Salz in die Wunden
Effie Briest. Spielfilm von Rainer Werner Fassbinder. Deutschland 1974, 140
Minuten
Made in Germany und USA. Spielfilm von Rudolf Thome. Deutschland 1974, 145 Minuten.
François Truffaut meinte vor einiger Zeit, die interessantesten
Filme der Zukunft würden sehr persönlich sein, den Charakter von
intimen Tagebüchern und Dokumentationen haben.
Die diesjährigen Berliner Filmfestspiele wären gewiß wieder nur
eine Einöde aus Bewährtem und Unausgegorenem, aus biederen und
halbseidenen Kommerz-Kunstfilmen auf der einen Seite und bemühten
und überanstrengten Politstücken auf der anderen geworden, hätte
es da nicht zwei neue Filme von jüngeren deutschen Regisseuren
gegeben, die das Truffaut-Wort bestätigen: "Effie Briest" von
Fassbinder und "Made in Germany und USA" von Rudolf Thome.
Fassbinders Fontane-Arbeit ist eine der kongenialsten Literaturverfilmungen:
eine stille, wunderbar geduldige und sorgfältige Realisierung,
die die bürgerliche Tragödie der Effie Briest (mit präziser Empfindsamkeit
von Hanna Schygulla gespielt) und die gnadenlos heile, gedämpft
brutale Welt ehelicher und familiärer Konventionen und Ambitionen
durchsichtig macht.
Die bewußtlose Ohnmacht und blinde Wut des Individuums, wie es
sich in Fassbinders 19.Jahrhundert darstellt, sieht, in Thomes
Ehe des 20.Jahrhunderts kaum anders aus die Sachen und Gefühle
werden nur offener ausgesprochen. Daß Thomes Offenheit so sensationell
wirkt, gibt deswegen um so mehr zu denken. Viel scheint sich also,
was die Befreiung des Individuums und die Auflösung von Konventionen
angeht, nicht geändert zu haben.
Rudolf Thomes "Made in Germany und USA" ist ohne Zweifel das erstaunlichste
deutsche Kino-Unternehmen der letzten Jahre und ein radikal überzeugender
Privatfilm. Gekostet hat das Experiment mit der eigenen und anderer
Leute Psyche, das ganze 145 Minuten dauert, 30 000 Mark; ein normaler
Spielfilm kostet im Schnitt 700 000.
Thome bricht rigoros, aber nie spekulativ, mit allen Konventionen
des traditionellen Kinos, um seine minuziöse Studie einer gescheiterten
Ehe unmittelbar einsehbar zu machen. Dieser Film zeigt den Konflikt
und die Ohnmacht seiner Figuren wie eine offene Wunde und streut
nicht zuletzt Salz in die Wunden, die man selber hat.
Gezeigt wird in "Made in Germany und USA" ein Paar (Karin Thome,
Eberhard Klasse), das sich unter dem Druck finanzieller und beruflicher
Schwierigkeiten immer mehr auseinandergelebt hat; die einzige
wirkliche Verbindung, die noch vorhanden zu sein scheint, ist
ihr Kind. Aber auch das ist eher Grund für Spannungen als für
Gemeinsamkeit, weil jeder das Kind egoistisch für sich in Anspruch
nimmt und dies wiederum dem anderen zum Vorwurf macht.
Wirklich zum Ausbruch der Krise kommt es bezeichnenderweise aber
erst, als sich der Mann von seiner Frau betrogen fühlt und die
Frau die Affäre mit einem anderen nicht zugeben will. Der überempfindliche
Mann zieht aus der Wohnung aus, verbringt eine Nacht bei einem
Mädchen, das er in einem Lokal aufgegabelt hat, und benützt dann
eine ihm sich zufällig bietende Gelegenheit, sich nach New York
abzusetzen. Schließlich reist die Frau mit zusammengebetteltem
Geld ihrem Mann nach abgewrackt und unfähig zu vernünftiger
oder empfindsamer Kommunikation sitzen sie sich gegenüber. Das
einzige was sie noch verbindet, ist eine Art verzweifelter und
paradoxer Gemeinsamkeit, die darin besteht, daß sie sich in dieser
Entfremdung noch instinktiv aneinanderklammern.'
Der intensive Naturalismus, mit dem Thome seine ereignisarme Ehe-Odyssee
abgefilmt hat, wirkt vor allem deswegen so provozierend, weil
der Zuschauer schonungslos endlosen Rededuellen konfrontiert wird,
in die sich das Ehepaar verrennt und hinter denen es sich versteckt.
Plötzlich in der Masse der hohlen und hilflosen Vorhaltungen,
Fragen und Ausflüchte tauchen dann wie Blitzlichter winzige Realitätspartikel
auf - so wenn die Frau auf einmal von "sexuellen Phantasien" spricht,
die der Mann nicht befriedigen konnte, und unvermittelt damit
herausrückt, daß es nach einiger Zeit doch immer nur das gleiche
gewesen sei. Da darüber vorher nie gesprochen wurde, ist dieses
Paar in den Zustand einer Unaufrichtigkeit und Täuschung geraten,
in dem das Zusammenleben immer irrealer werden mußte.
Thomes Erklärung zur Premiere, sein Film sei eine Abrechnung mit
der Ehe und stelle die sogenannten Zweier-Beziehungen grundsätzlich
in Frage, nahm das Berliner Publikum ohne Widerspruch hin.
Siegfried Schober in Der Spiegel 1.7.74
Der Regisseur als Zuschauer
Obwohl vorerst nur vereinzelt im Kino eingesetzt, hat der neue
Film von Rudolf Thome schon eine ganze Flut von Kritik und Gegenkritik
hervorgerufen und bei einigen Feuilletonschreibern einen geradezu
bekenntnishaften Eifer freigesetzt. Auffallend dabei, daß sich
Zustimmung und Ablehnung ziemlich eindeutig auf zwei Generationen
verteilen. Während die jüngeren Kritiker sich den Film oft mit
einem affirmativen "Genauso ist es aneignen, halten ihn sich
die älteren eher schimpfend ("Langeweile, "Banalität") vom Leib.
So problematisch nun eine Filmbetrachtung, die vom Thema und nicht
von seiner Gestaltung ausgeht, immer sein mag, eine so ehrliche
und über weite Strecken treffende Bestandsaufnahme wie "Made in
Germany und USA muß dann doch gegen einen verfehlten Kunstanspruch
in Schutz genommen werden.
Es geht um ein junges Ehepaar, das sich über die eigenen Probleme
auseinanderredet. Eine Allerweltsgeschichte. Karl wird nicht damit
fertig, daß Liesel sich mit einem anderen Mann, den er ablehnt,
mehr oder weniger platonisch abgibt. Mit unschuldiger Raffinesse
weist sie seine Besitzansprüche zurück und stempelt ihn, des eigenen
Egoismus kaum gewahr werdend, zum fürchterlichen Egozentriker.
Schließlich. setzt er sich nach Amerika ab, um der Frau zu entfliehen,
der er nicht gewachsen ist. Sie reist ihm nach kurzem Zögern hinterher,
um ihn zum Zurückkommen zu bewegen.
Zunächst mag man etwas befremdet vor dieser autobiographisch geprägten
Ehegeschichte stehen und die 145 Minuten scheinbar nur privaten
Geplauders und Geplappers mit einiger Aversion verfolgen, zumal
Thome als Regisseur durch Abwesenheit glänzt und den uferlosen,
improvisierten Gesprächen ihren Lauf läßt. Indem er sich jeder
Interpretation enthält, mit der Kamera in beobachtender Distanz
bleibt (die Länge der Einstellungen richtet sich dabei nach der
Länge der einzelnen Gespräche), stellt er sich mit dem Zuschauer
auf eine Stufe. Und darin liegt zugleich die Stärke seines Films.
Weil er den Vergleich mit Eustache provoziert, kommt der Film
nicht umhin, mit "La Maman et la putain verglichen zu werden,
dessen inszenatorische Brillanz und Perfektion er nicht annähernd
erreicht. Solcher Ehrgeiz lag wohl auch nicht in Thomes Absicht,
da er "Made in Germany und USA gewissermaßen gegen Eustache gedreht
hat, gegen den. Zynismus und die Kälte des Franzosen, der seine
Figuren in die Zwangsjacke einer auskalkulierten Dramaturgie und
Dialogtechnik gesteckt hat und sie darin wie die Puppen tanzen
läßt. Eustache aber hat durch Genauigkeit und konsequente Künstlichkeit
ein repräsentatives Porträt einer Generation schaffen können,
während Thomes Figuren aus ihrer privaten Beliebigkeit erst durch
die Phantasie oder die einfache Identifikation des Zuschauers
befreit werden können.
Diese Vervollständigung des Films durch den Zuschauer könnte etwa
darin liegen, daß man sich beim Sehen die Fragen stellt, die sich
die in sich selbst verstrickten Protagonisten nicht stellen. Zum
Beispiel, woher ihre Entfremdung rührt. Auf eine kurze Formel
gebracht, muß die Antwort sein: von der fehlenden Selbstentfaltung
im beruflichen und privaten Bereich. Karl und Liesel sind durchaus
typische Vertreter einer unterprivilegierten Intelligenz, wie
man sie unter den freiberuflichen Lohnschreibern für Zeitungen
und Rundfunkanstalten ebenso findet wie unter den zahllosen Gelegenheitsschauspielern,
die sich mit niederen Hilfsjobs über Wasser halten müssen. In
einer traditionell fixierten Zweierbindung wie hier ganz auf sich
gestellt, machen sie den sonst nicht greifbaren Gegner im Partner
dingfest.
Man hat, was gar nicht erstaunlich ist, dem Regisseur vorgeworfen,
daß er in krudester Form Material zu einem Ehefall ausbreitet,
anstatt es zu "Kunst" zu verarbeiten. Joachim Kaiser ging in der
"Süddeutschen Zeitung sogar so weit, mit aus der Musikkritik
herbeigeholten Kriterien dem Film einen Mangel an Leitmotiv anzukreiden.
Der hier anklingende ästhetische Grundsatzstreit ist keineswegs
neu, nur daß er in den letzten Jahren ausschließlich über Filme
rein politischer Zielsetzung geführt wurde. Was bislang die politischen
Filmemacher für sich geltend machten, kann - so merkwürdig das
bei einem so "privaten" Film klingt - auch für Thome als Argument
angeführt werden: daß jede ästhetische Manipulation an einem Stück
Wirklichkeit, das unverfälscht gezeigt werden soll, zu seiner
Verharmlosung führt. Die Betroffenheit des Zuschauers von den
gezeigten Tatsachen wird verdrängt durch die Betroffenheit von
den angewandten Kunstmitteln.
Damit sind die Bedenken gegen Thomes Methode, die ja auch gar
nicht so neu ist, keineswegs ausgeräumt. Zwei Leute vor die Kamera
zu stellen und reden zu lassen, in der Hoffnung, daß etwas dabei
herauskommt, bringt nur in wenigen Fällen Ergebnisse, die auch
Dritte noch interessieren könnten. Und es ist nicht auszudenken,
was auf uns zukommt, wenn der Thome-Film Schule macht und nun
jeder seine eigenen Ehe oder sonstigen Probleme in dieser Form
aufs Zelluloid zwingt. Bei Thome ist etwas herausgekommen, was
er auch der Wahl der Schauspieler (Karin Thome, Eberhard Klasse)
verdankt.
Was mich an diesem Film besonders fasziniert: daß er sichtbar
macht, wie sich Sprache als Mittel der Kommunikation in ihr Gegenteil
verkehrt. Ohne es selbst zu merken, geraten die Gesprächspartner
in einen eskalierenden Mechanismus von Angriff und Verteidigung,
wobei immer der ins Recht gesetzt scheint, der das letzte Wort
behält. Diese spontane, aus der Improvisation entwickelte Gesprächsstrategie
hätte auch ein versierter Dialogschreiber nicht ohne weiteres
einzufangen gewußt. Thome, der nach vier Spielfilmen von hohem
handwerklichem Niveau (aber ohne Verleihchancen) gezwungen war,
gleichsam auf Amateurbasis nochmals anzufangen, dokumentiert mit
"Made in Germany und USA" überzeugend den Überlebenswillen und
die Überlebenskraft eines von der Filmindustrie ignorierten Jungfilmers.
Ekkehard Pluta in Die Zeit, 2.8.74
Thome arbeitet mit einer fast ennervierenden Starre der Kamera,
die auf den Figuren so lange insistiert, bis sie unbewußt verraten,
was sie eigentlich um keinen Preis verraten wollen, denn so weit
ist das Verhältnis der Eheleute schon gestört, daß sie sich keinesfalls
dem andern noch preisgeben wollen durch seine quasi indirekte
Regie, gelang Thome eine Zustandsbeschreibung, die jeden relativ
direkt berührt, was Faszination und Abwehr gleichermaßen erklärt.
Seine Qualität gibt der Film erst nach Stunden, gewissermaßen
in zweiter Reflexion zu erkennen, wenn die im Grunde völlig indirekten
Sätze ihre Präsenz und damit auch ihre Schutzmauer verlieren und
sich die vermeintliche Schwäche des Films fast selbstverständlich
zu einer Stärke verkehrt."
Peter Buchka, Süddeutsche Zeitung