, öffnet er erst zu Hause: feierlich,
mit zitternden Händen. Es enthält sein erstes Buch: "Die Liebe
zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken."
Berlin zwischen Charlottenburg und Kreuzberg: zwei Orte, zwei
Welten. Zusammen kommen sie, als Georg, der junge Denker, den
Entschluß faßt, sich für eine Lesung neu einzukleiden. In einem
exklusiven Herrengeschäft in Kudammnähe sucht er nach einem günstigen
Angebot - und, etwas weltfremd, nach einem Mietanzug. Die drei
Frauen, Inhaber des Geschäfts, nehmen sich sofort des unkundigen,
etwas skurrilen Mannes an. jede von ihnen sieht etwas in ihm,
jede entdeckt neue Ansprüche für ihn. "Was denken Sie über die
Liebe?" Seine Antwort: "Dieses Gefühl habe ich seit Jahren nicht
mehr empfunden, seit dem Tod meiner Mutter."
Thome und sein Darsteller Johannes Herrschmann haben enorme Kraft
und viel Phantasie aufgewendet, um ihren Helden mit besonderen
Eigenschaften auszustatten. Diese steifen, unbeholfenen Bewegungen
seines Körpers, diese linkische, verschrobene Art und Weise seiner
Rede: all das macht seinen ungewöhnlichen Charme aus - und ist
zugleich gegen das Selbstverständliche gerichtet, gegen das übliche.
Einen so seltsamen Helden hat das Kino bisher nicht gekannt.
Als dieser wundersame Mann ihrer Einladung folgt, scheinen die
drei Frauen am Ziel ihrer Wünsche: Wie die Chariten, Göttinnen
der Anmut, verwöhnen sie ihren neuen Freund. Martha kümmert sich
wie Aglala - um den Glanz der Feste, Beate wie Euphrosyne - um
den Frohsinn, Franziska schließlich - wie Thalla - um das Lebensglück.
Der Mann nimmt das Ganze als Wunder, dem nicht zu trauen ist.
Über Heraklits "Alles fließt hat er einen wissenschaftlichen
Essay geschrieben. Als aber in seinem eigenen Leben alles in Fluß
kommt, reagiert er erstaunt, dann zutiefst verstört. Die Frage
ist: Muß denn das Glück so fremd sein, wenn man sich glücklich
fühlt?
"Wenn hundert Menschen in einem Kino sitzen, gibt es immer ein
paar, die alles viel früher begreifen als der Rest. Für die mache
ich meine Filme." Das ist von Howard Hawks, Rudolf Thomes amerikanischem
Lieblingsregisseur. Es bezeichnet genau die Haltung, mit der "Der
Philosoph" gemacht ist. Wie immer inszeniert Thome mit ruhigem,
verzögertem Zugriff. Seine Filme fordern, den visuellen Entwurf
als vorläufige Skizze zu nehmen, der im Moment des Schauens erst
zum eigenen, besonderen Kino-Abenteuer sich formt. Wir Zuschauer
müssen komplettieren, wofür die Filme nur erste Umrisse, nur Fragmente
bieten. Deshalb ist auch Vorsicht geboten, wenn in diesem Film
von überirdischen Dingen die Rede ist, von "Göttinnen", "unsterblichen
Zeitagenten" und "Götterboten". Man sollte sich hüten, alles wörtlich
zu nehmen, wenn die Bilder ihren Sinn so offen lassen.
Am Ende behauptet eine der Frauen: "Wir sind Göttinnen", und die
beiden anderen lächeln dazu. Georgs Antwort: "Ich weiß immer noch
nicht, ob ich Euch das glauben kann." Während er dann genüßlich
einschläft - im Schoß seiner drei Frauen, "überwältigt von zärtlichen
Gefühlen", weiß ich genau, daß ich das nicht glaube. "Einen tief
rellgiösen Film" nennt Thome selbst seinen "Philosoph". Mir kommt
er eher vor wie ein bissiges Psychodram mit mystery touch, das
sich schließlich als unwahrscheinliches Märchen entpuppt, als
Märchen einer geheimnisvollen Verlockung, die in Hingabe endet.
Rudolf Thome gehört weder zu den Malern noch zu den Dramatikern
des Kinos. Ihn interessiert weder das schöne Bild noch die spannende
Erzählung. Er ist von Anfang an auf Verzauberung aus. Unentwegt
irreallsiert er seine Filme - bis in die Gesten seiner Helden,
bis in ihre Rede hinein. "Komm, wir fahren nach Marokko in die
Sonne. Die macht uns schön und glücklich und zu besseren Menschen",
schwindelte schon in der "Roten Sonne" der lässige Hallodri sich
in eine Traumwelt.
Was an Thomes "Philosoph" dennoch erstaunt, ist die Sicht auf
Berlin. Diese nervöse Stadt aus verstopften Straßen und verschmutzter
Luft erscheint plötzlich als Ort der Ruhe: als Stadt des Wassers
- überall Kanäle, Flüsse, Seen. Die Wohnung der Frauen liegt direkt
an der Spree. Auf einem Bootssteg schreibt Georg seinen Liebesbrief.
Bei einer Bootsfahrt fällt er in den Schlachtensee und wird von
Franziska gerettet. Am Wannsee gehen sie später spazieren, während
die Wellen sanft ans sandige Ufer schwappen.
Das Wasser bildet das geheime Zentrum des Films. Es ist allerdings
nicht als Symbol für Reinigung oder Auflösung genommen, sondern
als Quelle der Erneuerung und der Vereinigung. Gefühle strömen,
wogen hin und her, brausen auf. Die Helden tauchen ein in Unbekanntes,
wirbeln, gleiten, versenken sich ineinander. Seinen Protagonisten
weist Thome verschiedene Wasserformen zu: dem Mann den ruhenden
See, den Frauen die fließende Spree. Dafür hat er natürlich -
wie so oft schon - von Goethe gelernt: "Des Menschen Seele / Gleicht
dem Wasser."
Eine Einschränkung zum Schluß: So wunderbar einfach und offensichtlich
dieser Film über weite Strecken ist, so aufregend genau und unergründlich
zugleich - gegen Ende häufen sich leider die erklärenden Dialoge.
Als müßte nun doch alles drei viermal gesagt werden. Dabei sollte
doch gerade Thome wissen, daß etwas weniger immer sehr viel mehr
ist.
Die Zeit 17.2.89
Ein Liebling der Göttinnen
Rudolf Thomes neuer Film"Der Philosoph"
Mit Thome-Filmen gibt es eigentlich keine Probleme, sie sind wie
ein Spiel. Entweder man spielt mit oder man läßt es bleiben, ein
unbeteiligtes Zuschauen, ein abwartendes "Erst mal sehen, ob
gibt es nicht.
Sein neuer Film macht es einem besonders einfach, er zieht selbst
ein paar der Schubladen auf, in die man ihn, wenn man auf vorschnelles
Abhaken aus ist, verstauen könnte. Drei aufgekratzte junge Göttinnen
in der Großstadt Berlin, das sieht nach Rivette aus, Liebes- und
Lebensfragen von Leuten mit schicken Appartements, ist das nicht
reiner Rohmer, und bei Wasser, Luft und Sonne erinnern wir uns
gern an den Renoir von Partie de campagne oder Dejeuner sur Iherbe.
Erinnerungen, die mehr sind als cinephiler Bildungsballast, der
Film braucht sie, er entwickelt sich aus ihnen. Ein Sammelbecken,
ein Fluß, in dem noch alle Bäche und Strömungen zu spüren sind,
die er in seinem Verlauf in sich aufgenommen hat. So sagt auch
der junge "Held" vom Mouton-Rotschild, als er ihn zum ersten Mal
in seinem Leben kosten darf.
Thome hat keine Scheu vor dem Nachgemachten, vor dem Nochmalgemachten.
Er weiß, daß Filme lange Zeit zu entstehen beginnen, bevor es
an den Drehort geht. Er verkehrt ganz unbefangen mit seinen Kinogöttern,
den Regisseuren, für die er Verehrung verspürt.
Der Philosoph ist ein Remake von Rote Sonne, einem Thome-Film
von 1969. Er reflektiert darin all die Veränderungen und Unterschiede
zwischen der Welt um den Starnberger und den Wannsee, und zwischen
dem Ende der Sechziger und dem der Achtziger. Damals hatten die
Frauen sich in ihrer Kommune zusammengetan, um die Männer umzubringen,
heute drohen sie, sie mit einem Übermaß an Liebe zu ersticken
- einer resoluten Mutterliebe, die gemixt ist mit einem Schuß
jener eifersüchtigen Liebe, wie sie die drei Göttinnen empfunden
haben mögen ihrem Schiedsrichter Paris gegenüber,
Thomes Paris heißt Georg Hermes, ein mönchischer Philosophiestudent.
Ein verhärmter Hermeneutiker, eine ganze Magisterarbeit hat er
über die zwei Worte Heraklits geschrieben "Alles fließt. Nun
hat er sein erstes richtiges Buch in Empfang nehmen dürfen, "Die
Liebe zur Weisheit", sauber gedruckt auf schneeweißem, jungfräulichem
Papier.
Thomes Göttinnen - Franziska, Martha, Beate - haben ein Herrenausstattungsgeschäft
am Ku-Damm und ein Luxus-Loft am Ufer der Spree. Sie nehmen sich
Georgs, des jungen Philsophen, an und führen ihn ein in die Kunst
des Lebens und des Liebens. Was, wie immer bei Thome, auf eine
Geschichte hinausläuft, die zärtlich und lächerlich zugleich ist.
Die Geschichte meiner Filme, sagt er aber, überlasse ich sowieso
den Personen, deren Beruf das ist, den Schauspielern.
Er selbst sieht seinen neuen Film lieber als verfilmte Philosophie,
von Texten Georg Pichts inspiriert, einer Lehre vom Wissen in
Bewegung, ohne festen Grund: "Die Kraft, die es in dieser Schwebe
erhält, ist der Eros. Er ist die Macht, welche die Philosophie
trägt und antreibt, in der Mitte zwischen Gott und dem, was sterblich
ist. Er leistet zwischen Göttern und Menschen den Dienst eines
Dolmetschers und Fährmanns.
Die Männer bei Thome wollen Eindeutigkeit, sie brauchen Handlung
und Entscheidungen. Sie wollen wissen, woran sie sind. Die Frauen
verstehen es, alles in der Schwebe zu halten, wir sehen ihnen
beim Nachdenken zu, wenn sie das erste Gastmahl für Georg bereiten,
wenn sie den Wein wählen, die Vorspeisen, das Blumenbukett. Eines
der ersten Geschenke, das sie Georg machen, ist ein Schreibcomputer,
von da an werden seine Texte reversibel sein, jederzeit löschbar.
Genauso verweigern Thomes Bilder sich der Festlegung durchs Erzählen,
nie geben sie vor, auf ein bestimmtes Ende hinzusteuern, sie funktionieren
gerade über ihre Widersprüchlichkeit, über die losen Anschlüsse
zwischen ihnen. Ein Kino des Hier und Jetzt, ein Gewebe aus mal
falschen, mal richtigen Spuren, ein schweifendes Beobachten, das
nur dem den Spaß am Kino verderben kann, der sich davon immer
nur nahtlos konstruierte Sequenzen erwartet, die den Test in Drehbuchfabriken
und Storyboards bestanden haben.
Thomes Kino ist von unwahrscheinlicher Einfachheit. Das Natürliche
ergibt sich nie von allein, ist ein Produkt, entstanden aus der
Liebe zu den Formen, zur Kunst, zur Kunst der Liebe. Der Philosoph
ist nach Das Mikroskop der zweite Teil einer Trilogie über die
"Formen der Liebe. Sieben Frauen soll der dritte Teil heißen,
das klingt wie ein Versprechen. Das Ende des Philosophen nämlich
bleibt ungewiß. Der Junge läuft den drei Frauen davon und irrt
durch die Stadt, dann fängt er aber zu fiebern an und muß sich
von den dreien zurückholen lassen. Nun liegt er mit ihnen im Bett
das sieht aus wie eine Ehe zu viert und vermittelt doch auch eine
Ahnung von Pentheus unter den Mänaden. Mit einer Ekstase am Wannsee
blendet der Film ab.
Hermes der Philosoph ist selbst zum Götterboten geworden, zum
Messias. Eine rhetorische Figur oder, wie die Cineasten sagen
würden: ein MaeGuffin. Die Blicke gehen in den Thome-Filmen nie
den direkten Weg, ihre Unschuld ergibt sich nicht daraus, daß
unmittelbar die Kamera auf die Realität gehalten wird. Diese Filme
brauchen Widerstände, Umwege, Vorgaben. Die Rollen, mit denen
Thome seine Akteure spielen läßt, sind wie Handikaps im Sport,
sie lassen etwas zum Vorschein kommen, das sonst unsichtbar bleibt.
Sie ermöglichen Blicke auf eine neue Wirklichkeit. Ein Film nicht
unbedingt über die Liebe, sagt Thome zu Der Philosoph, aber über
den Tod. (In München im Theatiner)
FRITZ GÖTTLER in Süddeutsche Zeitung 1.4.98
Die Geisel der Lust
Im Kino: "Der Philosoph", der zweite Teil von Rudolf Thomes Trilogie
der Liebe
Mit seinen dreißig Lebensjahren hat Georg schon viel erreicht
- er ist Doktor der Philosophie, soeben erschien sein erstes Buch,
eine Anleitung zum Denken, im Intellektuellen-Kabinett schlägt
ihm die Hochachtung für seine Betrachtungen über die Vernunft
entgegen. Doch Georg kann nicht schwimmen, nicht Auto fahren,
und seit dem Tod der Mutter ist ihm auch die Erfahrung der Liebe
abhanden gekommen.
Ganz anders Beate, Franziska und Martha - das jugendliche Frauentrio
verbirgt hinter der scheinbar pragmatischen Geschäfts - und Wohngemeinschaft
einen sinnlichen Gleichklang, eine gemeinsame erotische Strategie.
Morgens verabschieden sie ihre Liebhaber für eine Nacht, verbarrikadieren
sich gegen Bindungsansprüche mit Migräne und Berufsstreß. Erst
als sie Georg entdeckt haben, kennen sie das ideale Mannsbild
für ihre weiblich geprägte Weit: einen rachitischen Asketen-Bizeps
mit lustabgewandtem Denkerkopf und verlegenem Lächeln. Ihn wollen
sie sich in ihre Wohnung holen, ihn wollen sie sich als Hofpoeten
halten, von ihm wollen sie sich täglich und nächtlich die eigenen
Reize und die Vorzüge des Lebensstils bestätigen lassen.
Unwiderstehlich entfaltet die Riege den Glanz femininer Lebensqualität.
Die drei teilen ihr Wissen um die Vorzüge einer Flasche Mouton
Rothschild, eines Artischockensalats, eines Blumengebindes, eines
bequemen Ledersofas mit. Georg, der sich aus der düsteren Bücherbude
im Hinterhof hat locken lassen, ist betäubt und betört. Der gebildete
Tolpatsch, der bisher Freude und Lust allenfalls analysieren konnte,
läßt sich bereitwillig in die Praxis des Genusses ziehen. Den
Zauber der Frauen erlebt er, lange bevor er sich hat deflorieren
lassen. Und mit seiner Intelligenz, seiner Bildung kann er zum
neuen Lusterlebnis nicht mehr als ein paar besonders gescheit
formulierte Komplimente beitragen.
Trotzdem muß das traumhafte Glück unter den drei Arbeitsbienen,
die ihn zu ihrem Götterboten, zu ihrer Drohne erkoren haben, den
etwas vertrockneten Diener der Wissenschaft irritieren. Erst macht
er sich noch wichtig mit seinen Fachsimpeleien über die Formen
der Askese, was von den Damen nachsichtig belächelt wird. Später
flüchtet er mit geborgtem Geld in sein altes Einsiedlerdasein,
ins einsame Hotelzimmer. Doch infiziert vom wirklichen Leben,
wird er schnell von Entzugserscheinungen ereilt schon am zweiten
Tag wirft ihn ein Fieber nieder, die Häscherinnen des Lustsystems
führen ihn im, Triumph zurück. "Du brauchst jetzt viel Wärme",
verkünden sie nüt gütigem, aber zwingendem Lächeln ihrer Geisel.
Rudolf Thome, der im vergangenen Jahr mit seinem Film "Das Mikroskop'
bereits die männliche Urangst vor de Fessel des Familienlebens
voller Ironie ausgemalt hat, läßt im "Philosoph", dem zweiten
Teil der geplanten Trilogie der Liebe, einen märchenhaften Männertraum
vom Paschadasein, von der lustvollen Unterwerfung unter ein liebevolles
Matriarchat in feinsinnigem androgynem Witz Gestalt gewinnen.
Die Vision der Emanzipation bekommt hier die angenehmsten Konturen
inmitten einer Schar toleranter und ansehnlicher Amazonen, die
ihren Schützling verwöhnen wie sonst nur die, Mutter ihr Einzelkind.
Und niemand braucht bei diesem Traum das schlechte Gewissen des
Machos zu spüren, haben doch die lasziv lauernden, aber mit der
Selbstverständlichkeit der Unschuld auftretenden Frauen diese
Haremssituation selbst geschaffen. Eine Situation, die mit ihrem
gediegenen Interieur, mit gesellschaftlich akzeptierten Berufen,
mit dem exakt zwischen Armut und Wohlstand plazierten Understatement-Auto
wie selbstverständlich ins Weltbild des progressiven Menschen
von heute eingebettet ist.
In einer unprätentiösen darstellerischen Gesamtleistung stehen
Adriana Altaras, Friederike Tiefenbacher und Claudia Matschulla
mit synchroner spöttischer Freundlichkeit der linkisch und schüchtern
zur Schau gestellten Ahnungslosigkeit von Johannes Herrschmann
gegenüber. Sie formieren sich zu einem komödiantischen Ausspielen
von über Kreuz geratenem Rollenverhalten und Erwartungshaltungen,
in dem spektakuläre Gags deplaziert wären.
JÜRGEN RICHTER, FAZ 6.6.89
DER PHILOSOPH
Ein junger Mann, der bisher scheu-zurückgezogen und nachdenklich
wie ein Eremit gelebt hat, schreibt sein erstes Werk. Titel: "Die
Liebe zur Weisheit. Eine Anleitung zum Denken. Durch die Veröffentlichung,
muß er aus sich und seiner bescheidenen Behausung heraus und lernt
dabei drei unkomplizierte, junge Frauen kennen. Die sind von ihm
angetan, ja anscheinend sogar fasziniert. Georg Hermes kann es
nicht fassen. Sie laden ihn ein, venwöhnen ihn, nehmen ihn schließlich
sogar bei sich auf und lieben ihn. Ein Dichter und Denker erlebt
die Praxis und Freude "Leben".
Das ist ein ironisches, mit vielen amüsanten Anspielungen versehenes,
leises, feines Beziehungsmärchen. Karg und dabei imponierend erzählt,
mit einem Johannes Herrschmann in der Hauptrolle, der mit diesem
Debüt in Hollywood über Nacht zu einem begehrten Star werden würde.
Wie der mit seiner großen, schlaksigen, hilflos rudernden, aber
"innen" blitzwachen Figur spielt und dabei alles ausdrückt, ist
darstellerisch vom allerfeinsten. Ein Talent, das groß und, selten
ist und hierzulande viel Beachtung verdient. Selten kam eine Person
in einem deutschen Film so gut von der Leinwand rüber, selten
war die Berührung von ihr so nah und sympathisch. Rudolf Thome
entwickelt sich anscheinend immer mehr zu einem deutschen Eric
Rohmer, denn dermaßen Freude und Lust an Personen, Sprache und
Gesten gab es schon lange nicht mehr im deutschen Film. Dazu sein
begnadetes Talent, Frauen zu entdecken, zu führen und "anzupreisen"
Die drei Heldinnen in seinem Film werden durch ihn in der Tat
zu irdischen Göttinnen. "Der Philospph" - Teil zwei der geplanten
Trilogie um die "Formen der Liebe" (nach "Das Mikroskop") - ist
ein kleiner, feiner, intellektueller Volltreffer, der stark emotional
berührt und noch lange nach Filmende angenehm im Kopf herumwuselt.
"Der Philosoph" ist schon jetzt ein Gewinner im neuen Kinojahr
und läßt 1989 fröhlich-keß anfangen.
Hans-Ulrich Pönack in RIAS 2
Wenn Göttinnen menschlich werden
Rudolf Thomes Film "Der Philosoph" - Mittelteil einer Trilogie
Ist das nun der Wunschtraum eines jeden Mannes oder doch nicht
eher. der Alptraum? Von drei lieblichen Wesen gleichermaßen sorglich
umhegt, gepflegt, geliebt zu werden, ohne daß dabei Streit oder
gar Eifersucht auszubrechen drohen. Drei Wesen von unendlicher
Sanftmut, von stiller Ausgeglichenheit und zu allem noch alles
andere als mittellos, zudem auch noch kultiviert und von feiner
Lebensart. Was will das Herz da noch mehr? Das könnte dem Rudolf
Thome so passen, meinte eine liebenswürdige und vielleicht auch
ein wenig emanzipierte Dame im Kinoparkett. Paßt es ihm tatsächlich
so?
Er hat sein Spiel an der feinsten Nahtstelle zwischen Realität
und Unwirklichkeit angesiedelt. Real die Umgebung durchaus, das
Haus der drei Grazien mit dem feinen Interieur direkt an einem
Berliner Kanal (ohne daß man jemals dessen Außenfront zu Gesicht
bekommt), die nächtliche Welt der Straßen, die Plätze, auf denen
ein einsamer Trompeter (Marquard Bohm, eine feine Anspielung auf
frühere Thome-Inszenierungen, spielt ihn mit aller Zurückhaltung)
agiert, die Ufer der Havel, an der erste Liebe sich entfalten
und alle Ausgelassenheit sich turbulent entwickeln kann. Und in
diese alltägliche Welt stellt Thome nun vier Figuren, die sich
bei all ihrem menschlichen Agieren doch auch wieder äußerst unwirklich
verhalten. Thome will in ihnen Götter sehen. Drei Göttinnen die
Frauen, ein Götterbote der Mann zwischen ihnen, der den bürgerlichen
Namen Hermes trägt.
Vor nahezu zwei Jahrzehnten, woran man hier unwillkürlich erinnert
wird, sah die Welt, zumindest bei Rudolf Thome, noch anders aus,
da spiegelten sich die Träume und Gefühle einer jungen Generation,
für die Erfahrung und Kino oftmals identisch waren, in einer anderen
Geschichte. Vier - Frauen lebten damals, 1969 in der "Roten Sonne,
in einer Wohngemeinschaft miteinander und brachten, wehrhaften
Spinnen, gleich, ihre jeweiligen Liebhaber um. Sie kannten keine
Gnade mit dem Manne, der erst dann allen zum Verhängnis wurde,
als sich eine von den jungen Frauen tatsächlich verliebte. Marquard
Bohm spielte damals die Rolle des Kristallisationspunktes Mann.
Für Thome war es damals auch ein Spiel mit den Formen des Kinos.
Inzwischen hat sich die Welt gewandelt, die Sitten sind feiner
geworden, die Umgangsformen differenzierter - aber ist der Mann
nicht immer noch das ebenso hilf- wie wehrlose Opfer weiblicher
Begierde und Trickkünste? Gewiß, auch die Götter der Antike und,
vor allem, die Göttinnen waren listenreich, wenn es galt, ihresgleichen
übers Ohr zu hauen. Sie kannten da keinerlei Zurückhaltung. Und
die Menschen glaubten doch an die Uberlieferungen, an die Legenden
der Liebe und Lüge. Glauben sie noch?
Panta rei, alles fließt, über diesen Satz des Heraklit hatte der
titelgebende Philosoph,einst promoviert. Auch wenn alles in steter
Bewegung ist, mag der Himmel über Berlin voller Engel hängen und
die Erde darunter von Göttinnen bevölkert werden. Doch bei allem
guten Glauben bedarf es nicht unbedingt der Frage, inwieweit sich
archetypische Vorstellungen in der Realität manifestieren können.
Man kann Rudolf Thomes Spiel auch weit realistischer sehen, ohne
dabei die Figuren gleich in archaische Größe überhöhen zu wollen.
Die Urangst des Mannes, hier im übrigen eines Einzelgängers, der
seinen Weg von der Mutter zu der Frau nicht so recht finden will,
weshalb denn der Weiblichkeit nichts anderes übrig bleibt, als
ihrerseits aktiv zu werden. Ihm, der für seine philosophische
Lesung einen Anzug benötigt (und den in der Tat denn auch In einem
luxuriösen Ku'damm-Geschäft ausleiht), setzen sich die jungen
Damen, ob nun Göttinnen oder nicht, auf die Fersen. Er verliebt
sich tatsächlich in eine der drei, was die anderen keineswegs
stört, ihre Verführungskünste an ihm zu üben. Und das nun wiederum
verwirrt und irritiert den ahnungslosen Philosophen solchermaßen,
daß er das Weite sucht. Erst Krankheit läßt den Flüchtigen Hilfe
bei der Frau, bei den Frauen suchen, versöhnt ihn am Ende mit
seinem Geschick.
Thome, der seinen Philosophen als Mittelteil einer Trilogie sieht,
die mit dem "Mikroskop begann und mit "Sieben Frauen enden soll,
Thome hat seine Inszenierung als realistisches Märchen, wenn man
so will, angelegt. Man muß sich dieser seiner Intention anvertrauen,
sonst verliert man die Balance. Betrachtet man nämlich die Geschichte
realiter, so wird man ein gut Teil Glaubwürdigkeit vermissen;
sieht man sie ausschließlich unter symbolischen Aspekten, so dürfte
so manchen Betrachter die Wirklichkeit ringsum (Kamera: Reinhold
Vorschneider) stören. Und am Ende, da weiß man kaum, ist all die
Ausgelassenheit der vier am Havelstrand nun fatale Euphorie oder
ganz gemeine Ironie.
Am besten, man nimmt alles als Komödie; denn dieser Vorstellung
fügen sich auch die Protagonisten am besten ein. Die Damen haben
durchweg einen leichten Ton, der alles ein wenig über das Alltägliche
erhebt (selbst wenn sie Zeitungsschlagzeilen vorlesen, wird das
für sie zur unwichtigsten Sache der Welt, und wenn sie am Computerbildschirm
Hilfestellung leisten, gerät das zum Vorwand für Amouröses). Sie,
die zu dritt ein Edel-Konfektionsgeschäft besitzen, stehen alle
ein wenig außerhalb des Gewöhnlichen, was man Adriana Altaras,
Friederike Tiefenbacher und Claudia Matschulla auch durchweg abnimmt
(warum sollen sie, wenn auch schon Bruno Ganz und Otto Sander
Engel sind, denn keine Göttinnen sein?). Und zwischen ihnen der
Mann, der als einziger linkisch, unwissend, hilflos, wehrlos sein
darf: Johannes Herrschmann. Er bietet den ironischen Kontrast
zur gepflegten, raffinierten, überlegenen, taktisch agierenden
Weiblichkeit. Aber das ist doch ein ganz irdisches Spiel.
Volker Baer in Der Tagesspigel 5.1.89
Darsteller:
Georg Hermes | Johannes Herrschmann |
Franziska | Adriana Altaras |
Beate | Friederike Tiefenbacher |
Martha | Claudia Matschulla |
Franziskas Liebhaber | Jürgen Wink |
Marthas Liebhaber | Werner Gerber |
Beates Liebhaber | Anton Rey |
Mann im Park | Marquard Bohm |
Stab:
Produktion, Buch und Regie | Rudolf Thome |
Kamera | Reinhold Vorschneider |
Kamera-Assistenz | Priska Forter |
Ausstattung | Eve Schaenen |
Kostüme | Gioa Raspé |
Schnitt | Dörte Völz-Mammarella |
Schnitt-Assistenz | Andrea Wenzler |
Musik | Hanno Rinné |
Ton | Frank Behnke |
Regie-Assistenz | Irmela Baumert |
Produktionsleitung | Joan Spiekermann |
Produktions-Assistenz | Dagmar Heuer |
Festivals: Cannes (Quinzaine), São Paulo, Taipeh