Eine ganz normale Saison !?

von Holger Fuhr

Alle Jahre wieder, nein, kommt nicht das Christuskind, sondern befällt mich um den jetzigen Zeitpunkt, so einen Monat nach Saisonbeginn auch wieder wie jedes Jahr das gleiche Ziehen im Hinterkopf, dass es auch im Beruf wieder leider richtig los geht mit dem „Saisongeschäft“ im Segelflug.

Meine Freizeitpassion Fliegen auch zum Berufsinhalt gemacht, verdiene ich meine Brötchen seit einigen Jahren in der Schadenabteilung eines Luftfahrtversicherers. Dies bringt es mit sich, dass man ziemlich viel mitbekommt, was so in der Fliegerwelt vor sich geht.

Alle Jahre wieder führe ich oder Kollegen schon im März die ersten Telefongespräche mit Kunden oder Hinterbliebenen, deren Vereinskamerad/Ehemann/Ehefrau/Vater/Sohn seinen/ihren letzten Start in den französischen Alpen gemacht hat. Und glaubt mir, das hat etwas sehr beklemmendes, weil es immer wieder dieselben Geschichten sind, die man zu hören bekommt. Und weil es auch mich als aktiven Flieger immer sehr berührt. Jahr für Jahr. Und alle Appelle in den Zeitungen, alle Vorträge der Flugsicherheitsinspektoren, alle Briefings scheinen vergessen worden zu sein.

Konfrontiert damit, direkt und doch indirekt aber unmittelbar, bringt einen das schon zum Nachdenken: „Bin ich selbst nach einem halben Jahr pausieren fit genug für die neue Saison? Ist der Kamerad, der ohne Check mit Fluglehrer direkt im Einsitzer hockt, nicht etwas leichtsinnig? Sollte man dem Freund, der direkt am ersten guten Tag (im Urlaub) auf große Strecke will, nicht ins Gewissen reden? Und ist man am Tag nach der Anreise wirklich schon fit für 7 Stunden fliegen?

Platitüden, unerwünschte Einmischung, oberlehrerhaftes Benehmen??? Wenn man das Ende einer Segelfliegerkarriere in Bild und/oder Textform vor Augen hat, eingedenk dieser Eindrücke kann ich nur jeden ermuntern, sich einzumischen. Sich einzubringen in Diskussionen über Sicherheit. Seinen eigenen Ehrgeiz zu Saisonbeginn ein klein wenig zurück zu nehmen. Es verlängert das Leben. Das eigene oder das Deines Kameraden. Eindeutig.

Der April, die Zeit nach Ostern (wie es halt im Jahr so fällt) bringt ein wenig Ruhe, auch für meine dann meist vorhandene emotionale Aufgewühltheit. Alle fliegen wieder in heimatlichen Gefilden, die Bedauernswerten, die nicht vorweg Alpenluft schnuppern durften, dürfen jetzt auch wieder fliegen. Eine gewisse Vorsicht zu Saisonbeginn drückt sich auch in der Häufigkeit der eintretenden Schäden aus. Na ja, Landungen ohne Abfangen mit Deformationsbremse und zerbröseltes Plastik bei Außenlandungen sind halt schon dabei, aber wo gehobelt wird fallen Späne. Oder? Sollte man sich vielleicht doch noch einmal die Procedere für eine sichere Außenlandung vergegenwärtigen? Vielleicht auch nicht doch einmal noch bis in 200 m Höhe versuchen den Bart anzurühren, sondern lieber auf den Acker gehen??? Auch hier immer wieder die gleichen Geschichten. Jahr für Jahr. Aber unsere Flugsicherheitsinspektoren wollen ja nun schließlich auch was zu tun haben. Von mir mal ganz zu schweigen.

Der Mai ist gekommen… und die bisherige Vorsicht fällt. Meist so um Pfingsten kommt das erste heiße Wochenende. In doppeltem – sprich nicht nur meteorologischen – Sinne. Von den vergessenen Fahrwerken angefangen (wirklich, liebe bodengebundenen Beobachter mit Hang zum Drücken der Sprechtaste, nach Positionsmeldung und vor allem nach Queranflug in Verbindung mit Fahrwerk ist noch drin: Finger weg vom Funkknopf! In meinem Aktenschrank lagern etliche fotografische Beweise wie der Unterschied zwischen Bauchlandung und anderen Formen des Aufschlags aussieht… ) über die derben Außenlandungen bis hin zu den ersten tödlichen Abstürzen an der Winde ist um die Zeit alles dabei.

Der allseits beliebte Dauerbrenner – unkontrollierte Fluglage im F-Schlepp mit ungutem Ausgang – kommt hier auch oft mit dazu. Bis auf eine mir bisher bekannte Ausnahme übrigens immer an der Schwerpunktkupplung! Neben diversen Schlepppiloten, die sich über ihr hinterher meist lädiertes Schleppflugzeug grämen (und Gott sei Dank überlebt haben!) führe auch ich daher meist nur ungern Diskussionen über Sinn und Unsinn einer Bugkupplung. Ich bin froh, dass mein Flieger eine hat, und weiß auch wirklich genau warum!

Auch bin ich ein Freund automatischer Ruderanschlüsse. Warum? Das eine oder andere Gespräch mit einem zerknirschten Piloten eines zerknirschten Flugzeuges ohne automatischen, aber mit einem nicht verbundenen Ruderanschluss, haben mich endgültig und restlos überzeugt. Da meine alte Kiste keine automatischen Anschlüsse hat, schließe ich den Handlochdeckel allerdings immer erst nach einem Zweiter-Mann-Check. Oftmals am Start, wenn vorher niemand greifbar ist. Keine 100% sichere Methode, aber nahe dran.

Ob der Schock über soviel Kleinholz an den Plätzen eine heilsame Wirkung auf das Fliegergemüt hat, ich weiß es nicht. Aber in der Regel tritt nun jede Saison eine gewisse Beruhigung ein.

Dann kommt die Ferienzeit, die Zeit der Fliegerlager und Urlaubslager.

Und es geht schon wieder los… Die „Highlights“ dieser Zeit waren immer wieder (tödliche) Abstürze an der Winde, im Sommer 2003 sogar an zwei aufeinander folgenden Tagen an benachbarten Plätzen! Im letzten Jahr traf es uns dann leider auch am eigenen Platz, im eigenen Verein. Ich persönlich hatte an dem Tag einen „Schutzengel“, der dafür sorgte, dass ich nicht am eigenen Platz war (ich danke Ihr hier dafür, ebenso dafür, dass derselbe „Schutzengel“ im Oktober dafür sorgte, bei einem weiteren Totalschaden – ohne Personenverletzung – ebenfalls nicht in der Nähe zu sein). Denn wer einmal unter Schock das ganze drum herum aus Polizei, Feuerwehr, Gaffern usw. erlebt hat, der kann nachsichtig mit mir sein, wenn ich da auf Anwesenheit wenig Wert lege.

Jedoch – wenn man dennoch dienstlich wiederholt die Hinterlassenschaften solcher Vorkommnisse besichtigen muss, und oft genug den Piloten der traurigen Reste, vor denen man steht, kannte… nun, da ist es wieder, dieses Ziehen im Hinterkopf vom Anfang der Saison.

Dieses Ziehen begleitet mich oft bewusst beim nächsten F-Schlepp, beim Windenstart, beim Hangfliegen, oder in der Thermik. Dieses Ziehen ist ein Gedanke: Das kann Dir jederzeit auch passieren. Und diesen Gedanken halte ich für den ersten Ansatz, jedes Mal wieder sicher und gesund nach Hause zu kommen.

Ich kann mich noch an eine Diskussion über den Unfall in meinem Verein mit einem Piloten erinnern, der behauptete, dies könne ihm nicht passieren. Für mich ein sehr törichter Ansatz. Oft genug schließe ich die Akte eines Schadens, der ein Flugzeug zum Inhalt hat, das von einem erfahrenen und routinierten Piloten geflogen wurde. Denn es sind zwar oft, aber beileibe nicht immer die Unerfahrenen und Ungeübten, die am Abend nicht mehr heil nach Hause kommen.

Nach den Sommerferien wird es ruhig. Die Saison neigt sich dem Ende zu. Auch Zusammenstöße in der Luft, die sich mit Beständigkeit durch den Verlauf einer Saison ziehen, kommen meist nicht mehr vor. Die Saison neigt sich dem Ende zu, im Büro geht es in Sachen Segelfliegen meist darum, den Kunden das Geld zu bezahlen, wenn die Maschinen repariert aus der Werft kommen. Ein Wunsch kommt mir dann oft: Leute, macht mich arbeitslos!
Wunschdenken ?

Beileibe will ich mit diesen Zeilen keine Ängste wecken oder den Zeigefinger erheben (Nicht der, dem ein Malheur passiert ist und der seinen Fehler erkennt ist der Depp. Sondern der, der den Finger hebt, auf ihn zeigt und lacht – der ist der Depp).

Ich will lediglich in mehr oder weniger bissiger Form Denkanstöße geben und zum Nachdenken sowie Studium anregen. Denn in den Vorträgen der Flugsicherheitsinspektoren, bei Fluglehrern und in zahllosen Publikationen der Printmedien und des Internets findet sich genügend Stoff, um sich im Sinne von mehr Sicherheit fit zu machen fürs Fliegen. Und natürlich auf dem besten Weg: fliegen, fliegen und noch mal fliegen.

Ein Kollege hat den gehässigen Spruch geprägt: Bei einsetzender Thermik schrumpft das Gehirn des Segelfliegers auf Erbsengröße und muss dafür noch aufgepumpt werden. Wenn ich an die gerade wieder laufende Saison denke, und an die vergangenen, dann mag ich ihm manchmal recht geben.

Will ich aber eigentlich nicht. Helft mir doch mal einfach, ihn Lügen zu strafen.


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