Der Rosenkrieg
Kino: "Just Married", ein Film von Rudolf Thome
Schon 1968, in seinem Debüt "Detektive, ließ Rudolf Thome einen
Mann mehrere Frauen fragen, ob sie ihn heiraten wollten. Woraufhin
der stets ein nachsichtiges Lächeln erntete - und ein entschiedenes
Nein.
Nun, dreißig Jahre später, zeigt Thome erstmals, wie es dem Mann
hätte ergehen können, wenn eine der Frauen sich anders entschieden
hätte. Nach siebzehn Filmen, die alle nur davon handeln, wie das
ist mit den Gefühlen zwischen Mann und Frau, beginnt er seine
Geschichte nach der Hochzeit, nach dem ersten Jauchzen und Jubeln
des Jaworts.
Ein Off-Kinomacher (Herbert Fritsch) und die Tochter des Berliner
Kinokönigs (Laura Maori Tonke) sind anfangs im siebten Himmel.
Doch schon auf der Hochzeitsreise kommt es zum Eklat. Sie hatte
darauf bestanden, daß es in ihrem Urlaub nicht um Geschäfte gehen
dürfe, und er hatte sich einverstanden erklärt. Aber dann erwischt
sie ihn mit einem Pocketcomputer hinter einem Felsen, fühlt sich
getäuscht und wirft den Computer einfach ins Meer.
Um Szenen einer deutschen Ehe geht es also. Um Gefühle und wie
sie entgleiten, um Beziehungsgefechte, die bis an die Grenze des
Erträglichen reichen. Für Thome spielen die Männer nur anfangs
ihre alte Vormacht aus. Sind Kinder mit im Spiel, wechselt die
Dominanz. Wobei die Frauen um keinen Deut weniger grausam agieren
als früher die Männer.
Erstmals arbeitet Thome mit Zeitsprüngen, die "Just Married in
drei Teile gliedern. Nach dem Rauf und Runter der Hochzeitsreise:
das erste Kind ein Jahr und das zweite Kind ein weiteres Jahr
später. Die erste Ellipse bringt den Mann aus dem Himmelbett in
die Abstellkammer, die zweite aus einer lustvollen Affäre ins
dröge Einerlei.
Am Ende, nachdem er fast schon bei der anderen Frau war und sie
- aus Rache - einen One-night-Stand hatte mit einem fremden Mann,
der sie nicht sonderlich faszinierte, wirkt Thomes friedliches
Happy-End wie ein Sprung ins Märchen: wie ein letzter, freundlicher
Blick auf ein ansonsten feindliches Arrangement. Die Hand reichen
sie sich zum Schluß, aber das ist nur eine Pose, die Gefühle selbst
bleiben unversöhnlich.
Rudolf Thome, dieser Ethnograph des deutschen Alltags, ist einer
der letzten wirklichen Autoren des Kinos hierzulande. Nicht, weil
er zuletzt auch seine Bücher selbst geschrieben hat. Nicht, weil
er immer auch Produzent war. Sondern weil alle seine Filme einen
ganz eigenen Ton haben, eine ganz eigene Sicht auf die Menschen
und die Welt, voller Ruhe und Gelassenheit, voller Lebens- und
Liebeslust. Genau das macht es immer aufs neue so aufregend, sich
seinen Filmen auszusetzen.
NORBERT GROB in DIE ZEIT 24.9.98
Die Rückseite des Glücks
Noch einmal Rudolf Thome. "Just Married
Dieser kurze Film von 81 Minuten, der in Berlin zwiespältig beginnt,
in Italien das Drama nährt und zurück in Deutschland die Belastbarkeit
der bügerlichen Institution Ehe demonstriert, ist fast ein Thriller.
Viele, die während der diesjährigen Berlinale beiden Filmen begegnet
sind, die Rudolf Thome im Sommer 1997 unmittelbar nacheinander
gedreht hat, meinen in "Just Married die trübe, realistische
Rückseite von "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan zu erkennen.
In "Tigerstreifenbaby" geht es um die vielbeschworene, vom Publikum
dankend aufgenommene und leichthändig inszenierte träumerische
Utopie vom großen Glück zu dritt, das irgendwo im Brandenburgischen
- ganz ernsthaft - vor der Kamera zu tanzen beginnt. "Just Married,
ein optisch karger, stilistisch geradezu nervöser Film, scheint
zunächst ganz un-utopisch, und doch umkreist er die gleiche, elementare
Frage nach dem Glück. Diesmal jedoch droht es von Beginn an zu
scheitern, weil es, in der Ehe kanalisiert, eben ganz anders aussieht
und - Binsenweisheit! - immer wieder "erarbeitet" werden muß.
Dazu aber sind weder Frangipani Klein, die Tochter eines etablierten
Berliner Kinobesitzers, noch ihr frischgebackener Ehemann Friedrich
Bär, ein erfolgreicher Off-Kinomacher, wirklich in der Lage. Dazu
gibt Frangipanis Vater Willi Ratschläge, die sich nur deshalb
lächerlich anhören, weil sie alltagssprachlich vernutzt sind.
Eine vitale Laura Tonke, die in der Besetzungsliste ein wunderschönes
"Maori" zwischen Vor- und Nachnamen trägt, der anämische Herbert
Fritsch (der Fremde aus "Tigerstreifenbaby) und ein abgeklärter
Marquard Bohm (das Thome-Urgestein seit dem ersten langen Spielfilm
"Detektive" vor 30 Jahren) geben der hauchdünnen Ehe-Story Halt.
Der ist den beiden Kindern, die Frangipani im Verlauf von zwei
Jahren zur Welt bringt, nicht vergönnt - die Verbindung bleibt
fragil und wird auf eine Weise halbwegs befriedet, die unzufrieden
stimmen mag. Eruptionsgleich wirken kurze Szenen des Streits.
Darf eine Frau das fünftausend Mark teure elektronische Spielzeug
ihres Mannes ins Mittelmeer werfen? Muß sie ihm nicht sogleich
helfen, wenn er beim Versuch, es aufzufischen, sich das Bein bricht?
Thome läßt die Dinge geschehen, kalkuliert die Empörung des Publikums
ein. Das Gespräch darüber kann beginnen.
Bei näherer Betrachtung könnte Rudolf Thome mit dieser Erzählung
von einem freudlosen Alltag, der überall Fluchtlöcher aufweist,
die aber niemand zu nutzen weiß, eine größere Provokation geliefert
haben als mit der glückshaften Gemme "Tigerstreifenbaby". Wie
Mann und Frau hier zueinander stehen, wie sie Macht gewinnt über
ihn mit Hilfe der Kinder, und wie sie sich an seinem Seitensprung
wenige Minuten vor Schluß noch rächt, das dürfte männliche Zuschauer,
gewiß doch, betroffen machen. Aber das Leben geht weiter, die
Ehe auch, und vielleicht gar nicht so schlecht. Nur einer ist
gestorben. Es ist das erste Mal, daß ein kleiner Thome-Film ein
wenig an die großen Melodramen von Douglas Sirk erinnert. "Man
muß die Dinge nehmen, wie sie sind," sagt der Vater, am Sterbebett.
ROLF AURICH in Berliner Zeitung 24.9.98
Der Kriegsschauplatz der Geschlechter
Ehe, Flitterwochen, erster Kind, zweites Kind: "Just married"
von Rudolf Thome - der etwas andere Katastrophenfilm
Liebe ist Utopie, Ehe die Wirklichkeit. Und beides sind zwei Seiten
einer Medaille. Annähernd gleichzeitig und mit zum Teil identischen
Darstellern hat Rudolf Thome darüber zwei Filme gedreht, die -
ja, was? Sich aufheben? Sich widersprechen? Sich ergänzen? Man
erinnere sich: "Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan", vor einem
Monat in den Kinos angelaufen, schilderte eine utopische menage
à trois im uckermärkischen Wunderland, einen Mann glücklich zwischen
zwei Frauen. "Just married, das Pendant dazu, demontiert den
Wunsch nach harmonischer Beziehung auf schnellstmöglichem Wege.
Schon in der Hochzeitsnacht am italienischen Sandstrand ist klar,
daß die Ehe zwischen der Kinoerbin Frangipani und dem Kinogründer
Friedrich alltäglicher Kriegsschauplatz der Geschlechter sein
wird.
"Sonne, Mond und Sterne hat sich die noch sehr junge Frangipani
von ihrem wesentlich älteren Freund vor der Hochzeit gewünscht.
Ein himmelhoher Wunsch, der nur allzu schnell in bittere Erkenntnis
mündet. "Ich hasse dich" steht ein Jahr nach der Hochzeit mit
Lippenstift am Badezimmerspiegel, und Frangipani, die zupackende,
idealistische junge Ehefrau mutiert zur zickigen Xanthippe. Was
nicht zuletzt daran liegt, daß sich ihr Märchenprinz sehr schnell
als Loser erweist. Noch während sie in der Hochzeitsnacht das
Zelt aufbaut, hat er den Wagen schon in den Sand gesetzt. Festgefahren
ist auch die Beziehung, die von Anfang an auf Lügen baut: "Schwöre
mir, daß du vier Wochen nicht an Kinozahlen denkst" - "Schwöre
mir, daß du mich liebst, auch wenn ich Dinge tue, die dir nicht
gefallen". Zwei Meineide mit Folgen.
Die Stationen sind vorhersehbar: Ehe, Flitterwochen, erstes Kind,
zweites Kind. Zwischendrin stirbt der Vater, und der Mann geht
fremd. Was neu an dieser so alltäglichen Geschichte ist, ist der
bittere Ton, mit der nicht der untreue Mann, sondern die allzu
starke Frau attackiert werden. "Die Unterdrückung des Mannes in
der Ehe" ist Thomes politisch unkorrektes Thema, das er selbst
durchaus als Tabubruch, aber auch als Beschreibung der Wirklichkeit
versteht: "Alle Frauen, die ich kenne, haben die Männer mies behandelt,
sobald die Kinder da waren". Die erfolgreiche Emanzipation der
Frau macht nun ein Schutzprogramm für Ehemänner erforderlich.
Denn Ehe ist ein Machtspiel, meint Thome. Und die liebliche Frangipani
(Laura Maori Tonke) hat in dieser Ehe die Hosen an, soviel ist
klar von der Minute an, als sie mit entschiedenem Wurf den Minicomputer
ins Meer wirft, mit dem ihr Ehegespons verbotenerweise Kontakt
zur Kinowelt aufnahm. Friedrich ist ihr hilflos ausgeliefert,
schon bevor er sich durch einen Sturz von der Klippe für den Rest
der Flitterwochen bewegungsunfähig macht. Schritt für Schritt
wird er zurückgedrängt: Zum Schlafen in die Besenkammer, zum Wickeln
ins Kinderzimmer, und schließlich aus dem Haus. Sicher, er hat
sie betrogen und damit die alte Tradition fortgesetzt, nach der
Verfehlungen in der Ehe mit zweierlei Maß gemessen werden. Doch
das wirkliche Unrecht ist, daß sie sich einen Geliebten nimmt,
während er das Kind betreut.
Herbert Fritsch gibt sich mit einer Engelsgeduld in die undankbare
Rolle des ehelichen Losers und setzt gerade dadurch die energische
Frau ins Unrecht. Und das Ende, das Thome durchaus als "Happy
end" versteht, ist ein bitteres Eingeständnis. Denn: Ehe gerettet,
Leben zuende, heißt es, wenn Frangipani mit einem gezielten Wurf
den Pager mit der Botschaft der Geliebten im Lietzensee versenkt
hat. "Und jetzt gehen wir zu den Enten" erklärt die selbstbewußte
Mutter, während er den Kinderwagen schiebt. Keine Utopie, sondern
ein Alptraum.
CHRISTINA TILMANN in Der Tagesspiegel 24.9.98
JETZT GEHEN WIR ZU DEN ENTEN
Hochzeit, Kinder, Seitensprung, Happy-End - Szenen einer Berliner
Ehe.
Bodo Morshäuser über JUST MARRIED von Rudolf Thome
Friedrich Bär ist Betreiber eines Off-Kinos und heiratet die Tochter
des etablierten Kinokettenbesitzers Klein. Wir sehen nun keinesfalls
Friedrichs Aufstieg zum Kinokönig Berlins, sondern werden achtzig
Minuten lang Zeuge sich ähnelnder Szenen einer Ehe.
Kurz vor der Hochzeitsreise verlangt die 20jährige Frangipani,
die manchmal wie ein Mädchen, manchmal wie Kate Moss, also immer
wie ein Mädchen aussieht, von ihrem mindestens zehn Jahre älteren
Friedrich den Schwur, sich während der Ferien in Italien allein
um sie und nicht um die Zuschauerzahlen seiner Kinos zu kümmern
- er schwört. Umgekehrt schwört sie ihm Treue für den Fall seiner
Untreue. Er scheint außer den geschäftlichen keine privaten Ambitionen
zu haben. Sie dominiert ihn leise. Folgerichtig schmeißt sie seinen
Kleincomputer ins Meer, nachdem sie sieht, daß er nach einigen
Italientagen die Kinozahlen abfragen will. Als er an einem Fels
zum Wasser hinabsteigt, um das Teil zu retten, stürzt er, schlitzt
sich einen Oberschenkel auf und bricht sich einen Knochen. Mit
Gipsbein und schlaff lächelnd humpelt er weiter neben ihr her.
Ende des ersten Teils. In ihm ist bereits alles vorhanden, was
in Teil zwei und drei wiederkehren wird. Das liegt an der elliptischen
Erzählweise Rudolf Thomes, die dazu führt, daß viele entscheidende
Szenen, zum Beispiel der gegenseitige Liebesschwur, sich zur anderen
Zeit an einem anderen Ort entweder gleich oder in leichter Abwandlung
wiederholen.
Zweiter Teil: Ein Jahr später haben sie ein Kind und kaum noch
Sex. Der schlappe Friedrich, schön schlapp vom Volksbühnen-Schauspieler
Herbert Fritsch gespielt, nächtigt an einem Ort, der wie die Besenkammer
aussieht. Er sagt ja zu seinem Schicksal, zu einem Eheleben ohne
Höhen und Tiefen. In Teil drei haben sie ein zweites Kind, und
Frangipani (Laura Maori Tonke) bekommt heraus, daß Friedrich sie
betrügt. In einer Disko schnappt sie sich einen Mann und läßt
sich mitnehmen, ohne einen Genuß davonzutragen.
Schön elliptisch schmeißt sie am Schluß Friedrichs Piepser in
den Lietzensee, er nickt dazu, sie sagt "Jetzt gehen wir zu den
Enten, und Friedrich wackelt weiterhin neben ihr her. Rudolf
Thome nennt das ein Happy-End. Allerdings handelt es sich um ein
Happy-End in den Mühen der Ebene, ein Happy-End des geringsten
Widerstands: man ist nicht happy, sondern hat eine Trennung vermieden.
Rudolf Thome sagt: "Die Liebe kommt wieder, wenn man zusammenbleibt."
"Nimm die Dinge endlich so, wie sie sind, sonst werdet ihr beide
unglücklich" - das ist der zentrale, äußerst konservativ wirkende
Satz des Films. Der Kinokettenbesitzer Klein, gespielt von Marquard
Bohm, sagt ihn kurz vor der Hochzeit zu seinem künftigen Schwiegersohn
Friedrich.
Ich mag diesen Film. Gleichzeitig bin ich sicher, daß ich seine
Botschaft - "Nimm die Dinge, wie sie sind" - überhaupt nicht mag.
Und ich vermute eine Qualität des Films darin, daß ich ihn mir
trotzdem wohlwollend anschauen kann. Seine Botschaft ist eine
Botschaft von erwachsenen für erwachsene Menschen. Sympathisch
finde ich daran, daß Thome seine Botschaft als Vorschlag bringt,
nicht als Überzeugungsversuch oder sonstwie aufdringlich. Trotzdem
ist die Message bescheuert, genauso bescheuert wie ihr Gegenteil:
Ignoriere die Dinge wie sie sind, sonst wirst du unglücklich.
Unübersehbar wird diese Ehe mit Kindern als Modell einer Ehe mit
Kindern beschrieben. Es ist ja so, daß Friedrich hier durchaus
ins große Geld reinheiratet. Erträgt er die Dominanz seiner Frau
deswegen mit solcher an Masochismus grenzenden Langmut? Rudolf
Thome beschäftigt sich aber nicht mit dieser Frage und partiellen
Auflösung des Films. Er konzentriert sich ausschließlich darauf,
die Entwicklung einer Ehe zu, zeigen, die wahrscheinlich eher
normal als spektakulär ist. Daß diese Geschichte im Milieu von
Kinobetreibern spielt, ist nicht erheblich. Die Figuren sind modellhaft
entwickelt und auch in anderen Umgebungen so vorstellbar. Erheblich
und erheblich gelungen an diesem Film ist das Einkreisen von Normalität,
und Normalität ist nicht immer leicht erträglich, schon gar nicht
leicht zu beschreiben, egal, in welcher Kunstform.
Normalität einer Ehe, wie war das nochmal? Friedrich sitzt im
Chefbüro einer Bank, um einen neuen Kredit lockerzumachen, aber
der Vorgang gestaltet sich schwierig und scheint zu scheitern.
Da klingelt das Telefon, und der Bankchef hat Frangipani am Apparat,
die ihren Friedrich sprechen will. Sie hat ihm nicht im geringsten
etwas Wichtiges zu erzählen. Sie beendet das Telefonat mit dem
Satz: "Bring bitte Blumen mit". Warum? Zu Hause sitzt ihr Vater,
der Kinomogul Klein, und Frangipani möchte unbedingt vermeiden,
daß er etwas von ihrem Streß mit Friedrich mitbekommt. So geht
Normalität, lernt man wieder, wenn man diesen Film gesehen hat.
Man kann es auch Terror nennen.
In der Kunst gibt es hin und wieder Versuche, das Normale darzustellen,
indem "authentisch"- gearbeitet wird, was zu ellenlangen, kaum
zu konsumierenden quasi-dokumentarischen Werken führt. Das nun
letzten Endes Gelungene an Rudolf Thomes Film über eine Ehe ist,
daß er - ganz seiner Unaufdringlichkeit entsprechend - in achtzig
Minuten durch sein Thema durchkommt.
TIP 20/98 16.9.98
Just Married
"Man muß die Dinge so nehmen wie sie sind", sagt Willi Klein,
Kinobesitzer in Berlin und eine Figur aus Rudolf Thomes Film "Just
Married". Thome, der ihm diesen Satz in den Mund schrieb, macht
damit sein eigenes Credo deutlich: "Just Married" zeigt Szenen
einer durchschnittlichen, kleinbürgerlichen Ehe, wie sie eben
ist, ohne die naiven Utopien von "Tigerstreifenbaby wartet auf
Tarzan" (fd 33 262), den der Regisseur unmittelbar nach "Just
Married" drehte. Hier ist alles direkter, böser, ohne Weichzeichner.
Eine schwarze Komödie, die Thomes Sicht auf das Verhalten geschlechtsreifer
Großstädter zur Paarungszeit illustriert. Ein Pamphlet, bei dem
Männer und Frauen gleich schlecht wegkommen - oder gleich gut,
je nachdem.
Herbert Fritsch, der Außerirdische aus "Tigerstreifenbaby
", spielt
hier einen hauptstädtischen Off-Kinomacher namens Friedrich Bär,
der die Tochter des in der Kinoszene etablierten Willi Klein heiratet.
Diese heißt Frangipani und ist eine Kindfrau: klein, schmal, naiv.
Sie träumt, daß sich ihr frischgebackener Ehemann wenigstens während
der Hochzeitsreise nicht ums Geschäft kümmert. Als er in Italien
dennoch mit einem Pocket-Computer nebst Funktelefon die Besucherzahlen
seiner Kinos abfragt, wirft sie das fünftausend Mark teure Gerät
schnurstracks ins Wasser. Er springt hinterher und bricht sich
ein Bein. So startet ihre Ehe, und der Film hat, nach Bildern
einer kurzen kirchlichen Hochzeitszeremonie, seinen illusionslosen
Tonfall gefunden. Thome fragt, was diesen Mann und diese Frau
eigentlich miteinander verbindet. Wohl kaum kulturelle Interessen:
dafür hat Friedrich keine Zeit, sie keinen Sinn. Bliebe nur die
Liebe, ein rational kaum erklärbarer Vorgang. Daß die Ehe der
beiden auf Liebe gegründet ist, nimmt man Laura Maori Tonke als
Frangipani durchaus ab: FRiedrich ist in den Augen der jungen
Frau ein charmanter, souveräner, starker Mann - ein Bär eben,
wie sein Name schon sagt. Daß allerdings auch er sie wirklich
liebt, vermag man Herbert Fritsch nicht recht zu glauben. Eine
Liaison um des Geschäfts willen scheint da zunächst näher gelegen
zu haben: und woraus später die vom Regisseur in Interviews behauptete
Liebe wächst, wird nicht ganz klar.
Wie auch immer: Die beiden bleiben zusammen, Thome, der "komplexe
Sachverhalte wie Heiraten und Kinderkriegen so einfach wie möglich
darstellen" wollte, beleuchtet den Zustand ihrer Ehe nun im Abstand
von einem und von zwei Jahre. Das geschieht mit Hilfe einer simplen
Stationendramaturgie, in der alles passiert, was man erwartet,
nur nicht das, worauf eigentlich alles hinausläuft: die Scheidung.
Nach einem Jahr ist zwar ein Baby da, aber Friedrich schläft in
der Besenkammer, und Frangipani schreibt mit Lippenstift auf den
Spiegel, daß sie ihn hasse. Nach weiteren zwölf Monaten und dem
nächsten Kind hat sich der Zustand noch verschlimmert: Er betrügt
sie, sie schmeißt ihn aus der Wohnung. Am Sterbebett erzählt der
Vater die Geschichte der Trennung von seiner Frau und bittet,
daß sie zusammenbleiben. Aber Frangipani rächt sich erst noch
fürs Fremdgehen, schläft mit einem jungen Mann, nur um es Friedrich
anschließend mitteilen zu können. In der letzten Szene laufen
die beiden mit ihren Kindern durch den Park. Das Handy piepst,
Friedrichs Geliebte ist dran, Frangipani wirft das Gerät in den
See. Alles beginnt von vorn und nichts ist gut.
"Just Married" ist kein Film über die Unterdrückung eines Mannes
durch eine Frau, die ihr eigenes Ziel - das große Familienglück
- auf stoische Weise verfolgt. Frangipani nervt Friedrich mindestens
ebenso wie er sie; auch er trägt Mitschuld am Debakel. Thome gewinnt
diesem Zustand der beständigen Kollisionen und der unaufhörlichen
Mißverständnisse dennoch ein Fünkchen Hoffnung ab: Mann und Frau,
so beschwört der Film, sind nun einmal füreinander geschaffen,
auch wenn es schwerfällt, das Tag für Tag zu leben. Also Augen
zu und durch: Vielleicht ist es gerade die Normalität mit ihren
latenten Krisen, die die Glücksmomente dann so fantastisch schön
erscheinen lassen.
Ein Berliner Off-Kinounternehmer heiratet die Tochter eines etablierten Kinobesitzers. Schon auf der Hochzeitsreise werden ihre Interessengegensätze deutlich: Für ihn steht seine Arbeit im Mittelpunkt des Lebens, für sie sind das Zuhause und die Familie zentrale Anliegen. Der Zustand dieser Ehe wird im Abstand von einem und von zwei Jahren betrachtet, und obwohl die Krisen überwiegen, bleibt das Paar zusammen. Eine überwiegend illusionslose schwarze Komödie, die den komplexen Sachverhalt von Ehe und Liebe in einer bewußt einfachen Stationendramaturgie skizziert und ihm nur einen kleinen Funken Hoffnung abgewinnt. Thematisch reizvoll, darstellerische eher unausgeglichen. - Ab 16.
Ralf Schenk in Filmdienst 19/1998
TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN
JUST MARRIED
"Du riechst so gut, brüllt Luise zu Frank. Nicht daß sie ihn
anschreien möchte, doch beide tanzen gerade in der Disco, stroboskobisches
Licht läßt die Leiber zucken. Man wundert sich, daß hier irgendjemand
noch etwas mit dem Geruchsnerv und dabei irgendetwas außer Rauch-,
Bier-, Trockeneis- und Schweißgeruch wahrnimmt. "Du riechst so
gut", das wird auch Laura bald zu Frank sagen, die Szene ist eindeutiger,
denn die beiden liegen zusammen im Bett. "Riechen alle so gut,
dort wo du herkommst?", fragt sie weiter, und benennt das Zentrum
von TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN, Rudolf Thomes jüngstem
Film, der dieses Jahr auf der Berlinale das Publikum überraschte.
Denn hier erzählt der sonst eher an der Phänomenologie der Gegenwart
interessierte Thome ein außerirdisches Märchen von einem Mann,
der aus einer Zukunft kommt, in der es keine Frauen mehr gibt.
Also besorgt sich der Mann einen amerikanischen Paß und reist
mit Goldbarren im Wert einer halben Million Mark in die Vergangenheit
- zu Laura und zu Luise.
An diesem Stoff interessiert Thome jedoch weder die Science- noch
die Social-Fiction, die das Genre gewöhnlich bestimmen. Nein,
Thome erzählt vielmehr das Märchen eines unmittelbaren, utopischen
Glücks, für das es in der Gegenwart keinen Raum zu geben scheint.
Wie als Kehrseite von TIGERSTREIFENBABY kann man sich deshalb
Thomes zweiten Film aus dem Jahr 1997 anschauen: JUST MARRIED
heißt der und beschreibt ein Ehegefängnis, in dem das Glück erstickt.
Seine weibliche Hauptdarstellerin heißt zwar Frangipani, was übersetzt
so etwas wie "Die gut Riechende" heißt, gesagt bekommt sie das
aber nie. Hier geht es ums Ganze, also muß permanent Liebe geschworen
werden: vor dem Traualtar, an einem romantischen Sandstrand, am
häuslichen Herd. Darunter leidet offenbar das unmittelbarste Sinnesorgan,
die Nerven in der Nase werden betäubt. "Soll ich mich scheiden
lassen?", fragt Friedrich Bär seinen Anwalt so ganz en passant.
"Ich hasse dich", schreibt die enttäuschte Frangipani auf den
Badezimmerspiegel. Friedrich ignoriert es gelassen und rasiert
sich, bevor er stillschweigend die Wohnung, darin Mutter und Kind,
verläßt.
Rudolf Thome gehört zu den leisen Filmemachern dieser Republik,
sieht man einmal von dem Uschi-Obermaier-Vehikel ROTE SONNE (
1969) oder dem brisanten SYSTEM OHNE SCHATTEN (1982/83) ab. Trotzdem
hat er kontinuierlich Filme gedreht, seit 1964. Seinen ersten
Spielfilm, DETEKTIVE, realisierte er 1968. Seine Stärke liegt
aber nicht nur in dieser Kontinuität, in der Beharrlichkeit, mit
der er Autorenfilmer bleibt, während die Kollegen seiner Generation
alle auch irgendetwas anderes geworden sind. Schaut man sich heute
- wie in der Reihe, die das Arsenal in Berlin veranstaltete -
seine frühen Filme an, so überzeugt seine Wahrnehmung der äußeren
Wirklichkeit. DETEKTIVE etwa spielt nicht nur mit den Geschichten
und Blickwinkeln der französischen Nouvelle Vague, er gibt vielmehr
den Blick auf die bundesdeutsche Vergangenheit frei. Lange Autofahrten
in CinemaScope/Schwarzweiß lassen die Modelle der sechziger Jahre
ins Auge fallen, ein Klaps auf den Po der Frau beschreibt das
Geschlechterverhältnis dieser Zeit prägnanter als manch akademischer
Aufsatz zum Thema.
Aber auch die gegenwärtigen Filme von Thome wirken irgendwie sympathisch
verstaubt. Da gehen zwei Leute in Berlin tanzen. Thome freut sich
naiv wie ein kleines Kind über das stroboskobische Licht und setzt
es in Szene, wie es kein jüngerer Filmennacher mehr tun würde:
spielerisch, voller Wahrnehmung für die absurde Situation, mit
einem scharfen Blick für die Veränderung des Blicks in diesem
Moment. Und das obwohl TIGERSTREIFENBABY zu seinen unphänomenologischen
Filmen gehört, der in der Wirklichkeit nicht mehr hinschaut, sondern
ein Ideal, eine Utopie an ihrer Stelle einsetzt. Da schreibt Laura
Luna, die Schriftstellerin, völlig gutgelaunt in nur acht Wochen
am Tisch, irgendwo draußen in der brandenburgischen Natur ihren
Roman, und freilich stehen auf dem Tisch dekorativ eine Blumenvase
und eine Kaffeetasse. Von der Absurdität eines antiquarischen
Modells von Schreibmaschine einmal abzusehen. Da ist die Verlegerin
einfach nur glücklich, wenn sie das neue (mit einem dicken, roten
Geschenkband versehene) Manuskript in den Händen hält. Und auch
der Vater Lauras staunt nur über das Glück und gibt folglich sein
idyllisches Haus mit den fünf weiße Säulen zum Geschenk, anstatt
es dem schleimigen Makler für schäbige 250.000 zu überlassen.
Wunschwirklichkeit. Selten realisiert sie sich in Thomes Filmen.
Sein Kino ist ein - bei allen Verstrickungen -prosaisches, vielleicht
schleicht sich deswegen in TIGERSTREIFENBABY immer wieder die
Metapher des Geldes ein. Frank hat keins, er aber besitzt die
Goldbarren. Wie man die in gültige Währung für die Tauschgeschäfte
des Lebens und der Liebe verwandelt, werden ihm die Frauen zeigen
müssen. JUST MARRIED beschreibt diese Währungsverhandlungen noch
drastischer, denn Friedrich Bär ist ein kleiner Programmkinobesitzer,
der die Tochter des Kinomagnaten Willi Klein ehelicht. Der gibt
seine Existenz auf, gewinnt Kinos und die Hand der Prinzessin,
die ihn das wiederum spüren läßt: "Schwöre!" ist ihr Schlachtruf
und der brave Friederich gehorcht.
JUST MARRIED bleibt dabei immer dicht an der Realität, ja für
Menschen, die Berlin kennen, ist nahezu jeder Drehort zu erkennen.
Am Lietzensee lüftet man Sonntags die Kinder, in der Bar Tolucci
trifft man den Liebhaber, am Schlachtensee geht man schwimmen.
Thomes Filme verorten sich so in Raum und Zeit, sie zeigen ein
großes Stück gelebte Wirklichkeit. Das mag auch daher kommen,
daß Thome immer wieder das Vertraute zu filmen sucht, über sich
und seine Welt erzählen will. "Sonst kann man ja keine gescheiten
Filme machen. Das, wovon man etwas versteht, ist man selbst. Falls
man überhaupt etwas versteht, meint er trocken. Gelegentlich
kommen Thomes Filme deshalb auch klischiert romantisch daher:
Verliebte gehen bei ihm gern nackt im Waldsee schwimmen, Ehen
werden vom Papa und Schwiegervater gekittet, zur Hochzeitsreise
fährt man nach Italien. Selten sieht man die Reibung der Personen
aneinander, die Gespräche, die Diskussionen.
Thome bleibt der Faktizität verpflichtet: Irgendetwas ist so,
also zeigt man es. Ein Paar ist getrennt, ein anderes liegt zusammen
im Bett, wie sie eigentlich zueinander finden, was sie letztlich
trennt, darüber schweigt er sich aus. Deshalb sind seine Filme
keineswegs lieblos, fast kann man beide, TIGERSTREIFENBABY und
JUST MARRIED, als Liebeserklärungen betrachten: Der eine ist eine
Verbeugung vor den Stärken des weiblichen Geschlechts, der andere
(bei aller Kritik) ein Votum für die Institution Ehe. Thomes Filme
sind nicht spektakulär, keine ästhetischen Highlights, die man
gesehen haben muß. Schaut man sie sich trotzdem an, merkt man,
daß hier ein präzises Bild dieser Republik entsteht, daß kleine
Verschiebungen, Baustellen, Entwicklungen genau beobachtet und
festgehalten sind.
Veronika Rall in epd Film 11/98
Kurzinhalt:
Friedrich Bär, ein erfolgreicher Off-Kinomacher heiratet Frangipani Klein, die Tochter eines etablierten Berliner Kinobesitzers und wird damit zum Kinokönig der Stadt. Die Hochzeitsreise nach Italien wird eine Katastrophe. Nach einem Jahr kommt das erste Kind und die Beziehung zwischen Frangipani und Friedrich ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Nach einem weiteren Jahr ist das zweite Kind da, aber der Ehe geht es noch schlechter. Friedrich betrügt Frangipani. Am Sterbebett gelingt es Frangipanis Vater, die beiden miteinander zu versöhnen. Doch vorher noch schläft Frangipani mit einem jungen Mann, den sie in einer Disco sieht. "Jetzt sind wir quitt", sagt sie, als sie nach Hause kommt. Am Ende, bei einem Spaziergang mit ihren beiden Kindern sind sie ein "glückliches" Ehepaar.
Darsteller:
Friedrich Bär | Herbert Fritsch |
Frangipani, geb. Klein | Laura Maori Tonke |
Willi Klein | Marquard Bohm |
Detektiv Harry Buntfuss | Johannes Herrschmann |
Jochen | Alexander Höchst |
Elisabeth Weiss | Valeska Hanel |
Bankdirektor Steinbach | Alexander Malkowsky |
Pfarrer | Stefan Felmy |
Anwalt Dr. Sonnenschein | Wilhelm Manske |
Junger Mann in der Disco | Robin Weinem |
Drogist | Egon Hofmann |
Sabine | Katja Salm |
Praktikantin | Biggie Zeh |
Blumenverkäuferin | Sülbiye V. Günar |
Taufpatin | Ulla Kreutner-Hellwig |
Restaurantbesitzerin in Italien | Alessandra Mulino |
Traktorfahrer in Italien | Pasquale Jurescia |
Nina Laura | Nina Mory |
Baby Willi und Baby Nina Laura | Gustav Leopold Hellwig |
Stab:
Produktion, Buch und Regie | Rudolf Thome |
Dialogbearbeitung | Peter Lund |
Kamera | Carsten Thiele |
Kamera-Assistenz | Kerstin Ahlrichs |
Regie-Assistenz | Sülbiye V. Günar |
Kostüm | Simone Schmöle |
Beleuchter | Gian-Reto Schmidt |
Ole Ki Bun Wedemann | |
Ton | Javier Moya |
Ton-Assistenz | Cord Mählmann |
Schnitt | Bernd Euscher |
Schnitt-Assistenz | Anna Weber |
Tonschnitt | Lars Späth |
Mischung | Hartmut Eichgrün |
Ausstattung | Nia Dryhurst |
Armgard Meyer | |
Best Girl | Sabine Hagenbüchle |
Projektbetreuung | Brigit Mulders |
Musik | Benjamin Rinnert |
Negativschnitt | Gabriele Trobisch |
Aufnahmeleitung und Standfoto | François Rossier |
Drehzeit: 17. Juni - 17. Juli 1997
Drehorte: Berlin, Vasto (Italien)
Länge: 2.187 m - 80 min - Format: 35 mm (1:1,66) Ton: Dolby Mono
FSK-Freigabe vom 17.9.98: ab 12 Jahren, feiertagsfrei
Produktion: MOANA-Film GmbH
in Zusammenarbeit mit ARD/DEGETO
Uraufführung: Deutsche Reihe (Berlinale) am 13. Februar 1998
Festivals: Berlin, Vancouver