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Baustelle Bauhaus
Der Architekt Philipp Oswalt übernimmt im Jubliäumsjahr 2009 die Leitung der Bauhaus-Stiftung.
Elke Linda Buchholz hat ihn an seinem neuen Arbeitsplatz besucht und sich in Dessau umgesehen.
Im Dessauer Garten des Bauhausdirektors Walter Gropius blühen die Krokusse, doch die Jalousien des spitzgiebeligen Hauses auf dem Grundstück sind geschlossen. Es soll abgerissen werden, so einigte man sich nach jahrelangen Debatten. Denn nur das Sockelgeschoss des Gebäudes stammt noch von dem legendären Meisterhaus, das Gropius 1925 für sich errichtet hatte. Diese Inkunabel des modernen Bauens wurde im 2. Weltkrieg zerstört und 1956 durch ein dröges Einfamilienhaus mit Spitzdach und Rauputz ersetzt, das heute der Stadt Dessau gehört. Bauhaus-Puristen ist es ein Dorn im Auge, stört es doch die reine Ästhetik der berühmten Meisterhaus-Siedlung, in deren weißen Kuben einst Feininger und Moholy-Nagy, Schlemmer und Muche, Kandinsky und Klee mit ihren Familien wohnten. Die Rekonstruktion des Gropius-Hauses, allerdings nur in seiner äußeren Hülle ohne die innere Struktur, schien beschlossene Sache.
Doch jetzt hat mit Philipp Oswalt ein neuer Direktor die Leitung der Dessauer Bauhaus-Stiftung übernommen und der sagt: "Ich will jetzt nicht unnötig Probleme verursachen. Aber mir scheint der Stand der Dinge nicht schlüssig." Welche Funktion soll das Gebäude denn überhaupt erfüllen? Das Nutzungskonzept müsse man klären, und zwar im Zusammenhang aller Bauhaus-Bauten in Dessau, bevor Abriss und Neubau bauliche Tatsachen schaffen. Form follows function: Diesen Wahlspruch der Moderne nimmt der 44jährige Berliner Architekt ernst. Funktionen und Prozesse zu verstehen ist Oswalt wichtiger, als eindrucksvolle Bauten in die Landschaft zu setzen. Als vehementer Kritiker des Berliner Schlosswiederaufbaus hat er sich einen Namen gemacht. Doch Oswalt ist kein Dogmatiker: "Ich bin nicht grundsätzlich gegen jede Art von Rekonstruktion. Aber es muss ein sinnvolles architektonisches Objekt werden. Der Jetzt-Zustand ist ja kein Zufallsprodukt, sondern auch ein Resultat der Bauhaus-Geschichte. Aber ich kann verstehen, wenn man das nicht musealisieren will."
Die erhaltenen Meisterhäuser sind in den vergangenen zehn Jahren eines nach dem anderen denkmalgerecht saniert und öffentlich zugänglich gemacht worden. Die schick verschachtelten, weißen Bauten faszinieren im Inneren mit farbigen Wänden in Rot und Blau, Rosa und Schwarz, mit praktischen Durchreichen und Einbauschränken, mit überraschend kleinen Zimmern. Doch das originale Mobiliar ist weitgehend verloren. Das Vakuum können Infotafeln und wechselnde Grafikausstellungen nur ansatzweise füllen. Ein schlüssiges Vermittlungskonzept täte dem großartigen Ensemble gut. "Das ist einfach ein großes Defizit", meint Oswalt und arbeitet bereits daran, für ein Gesamtkonzept "Bauhaus-Stadt Dessau" Gelder aus dem Konjunkturprogramm lockerzumachen.
Von seinem Büro auf der Kommandobrücke des 1926 errichteten Bauhauses blickt der neue Chef auf Bauzäune und aufgerissene Erde. Seit Gropius´ Zeiten residieren die Direktoren auf der architektonischen Brücke, die den Werkstatttrakt mit der großen Glasfassade und den Büroflügel auf der anderen Straßenseite verbindet. Ins 90. Jahr nach seiner Gründung geht das Bauhaus so, wie es sich für eine Architektur-Institution gehört: als Baustelle. Endlich werden jetzt auch die Außenflächen in Stand gesetzt, nachdem die Sanierung des Schulkomplexes selbst 2006 abgeschlossen wurde. Seit 1996 ist das Bauhaus UNESCO-Weltkulturerbe.
In sein Direktorenbüro hat Philipp Oswalt als erstes eine afrikanische Schnitzfigur mitgenommen, ein Geschenk seiner Frau. Der Medizinmann soll ihm den Rücken stärken und bildet einen markanten Kontrast zur funktionalen Schlichtheit des denkmalgerecht sanierten Interieurs. Konflikte und Kontraste scheut Oswalt nicht, im Gegenteil. Selbst gebaut hat der Architektensohn nach seinem Architekturstudium nicht, abgesehen von einem Projekt für das Konzentrationslager Ravensbrück. Stattdessen warf er sich als Redakteur der Zeitschrift arch+, als Unidozent und Ausstellungsmacher in die urbanistischen Debatten. Themen wie Leerstand, temporäre Zwischennutzungen, städtische Brachen und urbane Schrumpfungsprozesse prägten seine Arbeit. Sein für die Kulturstiftung des Bundes konzipiertes Ausstellungsprojekt "Schrumpfende Städte" ging von Berlin auf Tournee nach New York, Bulgarien, Japan, Liverpool und Moskau.
Bereits Oswalts Vorgänger Omar Akbar, der die Bauhaus-Stiftung Dessau zehn Jahre lang leitete, entwickelte die Institution zu einem Forschungs- und Experimentierzentrum für Urbanistik und Städtebau. Philipp Oswalt will daran anknüpfen. "Ich möchte zeitgenössische Themen prominent behandeln, auch strittige, politische Fragen." Dieses Label Bauhaus ist ein wunderbarer Hebel, um auch Aufmerksamkeit zu erzielen, es stellt natürlich auch einen sehr starken Anspruch an die eigene Arbeit. Sich auch in den heutigen gesellschaftlichen, politischen Fragen einzumischen." Themen wie Migration, Klimawandel und Wirtschaftskrise will er aufgreifen. Schon laufen Vorbereitungen für ein Herbstsymposion zu Finanzmarktkrise und Architektur. Heute prägen eben andere Probleme das Baugeschehen als in den 20er Jahren.
Als Walter Gropius die Schule für Gestaltung im März 1919 in Weimar gründete, bestimmten gesellschaftliche Utopien, expressive Tendenzen und pädagogische Reformvorstellungen das Programm. Mehr und mehr rückten schon bald industrielle Formgebung und moderner Wohnungsbau in den Fokus. Doch innerhalb des buntgemischten Kollegiums der Bauhausmeister herrschte keineswegs Einmütigkeit. Nach Gropius übernahm mit Hannes Meyer ein überzeugter Kommunist das Ruder und machte Ernst mit Funktionalismus und Massenwohnungsbau. Ludwig Mies van der Rohe als dritter Direktor konnte in Berlin nur noch die Schließung durch die Nazis 1933 verwalten. Nach 14 Jahren war die bedeutendste Schule der Moderne Geschichte.
Heute kümmern sich mehrere Institutionen um ihr Erbe: Das Berliner Bauhaus-Archiv wurde zu Mauerzeiten als Nachlassverwalter im Westen gegründet. Die DDR besann sich erst in den 70er Jahren auf das vernachlässigte Bauhaus Dessau, rekonstruierte die große Glasfassade, wollte aber kein Museum daraus machen. Heute muss die Dessauer Bauhaus-Stiftung satzungsgemäß den Spagat aushalten, ihr historisches Erbe zu pflegen, zugleich aber gegenwartsbezogene Architekturforschung und -lehre zu leisten. Ein Konglomerat höchst unterschiedlicher Funktionen und Projekte vereint das Bauhaus unter seinen Flachdächern, mit 60 festen Mitarbeitern von der Kunsthistorikerin bis zum Koch. Die Bauhausbühne kreiert experimentelle Theaterproduktionen. Eine Publikationsreihe beleuchtet urbanistische Themen. Die Lehrtätigkeit, einst Zentrum des Bauhaus-Lebens, ist auf ein einjähriges Kollegprogramm mit städtebaulichem Fokus geschrumpft, an dem derzeit nur 20 postgraduierte Studenten teilnehmen. So bleibt die Außenwirkung der Bauhaus-Aktivitäten blass, verglichen mit dem alles überstrahlenden Mythos des historischen Bauhauses.
100 000 Besucher aus aller Welt kommen jährlich nach Dessau auf der Suche nach dem Bauhaus, Tendenz steigend. Seit 2007 finden Sie im Schulgebäude eine Dauerausstellung mit Entwürfen, Konzepten, Möbeln und Schülerarbeiten des historischen Bauhauses vor; nur ein Bruchteil der 25.000 Objekte umfassenden Sammlung. Andere bedeutende Bauhaus-Baudenkmale liegen kilometerweit in der ganzen Stadt verteilt, in privatem und städtischem Streubesitz. Da ist etwa das Arbeitsamt von Walter Gropius, das seit seiner sorgfältigen Instandsetzung als Straßenverkehrsamt dient. Oder das idyllisch auf dem Elbdeich gelegene Ausflugslokal Kornhaus, entworfen von Gropius´ engstem Mitarbeiter Carl Flieger. Die Stadt hat dieses touristische Potenzial bislang kaum erschlossen, sogar an der Ausschilderung hapert es. Wer sich auf die Suche nach den verstreuten Bauten macht, erfährt viel über Städte- und Siedlungsbau im 20. Jahrhundert.
Weit außerhalb des Zentrums projektierte Gropius die Siedlung Törten als Pionierprojekt des seriellen Bauens. Ab 1926 entstanden hier typisierte Reihenhauswohnungen für den Minimalbedarf, mit Kompostklo und Selbstversorgergarten. Praktisch keines der 314 Häuser hat sich im Originalzustand erhalten. Denn die Besitzer der winzigen Eigentumswohnungen gingen bald daran, die eklatanten Baumängel auf eigene Faust zu beheben. Versetzte Fenster, aufgemotzte Türen, Raffgardinen und rustikale Klinkerfassaden zeugen heute vom individuellen Geschmack der Bewohner: Ein Lehrbeispiel über Theorie und Praxis moderner Wohnkonzepte. In den Urzustand zurückversetzt ist eines der Siedlungshäuser zu besichtigen, ebenso wie ein Versuchshaus aus Stahl von Georg Muche und eine Wohnung der Laubenganghäuser, die unter Bauhausdirektor Hannes Meyer hinzukamen.
Heute ist die große Ära des Massenwohnungsbau vorüber: Statt Wohnungsmangel grassiert Leerstand. Zwar nicht in der Bauhaussiedlung Törten, aber unweit davon in den Plattensiedlungen der DDR-Zeit. Ein Fünftel seiner Bevölkerung hat Dessau seit 1990 verloren. Über 2000 Wohnungen wurden bereits abgerissen.
Philipp Oswalt sieht es als Aufgabe des Bauhauses, solche urbanen Prozesse zu analysieren und zu gestalten. Im Auftrag der Bauhaus-Stiftung entwickelte er bereits 2001 experimentelle Ideen für den Stadtumbau, die zur Grundlage der IBA 2010 in Sachsen-Anhalt wurden. Im kommenden Jahr werden die Ergebnisse in 19 Städten von Quedlinburg bis Bitterfeld präsentiert. Im Bauhaus Dessau laufen die Fäden des IBA-Projekts zusammen, hier wird auch die zentrale Ausstellung zur IBA zu sehen sein.
Was kommt danach? Philipp Oswalt ist kein Visionär, der große Pläne auf den Tisch knallt: "Es ist eher ein Vortasten, es gibt nicht den Fünfjahresplan. Die Sachen müssen sich aus dem Ort, mit den Leuten entwickeln." Einen lange verschütteten Strang des Phänomens Bauhaus möchte Oswalt jedenfalls wieder zum Leben zu erwecken: das Künstlerische am Bauhaus. Schließlich waren es Künstlerpersönlichkeiten wie Klee, Kandinsky oder Feininger, die den Mythos Bauhaus mit prägten. Oswalt sähe künftig gern wieder Maler, Designer, Film- oder Theaterleute als Artists in Residence am Bauhaus leben und arbeiten: "Vielleicht wäre das Meisterhaus von Gropius der richtige Ort, um sie unterzubringen."
"Modell Bauhaus", die große Jubliäumsausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, wird von 22. Juli bis 4. Oktober 2009 gezeigt. In Kooperation von Bauhaus-Archiv Berlin, Bauhaus-Stiftung Dessau und Weimarer Klassik-Stiftung. Informationen über zahlreiche Veranstaltungen zum Jubiläum in Weimar, Erfurt und anderswo unter:
www.bauhaus2009.de
Einen Wegweiser zu den Bauhausstätten in Berlin enthält unser Buch Die Zwanziger Jahre in Berlin, Berlin Story Verlag, 2. Auflage 2006:
www.zwanziger-jahre-in-berlin.de