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Wolf Reuter

 

WISSEN IM DESIGN

von Wolf Reuter

 

1 Im Sumpf des Ungewissen

" Design ... verbleibt im Hybriden ... dieser Sumpf des Hybriden hat keine Grundlagen. Wir sind unser eigener grundloser Grund ... Wir sind der Sumpf, ... (Jonas 2001)

 

"O schaurig ist's über's Moor zu gehen,

wenn es wimmelt vom Haiderauche,

sich wie Phantome die Dünste drehn,

..." (von Droste-Hülshoff, 1907, S. 168)

 

Vielleicht ist das Schauern oder der (ich unterstelle) suggerierte Gestus des Schauerns angesichts des Ungewissen, diese numinos angehauchte Angst, verbunden mit einer gewissen Heroik angesichts von Abenteuer, eine der schwer umzugestaltenden anthropologischen Konstanten. Und dient - wie viele Angst - auch dem Überleben, weil sie, im besseren Fall, erhöhte Aufmerksamkeit bewirkt; im schlechteren lähmt sie.

Allerdings entwickelt dieses Gefühl heroischen Schauerns gegenüber der Grundlosigkeit des Design nicht der Designer, der meist mit existentieller Gewissheit und der Lust, daß er etwas schöpfen wird, diesen Beruf erwählte, nicht mit der Aussicht, dass er forschend etwas entdeckt, was es schon gibt. Dieses leichte Entsetzen hat eher derjenige, der sich, weil selbst einer ihrer Akteure, an der Wissenschaft orientiert.

Wissenschaft hat seit der Renaissance als Weg säkularisierter Neugier, seit der Aufklärung als Vehikel der Befreiung, seit der Industrialisierung auch als Instrument von Technikentwicklung und wirtschaftlicher und sozialer Machterweiterung eine hohe Wertschätzung erlangt. Die ihr eigenen Werte wie Wahrheit und Wertfreiheit, also subjektunabhängige Kriterien, schleichen sich druckvoll in jene Lebens- und Handlungsbereiche ein, deren Gestaltung von Normen und Werten abhängig ist, die sich die Subjekte dieser Handlungsgemeinschaften geben, nach denen sie zusammenleben, die sie ständig in Frage stellen und ständig erneuern. (Habermas 1968) Technik als anwendungsorientiertes Derivat von Wissenschaft folgt Werten wie Effizienz, Zweck-Mittel-Funktionalität, Leistungsmaximierung bei minimalem Input, darin wiederum nicht unähnlich Prinzipien der Ökonomie. Gesellschaftliche Normenfindung dem Diktat von Wissenschaftskriterien zu unterwerfen, Zusammenleben nach Kriterien von Wissenschaft und Technik zu organisieren, nach funktionaler Effizienz zum Beispiel, gehört zu den fragwürdigsten, aber doch wirksamsten Leistungen der Architekten ideologischen Über- und Unterbaus. Wie wirksam sie ist, zeigt sich an den immer noch von heftigen Wehen begleiteten Versuchen, sich aus diesem Denkkorsett zu befreien.

Insofern ist Wissenschaft nicht nur oberflächlich positiv konnotiert, - als verlässlich, sicher, objektiv - sondern eben diese und andere Eigenschaften und ihre Regeln sind tief im Denken über unsere Orientierung in der Welt verankert. Nur so erklärt sich eine gewisse Fixierung auf diese Autorität, aber auch jene Verwundung, die entsteht, wenn man sich aus dem "Schoß" der Wissenschaft, der Alma"Mater", dieser uterinen Geborgenheit hinausbegibt. Viel Reden gilt der Bewältigung dieser seelischen Verwundung, oder ist es die eines Weltbildes? Kategorien der Hygiene, wie "Reinigung", müssen herhalten, um die eigene angenommene Beschmutzung zu bewältigen.

Nehmen wir an, wir seien in autotherapeutischer Arbeit auf dem Weg zum Freien Blick ein wenig fortgeschritten. Wenn sich die Birne angesichts des Apfels nicht mehr schämt, eine Birne zu sein, wird es unromantisch und less sophisticated.

Und im übrigen: Spätestens seit Sartres Postulat, daß der Mensch und die Art seines Seins Gegenstand von Design auf der Basis von Nichts sei, und seit der Camus´schen Denkfigur vom sisyphelisch-absurden Trotzdem sollte der Umgang und das Leben mit dem Paradox zur unaufgeregten Selbstverständlichkeit geworden sein. Oder hinkt auch hier wieder eine anthropologische Konstante hinter besserer Erkenntnis her?

 

2 Wissenschaft und Design

Um die Rolle von Wissen als eine der Grundlagen im Design zu erörtern, ist diese kleine Polemik zwar befreiend, aber nicht ausreichend, um die beiden Domänen, von Wissenschaft und Design, ins Verhältnis zu setzen, Wissenschaft als die klassische Produktionsstätte von Wissen und Design als Konsument, Händler, Transformator oder auch Erzeuger von Wissen. Treffen wir zunächst einige Unterscheidungen. (Sie gehören bereits einer Kategorie von Wissen im Design an; wir können es "selbstreflektorisch" nennen.)

2.1 Unterscheidung 1: "Wissenschaft von Design" und "wissenschaftliches Design"

Die erste betrifft den trivialen aber manchmal vernachlässigten Unterschied zwischen Wissenschaft vom Design und wissenschaftlichem Design. Die "Wissenschaft vom Design" macht die Phänomene des Design zum Gegenstand ihrer Betrachtung (= Theorie) und versucht, möglichst zutreffende Aussagen über diesen Gegenstand zu machen und diese, wenn möglich, in einen Zusammenhang zu bringen. Sie gelten, nach derzeit für den Wissenschaftsbetrieb gültigen Regeln, bis sie jemand widerlegt. Sowohl der Satz: "Es gibt wissenschaftliches Design" als auch "es gibt kein wissenschaftliches Design" könnten solche Aussagen sein, allerdings nach geltenden Regeln nicht in der gleichen Theorie. Die Wissenschaft vom Design ist ein Gebiet der Wissenschaft und als solches nicht bestreitbar.

"Wissenschaftliches Design" hingegen ist eine Feststellung darüber, dass Design als Vorgang oder Produkt wissenschaftlichen Regelansprüchen genüge. Das ist bestreitbar.

 

2.2 Unterscheidung 2: Design und Wissenschaft

Die zweite Unterscheidung tut eben dies, bestreitet damit die Möglichkeit wissenschaftlichen Designs im Prinzip. Sie behauptet, Design und Wissenschaft seien so weitgehend verschiedene Konzepte, dass sie sich wechselseitig ausschließen. Zwar sind beides innovative Tätigkeiten, die eine erzeugt neues Wissen, die andere neue Produkte; aber genau dadurch ist die Art ihrer Problemstellung wesentlich anders.

Was sind wesentlich unterscheidende Merkmale? (Popper, Rittel)

(UM1) Wissenschaft steuert verlässliches Wissen über die vorhandene Welt an; Design steuert neue Produkte, Erweiterungen der realen Welt an.

(UM2) Wissenschaft hat sich personenunabhängiger Objektivität verpflichtet; design basiert auf Überzeugungen und Urteilen von Personen.

(UM3) Wissenschaft erzeugt universale Aussagen; design spezifische pro Objekt.

(UM4) Wissenschaft minimiert die Effekte ihrer Intervention in die Situation der Untersuchung; design erzeugt willentlich Änderung.

(UM5) Wissenschaft erzeugt faktisches und explanatorisches Wissen; design vorrangig deontisches und instrumentelles Wissen.

(UM6) Die Sollsetzungen in der Wissenschaft, ihre eigenen deontischen Prämissen wie Objektivität und Wertfreiheit, sind zeitlich relativ stabil und nur am Rande Gegenstand von Diskussion. Noch gilt Poppers Falsifizierbarkeits-Gebot sowie einige no-no´s wie Abschreiben und Fälschen. Sie sind im Normalbetrieb nicht Gegenstand der Tätigkeit von Wissenschaft selbst. Wichtig ist vielmehr, um das Paradox des Wertes der Wertfreiheit zu umgehen, die wissenschaftseigenen Wertfragen, zu denen u.a. Ansprüche auf Wahrheit, Relevanz, Fruchtbarkeit, Erklärungskraft, Einfachheit, Genauigkeit gehören, von denjenigen Wertfragen zu unterscheiden, die außerhalb von Wissenschaft liegen.

Design hingegen dreht sich vorrangig um Soll-Fragen. Sie stehen im Zentrum der Designdiskussion vom ersten Konzept bis zum letzten Detail.

Es gibt deren mehr.

 

2.2.1 Pros und Contras der Unterscheidung

Es gibt sicher einige Erfolge der Strategie, die beiden Konzepte so zu deuten, dass sie überlappen oder eines das andere enthält. Grenzgänger steuern dies an. Prinzipien wie Praktikabilität beim Kommunizieren, also umgangssprachliche Vermittlung, oder auch eine Aesthetik der Trennschärfe sprechen für eine Strategie, durch die Konzentration auf die Kerne der Konzepte ihre Kraft der Unterscheidung zu erhalten.

Einige Design-Theoretiker tendieren zu einem stretching der Konzepte. Eines ihrer Argumente: (Theorie-) Modell-Entwicklung ist Design. Nur eingeschränkt richtig; denn: Die Modelle der Wissenschaft orientieren sich an dem Ideal der Abbildungen vorhandener Realitäten, nicht vorgestellter wie im Design. Zu den Regeln von Wissenschaft gehört, ihre Richtigkeit, sprich ihren Wahrheitsanspruch der Überprüfung durch andere Wissenschaftler zugänglich zu machen. Die Überprüfung der Modell-Annahmen und der Modell-Folgerungen kann zur Verwerfung/Ablehnung/Falsifizierung führen. Für die Überprüfung gibt es Regeln. Im Betrieb des Design hingegen gibt es dafür keine Regeln; Kritik führt allenfalls zu gleichberechtigten gut/schlecht - Urteilen, nicht zu zu einer Entscheidung über eine wenn auch vorläufige "Wahrheit", eine für ein neues Designprodukt unangemessene Kategorie.

Ein anderes Argument: Wissenschaft mit ihren Regeln ist selbst ein Konstrukt, ein Artefakt, ein Design-Produkt. Richtig. Jedoch nachdem diese Regeln gesetzt wurden, funktioniert der Betrieb Wissenschaft nach diesen Regeln und dies sind andere Regeln als diejenigen, nach denen der Designbetrieb arbeitet. (Im übrigen gibt es diese rätselhaft-sinnvolle Passung zwischen Instrument und Aufgabe (Maturana). Wissenschaft hat andere Aufgaben als Design. Frei, als deontische Setzung, war das Design von Wissenschaft nicht. Die Fähigkeit zur Wissenschaft war evolutionär vorteilhaft.)

 

3 Wissen im Design

2400 Jahre nach jenem paradoxen "ich weiß, dass ich nichts weiß", 300 Jahre nach Berkeleys präkonstruktivistischer Idee, dass die Welt in unseren Köpfen gemacht werde, 120 Jahre nach Nietzsches Zertrümmerung der Gültigkeitsansprüche zentral gegebener Weltbilder und der psychologisierenden Relativierung anthropogener Konstrukte (wie Wissen), 50 Jahre nach Poppers Einschränkung sicheren Wissens und 30 Jahre nach Rittels Feststellung einer "Symmetrie der Ignoranz" beim Design und der bitteren Erkenntnis,trotz besten Wollens gerade die Folgen erwogener Maßnahmen nicht wissen zu können (Rittel 1973), liegt es nahe, Design nicht auf die Grundlage von Wissen zu stellen.

Dennoch - und im vollen Bewußtsein des Hauchs von Paradoxie - sei die herausragende und grundlegende Rolle von Wissen im Design postuliert. Ein Designer handelt, aber er handelt nicht ohne Wissen. Design verbindet Handeln mit Wissen. Im Unterschied zu "Glauben" besteht das "Wissen" des Designers zumindest darin, daß er als Akteur seinen Aussagen zum Zeitpunkt des Handelns aus Gründen Geltung zuschreibt.

(Die Frage, ob Wissen absolut feststellbar, gegeben sei oder ob es eine anstrengende Konstruktion unseres Gehirns sei, ist in diesem Zusammenhang wenig wichtig. Letztlich erschwert die erste und erleichtert die zweite Position nur die designerischen Diskussionen. Die Vertreter der konstruktivistischen Version erheben keinen Absolutkeitsanspruch, sondern gestehen der Position des anderen "Konstruktivisten" zunächst gleichberechtigte Geltung zu und entwickeln auf dieser Basis argumentative Überzeugungsversuche. Das ist praktischer und weniger lästig als gegen Abolutheitsansprüche anzugehen, zumal sich in beiden Fällen gleichermaßen Diskurse entzünden.)

 

3.1 Welche Arten von Wissen gibt es im Design

"Ein Modell des Wissens ... beschreibt das Wissen eines Akteurs als Menge von Wissenselementen, die je als Aussagen faktischer, deontischer, instrumenteller oder erklärender Natur dargestellt werden können". (Kunz, Rittel 1972, S. 40) Später fügte Rittel "konzeptuelles" Wissen hinzu. Es ist ein Modell des Wissens von Handelnden. Voraussetzungen sind, Wissen (1) nicht losgelöst von Handeln, und (2) nicht losgelöst von einer Person und (3) nicht beschränkt auf universales Wissen, und (4) bezogen auf eine Zeit, in der ein Akteur weiß, zu repräsentieren.

Es ist ein (wie) auf Designer zugeschnittenes Modell. Designer sind Handelnde in der Zeit, benötigen Wissen für ihr Handeln, und der größere Teil ist situationäres oder spezifisches (nicht universales) Wissen.

Faktisches Wissen beschreibt, was der Fall ist. Dazu gehört z.B. physikalisches und chemisches Wissen, analytisches Wissen über eine konkrete Situation, über Benutzerverhalten, Ergonomie, über den kulturellen Kontext.

Deontisches Wissen beschreibt, was der Fall sein soll. Dazu gehören alle Festlegungen in den Plänen, einschließlich der Entscheidung über die Verwendung einer bestimmten Technik, eines Materials, einschließlich auch der ästhetischen Aussagen.

Nach längerer Berufspraxis schält sich ein persönlich an- und zugeeignetes Wissen heraus, auf das aus Routine oder Überzeugung zurückgegriffen wird, eine auf Erfahrung beruhende Urteilskraft, die "Phronesis", die dem deontischen Wissen zugeordnet werden kann.

Instrumentelles Wissen beschreibt, wie etwas erreicht werden kann, auf welche Weise eine Sollvorstellung in die Realität überführt werden kann; z.B. mit welchem Trick eine in der Oberfläche bündige Verbindung zweier Teile konstruiert werden kann, wie man Kunststoff verformen, Metall dauerhaft und umweltfreundlich verkleben kann, etc.

Erklärendes Wissen bezieht sich auf Ursachen eines Problems, aber auch auf zukünftige Entwicklungen und in Kausalketten und Netzen verlaufend Wirkungen, z.B. die ökologischen Folgen der Verwendung von Aluminium oder Tropenholz, die Wirkung der Anordnung von Bedienungselementen, etc; dies im Bewußtsein der Unsicherheiten über Wirkungen, der konstruierten Kausalitäten in chaotischen Gefügen, der Konstruktivität auch von Wahrnehmung, der Unendlichkeit der Ketten.

Konzeptuelles Wissen beantwortet Fragen der Art, was unter einer Sache zu verstehen sei. Manche Definitionen sind eindeutig, manche Verständnisse umstritten. Was soll z.B. unter "zeitlosem" Design, unter "funktional" oder unter "recycling" verstanden werden?

Dieses Modell von Wissen des Designers - so die Behauptung - ist vollständig.

Diese Art Klassifizierung ist offensichtlich unabhängig von den gängigen Wissensklassifiktionen, die der Wissenschaft entstammen. Im Design gibt es keine fachlichen Orte und Grenzen, sondern Einzugsgebiete, die um Probleme herum organisiert sind. Wissen wird auf je anstehende Probleme hin bezogen gesucht, ausgewählt, für relevant erachtet und auf die Problemlösung hin fokussiert und verarbeitet.

 

3.2 Wie wird Wissen im Design erzeugt und verarbeitet?

Die Verschiedenartigkeit des Wissens im Design legt verschiedene Arten seiner Erzeugung nahe. Offensichtlich kommt Faktenwissen anders zustande als deontisches. Tatsachen festzustellen und Erklärungen für Phänomene zu liefern gehört zu den Fähigkeiten der Wissenschaft. Um derartige Erkenntnis zu gewinnen, wendet die Wissenschaft folgende Methode an (Popper 1972, S. 106,116): Wissenschaftler schlagen Lösungsversuche vor; sie müssen sachlicher Kritik, also einem Widerlegungsversuch, zugänglich sein; wird ein Lösungsversuch widerlegt, so wird ein anderer vorgeschlagen; jeder Lösungsversuch gilt nur, solange er nicht widerlegt wurde. Wissen ist folglich immer vorläufig und versuchsweise. Die Widerlegungsversuche bedienen sich rationaler Kritik. Deren Methode ist die deduktive Logik. Die Kritik richtet sich auf den Wahrheitsanspruch.

Es gibt einiges Wissen im Design, das auf diese Weise erzeugt wird. Es liegt ausnahmslos innerhalb der Kategorien des "faktischen" und "erklärenden" Wissens im Design. Es ist überwiegend universal, kann jedoch auch spezifisch sein wie die Prognose eines Systemverhaltens, z.B. der Verkehrsentwicklung oder von Konsumgewohnheiten von Lebensstilgruppen. Zu dieser Art gehört Wissen um physikalische Gesetze, Thermodynamik, Akustik, Statik, Dynamik, chemisches Verhalten von Stoffen, Legierungen; über Wirkungen von Maßnahmen in der Zukunft, über Stoffströme, Energiebilanzen, soziales Verhalten, wirtschaftliche Betriebsführung, etc. Doch bereits der Versuch, Wirkungen von Maßnahmen in der Zukunft zu ermitteln, stößt auf einige prinzipielle Grenzen. Die Erklärungsmodelle erweisen sich als Konstrukte eines ordnenden Gehirns angesichts chaotischer Verläufe (Bunge), Wirkungsketten können in ihren unendlichen Verzweigungen nicht "gewußt" werden (Rittel), Wahrnehmung unterliegt angestrengter Hirntätigkeit der Subjekte (Neisser). Um so umstrittener ist diesbezügliches Wissen.

Die entscheidenden Aussagen des Designers betreffen jedoch, dass ein Produkt, ein Detail, eine Technik, eine Farbe, ein Material diese oder jene Ausprägung annehmen soll. Dabei können Wissenspartikel faktischer oder erklärender Art als stützende oder bezweifelnde Argumente in einer solchen Solldebatte verwendet werden. Die Debatte entsteht gerade angesichts des prinzipiellen Mangelns an objektivierbaren, zureichenden Gründen für derartige Entscheidungen. Sollaussagen stehen im Zusammenhang mit der ästhetischen Überzeugung des Designers, mit stilistischen Vorlieben, seiner Einstellung zur Klientel, zum Benutzer seiner Produkte, mit seiner Verantwortung gegenüber der Umwelt, kurz, seinem Wertsystem im weitesten Sinn.

Nun könnte man annehmen, bei einiger Selbst-Klarheit würde er, gewissermaßen als je konkrete selbstreferentielle Ausflüsse dieses Wertsystems, seine deontischen Aussagen daraus entnehmen oder ableiten zu können. Diese Annahme ist falsch. Vielmehr arbeitet er in einem sozialen Kontext. Er arbeitet professionell als Auftragnehmer eines Auftraggebers für eine Zielgruppe, deren beider Wertsysteme bei genügend feiner Betrachtungsweise vom eigenen verschieden sind. Auch ist sein eigenes Wertsystem weder a priori gegeben noch statisch, sondern hat sich entwickelt und ändert sich mit der Zeit. Sowohl die Entstehung von Sollvorstellungen als auch deren Änderung als auch ihre jeweilige Ausprägung im konkreten Fall eines Produktdesign - Prozesses ist Resultat von sozialen Austauschprozessen in Form von externen oder inneren Diskursen, in denen ein Designer ständig steht, sei es als Rezipient oder Rebell in seiner Sozialisationsphase, sei es als Diskussionspartner in einem round table Gespräch mit Vertriebsleiter, Produktmanager, Firmenchef, Finanzabteilung, Techniker etc. Zu den Diskursen des Designers gehört außer den situationären konkreten Austäuschen auch, daß er sich aufnehmend, abwehrend, beitragend in jenem vielfältigen chaotischen Feuern von Informationspartikeln in verschiedenen Arenen befindet, zu denen z.B. die Feuilletons, die Kulturprodukte von Malern, Musikern, Literaten, Dramaturgen, die Fernsehreklamen, Videoclips, lifestyle-Seiten der Illustrierten, die Fachzeitschriften und Messen gehören. Er arbeitet in einem sozialen Kontext, in dem der überwiegende Teil gerade des Sollwissens erst erzeugt wird, in der bei jeder Frage nach Mitteln und dem Einsatz von Techniken nicht nur Möglichkeiten gesucht, sondern jeweils auch nach ihrer Erwünschtheit gefragt wird; in dem angesichts einer Menge analysierter Daten gefragt wird, welche Bedeutung ihnen zuzumessen sei, wie sie zu interpretieren seien, welche Relevanz sie für eine Designentscheidung haben sollen.

Der überwiegende Teil des im Design genutzten Wissens ist soziales Konstrukt. Dies erzeugt zunächst eine gewisse Ratlosigkeit, da bei angenommen gleicher Berechtigung der Präferenzsysteme keiner sagen kann, ob der andere nicht besser weiß, was gesollt werden soll. Es ist genau die Situation, für die Rittel das geschliffenen Wort von der "Symmetrie der Ignoranz" erfand.

Die Sozialwissenschaften, wie die kritische Theorie sie postuliert, bietet methodische Hilfe. Habermas führt die Möglichkeit der Argumentation für und gegen Einstellungen ein, mit der Aussicht, dadurch zu "wahrheitsfähigen" Aussagen zu gelangen. (Habermas 1972, S. 91)

Er tut dies, um bornierte Einzelinteressen - bei Designern könnte man sagen: deren private Idiosynkrasien - von verallgemeinerungsfähigen zu unterscheiden, um gegen einen prinzipiellen Subjektivismus und Relativismus die Kraft des guten Arguments zu setzen. Diskurse sind die geeignete Methode, um die Überzeugungskraft des guten Argumentes in normativen Fragen zu entfalten.

Wie Habermas es für die Entwicklung von handlungsleitenden Normen für moderne Gesellschaften fordert, so entwickelt Rittel das Konzept der Argumentation für die Prozesse des Design. Kommunikation im Diskurs, Argumentation sei das Verfahren, durch welches Wissen im Design erzeugt und verarbeitet wird. Damit wird gleichzeitig dem Konzept einer kommunikativen Rationalität gegenüber einem instrumentellen und szientistischen Rationalitätskonzept Vorrang gegeben. (Reuter 2001)

Argumentation entzündet sich nicht nur an Sollfragen, sondern - so zeigt die Beobachtung designerischer Diskursverläufe - auch an faktischen und explanatorischen Behauptungen (siehe die Ausführungen zu Wirkungsgefügen und Wahrnehmung, Reuter 1999) sowie an instrumentellen und konzeptuellen Fragen. (Welche Verbindung hält länger? Was ist "gute Form"?). Dabei ist unerheblich, ob derartige Argumentationen zwischen verschiedenen Partnern explizit und in wörtlicher Rede geäußert geführt werden, oder ob sie im Kopf eines einzelnen Designers intern verlaufen, indem er mit sich selbst argumentiert und dabei auch Argumente externer Bezugspersonen gleichsam simuliert. (Rittel 1988)

Diskurse haben Struktur. Positionen werden zu Streitfragen eingenommen. Argumente stützen oder greifen Positionen an. Diese "Wissenspartikel" entstammen den verschiedensten Wissens- oder Interessenbereichen. Zu instrumentellen Fragen, z.B. einem Dichtungsproblem, können Argumente aus Physik, Chemie, aus dem Finanzsektor, aus der technologischen Ecke stammen, oder auch als juristischer Einwand, unter ästhetischen Aspekten oder Gesichtspunkten der Umweltverträglichkeit auftreten.

Die bisherigen Überlegungen lassen ein besonderes Profil von Wissen im Design erkennen: es ist unsicher, umstritten, unvollständig, problembezogen und a-disziplinär, mit einer eigenen Klassifikation und einer argumentativen Evidenz. Sie weisen ferner auf einige andere Merkmale der Erzeugung und Verarbeitung von Wissen hin. Wenn Wissen jeweils problembezogen erzeugt wird, dann ist es nicht wohlgeordnet an einem Ort oder bei einer Person und auch nicht vollständig vorhanden. Daher gehören Vorgänge des Suchens (wer weiß wo was worüber) und Findens, eine Art "Information Scouting" ebenso dazu wie die Bewertung gefundenen Wissens und seine Selektion unter Relevanzgesichtspunkten. Auch wird offenbar, daß Design bedeutet, auf der Grundlage unvollständigen Wissens zu entscheiden; Diskurse enden aus Zeit-, Geld-, oder Lustverknappung oder wenn Argumentationen sich zu sättigen scheinen, abgesehen von der Unmöglichkeit, die infiniten Wirkungen zu wissen. Und schließlich zeigt sich, daß es zwar eine Teilmenge designerischen Wissens gibt, das ­ in Kenntnis der üblichen Halbwertzeiten von Wissen - fest ist, daß es Fähigkeiten gibt, die geübt werden können, daß es jedoch bei großen Teilen designerischen Wissens um die Prozesse seiner Erzeugung, seiner Aneignung, Verwertung und Verwandlung geht. Auch dies sind lehrbare Grundlagen des Design.

Wir könnten nun unser Thema beschließen und als Hauptweg der Erzeugung und Verarbeitung von Wissen im Design, neben der in schwächerer Rolle auftretenden wissenschaftliche Methode, die Methode der Argumentation im freien Diskurs belassen. Jeder freie Designer weiß jedoch, wie "frei" der Diskurs in manchen realen Situationen seiner tägliche Praxis ist und wie ungewichtig fallweise das bessere Argument ist - abgesehen von der Frage, wer darüber entscheidet. Die Kategorie der Macht kann bei der Erzeugung und Verarbeitung von Wissen im Design nicht ausgeblendet werden.

 

3.3 Macht und Wissen im Design

Es gibt genügend empirische Evidenz zur Stützung der These, dass letztlich die Macht entscheide, nicht das rationale Argument. Ein Akteur setzt sich gegen noch so gute Argumente durch, weil er Macht besitzt und ausübt, zugunsten seines partikularem Interesse.

Die Tatsache des Design selbst, also Produkte zu entwerfen, die das Verhalten und die Umgebung von Menschen in der Zukunft formend beeinflussen, kann als Wille zur Macht ausgelegt werden, von Nietzsche ohnehin als treibendes Motiv allen Handelns behauptet. Innerhalb einer solchen Theorie stimmig, würde auch das gute Argument nur als eines von vielen möglichen Mitteln zur Durchsetzung eigenen Wollens gegen Widerstand anderer gelten. Damit wären wir durchaus konform mit Webers hundert Jahre alter Definition von Macht und mit dem (wessen?) Diktum, dass Wissen Macht sei. Hier ist nicht der Ort, Struktur, Logik, Wirksamkeit, Formen oder Legitimation von Macht zu entwickeln (vergleiche dazu Reuter 1989). Zur Vollständigkeit einer Theorie der argumentativen Erzeugung und Verarbeitung von Wissen gehört jedoch die Foucault'sche Feststellung, das Diskurse in soziale Strukturen eingebettet sind, und dass soziale Strukturen auch Machtstrukturen aufweisen, die ihrerseits die in der sozialen Konstellation entstehenden Diskurse mitformen. Es gibt Verbote, Rituale, Tabus, durch die Themen überhaupt verhindert, beschränkt behandelt, andere ersatzweise gesetzt werden.(Foucault ...) Es sind - auch im Design - einzelne Personen oder Gruppen, Schulen, Zeitschriftenherausgeber, Lehrende, Kritiker, gewisse Eliten des Kulturschaffens und des sog. Guten Geschmacks, die solche Beschränkungen setzen, die darüber bestimmen, wer ein guter Designer ist, was zu den Unmöglichkeiten oder zu den highlights gehört. Auch der Zugang zu derartigen Diskursen ist typischerweise beschränkt, und es bedarf heftigen "powerns", um teilnehmen zu dürfen und seinem Argument Gewicht zu geben, dem gleichen Argument, welches, außerhalb des Machtschauplatzes geäußert, keinerlei Wirkung entfaltet.

Habermas, der kommunikatives Handeln und Konfliktaustragung mittels Diskursen auf hohem Abstraktionsniveau als Prinzip der Normenfindung in modernen Gesellschaften formuliert, fordert folgerichtig auch ideale Bedingungen für diese Diskurse. Er formuliert sie gerade "kontrafaktisch". (Habermas 1981) Die Möglichkeit , im Diskurs "Wahrheit" zu finden, kann nur unter Bedingungen der Machtfreiheit realisiert werden. Diese insofern normative Theorie hat zwei Vorteile. Zum einen kann sie, als normative, nicht durch Fakten widerlegt werden. Zum anderen stellt sie durch diese radikale Normativität als ein immer anzunäherndes Ideal eine Orientierung dar, die auch und gerade dann wirkt, wenn das Ideal in einer konkreten Situation nicht erreicht wird.

In der gleichen aufklärerischen, aber zudem in einer pragmatistischen Tradition stehend hat Rittel den Schwerpunkt auf Argumentation als die Methode der Problemlösung gelegt, vom Wahrheitsanspruch und der Idealität der Diskurssituation jedoch abgesehen. Rittel setzt gerade auch in Machtsituationen auf die Kraft der Argumente, die, subversiv wirksam, ihrerseits Macht entfalten, indem sie nicht legitimierten Machtgebrauch selbst zum Gegenstand haben und dadurch sukzessive auflösen können.

Die Wechselwirkung von Diskurs und Macht ist Gegenstand anderer Untersuchungen (Reuter 2000, 2001). Eine Folgerung aus dem faktischen Einfluss von Macht auf die oben beschriebenen Prozesse der Wissensverarbeitung im Design sei gezogen: Um nicht mit methodisch - wissenschaftlicher Korrektheit oder argumentativem Purismus ins Abseits zu geraten, ist es angeraten, neben der fachlichen und argumentativen Kompetenz die Mechanismen und Techniken der Macht selbst dem Corpus professionellen Wissens einzuverleiben, um so erfolgreich agieren zu können.

 

Schlussbemerkung

Design ist eine gesonderte Art menschlicher Tätigkeit, die mit den anderen unterscheidend verglichen werden kann, nicht aber vergleichend verschmolzen werden soll. Dementsprechend gesondert ist das Wissen im Prozess des Design, einschließlich der Art, wie es erzeugt, organisiert, eingeschätzt und verarbeitet wird. Dieses Wissen ist eine der Grundlagen des Design.

Zu den Grundlagen gehört ferner die ständige theoretische Selbstvergewisserung mit dem unterscheidenden Herausschälen seiner Besonderheiten, die Analyse der "Logik" seines Denkens, die Konzepte von zugrunde liegender, handlungsleitender Rationalität, seine ethischen Orientierungen, die Methodik des Vorgehens beim Entwerfen und in einem etwas weicheren Sinn alle jene Kompetenzen, die zur Ausübung speziell des Designerberufs befähigen, wie z. B. Erfindungsgabe, Urteilskraft, Darstellung und Kommunikation. Es ist ein Wissen, das sich nicht auf die Techniken, die in einem Produkt angewendet werden, sondern darauf bezieht, wie ein Designer mit Wissen umgeht ­ man könnte es auch instrumentelles Wissen zweiten Grades nennen. Auch Kompetenzen sind durch Übung, Erfahrung und Analyse ihrer Struktur bis zu einem gewissen Grad lernbar und lehrbar. Als besondere Klasse instrumentellen Wissens sollten sie jedoch unterschieden und gesondert behandelt werden.

 

Literatur

Droste-Hülsoff, Anette von (1907), Der Knabe im Moor, in: Gedichte, S. Fischer Berlin, S. 168

Foucault

Habermas, Jürgen (1968): Technik und Wissenschaft als Ideologie, Suhrkamp Frankfurt

Habermas, Jürgen (1972): Wider einen positivistisch halbierten Rationalismus, in: Adorno, Th.W. et al (Hrsg.) Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Luchterhand Verlag Darmstadt

Habermas, Jürgen (1981): Theorie des Kommunikativen Handelns, Suhrkamp Frankfurt

Jonas, Wolfgang (2001), Design - The Basic Paradox - Grundlagen für eine grundlose Disziplin, Exposé zur Aufforderung zu Beiträgen zu einem Buch über Grundlagen des Design, e-mail

Kunz, Werner; Rittel, Horst (1972): Die Informationswissenschaften, Oldenburg Verlag, München

Popper, Karl (1972)¨Die Logik der Sozialwissenschaften, in: Adorno, Th. W. et al (Hrsg.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Luchterhand Verlag Darmstadt

Reuter, Wolf (1989): Die Macht der Planer und Architekten, Kohlhammer Stuttgart

Reuter, Wolf (1999): Sisyphelische Götterspeise ­ bittersüß, in: Götz, Matthias (Hrsg.): Tabasco

Reuter, Wolf (2000): Zur Komplementarität von Diskurs und Macht in der Planung, in: DISP 142

Reuter, Wolf (2001): Rationalitätskonzepte im Design, in: Cordula Maier(Hrsg.): Design Theorie, Beiträge zu einer Disziplin, Anabas Verlag Frankfurt a.M.

Rittel, Horst; Webber, Melvin (1972): Dilemmas in a General Theory of Planning, , in: Policy Sciences IV, ..., deutsch in: ders.: Planen Entwerfen Design, Kohlhammer Stuttgart 1991

Rittel, Horst (1973): The Systems Approach of the First and Second Generation, deutsch in: ders.: Planen Entwerfen Design, Kohlhammer Stuttgart 1991

Rittel, Horst (1988). Argumentative Reasoning in Design (?), deutsch in: ders.: Planen Entwerfen Design, Kohlhammer Stuttgart 1991

 

(Literaturbezug und -angaben noch zu überprüfen, da beim Schreiben nicht zur Hand)

 

Biographisches

1943 geboren in Göttingen, dort 3 Tage. Danach Gärten, Bauernhöfe, Nachkriegswirren. 1948 Friedberg, nahe Goethes Geburtsstadt. Straßengangs. Unter den Namen Fritz Walter oder Toni Turek Fußball gespielt, Elvis Presley die Hand geschüttelt, später Homer, Nietzsche, Benn. 1963 drei Tage Gefängnis in Braunschweig. 1969 Diplom Stuttgart, 1971 Master Berkeley. Danach ein halbes Jahr u.a. Waikiki, Kyoto, Hongkong, Kuta, Medan, Singapur, Mae Hong Sorn, Kalkutta, Kathmandu, Kajurao, Kabul, Beirut. Kooperation, Promotion, Habilitation mit Horst Rittel. Bildhauerwerkstatt 2 Jahre, Architekturbüro 8 Jahre. Entwurfs- und Planungstheorie, Schwerpunkt Macht.