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Jan Meyer-Veden

 

STRAMPELN - STRAMPELN - STRAMPELN! EIN FROSCHGELEITETER VERSUCH ZUR GEWINNUNG VON BODEN UNTER DEN FÜSSEN

von Jan Meyer-Veden, Februar 2002

 

"Eine unpassende Ausdrucksweise ist ein sicheres Mittel

in einer Verwirrung stecken zu bleiben; sie verriegelt gleichsam

den Ausweg aus ihr." ( Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen )

 

Die eingestandenermaßen undankbare Situation, in der sich unser aller pium desiderium nach einer Designtheorie also befinden soll, ist nicht so neu wie es zunächst den Anschein haben mag, erfährt man, mit welcher Art von zeitgeistigen Übeln wir es darin zu tun haben: Selbstreferentialität, organisierte Komplexität, floating subject matter, Selbstähnlichkeit u.ä. Schon Friedrich Schleiermacher begann jedoch seine Dialektik von 1814 mit den Bemerkungen: "Jede gemeinschaftliche Untersuchung leidet am Anfang durch die schwere Aufgabe einen Anknüpfungspunkt zu finden æ Am meisten die gegenwärtige, weil der Gegenstand derselben gar nicht außerhalb der Untersuchung vorhanden ist, also beide eins und dasselbe sind."[ 1 ] - Daß schließlich dennoch ein stattliches Werk über jenen Gegenstand, die Dialektik, entstanden ist, mag Schleiermacher selbst überrascht haben, denn auch wenn er das beschriebene Problem nicht eigentlich als ein Paradox ausweist, trägt es doch gewisse Züge eines solchen. Aber: ein Paradox ist nicht auflösbar, es führt kein Weg aus ihm heraus, und im Falle, daß es sich um ein echtes Paradox handelt, auch keiner an ihm vorbei!

Für eine Theorie wäre das Auftauchen eines Paradox deshalb katastrophal; sie ist dadurch außer Kraft gesetzt und an dem Anspruch gescheitert etwas erklären zu wollen. Das einzige System, in welchem Paradoxien enthalten sein können ohne solchen Schaden anzurichten, ist naturgemäß dasjenige der Logik im weitesten Sinne; der Grund hierfür liegt allein in der Tatsache, daß die logischen Kategorien statisch sind, denn: "In der Logik darf keine Bewegung werden; (...) die Logik ist, und alles Logische ist bloß, und diese Ohnmacht ist eben der Übergang der Logik zum Werden, wo Dasein und Wirklichkeit hervortreten."[ 2 ]

Ohne nun den seltsamen Seinsmodus der Logik eingehender zu bestimmen, wird doch einigermaßen deutlich, zu welch heillosem Durcheinander der Konsequenzen und Bedingungen wir gelangen müssen, wollten wir darauf bestehen, logische Begriffe in eine Kategorie zu alterieren, deren bestimmende Eigenschaft das Werden darstellt. In unser Vorstellung von der realen Welt, mit ihrer Zeitdurchflossenheit, kann es genausowenig echte Zirkularitäten geben, wie in Theorien, die sich auf diese Welt beziehen.

Nun mag diese Unterscheidung kleinlich anmuten, haben wir es doch auch in der realen Welt mit der Unmöglichkeit zu tun, uns an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, vulgo, gibt es doch auch eine umgangssprachliche Gebrauchsweise des Paradoxbegriffes, welche gewiß nicht gegenstandslos ist. Wer wollte das bezweifeln!

Und was dieser eher literarischen Auffassung vom Paradoxen an Strenge und Folgerichtigkeit gebricht, wird dadurch großzügig ausgeglichen, daß sie die schöne Eigenschaft besitzt gewissermaßen vollständig kompostierbar zu sein, daß sie, wie die Schale eines Samenkorns im feuchten Erdreich, sich unter näherer Analyse zersetzt, und daß sie, während aus ihren Resten der Keim des eigentlich gemeinten herausgrünt, diesem sogar noch als Nährstoffquelle dient.

Dieses Bild aufzuklären, und einen neuen konstruktiven Begriff anstelle des wenig passenden Wortes Paradox in Amt und Würden zu setzen, soll die unbescheidene Aufgabe des vorliegenden Textes sein, wobei ich zu meiner Rechtfertigung feststellen muß, daß ich keine Anstrengung für übertrieben halte, um einem Paradox zu entkommen, welches keines ist.

Am Beginn meines Versuches soll ein feiner, aber bedeutender Unterschied stehen; er befindet sich zwischen jenem Unglücksraben, dessen nasses Grab der Sumpf zu werden droht, und der sich wahrhaftig nicht an den eigenen Haaren aus demselben zu ziehen vermag ( was allerdings eher ein physikalisches Problem darstellt, mithin nicht als prinzipiell unlösbar zu gelten hat ) und dem Frosch und der Maus aus der Fabel, die in einen Milchtopf geraten waren und sich in höchster Not befanden, daß sie nicht in der Milch ertränken; die Maus, wohl der gebildetere von beiden, gab sich eingedenk des Sprichwortes von den Haaren und dem Sumpf, und in sicherer Einsicht der Unmöglichkeit ihrer Rettung verloren, wohingegen der Frosch, der von nichts wußte, einfach strampelte æ und strampelte æ und strampelte æ bis dadurch die Milch zu Butter wurde und er mit einem kühnen Sprung über den Gefäßrand setzten konnte! Diese Fabel illustriert indessen nicht bloß unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit Aporien, also unentscheidbar bis auswegslos erscheinenden Situationen, sondern erweist zudem die Gefährlichkeit der mißverstehenden Verwechslung von Realität und Logik. Aber: der Frosch als Designer und Designtheoretiker in einem, der sich seinen eigenen Boden unter den Füßen erzeugt, wie weit trägt uns diese Metapher?

Um diese Frage zu beleuchten kommen wir wohl nicht umhin, die Begriffe, mit denen wir arbeiten wollen sorgfältig zu differenzieren; wenn von Ungewißheit die Rede ist, von Kontingenz, Aporie u.ä., mag man versucht sein, eine genauere Unterscheidung innerhalb des Ungewissen für unmöglich zu halten, da diese Kategorie die Verschwommenheit ihres Inhalts zu teilen scheint. Dem ist nicht so! Für den Zweck unserer Betrachtung sollte es gelingen, zwei distinkte Arten von Ungewißheit auseinanderzuhalten. Ich meine hier an erster Stelle die Ungewißheit über Vorgefundenes, Vermutetes, über Zusammenhänge, die wir nicht erkennen, über Ursachen, welche wir nicht verstehen, kurz die Erkenntnisunsicherheit über reale Strukturen und Qualitäten; demgegenüber existiert jedoch eine zweite Form der Ungewißheit: nämlich diejenige über Zukünftiges und strenggenommen ist es nur sie, der man die Bezeichnung Ungewißheit zubilligen sollte, denn tatsächlich läßt sich über die Zukunft nicht das Geringste wissen, überhaupt ist Wissen untrennbar an Bestehendes, respektive hypothetisch Bestehendes geknüpft, so daß es geboten erscheint, den Begriff der Ungewißheit im Reich des Indikativischen durch den Terminus Unverständnis zu ersetzen. Solchermaßen ist auch bereits die Strategie zur Überwindung desselben gesetzt: Übersetzung, Auslegung und Deutung des Vorgefundenen mit dem Ziel, es zu verstehen. Außerdem wird in gewisser Weise durch den Begriff Unverständnis impliziert, daß etwas zu Verstehendes existiert; die Möglichkeit des Verstehens wiederum "...setzt voraus, daß die Verstandeskategorie zugleich Gegenstandskategorie ist."[ 3 ]

Über die Beziehung zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten gibt uns die Evolutionäre Erkenntnistheorie Auskunft, wie sie von Lorenz, Campbell, Vollmer, Riedl u.a. formuliert wurde: Dieser Theorie liegt die Annahme zugrunde, daß sich jene Eigenschaften unseres Nervensystems, die wir als Verstand oder Geist zu bezeichnen pflegen, ebenso durch biologische Evolution, und dadurch im Einklang mit ihren Gesetzmäßigkeiten entwickelt haben wie alle morphologischen Differenzierungen. Das bedeutet: Genauso wie jede erfolgreiche Anpassung einer Art an eine Umweltgegebenheit ( nach den Prinzipien von Mutation und Selektion ) als eine "Abbildung" dieser Gegebenheit betrachtet werden kann, nämlich indem sie Information über diese enthält, Information darüber woran der Organismus sich angepaßt hat, läßt auch die Struktur des menschlichen Erkenntnisapparates, d.h. aller physiologischen Leistungen, die uns vermitteln, wie die Welt um uns herum beschaffen ist, Rückschlüsse auf die Struktur der realen, außersubjektiven Probleme zu, deren Lösung besagter Erkenntnisapparat, im vollen teleonomischen Wortsinne, dient. Dergestalt ist evolutionäre Anpassung gleichbedeutend mit Kenntnisgewinn bzw. Verstehenszuwachs, doch wer oder was gewinnt hier Kenntnis?

Es ist das Genom, das seine Hypothesen ( Mutationen ) an den Kriterien des Milieus erprobt und entweder beibehält oder fallenläßt ( Selektion ); diese Methode "unterscheidet sich nur in einem Punkte ( und nicht einmal in einem sehr wesentlichen ) von derjenigen, die vom Menschen in seinem wissenschaftlichen Erkenntnisstreben angewandt wird: Das Genom lernt nur aus seinen Erfolgen, der forschende Mensch aber auch aus seinen Irrtümern."[ 4 ] Lorenz nimmt die Vergleichbarkeit, von der hier die Rede ist, zum Anlaß, drei Ebenen des Kenntnisgewinns übereinander zu schichten, die sich in ihren Strukturen nahezu gleichen, es sind dies: 1. der genetische, 2. der individuelle und 3. der kulturelle Kenntnisgewinn. Uns sollen hier in erster Linie die beiden letztgenannten interessieren, doch wird im weiteren Verlauf der Darstellung auch das genetische "Verstehen" von Welt noch einmal zu Worte kommen, um nämlich zu untersuchen, ob sich etwa ein gemeinsames Prinzip hinter dem Entstehen von Arten einerseits und dem Entstehen von Artefakten andererseits erkennen läßt.

Wie wird nun Kenntnis auf wissenschaftlicher oder subjektiver Ebene gewonnen, wie Unverständnis abgebaut? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, ist es notwendig, einiges zum Aufbau des Erkenntnisapparates sowie des Erkenntnisgegenstandes, der Welt, zu erläutern. In seiner ganzen Breite und Ausführlichkeit kann dieses Thema natürlich an dieser Stelle nicht entwickelt werden; ich versuche daher die Information so kompakt und verständlich darzustellen, wie es mir möglich ist und verweise im Übrigen auf die Arbeiten von Riedl, insonderheit den Titel "Strukturen der Komplexität".

Der Grundgedanke ist folgender: Erkenntnis, bzw. Verstehen, bedeutet die Einsicht in die Zusammenhänge eines gegebenen Systems mit den jeweiligen Untersystemen und Obersystemen, in die es eingebettet und aus denen es entstanden ist; auf Seiten des Erkenntnisgegenstandes sind mit Ober- und Untersystemen hierarchisch gestufte Ordnungen von Strukturen gemeint, die, in absteigender Richtung gelesen, aussagen, welches die Bestandteile des in Rede stehenden Objektes sind, und in aufsteigender Richtung jene übergeordneten Systeme, in welchen das Objekt selbst aufgehoben, d.h., als Bestandteil enthalten ist, repräsentieren. Beispiel: Betrachten wir einen Pudel, so befinden wir, daß er aus verschiedenen Körperteilen aufgebaut ist; unter anderem besitzt er vier Beine, und eines dieser Beine besteht aus Fell, Haut, Muskeln, Sehnen, Knochen usw., ein bestimmter Muskel dieses Beines wiederum zeigt sich uns als ein Zusammenschluß etlicher Muskelfasern, von denen eine bestimmte Faser ihrerseits aus Fibrillen, welche dann aus Myosinmolekülen bestehen etc. Diese Reihe kann bis zu den kleinsten uns bekannten Materiebausteinen, den Quanten, verfolgt werden. Andererseits ist dieser spezielle Pudel ein Königspudel und damit ein Haushund; in der Eigenschaft als Haushund ist er außerdem ein Hundeartiger, welche bekanntlich zu den Säugetieren gezählt werden, also ist auch unser Pudel ein Säugetier; demgemäß ist er noch ein Wirbeltier und ebenfalls ein Vielzeller etc.

Auf Seiten des Erkennenden stoßen wir auf eine entsprechende Gliederung, nur daß sie hier, anstatt von konkreten Strukturen von allgemeinen Gattungsbegriffen gebildet wird. Am Beispiel des Pudels bedeutet das: Der Pudel ist kein Pudel mehr sondern das Individuum einer Art; diese Art wird gemeinsam mit anderen verwandten Arten in einer Gattung zusammengefaßt, verschiedene Gattungen bilden eine Familie, verschiedene Familien eine Ordnung, etc. Nun ist auch dieses Individuum einer Art aus Körperteilen aufgebaut, diese aus Muskeln, Muskelfasern, Fibrillen, Molekülen etc., doch sind dem erkennenden Subjekt hiervon nur die Gattungsbegriffe zu eigen, die konkreten Fälle, z.B. eines bestimmten Muskels, gehören zum Pudel. Es ist dies die Funktionsweise unseres Erkenntnisapparates, daß er nach dem Prinzip der Subsumption, seinen Betrachtungsgegenstand in eine solche Hierarchie von Gattungsbegriffen einordnet um ihn darin zu verstehen, und wie wir gesehen haben, ist eine solche Vorgehensweise berechtigt, da der Gegenstand seinerseits eine hierarchische Anordnung von Eigenschaften besitzt, die ihn als Gegenstand differenzieren.

Auf Grundlage des bisher gesagten, können wir nun versuchen, die Frage zu beantworten, in welcher Weise die wissenschaftliche oder auch die individuelle Bildung eines Subsumptionsschemas der beschriebenen Art funktioniert; am Anfang steht hier natürlich dasUnverständnis über die Natur des jeweiligen Betrachtungsgegenstandes. Es kann jedoch eine Vermutung gebildet werden, ein Vorurteil, oder eine Hypothese. Da aber zweierlei Fragen zu beantworten sind, nämlich: Wozu gehört das Ding? und: Woraus besteht das Ding?, wobei sich mögliche Antworten auf die eine Frage aus der Beantwortung der anderen ergeben können, ist die Ausgangssituation in diesem Fall eine ähnlich paradox erscheinende, wie das Erzeugen bestimmter Grundlagen für eine Disziplin mithilfe derselben. Spätestens aus dem folgenden sollte jedoch deutlich werden, daß hier keineswegs eine logische Unmöglichkeit, eine Paradoxie vorliegt, sondern vielmehr eine evolutionär herausgebildete, den Tatsachen der realen Welt Rechnung tragende Strategie zum Umgang mit Unverständnis.

Am Beispiel des Pudels sähe eine solche Vorgehensweise so aus: Zunächst stellen wir eine Frage an unsere Wahrnehmung, die meistens zugleich eine Hypothese enthält, und zwar entweder in Richtung des Obersystems: Wozu mag das Tier gehören, ist es vielleicht ein Hundeartiger? oder in Richtung auf die Untersysteme: Woraus mag dieses Tier bestehen, hat es eventuell vier Extremitäten? Angenommen, wir entdecken so etwas wie vier Extremitäten an dem Tier, sind wir der Antwort auf die Frage in Richtung der Obersysteme ein Stück näher gekommen, denn es spricht nun einiges dafür, daß wir es mit einem Vertreter des Stammes der Wirbeltiere zu tun haben, zu welch letzterem auch die Hundeartigen zählen. Nun folgt die nächste Stufe der Vergewisserung: Fassen wir die Hypothese "Es könnte ein Hundeartiger sein." nun etwas allgemeiner und fragen: "Ist es vielleicht ein Warmblüter?" ( denn es könnte ja auch ein Amphibium, also ein Wechselwarmer sein ), müßten wir wieder die Untersysteme untersuchen, ob sich ein deutlicher Hinweis auf Warmblütigkeit finden läßt, z.B. ein Fell, oder Federn; hat das Tier nun eines von beiden, können wir in der Untersuchung fortschreiten, ist es jedoch nackt, drängt sich die Frage in Richtung der Obersysteme auf: "Ist es vielleicht kein Warmblüter oder gehört es etwa zu den Walen?". Diese Unsicherheit ließe sich wiederum mit einer Untersuchung der Untersysteme in Hinblick auf waltypische Merkmale beseitigen usf. Auf diese Weise umgehen wir das Problem, ein Ganzes nur durch seine Teile verstehen zu können, deren Natur sich jedoch erst in der Kenntnis des Ganzen offenbart; durch die Hintereinanderschaltung von Hypothesen und ihren Überprüfungen, die jeweils zwischen Ober- und Untersystemen oszillieren, ziehen wir den vermeintlichen Zirkelschluß entlang der Zeitachse auseinander, wobei sich ein Vorgang ergibt, den Riedl mit dem Begriff "iterativer Schraubenprozeß" anschaulich bezeichnet.

Ich hoffe, mir ist es gelungen, das Prinzip eines solchen Prozesses trotz der gebotenen Kürze einigermaßen deutlich herauszuarbeiten. Es ist aus anderen Bereichen, wie etwa den Geisteswissenschaften seit langem bekannt und wird dort mit dem Begriff "Hermeneutik" gefaßt, doch dürfte Riedl als erster auf die Entsprechung dieses Prinzips in den Methoden der Naturwissenschaften, aber auch in der Funktionsweise des uns angeborenen Erkenntnisapparates hingewiesen haben.

Bevor ich mich nun mit den Konsequenzen dieser Zusammenhänge auf die Frage nach der Beschaffenheit einer möglichen Designtheorie beschäftige, gilt es vordem noch, einen weiteren Aspekt von Erkenntnis einzuführen; es ist dies die Frage nach der Ursache von etwas: Nach Aristoteles besteht diese Frage, genau wie eine Ursache an sich, aus vier Teilen:

1. Woraus ist ein Ding entstanden? ( Materialursache, causa materialis )

2. Durch welche Kraft ist es hervorgebracht worden? ( Antriebsursache, causa efficiens )

3. Nach welchem Bauplan wurde es erzeugt? ( Formursache, causa formalis )

4. Zu welchem Zwecke wurde es erzeugt? ( Zweckursache, causa finalis )

Die Notwendigkeit der ersten drei causae gilt zwingend für alle Bereiche des Werdens und Erschaffens und nur die causa finalis läßt sich nicht in allen Schichten des Seins nachweisen; so ist ihre Bedeutung in der Schicht des Anorganischen suspendiert, sie fällt dort fast vollständig mit der causa formalis zusammen ( es ist beispielsweise nicht sinnvoll zu sagen, die Entstehung eines Gebirgsrückens habe etwa den Zweck, den Druck aufeinanderstoßender Kontinentalplatten auszugleichen; man würde die Qualität dieses Drucks, also die Naturgesetze der Plattentektonik, der Schwerkraft usw. vielmehr als Formursache, oder ihre Quantität auch als Antriebsursache des Rückens bezeichnen. ), in der Schicht des Organischen kann die causa finalis nur dann behauptet werden, wenn man den Imperativ der Arterhaltung und der Erhaltung des Gesamtsystems gewissermaßen personifiziert, so daß ein Biologe auf die Frage "Wozu haben Igel Stacheln?" wie selbstverständlich zur Antwort gibt "Um gegen Freßfeinde geschützt zu sein.", als hätten die Igel sich zu diesem Zwecke willentlich für ein Stachelkleid entschieden. Hartmann erkannte dies als er schrieb: "Im Wesen des Zweckes gerade liegt es, daß er ein irgendwie Wertvolles oder Seinsollendes sein muß wenn anders das Zweckverhältnis ein sinnvolles sein soll. In dieser Verbundenheit mit Werten kennen wir den Zweck dort, wo allein wir ihn wirklich aufzeigen können, in der Sphäre des menschlichen Tuns."[ 5 ] Und von allen Bereichen dieser Sphäre ist es derjenige der Künste, in dem die causa finalis in ihrer eigentlichsten Bedeutung auftritt: Die Erklärung "Ich habe es so gemacht, weil ich es wollte!" ist Ausdruck des höchsten und reinsten Grades von Zweckmäßigkeit, des Selbstzwecks.

Wie anders stellt sich die causa finalis doch im Designbereich dar! Der freie Wille des Gestalters ist hier nicht mehr alleinige Zweckursache für das Produkt. Er repräsentiert nun zu unterschiedlich großen Teilen den Willen des Auftraggebers sowie die Rahmenbedingungen, in welche das Produkt "eingepaßt" werden soll und zu guter Letzt auch noch ein wenig "gestalterische Freiheit".

Und schließlich die Wissenschaften: Wozu dienen ihre Produkte? Oder, um noch weiter zu gehen: Was sind eigentlich ihre Produkte? Betreiben die Wissenschaften, allen voran die Naturwissenschaften "fact production" oder gar "knowledge creation", wie Jonas vorschlägt, oder produzieren sie bloß Hypothesen, deren gewöhnliches Schicksal es ist, irgendwann über den Haufen geworfen zu werden? Ich glaube, aus dem bisher Entwickelten erhellt genugsam, daß vermutlich das letztere zutrifft; "Fakten", wenn es denn solche gibt, werden von der Wissenschaft nicht erzeugt, sondern schrittweise zum Verständnis gebracht. Der ganze Vorgang kann mithin als ein solcher des Verstehens bezeichnet werden; eine bestehende Welt, mit all ihren Kategorien und Zusammenhängen wird in diesem Prozeß erforscht und Stück für Stück in eine Sprache übersetzt, in der sie verständlich wird, ganz analog zur Übersetzung etwa eines Buches aus einem unbekannten Idiom unter Zuhilfenahme der hermeneutischen Methode. Die Produktion von Hypothesen, ohne die man dabei nicht auskommt ist eher als ein Randphänomen zu begreifen; im Vergleich zu Design- oder Kunsterzeugnissen erscheinen diese fast als Produkte zweiter Ordnung, jedenfalls muß eine Gleichsetzung von Design und Wissenschaft in Hinblick auf ihre Produktivität beträchtliche Verwirrungen sprachlicher und kategorialer Natur heraufbeschwören bis hin zur Behauptung Glanvilles, die Wissenschaften seien "a specific field of design".

Der eigentliche, und für die einschlägigen Zusammenhänge entscheidende Unterschied zwischen den "Disziplinen" Wissenschaft und Design kommt schließlich zu Tage, wenn man den Versuch unternimmt, beide in Hinblick auf ihren jeweiligen Gegenstand zu befragen; dem eingeschlagenen Weg folgend, dürfte einzusehen sein, daß als Gegenstand der Wissenschaften die reale Welt, insoweit sie unserem Erkennen zugänglich ist, gelten muß; jene liegen dieser gewissermaßen untrennbar an, so wie das Verstehen einer sprachlichen Formulierung nicht selbstständig, d.h. unabhängig von der Existenz dieser Formulierung zu denken ist. Das Wesen der Wissenschaft besteht demnach im Verständlichmachen ihres Gegenstandes, wobei sich ihre kategoriale Zuordnung als der Umgang mit Unverständnis von Seiendem erweist.

Demgegenüber befaßt sich Design mit Problemen der Ungewißheit, im Sinne der oben gemachten Unterscheidung, der Gegenstand dieser Disziplin ist folglich ein beständig konjunktivischer; anders ausgedrückt: Design ist die Kunst etwas zu erzeugen, zu designieren, das noch nicht existiert, aber existieren soll. Hier zeigt sich die Kategorie mit welcher Design sich herumzuschlagen hat: das Seinsollende. Sollen aber ist ein Ausdruck des subjektiv verwurzelten Zweckbegriffes, der etymologisch bereits in der Bezeichnung "Design" enthalten ist ( ital. disegnare æ beabsichtigen, bezeichnen ).

Bei oberflächlicher Überschau mag sich nun der Gedanke aufdrängen, Wissenschaft und Design verhielten sich zueinander reziprok, indem das eine die Umkehrung des anderen ist, wie es Schleiermacher für den Zusammenhang von Rede- und Verstehenskunst vermutete: "Die Zusammengehörigkeit der Hermeneutik und Rhetorik besteht darin, daß jeder Akt des Verstehens die Umkehrung eines Aktes des Redens ist, in dem in das Bewußtsein kommen muß, welches Denken der Rede zum Grunde gelegen."[ 6 ]

Könnte mithin nicht Designtheorie diejenige Wissenschaft sein, mit deren Hilfe sich Designprodukte in ihrer Einzelheit, oder vielleicht sogar im Allgemeinen "verstehen" ließen? Doch Obacht! Es gilt nicht bloß der Satz: "Designerzeugnisse sind aufgrund der Rolle, welche die "echte" causa finalis bei ihrer Entstehung spielt, fest mit der Subjektivität der Designer verwoben ( quasi-objects )." sondern auch, was schlimmer ist: "Ein Designerzeugnis ist mit derselben Begründung untrennbar an die jeweilige Subjektivität des konkreten Designers gebunden, und ohne ausreichende Kenntnis der letzteren nicht, oder nur unvollständig zu verstehen." Hier scheitert endlich der Anspruch von Designtheorie, eine Wissenschaft im obigen Sinne sein zu wollen, denn womöglich müßte selbst die geballte Kraft aller Wissenschaften, die sich mit der Individualität des Menschen befassen, also in erster Linie Psychologie, Psychoanalyse u.a., vor der Unmöglichkeit versagen, die innere Struktur der "black box", als welche ein Designer zu betrachten ist, in Hinsicht auf sein spezielles Produkt aufzuklären. Und selbst für den Fall, daß sie es versuchen wollte, zerfiele somit die "Wissenschaft vom Design" in unzählige "Wissenschaften der Einzelfälle von Design", womit aus erfindlichen Gründen niemandem gedient wäre.

Was bleibt also, nachdem deutlich geworden ist, daß durch das Wirken der causa finalis im Designprozeß ein vermutlich unüberbrückbarer Hiatus, ein Phasenübergang zwischen der den Wissenschaften zugänglichen realen Welt und dem Produkt jenes Prozesses entsteht, und daß außerdem eine Gleichsetzung von Wissenschaft und Design in Hinblick auf ihre jeweiligen Produkte ("knowledge creation" ) nicht haltbar, oder lediglich metaphorischer Natur ist?

Denkbar sind meines Erachtens zweierlei Herangehensweisen: Die eine würde "Designtheorie" als eine Art historisch-archivierende, Einzelfälle von Design sammelnde, und diese ordnende Disziplin verstehen, also als eine Morphologie oder Taxonomie, indes zu fragen wäre, welche Sorte Information damit gewonnen werden soll; die andere, und wahrscheinlich fruchtbarere sehe ich in der Reduzierung des Theorieanspruches auf eine methodisch orientierte Nutzung des in der hermeneutischen Kunst enthaltenen Arsenals von Prinzipien für den Designprozeß, und, damit verbunden, für den gestalterischen Umgang mit Ungewißheit. Dazu gilt es, eine wirkliche Umkehrung des hermeneutischen Weges zu suchen; dies kann jedoch nur gelingen, wenn unsere Bemühungen sich innerhalb der Einheit "Produzent æ Produkt" halten, dergestalt, daß sie dem Designer helfen, verstehen zu lernen, was seine Absichten sind, oder, genauer gesagt, was seine Absichten waren, denn der in Rede stehende Vorgang endet mit dem fertigen Produkt, welches schließlich nur von ihm verstanden werden kann. Eine solche "regressive Hermeneutik" besäße, anders als die "progressive Hermeneutik", von der Schleiermacher richtig sagt:

"Das volle Geschäft der Hermeneutik ist als Kunstwerk zu betrachten, aber nicht, als ob die Ausführung in einem Kunstwerk endigte, sondern so, daß die Tätigkeit nur den Charakter der Kunst an sich trägt, weil mit den Regeln nicht auch die Anwendung gegeben ist, d.i. nicht mechanisiert werden kann.", eine erzeugende Wesensart; anstelle von Hypothesen darüber wie etwas vielleicht ist, träten Wünsche, Absichten und Vorstellungen davon, wie etwas sein, bzw. werden soll, und in ihrer allmählich fortschreitenden Konkretisierung und Differenzierung "designierten" sie aus der anfänglich vorhandenen Unzahl von Möglichkeiten schließlich die Realität eines Endproduktes. An dieser Stelle erwartet mich der Einwand, ich beschriebe hiermit ja nichts anderes, als die Art und Weise, wie ein jeder Künstler, Handwerker oder Designer arbeitet! In der Tat entspricht diese Methode der mehr oder weniger bewußten Vorgehensweise beim Produzieren von Design- oder Kunstobjekten, die deshalb automatisch angewendet wird, weil sie alternativlos ist, wenn wir es mit Ungewißheit zu tun haben, doch meine ich, nicht zuviel zu wagen, wenn ich behaupte, daß es erstens ab einer gewissen Komplexitätsstufe des Designproblems notwendig wird, den Prozeß im Fortschreiten zu reflektieren, und daß dies nur in einem konsequenten Gebrauch der "Regressiven Hermeneutik" geschehen kann, und zweitens, daß dabei die Fragen, welche man im Prozeßverlauf an seinen eigenen Gestaltungswillen stellt solange wie möglich offengehalten werden sollten; Entscheidungen, die der Gestalter hypothetisch getroffen hat sind dann zugänglich für eventuelle Korrekturen, die sich aus der Beleuchtung durch neue oder weitergehende Fragestellungen ergeben mögen; beispielsweise könnte eine Entscheidung in Richtung der Obersysteme eine Konsequenz in Richtung der Untersysteme nach sich ziehen, die eine Umorientierung und -differenzierung der ursprünglichen Absicht unumgänglich macht. Schrittweise könnte so das anfänglich Konjunktivische des Problems durch Anwendung eines sich intelligent mitentwickelnden Imperativs bewältigt werden. Darüberhinaus umginge man die Gefahr, sich durch unangemessenes Festhalten an nicht genügend reflektierten Vorstellungen davon, wie das Endprodukt beschaffen sein sollte, selbst im Wege zu stehen.

Wenn dies bereits die vorherrschende Praxis erfolgreich arbeitender Gestalter, Agenturen und Instituten sein sollte, und wenn sich diese und ähnliche Gedanken ohne daß ich davon erfahren hätte, schon längst in der Lehre an Hochschulen und Universitäten durchgesetzt haben sollten, trifft mich der Vorwurf mangelnder Originalität zu Recht; doch in diesem Fall - felix culpa!

 

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"Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles

Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn - ;

erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,

den eine ewige Mitspielerin

dir zuwarf, deiner Mitte, in genau

gekonntem Schwung, in einem jener Bögen

aus Gottes großem Brückenbau:

erst dann ist Fangen-können ein Vermögen,-

nicht deines, einer Welt."

R. M. Rilke

 

 

 

 

 

Zitatennachweis:

[ 1 ] Friedrich Schleiermacher, Dialektik, P.147, Suhrkamp, 2001

[ 2 ] Sören Kierkegaard, Der Begriff Angst, P.16, Rowohlt, 1960

[ 3 ] Nicolai Hartmann, Der Aufbau der realen Welt, P.7, Walter de Gruyter & Co., 1940

[ 4 ] Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, P.40, Piper 1997

[ 5 ] Nicolai Hartmann, Der Aufbau der realen Welt, P.94, Walter de Gruyter & Co., 1940

[ 6 ] Friedrich Schleiermacher, Werkausgabe, P.141, Scientia Verlag, 1967