Detektive und ihre Kinoabenteuer
Uraufführung eines Films von Rudolf Thome im Münchner Lenbachkino

Ein Film, der wichtig ist, der schön ist, der ernst ist, der spielerisch ist, der anmutig ist, der radikal ist - so kann man nur von einem Film sprechen, der, wie der Film "Detektive" von Rudolf Thome eine Menge zu tun hat mit dem, was man selber tut und erlebt und tun und erleben könnte. Ein Film, der das Kino zu einem Ort macht, wo es Vergnügungen und Klarheiten gibt, die so sehr Kino sind, daß man nicht mehr merkt, daß man im Kino ist; wo Erfahrungen und Empfindungen zu machen sind, die einen die Wirklichkeit draußen nicht aus den Augen verlieren lassen und die Augen nicht an die Wirklichkeit drinnen; wo man spürt, daß dieser Film nicht auf Bilder zielt, sondern mit ihnen auf die Realität, und wo einem schließlich bewußt wird, daß dieser Film aus dem Leben kommt und übers Kino wieder dorthin führt.

Solche Filme sind selten, und solche Filme sind immer wieder neu, was stets sehr erstaunt, weil sie gar nicht groß daherkommen. Aber sie sind wie "Detektive” gerade darum groß und wertvoll, weil sie so wenig Schau machen und so unglaublich viel zeigen, was man sonst nie zu sehen bekommt. Solche Filme brauchen wir – dringend, so dringend wie wir helle Wohnungen und eine entrümpelte Politik brauchen. Was nützt die ganze Schönheit, wenn sie nichts nützt, was das schönste Spiel, wenn es nicht wirklich ist?


WARUM FEHLER GEMACHT WERDEN

Eine Antwort darauf probieren die Leute in Thomes Film kurzerhand mal aus, so anmutig wie radikal, kein Wunder, daß es dabei dann ganz schön ernst wird. Da sind zwei junge Typen namens Andy und Sebastian, die wollen schnell und bequem zu Geld kommen, ohne richtig arbeiten zu müssen. Arbeiten schon, aber so, daß es Spaß macht, das Geld zu verdienen, das man braucht, um seinen Spaß zu haben. Weil sie wahrscheinlich viel im Kino waren, machen sie eine Detektivagentur auf, und ihr erster Fall ist gleich ein schönes Mädchen, das Annabella heißt.

Nun läuft die Geschichte, aber so, daß einer immer über die Füße des anderen fällt. Die Detektive stehen und rennen, wenn sie nicht gerade Auto fahren oder Liebe machen, viel in der Gegend herum, reden dummes Zeug und machen einen Fehler nach dem anderen. Warum eigentlich? Wie das so passiert, man rutscht von einer Geschichte in die andere, vermutet dort eine Chance und hier eine Hinterlist und handelt und handelt und merkt gar nicht, daß ein paar andere Leute dasselbe tun. Intrigen, Hintergedanken, halbe Wahrheiten, die Tücken der Realität, daß das, was man sieht, nicht immer das ist, was wirklich geschieht, - das sind so einige Sachen, die die Detektive als Akteure und wir als Zuschauer in diesem Film erleben.

Zwei ältere Gegenspieler der Detektive zum Beispiel merken nicht, daß das Spiel, das sie mit den Detektiven spielen wollen, daß die Vorstellungen, die sie hartnäckig im Kopf haben, von banalen, aber recht konkreten Ereignissen in ihrer nächsten Umgebung dauernd verdreht oder gar außer Kurs gesetzt werden, und das genau kostet sie dann das Leben. Wer die Augen nicht offenhält, kommt leicht unter die Räder. Die Detektive kommen gerade noch mit heiler Haut davon und bekommen keine von den Kugeln aus dem Revolver und der Winchester ab, mit denen dauernd jemand herumfuchtelt oder droht, weil sie das Talent und den Instinkt haben, im Rhythmus dessen, was tatsächlich um sie herum passiert, zu bleiben. Sie verlieren nicht die Nerven, das zu sehen, was wirklich los ist in ihrer vertrackten Geschichte und mit den Mädchen, die so etwas wie die geheimen Drahtzieher der ganzen Verwirrung sind.

SCHÖNE MÄDCHEN SIND KEINE GEGENSTÄNDE

Die Mädchen heißen Annabella, Christa und Micky und bringen alles durcheinander, was in diesem Film einen geraden Weg gehen wollte Einer der Detektive, Sebastian, hat einen alten Industriellen aufgetan, der einen Fall für ihn hat, ein Mädchen, und von dem er eine schöne Summe Geld glaubt ergaunern zu können. Seinem Partner Andy unterschlägt er das Geschäft, doch der versucht, das Ding andersherum in den Griff zu bekommen, und so sind die Detektive vollauf damit beschäftigt, sich gegenseitig hereinzulegen. Der alte Mann hat allerdings auch ein krummes Ding vor und das Mädchen ebenso und die anderen Mädchen mischen kräftig mit, solange bis es knallt. Da helfen sich die Detektive, die einander sehr böse waren, wieder, werden im Augenblick der Gefahr wie in einer Oper wieder die alten großen Freunde, haben dem Alten das Geld abgenommen, zwei andere Konkurrenten ausgeschaltet und verschwinden mit den drei Schönen vom Schauplatz ihres gar nicht großartigen Abenteuers.

VON DER NÜTZLICHKEIT DER VERSTÖRUNG

Wichtig,an diesem Abenteuer ist nicht so sehr die Geschichte, sie ist nur ein Weg, der zu überraschenden Abenteuern des Sehens führt, das ist wichtig. Nicht was diese Geschichte bedeutet zählt, sondern was sie zeigt und vermittelt. Die schönen Mädchen zum Beispiel gehören zu den Qualitäten des Films, weil sie nicht Gegenstände sind, wie das bei den meisten Filmen der Fall ist, sondern wirkliche Mitspieler, die sich frei und physisch präsent bewegen. Thomes Film ist vor allem ein Film, in dem Menschen, Gesten, Handlungen, Worte, Licht und Bewegungen für sich selbst zu entdecken sind. Es ist ein ganz natürliches Kalkül, das diesen Film trägt. Denken und Machen funktionieren da in einem Zug, nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten, im selben Rhythmus: Leben, Kino, Kino, Leben.

Das macht diesen Film so selbstverständlich schön und klar. Was seine Autoren und Mitspieler taten, war, ein Konzentrat, eine Abstraktion ihrer eigenen Existenz auf Film zu fixieren; aus Teilen ihrer persönlichen Welt, Traum und Wirklichkeit, etwas aufs Kino hin zu konstruieren; dort im Film eine Art exakte Definition zu versuchen, die aus dem Zusammenspiel von Leben, Filmemachen und Filmesehen eine neue Realität schafft, die der fertige Film dann selber ist und die zugleich die persönliche Welt, von der alles ausging, die sie auch beim Zuschauer tief treffen kann, deutlicher und durchsichtiger macht.

Thome zeigt, was er gern sieht, und er zeigt es, wie er es sieht, ganz frei, als wäre es zum erstenmal, und das gibt seinem Film seinen eigentümlichen Charme und Ernst. Dem Film ist anzusehen, daß der, der mit ihm etwas zeigt, sich bewußt war, daß er etwas zeigt und wie er es zeigt. Er lehrt, daß "die genaueste Künstlichkeit zu strengster Anmut führt", wie es Peter Handke einmal formuliert hat. Die Faktizität des Psychischen und die Schönheit des Physischen, präzise Naivität, berechnete Aktion, intensive Banalität und praktische Phantasie, Informationen über das, was Leute sehen, tun und fühlen - darin besteht der persönliche Realismus Rudolf Thomes, von daher rührt, es, daß sein Film derart stark und unmittelbar wirkt. Er ist neu in jedem Sinn, auch wenn er einem ganz alltäglich vorkommt, weil er auf Dinge aufmerksam macht, die wir draußen leicht übersehen, weil wir jetzt plötzlich feststellen, daß wir sie schon gesehen haben, aber in den freien Blick beeinträchtigenden Zusammenhängen. Rudolf Thomes Film "Detektive" kann so für den Zuschauer, der ins Kino geht, um vor allem etwas zu sehen, eine nützliche Verstörung und schöne Befreiung sein. (Filmtheater am Lenbachplatz)

SIEGFRIED SCHOBER Süddeutsche Zeitung 23.5.69


Darsteller:

Andy Marquard Bohm
Sebastian West Ulli Lommel
Micky Uschi Obermeier/Chrissie Malberg
Annabella Quant Iris Berben
Christa Elke Hart/Elke Haltaufderheide
Krüger Walter Rilla
Busse Peter Moland
Reiniger Dieter Busch
Kind Florian Florian Obermeier
Möbelpacker Peter Berling
Eberhard Mayer
Wirtin Maria Singerl
Gast im Café Max Zihlmann

Stab:

Produktion und Regie Rudolf Thome
Drehbuch Max Zihlmann
Kamera Hubs Hagen
Niklaus Schilling
Regieassistent Martin Müller
Primärton Wolfgang Limmer
Aufnahmeleitung Hans Brockmann
Stefan Abendroth
Script Halinka Drumm
Schnitt Jutta Brandstaetter
Musik Kristian Schulze
Synchronregie (Mitarbeit) Alfred Weidenmann
Mischung Willi Schwadorf
Standfoto Stefan Frank

Drehzeit: 7. Juni - 28. Juli 1968
Drehorte: München, Ammersee

Länge: 2495 m - 91 min - Format: 35 mm, SW (Cinemascope)

Produktion: Eichberg Film GmbH, Carol Hellman

Uraufführung: 23. Mai 1969, Filmtheater am Lenbachplatz (München)

Festivals: keine

TV-Ausstrahlungen:
März 77(?) S 3
2.5.+5.5.92 Kabelkanal