von Wolfgang A. Lengauer
Starkwindfliegen im Südföhn mit Startplatz Unterwössen, im Hangflug um möglichst weit oder in der Welle um möglichst hoch zu fliegen, ist die Lieblingsdisziplin was meine segelfliegerischen Aktivitäten anbelangt. Leider waren die Föhntage im Jahr 2006 mehr als rar und wenn sich schon mal ein brauchbarer Föhntag ankündigte, dann war ich beruflich verhindert. In den vergangenen Wochen hatte ich 2 Versuche mit relativ geringer Ausbeute und es schien schon so, daß bei der fortgeschrittenen Jahreszeit kein Föhnflug mehr machbar sei.
Doch dann gegen Ende des Novembers waren die Wettervorhersagen sehr optimistisch für die Südföhnlage am Alpennordrand. Am 24.November kündigte der Innsbrucker Wetterbericht Südföhn mit flachen Wellen an. Die Bergwetterwerte (hier schau ich meist in www.lawine.at nach) waren aber weniger verheißungsvoll und bei einem Flug mit unserer Vereins Dimona war schnell klar, daß der Wind nicht aus Süden sondern eher schwach bis mäßig aus 230 bis 270 Grad blies. Schnell mal getestet ob am Alpenhauptkamm Westwellen stehen, aber ich konnte nur Turbulenzen und nichts Welliges finden. Meine LS 8 blieb also im Hänger und die Hoffnung war auf den nächsten Tag gerichtet.
Der Innsbrucker Flugwetterbericht sagte für den 25.11.2006 vorher:
Föhn mit flachen Wellen auf der Alpennordseite, Wind aus Süd bis Südwest,
Geschwindigkeiten bis 100 km/h, auch in die Täler durchgreifend.
Das hörte sich wirklich gut an und ich sah mich schon im Hangflug zum Arlberg
oder auch weiter fliegen. Aber das Studium der Bergwetterwerte am 25.11.in
der Früh bremste meinen Tatendrang, denn hier war schon die Tendenz zu
erkennen, daß der Wind mehr aus Westen denn aus Süden kommt.
Also wieder nichts mit dem Föhnflug?
Nun, bei Föhn denkt der ambitionierte Segelflieger an Süd oder Nordföhn. Daß es segelfliegerisch nutzbaren Föhn auch bei westlichen Winden gibt ist eher wenig bekannt. Ich erinnerte mich zwar schon an frühere Flüge mit unserem Streckenflugpionier Walter Weber, als es uns gelang, auch bei starken Westwinden in die Wellen einzusteigen, aber würde das auch heute gelingen? Damals hat unser Klapptriebwerk den Flug bis zum Alpenhauptkamm ermöglicht, um die dort stehenden Westwellen zu erkunden. Aber nach dem Umstieg auf den reinen Segelflieger war das jetzt nicht mehr möglich.
Und auch das Starten machte mir Gedanken, denn bei starkem West-Südwestwind ist in Unterwössen ein F Schlepp nicht jedermanns Sache und zur Zeit steht als Schleppflugzeug nur das UL der DASSU zur Verfügung. Hin- und Hergerissen von meinen Überlegungen hat dann Stefan Brockelt, unser DASSU Schulleiter, mit seinem Anruf alles klargemacht: „Was ist Wolfgang, wann kommst Du? Ich schlepp dich schon raus.“ Also schnell nach Unterwössen, Flieger zusammengesteckt (Stefan testete derweil mit einem Alleinstart, ob die Bedingungen sicher sind), die LS 8 angehängt und gegen halb 11 Ortszeit erhob sich der Schleppzug gemächlich in die Luft.
Der relativ ruhige Schlepp (in der Woche zuvor war mit Jochen als Schleppilot hier Rodeo vom Feinsten angesagt) zeigte mir schnell, daß in den unteren Regionen nichts zu gewinnen war, deshalb weiter zum Zahmen Kaiser. Dort in 2300 m MSL war erstmals ein Wellenansatz fühlbar, aber es war für mich schwer erkennbar, ob diese Welle für das Weiterfliegen Richtung Inntal ausreicht. Die Windanzeige meines Rechners zeigte außerdem eine starke Westkomponente und es war mir klar, daß mein ursprüngliches Flugvorhaben im Hangwind zum Arlberg zu fliegen nicht realisierbar war. Die Wetteroptik voraus sah auch nicht sehr berauschend aus: von Westen her schob sich langsam eine hohe Wolkenschicht heran und am Alpenhauptkamm war starke Staubewölkung aus Süden erkennbar. Von Wellen weit und breit nichts zu sehen. Mein Gefühl sagte mir aber gegen jede Vernunft, daß es vielleicht doch Westwellen geben könnte. Also warum nicht mal testen, ob Westwellen fliegerisch nutzbar im Inntal stehen? Die große Landewiese am Zillertaleingang (der Jan kennt sie gut) wäre ja notfalls erreichbar… Bei dem zu erwartenden starken Gegenwind bat ich den Schleppiloten um etwas mehr Höhe und etwas weiter rein ins Inntal zu fliegen. Bei ca. 2800 m Höhe wurde ausgeklinkt und das Abenteuer Westwelle konnte beginnen.
Der Vorflug Richtung Wörgl war sehr behutsam und vorsichtig, denn aus
Erfahrung weiß ich, wie schnell man sich bei starkem Gegenwind tief im Inntal
wiederfindet. Der erste Versuch in die Welle einzusteigen war bei Wörgl, das
Vario registrierte leichtes Steigen, aber es war nicht nachhaltig genug.
Vorsichtig suchend flog ich weiter, dann westlich von Wörgl an einer
markanten Stelle (hier bildet der Inn einen starken Mäander und oftmals
stehen hier ortsfeste Südwind Wellen) das erste ausfliegbare Steigen.
Es war absehbar, dass ich in die SRA einfliegen würde, deshalb schnell der
Anruf bei Innsbruck Turm mit der Bitte um Freigabe zum weiteren Steigen.
Die Freigabe wurde problemlos erteilt.
Ganz sanft hob es meinen Flieger und das beinahe an das Gefühl der
Schwerelosigkeit heranreichende Steigen im Wellenaufwind stellte sich ein.
Kaum noch Fluggeräusche, das Segelflugzeug läßt sich mit 2 Fingern steuern,
keinerlei Turbulenz störte das Wohl- und Glücksgefühl, einfach phantastisch.
Das behutsame Suchen und Abtasten der Wellengrenzen zeigte aber bald, daß die
vertikale und die horizontale Ausdehnung der Welle nicht sehr groß war und
deshalb war dann bei 3100 Meter Schluß mit Steigen und ich entschloß mich
zum Weiterflug Richtung Kramsach.
Hier wieder das gleiche Spiel, sanftes Wellensteigen vom Feinsten bis 3300 Meter. Im Bereich der Taleingänge Alpachtal, Wildschönau, Zillertal, Achensee fließt anscheinend bei Südwestwind eine gewaltige Luftmasse Richtung Inntal und bildet so den Wellenauslöser für die aus Westen anströmende Luft. Bei der Betrachtung der Orographie und der Ausrichtung dieser Täler ist man versucht zu glauben, daß sich im Luv oder Lee Wellen bilden würden. Aber bei der Suche in diesen Seitentälern nach Wellen bin ich bei früheren Versuchen nicht fündig geworden. Mit diesen Überlegungen war die Entscheidung klar, weiter gegen den Wind zu fliegen, der mittlerweile aus West-Südwest 250 bis 270 Grad mit 40 bis 60 km/h blies. Das Ziel war der Zillertaleingang.
Ich wurde nicht enttäuscht. Obwohl keinerlei Anzeichen am mittlerweile gänzlich bedeckten Himmel zu sehen waren, fand ich auf Anhieb die Welle und diesmal nicht nur einen halben Meter Steigen sondern teilweise bis zu 2 Meter weiches Steigen ohne Turbulenzen. Der ausgesprochen hilfsbereite Innsbrucker Kontroller wurde noch hilfsbereiter als ich meinen Transponder einschaltete, er gab mir die Freigabe auf 15500 Fuß und als ich später anfragte, ob nicht noch etwas mehr Höhe für den Vorflug in den Südwesten möglich wäre, gab er mir nach Kontakt mit München sogar die Freigabe auf 20000 Fuß. Doch kaum hatte ich die Freigabe, schon wurde das Steigen schwächer und bei 5300 Metern war endgültig Schluß. Die Windgeschwindigkeit hier 80 Km/h mit Spitzen 90 Km/h aus 245 bis 270 Grad.
Ich mußte mich nun entscheiden, soll ich die Welle am Glungezer suchen (sie steht bei Südföhn meist etwas vorgelagert der Skistation) oder soll ich Richtung Alpenhauptkamm fliegen um dort weitere Wellen zu finden. Das gewaltige Schauspiel des über den Hauptkamm fließenden Wolkenstroms gab den Ausschlag, das hat mich mehr angezogen und so richtete ich die Nase meines Fliegers nach Süden. Beim Vorflug quer zur Windrichtung fand sich nochmals eine kleine Welle im Lee der Zillertaler Höhenstraße, dann aber wurde der Wind zusehends schwächer und alle Versuche, nochmals gutes Wellensteigen zu finden, waren vergebens. Erst bei der Rückkehr zum Inntal stand eine schwache Welle über Wörgl. Etwas Höhe wurde hier noch getankt und dann kam der Entschluß zum Heimflug.
Ein großartiger, interessanter und lehrreicher Flugtag neigte sich dem Ende zu. Nochmals ein 360 Grad Rundumschaublick auf meine geliebten Bergwelt, dann mit komfortabler Höhe genußvolles, ruhiges Heimfliegen bei immer schwächer werdendem Wind.
Rückblickend ist mir wieder einmal klar geworden, es muß nicht immer die weite Reise zu den Top Winter-Segelfluggebieten sein, es gibt auch noch viel Unentdecktes in meiner direkten Umgebung, das darauf wartet, erforscht zu werden. Ganz sicher ist im Segelflug abseits der ausgetretenen Pfade noch viel mehr zu entdecken, als wir es uns heute vorstellen können.
Fazit: Insgesamt ein Flug, der mir sicher noch lange in sehr guter Erinnerung bleiben wird.