www.text-der-stadt.de
ARCHIV



Schiller in Weimar, Mai 2005

Weimars Helden
Eine Reise zur Schiller-JubilŠumsausstellung

von Michael Bienert

Der erste Held, der sich dem Besucher auf dem Weg vom Weimarer Bahnhof zum Schillerhaus in den Weg stellt, ballt energisch die Faust. Vergeblich. Niemand betritt den gepflasterten Appellplatz, um zu Ernst ThŠlmann in Bronze aufzublicken und den Spruch an der Gedenkmauer zu lesen: ãAus eurem Opfertod wŠchst unsere sozialistische Tat.Ò Der Buchenwaldplatz ist aus der Zeit gefallen, Zeugnis eines abgelebten Heldenkultus.

Auch Adolf Hitler hat sich in Weimar als Heros der Nation feiern lassen. Das Gauforum mit seiner dumpfen Naziarchitektur, das man auf dem Weg zur Innenstadt Ÿberquert, trug Hitlers Namen, spŠter den von Karl Marx. Jetzt wird in den veršdeten Heldengedenkplatz eine Tiefgarage samt Ladenpassage einbetoniert. Die Weimarer warten gespannt auf die erste H&M-Filiale in der Stadt, die hier zukŸnftig fŸr Leben sorgen soll.

Solche Hilfe braucht der appetitlich nach ThŸringer BratwŸrsten duftende Goetheplatz nicht. Und auch nicht der Theaterplatz, wo die grš§ten Weimarer Helden unverrŸckbar auf ihrem Sockel stehen: Goethe und Schiller in der Pose souverŠner Feldherren des Literaturbetriebs. Ikonen des bŸrgerlichen Zeitalters. Zu ihren FŸ§en Scharen wei§haariger MŠnner und Frauen: Die Goethe-Gesellschaft hŠlt ihre Jahresvollversammlung im Nationaltheater ab. Im Schillerjahr kreisen die VortrŠge um Goethes Mystifizierung des frŸh verstorbenen Freundes: ãEr glŠnzt uns vor, wie ein Komet entschwindend / Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend.Ò Goethes Appell an die Nation lautete: ãSo feiert ihn! Denn was dem Mann das Leben / Nur halb ereilt, soll ganz die Nachwelt geben.Ò

Die liebe Nachwelt! In der Fu§gŠngerzone wirbt ein Geldinstitut fŸr eine sechsprozentige Schiller-Anleihe, eine Medaille mit Schillerkopf gibt es gratis dazu. Man kann Goethe und Schiller auf Porzellantassen kaufen, als Salz- und Pfefferstreuer und als Kasperlepuppen. Das Schaufenster eines Brillenladens ist mit Schillerkonterfeis geschmŸckt, daneben liest man: ãLieber vergleichen als zu viel bezahlen.Ò Ein Schiller-Zitat? Nein, ein Fielmann-Zitat, doch das fŠllt nach der Flut von JubilŠumspublikationen gar nicht auf, die den einstigen Nationalheros zum Alltagsmenschen verkleinert haben. Selbst im Marbacher Schiller-Nationalmuseum steht bei der JubilŠumsausstellung ãGštterplŠne und MŠusgeschŠfteÒ der rechnende und berechnende Dichter im Mittelpunkt.

Schillers letztes Wohn- und Sterbehaus in Weimar ist schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts GedenkstŠtte. Es herrscht gro§er Andrang. Die historischen WohnrŠume sind tabu, doch in den benachbarten WechselausstellungssŠlen will auch die Stiftung Weimarer Klassik einen neuen, unkonventionellen Blick auf den Dichter wagen. Dass es sich bei der Sonderausstellung "Die Wahrheit hŠlt Gericht" um ein ambitioniertes Unternehmen handelt, merkt der Besucher gleich an gravierenden Orientierungsschwierigkeiten. Man lŠuft in einen RŠuberwald aus zitatgespickten Stelen, gekrŸmmten AusstellungswŠnden, Inszenierungsfotos, Bildschirmen und Videoprojektionen. Ratlos schweift der Blick zwischen dem ãPrometheusÒ-Gedicht des jungen Goethe und einer Filmszene aus ãDie verlorene Ehre der Katharina BlumÒ hin und her. Beim Versuch zurŸckzutreten, um irgendwie †berblick zu gewinnen, stš§t man an eine Glaskiste mit einem Skelett. Das ist der berŸhmte Schinderhannes aus dem anatomischen Institut in Heidelberg. Eigentlich ein PrunkstŸck fŸr einen ersten Ausstellungsraum Ÿber Schillers ãRŠuberÒ, doch fast hŠtte man ihn Ÿbersehen.

Weil ein unmittelbar einleuchtendes Leitsystem fehlt, dauert es ziemlich lange, bis man versteht, wie das alles gemeint sein kšnnte. Die Ausstellung geht von neueren AuffŸhrungen aus, um der Anziehungskraft von Schillers Helden auf die Spur zu kommen. EpochenŸbergreifende Themen schŠlen sich so heraus, wie die gewalttŠtige Auflehnung gegen eine verstockte VŠterwelt in den ãRŠubernÒ. Peter Zadek hat das StŸck in den APO-Jahren inszeniert, wenig spŠter provozierten Manfred Karge und Matthias Langhoff an der ostberliner VolksbŸhne mit rotzfrechen ãRŠubernÒ die SED-KulturfunktionŠre. Damals sah der junge Frank Castorf diese AuffŸhrung, die seiner eigenen Theaterarbeit eine Richtung gab. WŠhrend der Wendejahre inszenierte er selbst das StŸck als rŸden Abgesang auf die DDR.

Man erlebt Schiller gleichsam im Dialog mit den Nachgeborenen. Mit Heiner MŸller, der angezogen war von der DŸsternis der geschichtlichen Welt im ãWallensteinÒ. MIt Dšblin, der Schillers Anregung in seinem ãWallensteinÒ-Roman aufgriff. Mit Brecht, dessen ãHeilige Johanna der SchlachthšfeÒ einen direkten Gegenentwurf zur ãJungfrau von OrleansÒ darstellt. Mit Skeptikern wie Friedrich DŸrrenmatt, der die Form von Schillers Tragšdien fŸr nicht mehr passend hielt angesichts der anonymen SchlŠchtereien des 20. Jahrhunderts. Und mit leidenschaftlichen Bewunderern wie der Burgtheaterregisseurin Andrea Breth, die Schiller als Gegengift zur ãTrivialisierungÒ der Gegenwart und ihrer Dramatik schŠtzt.

Schillers Helden sind Individualisten, deshalb so modern. Der RŠuberhauptmann Moor bleibt einsam unter seinen Spie§gesellen, die eiserne Jungfrau fremd an der Spitze des franzšsischen Heeres, Wilhelm Tell ein EinzelgŠnger unter den rebellischen Schweizern. Alles gespaltene, komplizierte Charaktere, die ihre eigenen Entscheidungen treffen. Das macht sie so gefŠhrlich. Hitler hat das erkannt, als ihm die AttentatsplŠne des Schweizers Maurice Bavaud bekannt wurden, eines WiedergŠngers von Tell. 1941 ordnete Hitler an, Schillers StŸck nicht mehr aufzufŸhren und es auch nicht mehr in den Schulen zu behandeln.

Die Ausstellung mit 600 Exponaten breitet eine †berfŸlle von hšchst anregenden Material zur Wirkungsgeschichte Schillers aus, ist klug gedacht, aber leider nicht so klug gemacht. Die banale Kunstrasenecke, die Johannas geliebte Wiesen darstellen soll, ist genauso ŸberflŸssig wie der militŠrische Tarnanstrich im ãWallensteinÒ-Raum. Was aber fehlt, sind StŸhle, um sich die interessanten Dokumentationen zu einzelnen Theaterproduktionen auf den Videoschirmen wirklich ansehen zu wollen. Hoffentlich ist dafŸr mehr Platz, wenn die Ausstellung im Herbst zum Gastspiel nach Marbach kommt. In Weimar mu§ man schon ein Held sein, um sie (im Wortsinn) durchzustehen.

Heilige und Helden erkennt man auch daran, dass sich ihre GrabstŠtten und Reliquien im Lauf der Zeit auf wunderbare Weise vervielfŠltigen. Im Kassengewšlbe auf dem Jakobskirchhof, wo Schiller am 12. Mai 1805 beigesetzt wurde, erinnern ein Gedenkstein und eine BŸste an den gro§en Toten. Verehrer haben ein paar welkende Rosen ins hŠ§liche Gitter am Eingang geflochten. Was die Nachwelt fŸr Schillers Knochen hielt, wurde 22 Jahre nach seinem Tod in die neu erbaute FŸrstengruft ŸberfŸhrt. Der Weg dahin im Mai ist einfach bezaubernd. Zwischen Friedhofsmauern und Grabresten haben artenreiche Langgraswiesen die alten Grabfelder erobert. Im Keller des fŸrstlichen Grabtempels stehen die schweren Sarkophage Schillers und Goethes: stumm. Auf dem Boden ein Blumengebinde mit nicht mehr ganz frischen wei§en Rosen. Die Kranzschleife ziert der Satz: ãFrei schwinge ich mich durch alle Zeiten fort.Ò


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 25. Mai 2005.



Klassische GedenkstŠtten: Schillerhaus, Kassengewšlbe, FŸrstengruft