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Maren Lehmann

 

DIE IRONIE DER FORM

von Maren Lehmann 09 2001

 

"Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles, was gut und groß ist."

(Schlegel 1967a, 153)

 

"... ein echter Baustil ist für jedermann..."

(Pevsner 1996, 171; Hervorhebung i.O.)

 

I

Eingedenk einer Heuristik, die Dirk Baecker für die Frage nach der Form der Architektur vorgeschlagen hat, soll auch hier die Frage nicht heißen, was das Design ist, sondern wie es beobachtet wird. Es gilt, die Frage nach den Unterscheidungen zu stellen, mithilfe derer über Design kommuniziert wird, um zu erkennen, welche Formen es durch diese Unterscheidungen erhält (vgl. Baecker 1990, 68). Design ist demnach Ergebnis einer Beobachtung, die ein Ding, einen Prozeß, eine Gestalt als Form bezeichnet und dazu eine Unterscheidung verwendet, die ihrerseits ein Beobachter unterscheiden könnte von anderen Arten des Unterscheidens. Die Stelle des Beobachters ist kontingent besetzt; jeder könnte jederzeit bestreiten, wie andere unterschieden haben, jeder Beobachter selbst könnte dasselbe plötzlich anders sehen ­ aber das Design kann sich als Form behaupten, solange es sich nur beobachten läßt, solange es durch Unterscheidungen als Unterscheidung beobachtbar ist.

Das Angewiesensein auf Beobachtungen ist deshalb, in abstraktester Form ausgedrückt, bereits das basic paradox des Designs. Denn keine Beobachtung kann je die Unterscheidung, die sie verwendet, auf ihren beiden Seiten gleichzeitig bezeichnen, verfehlt diese also systematisch und gibt statt dessen zu neuen Versuchen Anlaß. Die Beobachtung von Beobachtungen ist Ursache dieser Verfehlung und zugleich die einzige Möglichkeit, mit ihr umzugehen. Wir können schon das: die Selbstveranlassung der Kommunikation zu fortgesetzter Abweichung von ihren Traditionen, als Grundlage des Designs schlechthin bezeichnen. Die Beobachtung von Beobachtungen ist zudem aber auch die einzige Möglichkeit, in dem, was beobachtet wird, eine exklusive Redundanz zu entdecken und eine Generalisierung zu versuchen, die die Form des Designs aus einer Abstraktion gewinnen würde. Diesen Weg ist die Designtheorie seit bald 200 Jahren gegangen. Wenn wir nach den Grundlagen des Designs forschen, so weichen wir von dieser Tradition nur ab, um daran zu erinnern, daß sich auch Abstraktionen bestreitbaren Unterscheidungen verdanken.

Die Prämisse ist zwar, daß das Design als Beobachtung von Beobachtern bezeichnet werden kann. Das schließt die Möglichkeit ein, daß Design auf Design verweist, eine Möglichkeit, die im Angesicht einer erkennbar ausdifferenzierten Reflexionstheorie mit einer breiten Literatur zur Wahrscheinlichkeit wird (was um so mehr gilt, wenn die Architekturtheorie als ein Fall von Designtheorie betrachtet wird). Der Frage, ob Design selbst ein solcher Beobachter ist ­ also ein System -, weichen die folgenden Überlegungen jedoch aus. Denn diese Frage trotz der metaphorischen Breite des Ausdrucks zu bejahen (disegno [vgl. Bürdek 1994, 16; ders. 1996, 27; vgl. Luhmann 1995, 415ff.], design, Entwurf, Formgebung [vgl. Pevsner 1996], Bau [Gropius, vgl. Droste 1998, 19], Styling [vgl. Steinwachs 1986] bis hin zu "life itself" [Jonas 1997, 2]), hieße, die Unterscheidung des Designs als operativ exklusiv verwendete Form belegen zu können, mit der sich das Design als Kommunikationssystem schließt und zugleich für Beobachtungen anderer Systeme öffnet. Es hieße, die Frage nach der Form zur Frage nach dem Code des Designs auszudehnen und aus der Binarität dieses Codes wiederum die Möglichkeit eines Kommunikationsmediums abzuleiten, das die aktuellen Festlegungen des Designs kommunikativ akzeptabel machte, nicht ohne sie mitlaufend körperlich erlebbar zu halten, usw. (vgl. dazu grundlegend Luhmann 1993b).

Wir weichen dieser Frage im folgenden aus, nicht ohne zuzugestehen, daß zumindest die Frage nach dem Bezugsproblem des Designs (nach seiner sozialen Funktion) deutlich gestellt werden kann. Dieses Bezugsproblem ist die Differenzierungsform der Gesellschaft, genauer: ist deren Umstellung auf primäre funktionale Differenzierung. Die funktional differenzierte Gesellschaft präferiert die Möglichkeit, die Frage nach dem Beobachter als Frage nach einem kontingenten, mehrwertig definierten Dritten zu stellen - sie ist, in den Worten Gotthard Günthers, eine polykontexturale Gesellschaft. Sie kann ihrer selbst nur noch durch Beobachtung von Beobachtern inne werden ­ durch "Sympoesie", wie Schlegel (1967a, 161) meinte -, und sie kann dies nur, indem sie sich zugleich bestreitet. Ihr Form ist ironisch, und genau diese Ironie der Gesellschaft ist das basic paradox des Designs.

 

II

In der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft entsteht das Design als eine - nicht die einzige und keine repräsentative - Form der Generalisierung der Mehrwertigkeit aller Unterscheidungen zu einem eigenen Wert. Wenn dieser Wert beobachtet werden soll, muß er unterschieden werden und läuft in die Paradoxie, die er ersetzen sollte, zurück.

Demnach ist die Behauptung, irgend etwas sei, was es sei, und es sei gut, wie es sei, nur noch als Witz beobachtbar, als Provokation. Das heißt auch: nicht Ironie, sondern Ernsthaftigkeit ist in der Moderne unwahrscheinlich geworden, weil diese, wenn sie nicht gleichzeitig ironisch auftritt, sich lächerlich macht (vgl. ausführlich Rorty 1995, 127ff.; Behler 1997; Baecker 2000b; Bohrer 2000). So "soll alles Scherz und alles Ernst sein, alles treuherzig offen, und alles tief verstellt" (Schlegel 1967a, 160). Das ist unwahrscheinlich, und deshalb wird es zur Grundlage einer besonderen sozialen Form: dem Design.

In Anbetracht der sozialreformerischen Mühe, mit der das Design im 19. Jahrhundert aufzutreten beginnt, erstaunt das heutige Selbstverständnis als spielerische, der Tradition nur im Modus der respektvollen Distanzierung verpflichteten Disziplin. Immer wieder werden neue "abschließende Vokabeln" (vgl. Rorty 1995, 127) eingesetzt: "Kunst" und "Handwerk", "Geschmack", dann "Kreativität", "Funktionalität", "gute Form", schließlich "Objekt", "Interface", "Medium" ­ bis das Design "unsichtbar" geworden ist (vgl. Bonsiepe 1996; Borngräber 1987; Burckhardt 1995; Droste 1998; Götz 1999; Müller 1991; Nauhaus 1981; Pevsner 1996; Reck 1996; Ruppert 1991; Simon 1996, 6f., 111ff.; Steinwachs 1986; für das 20. Jahrhundert als Überblick Bürdek 1994). Solche Abschluß- oder Abbruchvokabeln werden gerade wegen ihrer Dehnbarkeit prominent; sie kürzen die Frage nach Entscheidungskriterien ab und unterbrechen sie schließlich ganz. Der Grund des Designs wird durch Blicke in die Tiefe gesucht; das Design nimmt sich selbst ernst (Ruppert 1991, 134, distanziert sich deutlich von der "Flucht in die Ironie").

Interessant ist aber, daß das Design sich ernst zu nehmen scheint als eine Form, die "zwischen allen Stühlen" (Grasskamp 1991; Erlhoff 1996, 90) auf "sumpfigem Grund" steht (Jonas 2000), die ohne exklusiven sozialen Ort, die "schizophren" ist (Drukker 2000/01), eine "Mogelei" (Baecker 2000c, 161). Es beobachtet sich selbst in der Form ständiger Neubeschreibung, als etwas eigentümlich Wurzelloses, und sobald es den Stolz auf dieses sein Paradox aufgibt, könnte es ebenso ernst wie ironisch oder besser: auf ernsthafte Weise ironisch sein (vgl. Rorty 1995, 128, 130. 137). Seine zu immer neuen Beschreibungen auffordernde Form (vgl. auch Hesse 1966) könnte der paradoxe Grund dafür sein, daß das Design von immer wieder anderen sozialen Beobachtern als "Joker" (Baecker 2000a) gezogen wird, um ihre Reflexionen abzukürzen, um ihr Nichtwissen des eigenen Grundes zu überbrücken. Design tritt auf als jedermanns "Partner" (Jonas 1997, 15), als ein "Parasit" (Serres 1987) der modernen Gesellschaft. Es ist parasitär in genau jenem Sinne, den Schlegel an der Wende zum 19. Jahrhundert als "sympoetisch" beschrieben hat: seine Ironie besteht darin, daß es unentscheidbar hält, welcher der Beobachter oder Partner den anderen benutzt, wer von wem profitiert. Für den "gesunden Menschenverstand" ist das "unverständlich" (Rorty 1995, 128; vgl. als scharfe Schlegel-Kritik mit dem Vorwurf der Heuchelei und des Bösen, der Spielerei und des Selbstgenusses Hegel 1986, 265ff. und schon ders. 1988, 405ff., 434ff.; vgl. zur Unverständlichkeit Schlegel 1967b, 363ff.; auch Luhmann 1993c; vgl. generell Behler 1997, 92ff, 115ff., 279ff.).

"Wenn eines gewiß ist, dann dies", formuliert unnachahmlich Luhmann (2000, 55): "Nie kann eine Paradoxie ... sinnverlustlos in eine Identität umgewandelt werden ... Für das schwarze Loch der Paradoxie ... müssen unterscheidbare Identitäten substituiert werden, die einschränken, was ihnen anschließend zugemutet werden kann." Was immer also die Beobachtung des Designs an Unterscheidungen und an Funktionsbestimmungen produziert hat: "ganz ernst gemeint war das nie, und geblieben ist es dabei auch nicht" (Baecker 1990, 78).

 

III

Die Formulierung, Design trete sozial als jedermanns Partner, als universeller kommunikativer Parasit, als sozialer Joker auf, gibt uns das Stichwort für die Suche nach der Unterscheidung, der sich das Design verdankt bzw. nach der Form, in der es sich beobachten läßt. Wenn das Design der Profiteur immer wieder anderer sozialer Beobachtungen ist: in welche Unterscheidung übersetzt es diese Beobach-tungen?

Design, so die These, entsteht als Folge der Umstellung der Gesellschaft von primär stratifikatorischer auf primär funktionale Differenzierung. Daß das Design sich dieser Umstellung verdankt, wird gerade daran sichtbar, daß es als deren Kritiker auftritt (sehr deutlich bei Pevsner 1996). Die Designgeschichte konzentriert sich auf die Folgeprobleme der Ausdifferenzierung vor allem dreier großer Funktionssysteme: der Kunst, der Wirtschaft, der Wissenschaft. Design ist eine Form, in der die Ausdifferenzierung dieser Beobachter der Gesellschaft thematisch wird, eine Selbstvereinfachung der Gesellschaft (vgl. Luhmann 1997, 367). Entsprechend unterscheidet sich das Design immer zugleich von diesen Funktionssystemen und von anderen, äquivalenten Vereinfachungen, vor allem von der Technik (vgl. ebd., 517ff.) und heute zunehmend auch von der Architektur oder der Werbung. Die Reflexionstheorien all dieser Vereinfachungen können dann als "Sciences of the Artificial" (Simon 1996) beobachtet werden, wobei das "Artifizielle" auch über den bei Simon dargestellten Sinn des Nicht-Natürlichen oder Nicht-Gegebenen hinaus als das "Hybride", "Unreine" (Reck 1996, 52; Jonas 2000), "Quasi-Objektive", "Parasitäre" (Serres 1987) verstanden werden kann. Bei Musil (1980) ist das bereits, und zwar bezeichnenderweise ebenfalls im Horizont der Unterscheidung Technik/Kunst, als Form ohne Eigenschaften dargestellt.

Nur: seine Leistungsfähigkeit verdankt das Design seinem klaren Zuschnitt, seiner exklusiven Unterscheidung; es würde sie einbüßen, wenn es eine Vermischung der Unterscheidungen bewirken würde, denen es sich verdankt ­ etwa von Wissenschaft und Kunst oder von Kunst und Wirtschaft (vgl. Jonas 2000). Die Ironie des Designs liegt gerade darin, daß es das nicht kann; die Beobachtung einer Unterscheidung als Design verzichtet darauf, diese Vermischung zu versuchen. Das Design läßt alles, wie es ist; es produziert nur eine kleine temporäre Abweichung, so daß ­ ohne jede Intervention ­ alles anders aussieht, als es ist (es kann als 12. Kamel eingesetzt werden, vgl. Baecker 2000c; es ist ein Thema im Sinne von Luhmann 1991, ein Objekt im Sinne von Glanville 1988). Es verzichtet darauf, zu planen, zu intervenieren, zu vermitteln ­ in diesem Sinne "kultiviert" es in der Tat "die Askese" (vgl. Ruppert 1991, 122) -, kann aber gerade dadurch Effekte in Richtung einer dann doch für möglich gehaltenen Planung, Intervention, Vermittlung provozieren (vgl. nur Bürdek 1996; Liebl 1998, Götz 1999). Design besteht letztlich in dem Moment der Irritation solcher Effekte durch abweichende Vorschläge, mithin: in der Ironisierung aller Planungs- und Interventionserfolge.

Diese Selbstprovokation der Gesellschaft durch Vereinfachungen (unter anderem durch Design) läßt sich vermutlich bereits an den Arbeiten Morris' und Sempers zeigen. Es ist hier aber nicht der Raum, um die Evolution des Designs über zwei Jahrhunderte oder gar von den Anfängen der Menschheit nachzuzeichnen anhand der Beobachtung signifikanter Unterscheidungswechsel und Gegenbegriffssubstitutionen im Rahmen sich ändernder sozialstruktureller Umstände. In einer solchen Darstellung würden die Unterscheidungen Handwerk/Industrie, Werkstatt (Atelier)/Fabrik, Einzelstück/Serie als historisch kontingente Beobachtungsformen ebenso zu ihrem Recht kommen wie die viel stärker abstra-hierenden Unterscheidungen Konzept/Verwirklichung, Kunst/Technik, Form/Funktion, Symbol/Instrument, Innenwelt/Außenwelt, mithilfe derer die Designtheorie die erstge-nannten Formen immer wieder anders beobachtet und zitiert und sich so eine eigene Geschichte im Unterschied zu den Funktionssystemen und den Organisationen der Gesellschaft konstruiert.

Unberücksichtigt bleiben muß auch die Ausdifferenzierung der Sozialform Familie, deren Folgen für die Entstehung der Architektur und des Designs im Unterschied zu Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst kaum überschätzt werden können (das Bedauern der ersten Designer über die Auflösung der Werkstatt ähnelt z.B. dem Bedauern der ersten Soziologen über die Auflösung der Hauswirtschaft). Hier soll ein Hinweis auf die Möglichkeit genügen, daß die Trennung von Arbeits- bzw. Erwerbsort und Wohnort, die soziale Einübung der Unterscheidung von privaten und öffentlichen Umgebungen (die Rorty 1995 seinem Ironiebegriff zugrundelegt und die, allerdings ohne jede Ironie, auch Bourdieu 1999 zur Begründung sozialer Unterscheidungsstile verwendet), zur Entstehung sozialer Beobachter führt, die Räume und Gegenstände für jedermanns täglichen Gebrauch entwerfen (Fabrikhallen ebenso wie Wohnhäuser, Werkzeuge ebenso wie Bettwäsche). Das geht, was zu Morris' Zeiten vielleicht noch nicht zu erwarten war, heute so weit, daß die Zuordnung der Räume und Gegenstände zum Privaten und/oder Öffentlichen durch das Design selbst verunsichert wird.

Wir lassen all das offen und fragen nur: Welche exklusive Unterscheidung wird als provokante Vereinfachung verwendet, wenn auf Design zugerechnet wird? In welcher Form tritt Design als Verunsicherung der Gesellschaft durch die Gesellschaft auf?

Wir berufen uns zur Beantwortung dieser Frage auf eine paradigmatische Debatte des bereits ausdifferenzierten, seine Professionalisierung in Angriff nehmenden Designs. Wir greifen diese Debatte heraus, weil sie auf einem hinreichend abstrakten Niveau geführt worden ist, unsere Frage nach der Form des Designs also weit genug entfernt von der Referenz auf eines der Funktionssysteme oder gar der Referenz auf die Person des Entwerfers und/oder eine Idee, ohne deshalb die Referenz Gesellschaft aus den Augen zu verlieren. Sie erlaubt uns, das Problem des Designs in sozialstruktureller Hinsicht zu beobachten. Gemeint ist der Streit zwischen Hermann Muthesius und Henry van de Velde um das Problem, ob es der Formgebung (dem Entwerfen) um Typisierung oder um Individualisierung gehe (vgl. Pevsner 1996, 27ff.). Wir verschieben bereits hier ein wenig, denn Pevsner spricht von "Individualismus"; wir verschieben auch Bürdeks Interpretation desselben als Alternative von industriellem Standard und künstlerischer Individualität, die "im wesentlichen schon die beiden entscheidenden Richtungen gestalterischen Arbeitens im 20. Jahrhundert [ ]kennzeichnet" (vgl. ders. 1994, 24); und zwar verschieben wir es im Sinne von Simons und Bonsiepes Interface-Theorem. Wir lassen offen, ob es um die Typik bzw. die Individualität des Entwerfers, des Nutzers oder des Entwurfs selbst geht. Wir lassen die Innen/Außen-Frage unentschieden.

Die Auseinandersetzung um Standard oder Individualität, Typisierung oder Individualisierung läßt sich sofort lockern oder eben ironisieren, indem das oder als ein und gelesen wird. Um das zu erläutern, bedarf es eines kurzen Exkurses über die Unterscheidung von Form und Ding.

 

IV

Eine Form, so definiert George Spencer Brown (1969, 1), entsteht, wenn ein Beobachter eine Unterscheidung trifft. Spencer Brown läßt offen, wie das möglich ist, und schränkt nur ein: Nenne diese Unterscheidung die erste Unterscheidung, bezeichne eine der beiden durch die Unterscheidung zum Unterschied deklarierten Seiten und nimm, weil diese einseitige Bezeichnung gleichzeitig unvermeidlich und kontingent ist, die Form der Unterscheidung für die Form (vgl. Luhmann 1993a zur Diskussion des "weil".) Es handelt sich um den Entwurf eines operativen Begriffs "ohne ontologischen Status" (Luhmann 1993a, 199), und es handelt sich um eine Theorie der Zeit, die "Form" als Grenze versteht ­ als Grenze, die eine Differenz ist. Damit fallen alle Möglichkeiten weg, Form im Unterschied zu Inhalt, Idee, Materie zu verstehen (vgl. auch Baecker 1990, 70f.). Es handelt sich auch nicht um eine "innere Form", einen unbeobachtbaren reinen "Keim" im Unterschied zu einer wahrnehmbaren und eben deshalb unreinen "äußeren Gestalt". Spencer Browns Formbegriff widerspricht damit der traditionellen Selbstbeschreibung des Designs. Er entwirft nur eine Grenze, die Innen und Außen unterscheidet. Die Grenze ist die Unterscheidung, und wer interessiert an dem Unterschied ist, den diese Unterscheidung zu allem Übrigen behauptet, der muß sie beobachten (indem er seinerseits unterscheidet und bezeichnet). "Innen" und "außen" sind nur noch ironisch zu separieren, weil es weder "innen" noch "außen" gibt. Das entzieht zugleich dem Verdacht der Heuchelei und des Bösen den Boden; Symbolik ist nur durch Diabolik möglich (vgl. Luhmann 1997, 320). Es bedarf dazu nicht der Möglichkeit, die Form als Code (als Leitunterscheidung) zu stabilisieren. Davon profitiert das Design, das soziale Unterscheidungen auf deren ausgeschlossenes Übriges beobachtet und sich dabei beobachten läßt (vgl. für die These, Architektur profitiere von der Innen/Außen-Unterscheidung selbst durch Verzicht auf einen "Leitgedanken", Baecker 1990, hier 70).

Ein Ding, so definiert Fritz Heider (1927) ist wahrnehmbar in einem diese Wahrnehmung vermittelnden Medium. Weil sich das Ding der Wahrnehmung verdankt, die ihrerseits nur durch das Medium möglich ist, kann kein Ding außerhalb eines Mediums sein. Innerhalb des Mediums kann es sein und gesehen werden, und auch das Medium ist ­ wenn auch unsichtbar (vgl. ebd., 115). Die Frage ist nur, wie deren Unterscheidung möglich ist. Heider nimmt an, die Bedingung der Möglichkeit des Dings liege im Ding selbst, die Bedingung der Möglichkeit des Mediums dagegen läge außerhalb seiner. Innenbedingt sei das Ding, außenbedingt das Medium (vgl. ebd., 116). Zugleich ist das Medium die Bedingung der Möglichkeit, dasselbe Ding anders zu sehen. Die Elemente des Substrates, das Ding und Medium aufgrund der Operation "Wahrnehmung" gemeinsam haben, sind entsprechend im Ding strikt, im Medium dagegen nur lose gekoppelt. Eine rigide Intervention verspricht Erfolg nur auf der Seite des Mediums, denn dieses würde im Unterschied zum Ding durch die Rigidität geformt, nicht zerstört (denn Kopplung heißt Verweisung, vgl. ebd., 120).

Einem Diktum Luhmanns folgend, bezogen auf die Übertragungs- und Vermittlungsmetapher allgemein, können wir auch an Heiders Ding/Medium-Unterscheidung kritisieren, sie impliziere "zu viel Ontologie" (Luhmann 1993b, 193). Die Grenze des Dings ist ein "ontologisches Nichts", hatte Luhmann dann unter Berufung auf Leonardo konstatiert (ders. 1995, 427), weil diese Grenze selbst weder innen noch außen sei. Daß disegno zu einem unterscheidbaren Können wird, verdankt sich dieser Unfaßlichkeit der Grenze des Dings und nicht der Schwierigkeit der Perfektion des Dings. Mit Design kann also von Anfang an gar kein handwerkliches Können, sondern nur Unterscheiden-und-Bezeichnen gemeint sein: Beobachten. Und zwar immer: beobachten, wie andere beobachten, und auch: sich selbst als beobachtet beobachten - Beobachten 2. Ordnung also. Und das, so Behler (1997, 279ff.) ist ein ironisches Können, denn es nimmt es hin, daß die Paradoxie der Grenze nur unter der Bedingung von Sinnverlust entfaltet werden kann, erneute Versuche provozierend, die Form bekräftigend und zugleich ihre Referenz auf immer anderes erweiternd, das heißt: "nicht logisch, sondern kreativ, nicht in notwendiger Form, sondern kontingent" (Luhmann 2000, 56).

 

V

Wenn die Beobachtungen von Beobachtungen als Design unentscheidbar lassen muß (oder lassen kann), ob es einen exklusiven Beobachter geben kann, der "Designer" genannt zu werden verdient, dann legt das eine abschließende Überlegung nahe. Die Sozialdimension könnte die dominierende Beobachtungsrichtung des Designs sein. Als Beleg für diese These können hier nur noch einige Impressionen herhalten. Durchgängig finden sich in der Designgeschichte starke sozialreformerische Ambitionen, es findet sich die Thematisierung von Arbeit und Arbeitsumwelt, es findet sich der Versuch der Intervention in Entwerfer/Nutzer-Interfaces; es findet sich der Versuch, von der Differenz von Eliten und Massen zu profitieren; es findet sich die Vorstellung, Beziehungen zu Dingen und Räumen seien Sozialbeziehungen (Kommunikationen). Dem Design geht es um die Inklusivität seiner Beobachtungen und um deren Exklusivität zugleich.

Wenn die Form sozialer Differenzierung auf primär funktionale Polykontexturalität um-stellt, so hält sie die Tendenz aller Beobachtungen zu extremer Selektivität durch deren zeitliche Vorläufigkeit erträglich. Sie stellt auf Inklusion durch Exklusion um (vgl. Luhmann 1997, 618ff.). Im Sinne der Ironiekritik (hier v.a. Bourdieu 1999, 315ff.) ist das heuchlerisch, böse, diabolisch; aber es ist die einzige Möglichkeit, Gesellschaft und Individuum unter der Bedingung funktionaler Differenzierung noch zu integrieren. Gerade deshalb verwendet auch Design Unterscheidungen in der Sach- und in der Zeitdimension, denn in diesen beiden Hinsichten sind Selektivitäten möglich, die die Individualität der Person nicht anfechten, sie vielmehr erst ermöglichen und deshalb geeignet erscheinen, die Form des Designs vom Status, vom Innen-oder-Außen-Sein einer Person unabhängig zu machen.

Das Design erweist sich, so die These, daran, daß es in jeder beobachteten Beobach-tung zugleich deren Sachlichkeit und deren Vorläufigkeit betont. Es rechnet beobachtete Beobachtungen auf einen funktionalen Rahmen zu (Versachlichung, Typisierung) und temporalisiert diese Zurechnung zugleich. Dadurch kann jedermann als Entwerfer beobachtet werden (Individualisierung). Jedermann ist Entwerfer und ist es zugleich nicht. Typisierte Produkte (Baukastenmöbel, Baukastenwaschmittel, generell die Mode) öffnen die Welt der Dinge der Beobachtung durch Leute (Individuen), die das in der Lesart der "Pioniere der Formgebung" bzw. der ironiearmen Verteidiger letzter Gewißheiten gar nicht können (Dilettanten, vgl. Stanitzek 2000). Beobachten aber läßt sich nicht exklusiv zurechnen, das kann jeder. Inklusivität läßt Exklusivität zum Problem werden, und mit diesem Problem ­ mit seiner temporären Bewältigung und seiner Regeneration - befaßt sich Design. Es löst das Elitenproblem und das Nivellierungsproblem zugleich durch Temporalisierung und durch Versachlichung jeder beobachteten Unterscheidung, durch Individualisierung und durch Typisierung (vgl. Baecker 2000c, hier 161, zu Mode; vgl. Steinwachs 1986, insbes. 344f., zur Interpretation der Unterscheidung Design/Styling im Sinne einer Individualisierung "post industriam"; vgl. Drukker 2000/01).

Was Bourdieu (1999) als Benehmen der unteren Klassen beschreibt, ist unter der Vor-aussetzung einer funktional differenzierten Gesellschaft (und nicht einer stratifizierten Gesellschaft) das individualisierte Benehmen schlechthin. Jedermann kann heute die Unverfälschtheit seines Weltzugangs preisen. Aber wie anders als durch Unterschei-dungsgebrauch soll eine solche Individual-Identität behauptet werden? Schneller Wechsel ist, sobald Kollektividentitäten wegfallen, die attraktivste Form der Distinktion. Das Design verdankt sich gerade diesem durch soziale Differenzierung, also durch die soziale Durchsetzung extremer sachlich-zeitlicher Selektivität, verursachten Individualisierungsschub. Es verdankt sich der Umstellung auf Jedermann-Inklusion durch Verzicht auf Regelung des individuellen Lebens. Den heute als ersten Designern bezeichneten Beobachtern fällt dieser Verzicht auf, und sie bedauern ihn. Aber spätestens mit der Bauhaus-Gründung in Weimar beginnt das Design, von diesem Verzicht zu profitieren. Es verdankt sich ihm, was gerade daran deutlich wird, daß es die Grundlage seiner selbst als Paradox beobachtet ­ wie in jener exemplarischen, hellsichtigen Formulierung Pevsners (1996, 171) über die "... nivellierende Tendenz einer Massenbewegung ­ ein echter Baustil ist für jedermann..." (Hervorhebung i.O.). In diesem Sinne ist das Paradox des Designs in der Sozialdimension die Differenz Inklusion/Exklusion, seinerseits eine Folge oder besser: ein Fall dessen, daß jede Grenze nur eine Grenze ist, ein "bloßer Ersatz für Substanz" (Bourdieu 1999, 321): nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Leistungsfähig ist das Design dann gerade durch den Verzicht auf einen Zentralcode. Es ist kein Funktionssystem. Sein Medium ist die Beobachtung (Unterscheidung und Bezeichnung) der Dreiwertigkeit (und damit die unabschließbare Mehrwertigkeit) aller nur möglichen Beobachtungen im Modus von Typisierung und gleichzeitiger Individualisierung jedes beobachteten dritten Wertes bzw. jeder beobachteten Beobachtung. Es präferiert deshalb die Form vor dem Code, es bleibt ohne exklusive Leitunterscheidung, es hat entsprechend nur geringen Direktionswert und eine nur schwache Bindungskraft. Es stellt nichts als "eine hochmobile Gesichtspunktmenge" dar (Luhmann 1997, 343). Das aber heißt nichts anderes als: das basic paradox des Designs ist die Polykontexturalität der Gesellschaft.

 

 

Literatur

 

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Biographisches

Maren Lehmann, Dr. phil. Geboren 1966 in Sachsen. Nach Schulzeit und Druckerlehre Studium der industriellen Formgestaltung an der Burg Giebichenstein, Halle. Wechsel an die Philosophische Fakultät der Universität. Studium der Erziehungswissenschaften und der Soziologie in Halle und Bielefeld. Dissertation über "Die Form Inklusion" am Beispiel der Religion. Derzeit wissenschaftliche Angestellte an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.