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Uwe von Loh

 

DIE FORM DES DESIGNS

von Uwe von Loh, Offenbach, den 21.September 2001

 

Triff eine Unterscheidung durch das Ziehen einer Grenze.

Markiere eine Seite der Grenze und nenne sie den markierten Zustand.

Nenne das Überschreiten der Grenze in den markierten Zustand hinein beobachten. (1)

Nenne das nochmalige Überschreiten der Grenze reflektieren. (2)

Erkenne durch die Betrachtung der unendlichen Reihe von beobachten und reflektieren, dass der Wert des markierten Zustandes am selben Ort, wie der unmarkierte Zustand möglich sein muss. (3) Nenne alles ein Reflexionsmedium, was beschrieben werden kann als Mittel zum Übertragen eines Wertes von einer Seite einer Unterscheidung zur anderen.

Löse das Paradoxon des Miteinander zweier nichtäquivalenter Zustände dadurch, dass du ein Reflexionsmedium benutzt, um Zustände von einer Seite der Grenze zur anderen zu transportieren. (4)

Der Wert des markierten Zustandes kann nun durchaus am selben Ort wie der unmarkierte Zustand auftreten, denn der Zustand auf einer Seite der Grenze kann durch das Reflexionsmedium auf die andere Seite der Grenze gelangen und zurück. Lass die Benutzung eines Mediums Zeit kosten. Die genannten paradoxen Zustände treten nun in der Zeit nacheinander auf.

Nenne den ständigen Wechsel zwischen Beobachtung und Reflexion mit Hilfe eines Reflexionsmediums eine Beschreibung.

 

Lass nun Design die Form der Beschreibung annehmen. Das heißt, nenne Design den Prozess des Pendelns zwischen beobachten und reflektieren, bei dem ein Reflexionsmedium dazu benutzt wird, das, was reflektiert wird, wieder zur Beobachtung zu bringen und das, was beobachtet wird, zu reflektieren. Nenne also Design Beschreibung.

 

Welche Konsequenzen hat diese zugegeben etwas strenge Definition?

Zuallererst können wir sie so interpretieren, dass Design als autopoietisches System (5) gedacht werden kann. Seine Elemente oder besser Elementarereignisse sind die Bewegungen zwischen Beobachtung und Reflexion. Diese Bewegungen beziehen sich aufeinander dergestalt, dass sie sich gegenseitig voraussetzen müssen. Eine Bewegung in die eine Richtung (Beobachtung) ist die Bedingung für das Anschlussereignis ­ die Bewegung in die andere Richtung (Reflexion). Das System kann so seine Elementarereignisse immer wieder selbst hervorrufen. Eine dritte Voraussetzung für autopoietische Systeme, die operationale Geschlossenheit, wird durch die anfangs definierte Grenze sichergestellt. Das System kann per definitionem nicht außerhalb seiner Grenzen operieren. Es erzeugt und benutzt fortlaufend die Beschreibung seiner selbst (6), indem es Beobachtung und Reflexion aneinander reiht. Die Interpretation von Design als autopoietisches System der vorgeschlagenen Art hat Folgen:

Design wird oft mit einer gewissen Nützlichkeit in Beziehung gesetzt. Es soll den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens bewirken, der Befriedigung von Bedürfnissen dienen, eine Verbesserung herbeiführen oder ein Problem lösen. Das alles sind akzeptable Zielvorstellungen für das Design.

Sie sagen aber nichts über das Funktionieren von Design aus, wenn man es in der oben skizzierten Weise als System auffasst. Jeder Zweck hätte dann, würde er erreicht, das Ende des Systems zur Folge. Das hieße, der Mechanismus des Beschreibens würde aufhören, Anschlussereignisse zu produzieren und unser System wäre zumindest kein autopoietisches mehr. Umgekehrt müsste begründet werden, warum das System nach Erreichen seiner Zwecke weiter bestehen kann. (7)

Im allgemeinen wird Design als mit einer gewissen kreativen Leistung verbunden angesehen und schon immer gab es auch Kritiker für solche Behauptungen. Es war von Kreativität im allgemeinen oder im speziellen die Rede. Einmal war kreativ, wer etwas für alle Neues schuf, das von besonderer Vorzüglichkeit war. Andere Stimmen behaupten, dass kreative Leistung dann bereits vorliegt, wenn der Schöpfer sein Produkt als neu empfindet. (8) Kreativität konnte regelgeleitet sein oder Regeln verändern. Vielen dieser Theorien ist gemeinsam, dass sie Design, Kunst oder Architektur über das Phänomen Kreativität definieren. Dass auch andere menschliche oder gar tierische Tätigkeiten in jedem der eben genannten Bedeutungen als kreativ dargestellt werden können, lässt an solchen Theorien jedoch zweifeln. Die Rolle der Kreativität für bestimmte Tätigkeitsfelder wie Design, Kunst oder Architektur wird immer in einem Zusammenhang sozialer Werte beobachtet und ist keine besondere Eigenschaft der genannten Felder. Kreativität wird hier nur höher bewertet oder als wichtiger empfunden, als in anderen Gebieten. Dass Kreativität aber in verschiedenen Bereiche unterschiedlich bewertet wird, steht in keinem Zusammenhang damit, ob sie beobachtet werden kann oder nicht. Die banale Anweisung, Design als Beschreibung zu bezeichnen, erlaubt, die Unterscheidung von Kreativität vorerst nicht zu treffen, wenn es um die funktionalen Prozesse von Design geht, bzw. diese Unterscheidung wie jede andere Beobachtung formal zu thematisieren ­ als Design.

Eine weitere Hypothese wird durch unsere Vorbedingung in Frage gestellt. Sie lautet: Design ist Kommunikation. Klar ist, dass Design durch eine Vielzahl von Systemen, die in seiner Umwelt sind, erst wahrscheinlich wird. Umwelt bildet die Grenze für das System Design in einem ganz und gar nicht nur räumlichen Sinne. So ermöglicht zum Beispiel das soziale System der Wirtschaft einem Designer (psychisches, soziales und biologisches System) seiner Tätigkeit (Design) in dem Maße nachzugehen, wie er (psychisches und soziales System) das für zweckmäßig (soziales System?) hält. Klar sollte auch sein, dass Unterscheidungen immer Kommunikation voraussetzen, um Werte zuweisen zu können (9), zumindest, wenn man Werte als generalisierte Erwartungserwartungen versteht, deren Stabilität "auf einer rekursiven Unterstellung des Unterstellens und einer Erprobung der Semantik, mit der das jeweils funktioniert bzw. nicht funktioniert" (10) beruht. Kommunikation ist demnach für das Design beendet, wenn die erste Unterscheidung getroffen wird. Das ermöglicht es uns, Design als eigenständiges System, denn als soziales zu bezeichnen. Seine Elemente sind dementsprechend auch keine Kommunikationen. Soziale Systeme und damit auch deren Semantik und Werte sind begrenzende Umwelt für Design.

Ganz anders sieht das aus, wenn wir unser Reflexionsmedium als soziales System interpretieren. In der Tat werden hier Kommunikationen verkettet und wir können ein einwandfrei funktionierendes soziales System á la Luhmann beobachten. Da unser Reflexionsmedium ja ständig die Grenze kreuzt, könnte man von einer Aneinanderreihung von Unterscheidungen reden. Unsere Leitdifferenz wäre Beobachtung/Reflexion. Design also doch als Kommunikation? Die Antwort hier ist positiv, wenn man sich für ein nichtlinguistisches Verständnis von Kommunikation entscheidet. Die obige Definition erlaubt jedoch noch weitere Interpretationen, von denen die des Reflexionsmediums als psychisches System ebenfalls interessant wäre. Systeme sind, wenn wir sie beobachten.

Wie man sieht, lässt sich ausgehend von Spencer-Browns Kalkül der Form ein ansehnlicher Theorie-Apparat entwickeln, der sich zur Abbildung ganz verschiedener Aspekte eines deskriptiven Designbegriffs eignet. Wenn Design und Beschreibung äquivalent sind, so erfasst unsere Definition erheblich mehr Bereiche, als normalerweise mit dem Designbegriff assoziiert wurden. Diese Begriffsausweitung hat den Vorteil, dass eine Designtheorie, die ihn benutzt, ihre Relevanz für bisher uninteressante Gebiete beweisen kann. Innerhalb von Soziologie, Psychologie, Semiotik, Informatik, Medienwissenschaft oder Technik, um nur einige zu nennen, kann ein solcher Begriff dazu verwendet werden, funktionale Gesichtspunkte von Beschreibungen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Der Designbegriff taugt also nicht nur für Designer und seine inflationäre Benutzung in allen Bereichen ist unter diesem Gesichtspunkt mehr als berechtigt.

__________

(1) Beachte Spencer-Brown, Gesetze der Form. S.37 Abs.1 und seine Formulierung des "beliebigen Ausdrucks". In der Tat kann ein beliebiger Ausdruck Inhalt der Unterscheidung sein und wir können auch beliebige Unterscheidungen innerhalb des Ausdrucks vornehmen (Ausdifferenzierung) oder die Grenze ausweiten auf weitere Ausdrücke. Jedes mal wird dann ein neuer Zyklus Beobachtung-Reflexion möglich, der jedem anderen ähnlich ist. Auch wenn zum Treffen einer Unterscheidung andere Unterscheidungen vorausgesetzt werden, so lassen sich diese wieder genauso behandeln, wie ihre Folge- oder Vorgängerunterscheidungen. Wesentlich ist nur, dass dann nicht alte Grenzen wiederholt überschritten, sondern neue gezogen werden. Andererseits hält nichts uns davon ab, dem beobachteten Ausdruck im Laufe seiner Beobachtung Veränderungen zuzugestehen.

Wenn wir an dieser Stelle das Überschreiten der Grenze "beobachten" nennen, fangen wir bereits an, das Spencer-Brownsche Kalkül zu interpretieren. Das heißt, wir bringen seine Elemente in Übereinstimmung mit dem, "was seine Interpretation werden soll."(Spencer-Brown, Gesetze der Form. S.97 Abs.4ff)

(2) Wenn man das Überschreiten einer Grenze als Beobachtung deklariert, so ist natürlich auch das nochmalige Überschreiten der Grenze Beobachtung. Man könnte also statt Reflexion auch Beobachtung der Beobachtung sagen. Toplogisch sollte Reflexion vielleicht als ein zurückkommender Ping-Pong-Ball aufgefasst werden. Er überschreitet das Netz einmal, wenn man ihn schlägt und ein zweites mal von der anderen Seite aus, wenn er zurückgespielt wird. Die Geradzahligkeit des Überschreitens ein und derselben Grenze ist hier von Interesse. Achtung, zu mehr taugt die Metapher in dieser Sache wirklich nicht!

(3) Siehe die Figur des unendlichen Echelons bei Spencer-Brown, Gesetze der Form. S.47 ff. Für unsere Zwecke kann sie so interpretiert werden, dass das Beobachten der Inhalte einer Reflexion möglich ist, ohne die Grenze zweimal zu überschreiten, denn der Wert durchtunnelt die Grenze. Erst hier kann man von einer Beobachtung zweiten Grades reden, denn entscheidend für diese Kategorisierung ist nicht die Anzahl der Grenzüberschreitungen zwischen beobachten und reflektieren, sondern die Anzahl der möglichen Werte einer Unterscheidung.

(4) Wie funktioniert nun ein Reflexionsmedium? Unsere Definition ist da sehr einfach. Ein Reflexionsmedium vermittelt den Wert einer Unterscheidung auf die andere Seite der Grenze. Der Weg, das zu tun, bei Spencer-Brown ist es manchmal ein Tunnel, soll hier Reflexionsmedium genannt werden. Wir reden hier von einem Reflexionsmedium als der Möglichkeit für Werte, von einer Seite einer Grenze zur anderen zu gelangen. Es ist dabei zu unterscheiden von der Gedächtnis- oder Speicherfunktion, die der Operation des Wechselns selbst aufgrund ihrer zeitlichen Ausdehnung innewohnt. (Ein Reflexionsmedium für sich betrachtet, kann konsequenterweise diese Funktionen beinhalten, sie sind dann aber kein Charakteristikum eines Reflexionsmediums an sich, sondern Resultat (s)einer Beobachtung zweiten Grades, die wiederum ein solches Medium benutzt.) Unabhängig von seiner Definition hier, muss der Begriff des Reflexionsmediums interpretiert werden, um benutzt werden zu können. Auf dieser Interpretationsebene kann es sich durchaus wieder um einen Speicher oder einen Zähler oder ein Kombination daraus handeln. Entscheidend ist bei solchen Interpretationen, dass ein Reflexionsmedium als Möglichkeit, die zwei Zustände einer einzigen Unterscheidung zu tauschen, verstanden wird. Dadurch und durch seine Stabilität unterscheidet es sich vom (systemtheoretischen) Konzept des Sinnes. Wenn Sinn als Überschuss von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns verstanden wird, also als Möglichkeit, weitere Unterscheidungen zu treffen, so kann man nicht einfach sagen, unser Reflexionsmedium wäre Sinn, denn es verweist hier nicht auf weitere Unterscheidungen außer die seiner selbst und es ist auch nicht "basal instabil" (Luhmann, Soziale Systeme. S.99), sondern kann je nach Erfordernis stabil oder instabil interpretiert werden. In dieser interpretierten Form, kann unser Reflexionsmedium als Sinnverarbeitungsregel oder generalisiertes Kommunikationsmedium gebraucht werden, was seine Einführung hier rechtfertigen soll.

(5) Autopoietische Systeme sind "networks of production of components that recursively, through their own interactions, generate and realize the network that produces them and constitute, in the space in which they exist, the boundaries of the network as components that participate in the realization of the network" (Maturana 1981, S.21)

(6) Siehe die Notwendigkeit solcher Selbstbeschreibungen in Luhmann, Soziale Systeme. S.25.

(7) Luhmanns Anmerkungen zur Kommunikation als autopoietisches System: "Die Kommunikation hat keinen Zweck, keine immanente Entelechie. Sie geschieht oder geschieht nicht ­ das ist alles, was man dazu sagen kann. Insofern folgt die Theorie nicht einem aristotelischen Duktus, sondern eher dem Theoriestil Spinozas. Selbstverständlich lassen sich innerhalb von Kommunikationssystemen zweckorientierte Episoden bilden, sofern die Autopoiesis funktioniert. So wie ja auch das Bewusstsein sich episodenhaft Zwecke setzen kann, ohne dass dies Zwecksetzen der Zweck des Systems wäre. Jede andere Auffassung müsste begründen, weshalb das System nach dem Erreichen seiner Zwecke fortdauert; oder man müsste, nicht ganz neu, sagen: Der Tod sei der Zweck des Lebens." (Luhmann, Was ist Kommunikation? S.52)

(8) Siehe hierzu die in der Linguistik geführte Diskussion über die Kreativität des Sprachgebrauchs in einem Interview Chomskys mit H. Parret in Chomsky, Thesen zur Theorie der generativen Grammatik. S.102 f.

Beachte die Definition der Kreativität über das Neue und umgekehrt sowie den "fortschrittlichen" Beigeschmack des Neuen in dieser Konstellation.

(9) "Es kann keine Unterscheidung geben ohne Motiv, und es kann kein Motiv geben, wenn nicht Inhalte als unterschiedlich im Wert angesehen werden." (Spencer-Brown, Gesetze der Form. S.1)

(10) Siehe Luhmann, Was ist Kommunikation? S.57.

 

 

Literatur

Chomsky, N. Thesen zur Theorie der generativen Grammatik. Mit einem Interview von Herman Parret. 2.Auflage, Weinheim: Beltz Athenäum Verlag, 1995.

Jonas, W. Design-System-Theorie, Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Design-Theorie. Essen: Die Blaue Eule, 1994

Luhmann, N. Was ist Kommunikation? S.41-63 in Gente, Paris, Weinmann (Hrg.) Niklas Luhmann Short Cuts. 2.Auflage, Frankfurt am Main, Zweitausendeins, 2001

Luhmann, N. Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinenTheorie. 7.Auflage, Frankfurt am Main, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1999

Maturana, H. Autopoiesis. S.21-30 in Zeleny, M. (Hrg.) Autopoiesis: A Theory of Living Organization. New York, North Holland, 1981

Spencer-Brown, G. Gesetze der Form. 2.Auflage, Lübeck: Bohmeier Verlag, 1999

 

 

Biografisches

Uwe von Loh wurde 1968 in Arnstadt geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er in Falkensee, Arnstadt, Warschau, Erfurt (Abi), Zittau (NVA), Dresden (Studium Festkörperelektronik), Halle und London (Studium Industriedesign). Seit 1999 promoviert er in Weimar. Nebenbei arbeitete er seit 1998 in verschiedenen Städten als freiberuflicher Designer, angestellter Informationsarchitekt und Konzepter sowie als Verlagsdirektor seines Möbelverlages. Uwe von Loh ist Vater einer Tochter und interessiert sich momentan für japanische Holzverbindungen und Haustechnik.