Sollfahrt und Flughöhe

von Jan Lyczywek

Beim letzten Alpenflugzentrums-Stammtisch im Alten Simpl in München brachte Friedrich die Frage auf, ob die Sollfahrt eigentlich von der Flughöhe abhängt und wenn ja, ob und wie der Sollfahrtgeber das berücksichtigt - und wie groß der Fehler ist, wenn die Flughöhe bei der Sollfahrtberechnung nicht berücksichtigt wird, wie es beispielsweise beim klassischen McCready-Ring (Vorsicht, je nach Höhenfehler des Varios!) oder auch bei Sollfahrttabellen der Fall ist. Nun, das Problem mal eben schnell auf der Rückseite der Speisekarte zu lösen, erweiterte das Speisenangebot der Lokalität zwar um einige unverdauliche Gleichungen, brachte aber auf die Schnelle kein Ergebnis. Also habe ich am nächsten Tag mal nachgerechnet. Dazu eine Vorbemerkung: die neunmalschlauen "Praktiker", die jetzt wieder mit dem abgelutschten Argument kommen, so genau könne man sowieso nicht fliegen, haben selbstverständlich (wie immer) vollkommen recht. Nur: darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, den durch die *Nicht*berücksichtigung eines bestimmten Einflussfaktors (hier der Flughöhe) entstehenden Fehler zu bestimmen. Und das kann die Theorie durchaus.

Egoistischerweise habe ich die folgenden Beispiele für meinen Flieger gerechnet, die Ergebnisse sind aber qualitativ auf alle anderen Flugzeuge übertragbar. Die Graphiken zeigen jeweils, was ein "korrekter" Sollfahrtgeber (also unter Berücksichtigung der Flughöhe) rechnet, unter der Annahme, dass die Vertikalgeschwindigkeiten höhenfehlerfrei gemessen werden können und dass es keine Luftmassenbewegung, also keinen Wind und kein Steigen oder Sinken der Luft zwischen den Aufwinden gibt.

[IAS] Bild 1

Die Sollfahrtrechnung gibt sinnvollerweise eine angezeigte Fluggeschwindigkeit (indicated airspeed, IAS) vor, denn nur die lässt sich einregeln - im Falle eines Rings oder einer Tabelle am Fahrtmesser, bei einem Sollfahrtgeber (SFG) direkt durch Angabe der Differenz zwischen Sollfahrt und angezeigter Fahrt. Die verbreiteten "Sollsinkengeber" lassen wir hier einmal außen vor. Bild 1 zeigt die "korrekte" optimale angezeigte Vorfluggeschwindigkeit, wie sie ein SFG vorgibt, der die Flughöhe berücksichtigt. Man sieht, daß die Soll-IAS mit zunehmender Höhe etwas geringer wird. Bei größeren McCready-Werten tritt dieser Effekt stärker auf. Allerdings ist er absolut gesehen nicht besonders groß: bei einem McCready-Wert von 2 m/s müsste man den Standard Cirrus in 4000 m Höhe theoretisch mit knapp 10 km/h geringerer Fahrtmesseranzeige (137 statt 146 km/h IAS) fliegen als auf Meereshöhe. Erfahrungsgemäß schadet es nicht besonders, um 10 (angezeigte) Stundenkilometer "falsch" zu fliegen. Ein SFG, der die Flughöhe nicht berücksichtigt (Ring oder Tabelle), würde hingegen in allen Flughöhen dieselbe angezeigte Sollfahrt vorgeben wie auf Meereshöhe.

[IAS] Bild 2

Trotz der in Bild 1 gezeigten leichten Abnahme der optimalen angezeigten Vorfluggeschwindigkeiten (Soll-IAS) nimmt die jeweils dazugehörige optimale wahre Vorfluggeschwindigkeit (True Airspeed, Soll-TAS) mit der Höhe zu. In Bild 2 zeigen die durchgezogenen Linien diese "korrekte" optimale wahre Vorfluggeschwindigkeit, wie sie ein SFG vorgibt, der die Flughöhe berücksichtigt. Die punktierten Linien zeigen hingegen die wahre Vorfluggeschwindigkeit, wie sie ein SFG vorgibt, der die Flughöhe NICHT berücksichtigt. Die Soll-TAS dieses SFG nimmt mit der Höhe noch stärker zu, weil er ja die Abnahme der Soll-IAS mit der Höhe nicht berücksichtigen kann (siehe oben). Auch hier muss man sich wiederum bewusst machen, dass dieser Fehler eines die Höhe nicht berücksichtigenden SFG absolut gesehen nicht sehr groß ist, bei einem McCready-Wert von 2 m/s beträgt er in 4000 m Höhe wiederum nur 10 km/h (168 statt 178 km/h TAS). Insgesamt ist die Zunahme der Soll-TAS mit der Höhe (unabhängig vom SFG) ein überaus wünschenswerter, bekannter Effekt: in größeren Flughöhen wird die tatsächlich (gegenüber der Luft und damit bei Windstille über Grund) geflogene Geschwindigkeit größer.

[IAS] Bild 3

Da zu jedem Wert der IAS unabhängig von der Flughöhe genau ein bestimmter Gleitzahlwert gehört, der in allen Flughöhen bei genau dieser IAS erzielt wird, führt die in Bild 1 gezeigte leichte Abnahme der von einem die Flughöhe berücksichtigenden SFG geforderten Soll-IAS mit der Höhe zu einer leichten Zunahme der bei einem bestimmten McCready-Wert in ruhiger Luft geflogenen Gleitzahl mit der Höhe (trotz der gleichzeitigen Zunahme der Soll-TAS - wow, schneller vorwärtskommen UND besser gleiten, das ist doch mal was!). Bild 3 zeigt diese Gleitzahlgewinne, die erwartungsgemäß bei höheren McCready-Werten größer ausfallen. Ein SFG, der die Flughöhe nicht berücksichtigt, würde wie oben erläutert in allen Flughöhen dieselbe angezeigte Sollfahrt (Soll-IAS) vorgeben wie auf Meereshöhe und dementsprechend in allen Höhen dieselbe Gleitzahl wie auf Meereshöhe erzielen. Mit einem solchen SFG müsste man also auf den kleinen Gleitzahlgewinn verzichten, weil man stattdessen etwas schneller vorfliegt. Übrigens sind die Gleitzahlgewinne, so klein sie auch sind, noch der für die Praxis am meisten relevante Vorteil eines die Höhe korrekt berücksichtigenden SFGs.

[IAS] Bild 4

Nun ist ein SFG aber dazu da, die Reisegeschwindigkeit zu optimieren. Bild 4 zeigt die maximal erreichbare Reisegeschwindigkeit für die verschiedenen McCready-Werte. Wie zu erwarten ist, nimmt diese wegen der Zunahme der TAS mit zunehmender Höhe recht erklecklich zu, bei größeren McCready-Werten stärker als bei kleineren, auch das ist logisch. Wie groß ist aber nun - um auf die ursprüngliche Stammtischfrage zurückzukommen - die Verluste an Reisegeschwindigkeit bei einem "schlampigen", die Flughöhe nicht berücksichtigenden SFG? Natürlich muss sein Ergebnis etwas schlechter sein als das des "korrekten", die Höhe einrechnenden Konkurrenten. Tatsächlich heben sich jedoch die etwas zu hohe Vorfluggeschwindigkeit und die deswegen schlechtere Gleitzahl in ihren gegenläufigen Auswirkungen auf die erzielbare Reisegeschwindigkeit fast genau auf, so dass die Verluste selbst bei einem McCready-Wert von 3 m/s (!) in 5000 m Höhe noch unter einem Stundenkilometer liegen - theoretisch, praktisch ist das nicht relevant. In Bild 4 sind die Kurven beider SFG praktisch deckungsgleich. Der die Höhe korrekt berücksichtigende SFG hat allenfalls den bereits erwähnten Vorteil der geringfügig besseren Gleitzahl und der damit eingesparten Höhe. Das kommt aber erst dann richtig zum Tragen, wenn der erwartete Steigwert nicht eintrifft und man mit wesentlich schlechterem Steigen vorlieb nehmen muss.

Fazit:
unter den eingangs genannten Annahmen ist es für die Praxis irrelevant, ob der Sollfahrtgeber die Flughöhe berücksichtigt oder nicht.


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