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THEATERKRITIK
Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare. Premiere am Deutschen Theater am 5. Mai 2007. Regie: Jürgen Gosch. Mit Bernd Stempel, Ernst Stötzner, Corinna Harfouch, Meike Droste u. a.
Küsse und Bisse
von Michael Bienert
Der Athener Wald ist gefährlich. Mehrmals musste die Premiere des Sommernachtstraums verschoben werden, weil die Schauspieler sich darin verhakten und eine Darstellerin sich verletzte. Schließlich haben sie den hölzernen Bühnenkasten völlig leer geräumt und sind dazu übergegangen, selbst das Dickicht zu spielen: ein Wald steifer Menschenkörper mit verrenkten Armen, in dem Käuzchenschreie widerhallen.
Wie in allen neueren Inszenierungen von Jürgen Gosch gibt sich sein Theater radikal antiillusionistisch. Das Saallicht bleibt an, eine gleichmässige Helligkeit herrscht die ganze Zeit auf der Bühne, die Schauspieler tragen Alltagskleidung und benutzen wenige Requisiten. Diese Probendekoration in der riesigen Holzkiste von Johannes Schütz hat den Charme einer Ausnüchterungszelle: Wie, um Gottes Willen, soll in diesem Ambiente ein Mittsommernachstraum von Shakespeare möglich sein, mit all seiner Dunkelheit, seinem Zauber, seinen Stimmungen und Unwirklichkeiten?
Keuchen, Brüllen, Ringen, Beissen: So sieht der animalische Liebeskampf oder Liebestanz zwischen Theseus und Hippolyta aus, mit dem alles anfängt. Dieselben Darsteller - der lange, etwas steife und glatzköpfige Bernd Stempel und die viel kleinere, katzenhaft kratzbürstige Corinna Harfouch - spielen die Waldgeister Oberon und Titania. Zwischen beiden geht es noch härter zur Sache. Wie Titanias Elfen, eine Horde nackter Männer in bunten Röcken, über Oberon und den graubärtigen Kobold Puck (Ernst Stötzner) herfallen, ist eine Vergewaltigung. Deren Rache an Titania trägt sadistische Züge. Ihr nächtlicher Liebhaber Zettel (Markus John), dem sie sich unter Drogen hingeben muss, ist kein lustiger Esel, sondern ein Mitleid erregender Schmerzensmann. Jammernd klammert er sich an das Riesengeweih, das ihm aus der Stirn wächst, das Theaterblut rinnt an seinem massigen Körper herunter und sein Penis ist zu einem Schrecken erregenden Holzprügel mutiert.
Zartheit kommt durch die Hermia von Meike Droste ins Spiel, die mit der Erwachsenwelt voll Sex und Gewalt noch nichts anzufangen weiß. Helena (Alwara Höfels) ist die schon erfahrenere ältere Freundin, beider Verehrer Lysander (Niklas Kohrt) und Demetrius (Maximilian Pfufendorf) stecken noch in der Pubertät. Die Eifersuchtsverwirrung der vier jungen Leute ist schrecklich, aber auch sympathisch, im Gegensatz zu den Grobheiten der Großen.
Zweieinhalb pausenlose Stunden schaut man den Paarungen geduldig und mit kühler Bewunderung für die Schauspieler zu, denen es gelingt, in dem kargen Einheitsbühnenbild die verschlungene Sommernachtstraumstory glasklar durchsichtig zu machen. Ins Tanzen oder Schweben gerät die Aufführung nur in wenigen Momenten. Wo sind die Poesie und das pralle Leben des Shakespearschen Kosmos geblieben? Erst als alle Handlungsknoten gelöst sind, nur noch die glückliche Vermählung der Paare zu feiern ist, da lässt Gosch plötzlich die Handbremse los und kurvt die Aufführung mit einem furiosen Schlenker ins Ziel.
Die groteske Theateraufführung der Athener Handwerker zu Ehren der Neuvermählten wird zum Höhepunkt und Sinnzentrum der ganzen Veranstaltung. Denn Goschs armes Theater nimmt sich dabei selbst auf die Schippe, es parodiert seine eigenen Mittel, seine Kargheit, auch das Rumgespritze mit Theaterblut in Goschs viel diskutierter Macbeth-Aufführung vom letzten Jahr. Die dicke Thisbe (Roman Kaniok) nimmt einen ordentlichen Schluck roten Saft aus der Pulle, ehe sie sich ins Schwert stürzt. Dazu leuchtet der Mond (Michael Benthin) doof dreinblickend mit einer Baustellenlaterne. Nach der Tragödie führen die mit Gips bekleckerte Wand (Falk Rockstroh) und der in einem Riesenbärenkostüm steckende Waldlöwe (Stephan Grossmann) ein Tänzchen auf, sehr zur Zufriedenheit des ehrgeizigen Jungregisseurs Squenz (Matthias Bundschuh). Alles ist nur ein Spiel - das war schon vorher nicht zu übersehen, aber in diesen letzten Minuten der Aufführung ist die Frage nach dem Warum und Wozu plötzlich weggeblasen, weil man gar nicht mehr anders kann, als darüber zu lachen.
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