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Matthias Götz

 

WER HAT ANGST VOR PARA DOXEN? ABGRÜNDE DES DESIGN UND DAS DESIGN VON GRÜNDEN

ZEHN ANLÄUFE

von Matthias Götz

 

,Kein Gebiet kann sich selbst einschliessen.'

A. N. Whitehead

 

Erster Anlauf

Design ­ eine ,grundlose' Disziplin? Vielleicht ­ und warum auch nicht? ­, aber: Oft genug ist die Behauptung defizitärer Begründung weniger skeptischer Einwand als Alibi für die eigene Orientierungslosigkeit, die sich um Leitplanken bemüht. Es scheint in der Natur insbesondere auch des Designers ­ und Designtheoretikers ­ zu liegen, fehlende Grundlagen anzumahnen und alle möglichen Grundlegungen vorzunehmen. Dafür, fehlende Grundlagen einzufordern, gibt es einen guten Grund. Die Mechanik eines Verfahrens über sicherer Basis entlastet von der Bürde, eigene Entscheidungen in Ungewissheit treffen zu müssen, Entscheidungen, von denen sich nicht einmal immer sagen lässt, in welchem Grad sie ,richtig' oder ,gut' waren. Im Zweifelsfalle droht immer die Zweifelsfalle. Wenn man so will, gibt es ­ nicht nur, aber auch ­ im Design so etwas wie ein eigenes Design der Grundlegung. Und wenn es vielleicht auch nicht dieses Design der Grundlegung gibt, so gibt es doch die nichtendenwollende Rede davon. Wenn man auch das noch so will, so entspricht ein solches Fundament-Design wohl weniger dem, was man Fundamentaldesign nennen und als Desiderat sogar interessant finden könnte, als vielmehr einer Fundierungs(sehn)sucht, die ganz andere Gründe hat. Hierbei macht es einen Unterschied, ob man etwas nicht ohne Grund tut, oder ob man für alles Tun grundsätzlich eine Grundlegung fordert. Und wenn man sich gegen eine allgemeine Grundlegungssucht oder -sehnsucht wendet, redet man noch lange nicht einem platterdings grundlosen Handeln das Wort: Wer Planungskritik übt, plädiert nicht schon automatisch für planloses Handeln. ,Grundlosigkeit' an und für sich ist kein allzu starker Einwand gegen eine Sache. Mit die wesentlichsten Dinge, die wir kennen, geschehen gewissermassen ohne Grund, sind nur schwach begründet oder sind jedenfalls nur schwer bis gar nicht begründbar: die Liebe, das Schöne, die Grazie ... Das ,gewisse Etwas' ist alles andere als gewiss und das ,Je ne sais quoi' schöpft geradezu seine Stärke aus dem Nichtwissen. Niemand käme auf die Idee, etwa die Idee der Schönheit aus Gründen mangelnder Begründetheit für eine schwache Entität zu halten ­ für eine fragile vielleicht. Gewisse, auch deontische oder ,Soll'-Disziplinen, zu denen elementar das Design gehört, unterliegen einem besonderen Begründungsnotstand, was u. a. möglicherweise daran liegt, dass Design seinerseits eine begründende Tätigkeit ist. Begründendes Tun ist in aller Regel seinerseits nicht weiter begründbar, oder: was fremdbegründet (heteronom), ist meist ,nur' selbstbegründet (autonom), und nur das Selbstbegründete kann fremdbegründen ­ doch das ist ein anderes Thema. (Ausser: dass Autoreferenz und Autoreflexivität, Autonomie und Heteronomie, Autologie und Heterologie natürlich eine prominente Rolle im Kontext des Paradoxen spielen.) Was aber das Design betrifft, so liesse sich versuchsweise behaupten: Design braucht keine Grundlegung, Design ist eine Grundlegung. Design begründet mehr, als dass es begründet wäre. Eine Theorie des Design, die diese Grundlegung zu legen hätte, kann selber wieder nur eine entworfene sein. Auch Theorien werden entworfen. Aber eine Theorie des Design, die ihrerseits ,designed' ist, verliert ihre Begründungsmächtigkeit und gibt sie zurück an das Gebiet, das zu begründen wäre ­ das Design. Ein cartesisches fundamentum inconcussum, ein unerschütterliches Fundament zu fordern, aus dem sich alles Tun wohlbegründet ergibt, ist eine alte Hoffnung der Aufklärung, nachvollziehbar, aber auch veraltet. Der archimedische Punkt, von dem aus man die Welt aus den Angeln heben zu können glaubt, hätte man ihn denn, entspricht erkennbar einem antik-antiquierten Ideendesign vom ,letzten Grund'. Design ist ein indeterminierter Prozess. Design ist kein deduktives System von Sätzen, die sich logisch aufeinander beziehen und rückbeziehen liessen bis ­ zuguterletzt ­ auf einen wahren, letzten Grund, noch ist der Entwurfsprozess ein systematisches Schritt-für-Schritt-Verfahren, dessen höchste Kriterien Wohlbegründetheit und Wahrheit wären. Ganz abgesehen davon: Sucht und braucht man Gründe, findet man sie meist in beliebiger Auswahl vor ­ und findet man sie doch nicht vor, entwirft man sie sich rasch. Auch Gründe lassen sich entwerfen, um es freundlich zu sagen. Niemand weiss das besser als ein Designer, der einen Entwurf durchsetzen will. Grundlosigkeit ist also erstens nicht gleich Grundlosigkeit, und zweitens gar nicht weiter schlimm ­ im Design.

Zweiter Anlauf

Umgekehrt: Klagt man eine Disziplin an, über unzureichende Grundlegungen zu verfügen, so geschieht das insofern nicht ,grundlos', als man sich dann in aller Regel eben jener Argumente bedient, die sich überhaupt erst ergeben, wenn man sich um Grundlegung bemüht. Will heissen: Jede Suche nach einer fixen Grundlegung bringt Unstimmigkeiten mit sich, die dann wieder benutzt werden können, die Unstimmigkeiten einer solchen Ideenbasis als inkonsistent zu entlarven. Aus derartigen Fundamentalismen ergeben sich fast immer fundamentale Denkschwierigkeiten, die zwar selten dazu führen, den Fundamentalismus aufzugeben, aber immer wieder dazu, fortgesetzt eine Fundierung zu fordern. Jeder Regress der Begründung ist im Prinzip infinit. Die Prozessfolge von Gründen kann nur abgebrochen werden oder ­ wenn man es denn könnte ­ ,transzendental letztbegründet', was auch immer das bedeuten mag. Strebt man nach lezten Dingen, gerät man häufig in eine Situation, die Hans Albert einmal als ,Münchhausen-Trilemma' charakterisiert hat: Infiniter Regress der Begründung, Circulus vitiosus, dogmatischer Abbruch des Verfahrens. Diese dreifache Sackgasse ist Folge des theoretischen Fundamentalismus. Ähnlich wie Gödels Theorem (von Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit) erst durchschlägt, nachdem ein Universalbeweis für die Widerspruchsfreiheit der Mathematik als solcher in Angriff genommen wurde ­ und nicht das kleine Einmaleins ­, zeichnen sich meist erst dann die schwierigeren Probleme ab, wenn man nach der Gewissheit einer allgemeingültigen Regelbasis sucht ­ und zwar nicht als Probleme der Disziplin, sondern als Probleme der Grundlagen nahezu jeder Disziplin. Insofern sind auch Grundlagenprobleme des Design, könnte man schliessen, eher Grundlagenprobleme als solche des Design. Angenommen, es gäbe eine nur widersprüchliche ­ also keine eigentliche ­ Grundlegung des Design, so wäre diese Eigenschaft jedenfalls keine exklusive des Design. Das muss nicht heissen, dass es im Design keine Probleme gäbe ­ im Gegenteil. Aber viele der Paradoxien, die man im entwerferischen Handeln auszumachen pflegt, sind ­ je paradoxer, desto mehr ­ Paradoxien, wie sie die Versuche einer Grundlegung nun einmal mit sich zu bringen pflegen. Fundamente des Sollens, Basisregeln des Handelns oder Grundnormen des Ästhetischen oder welcher Art auch immer kreieren eine Menge Probleme und lösen kein einziges. So gesehen ist dies kein oder kaum ein Problem des Design. Dass man bei allen möglichen Ergründungen recht bald auf unauflösbare Selbstbezüglichkeiten und Widersprüchlichkeiten stösst, ist beinahe selbstverständlich und ergibt sich im übrigen schon daraus, dass man, am Grunde angelangt, nicht mehr über die sonst gern genutzte Möglichkeit verfügt, die Ebene zu wechseln. Es ist dann einfach keine mehr übrig. Wenn Thomas Albert Teomaka McKinnon, wie die ,New Zealand Truth' berichtete, vor seinen Richtern gesteht: "To tell you the truth, I'm a regular liar", dann ist das nicht nur eine Variante des Paradoxons vom kretischen Lügner, sondern eine Variante, die qua Kontext erlaubt, sich auch vorstellen zu können, dass man dem Delinquenten glaubt. Denn die Stufen des Gerichtshofs schaffen ein neues Niveau, auf das bezogen man annehmen kann, dass er hier doch die Wahrheit sagt. Dann handelt es sich auch nicht mehr um ein Paradox. Um Paradoxa vermeiden zu können, braucht es Niveau-Verschiebungen ­ ,meta-' heisst das Wundermittel ­, wie sie auf einer allerletzten Stufe per definitionem nicht mehr möglich sind. Das ist das klassische Grundlagenproblem mit den Grundlagen.

Dritter Anlauf

Design ­ ein ,Fundamental-Paradox' (,basic paradox)? Design ist ­ zunächst ­ weder paradoxer noch fundamentaler noch fundamental-paradoxer als irgendetwas anderes. Paradox droht es vielmehr und wie gesagt überall da zu werden, wo es aufs Prinzipielle geht und das Prinzipielle prinzipiell begründet werden soll. Im Design meint man sich oft dieser unangenehmen Beweislast entziehen zu können dadurch, dass man den Gebrauch, den Gebrauchszweck, -wert, -nutzen, die Nützlichkeit und so fort als Endzweck gestalterischen Tuns postuliert. Damit ist offenbar alles weitere legitimiert ­ ausser das Überflüssige. Wenn man hieran freilich Ortega y Gassets paradoxe Aussage, ,nur das Überflüssige sei dem Menschen notwendig' anlegt, ist man bei einer nicht weiter hintergehbaren Grundlage angekommen, die wie stets sich als dennoch paradoxe präsentiert. Beispiel: Klassisch ist Russells Paradox geworden, auf das er im Juni 1901 stiess, als er am Prinzipiellen, nämlich an den ,Principia Mathematica' arbeitete, und womit auch sein ,ungetrübtes Logikerglück unwiderruflich zuende war', wie er sich ausdrückte. In der populäreren Form des ,Barbier-Paradoxons' schildert es das Dilemma eines Friseurs, der ,alle Männer rasieren soll, die sich nicht selbst rasieren' ­ und nun nicht weiss, ob er sich selbst rasieren soll oder nicht. Rasiert er sich, so gehört er zu jenen, die sich nicht selbst rasieren, und wenn er sich nicht rasiert, muss er sich rasieren. Bei Russell bezieht sich die Frage nicht auf Barbiere, sondern auf ­ Teelöffel, resp. die Definition der sog. normalen Menge: der Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Enthält diese Menge sich selbst? Ja und nein. "Unter den Voraussetzungen, an denen ich bisher nie gezweifelt hatte, durfte man annehmen, dass es Klassen gab, die in ihrer Gesamtheit eines ihrer eigenen Elemente bildeten, und andere Klassen, bei denen dies nicht der Fall war. So ist z.B. die Klasse sämtlicher Teelöffel selber natürlich kein Teelöffel; aber die Klasse sämtlicher Dinge, die keine Teelöffel sind, ist ersichtlich selber eines von den Dingen, die keine Teelöffel sind. Und wie mir schien, gab es im letzteren Fall auch Klassen, die nicht ­ wie unser Beispiel ­ nur mithilfe der Verneinung definierbar waren: z.B. die Klasse sämtlicher Klassen , die wiederum eine Klasse ist." (Bertrand Russell, Philosophie. Die Entwicklung meines Denkens, München 1973, S. 76) Also: Enthält die Klasse sämtlicher Klassen, die sich nicht selbst als Element enthalten, sich selbst als Element mit oder nicht? "Wenn man annimmt, dass sie sich selbst als Element enthält, muss sie natürlich der Definition dieser Klassen entsprechen, nach der sie sich nicht selbst als Element enthalten darf. Und wenn man annimmt, dass sie sich nicht selbst als Element enthält, entspricht das genau der gegebenen Definition, d.h. sie gehört zu den Klassen, die sich nicht selbst als Element enthalten, und muss sich folglich selbst als Element enthalten. Aus beiden Annahmen folgt also zwingend das genaue Gegenteil der Annahme; und wie wir uns auch drehen und wenden, wir kommen aus diesem Widerspruch nicht heraus." (Ebd.) Russells und Whiteheads Versuche, mithilfe der Mengenlehre ein logisches Fundament der Mathematik zu schaffen, geraten an einem Punkt in Schwierigkeiten, an dem Georg Cantor selbst, der die Mengenlehre erdachte, ganz anders verfahren wäre und sicher wieder dazu geraten hätte, unlösbare Dinge besser Gott zu überlassen. Nicht nur die Russell-/Whiteheadschen ,Prinzipien' geraten in den Sog des Paradoxen, das nämliche Paradox war es auch, das Gottlob Freges ,Grundlagen' scheitern liess ­ und damit auch Frege selbst, viel dramatischer als den Überlebenskünstler Russell, für den das Desaster eine Episode war. Als Freges ,Grundlagen der Arithmetik' gerade gedruckt werden sollten, unterrichtete Russell Frege in Jena von der ,Katastrophe' ­ die dann vor allem für Frege zur wirklichen katastrophe wurde. Mit den Grundlagen ist es also so eine Sache. Das Grundsätzliche lässt im Grundsatz nur noch einen Grundsatz zu. Und stösst man hier aufs Paradoxe, so hat das auch sein Gutes. Man kann nämlich auch sagen: Die Paradoxie schützt am wirksamsten vor der Orthodoxie. Denn sie relativiert das Grundsätzliche grundsätzlich.

Vierter Anlauf

Paradoxien sind also keineswegs nur logische Katastrophen. Nichtsdestotrotz ­ Paradoxa stehen im allgemeinen in gar keinem guten Ruf, auch nicht im Design und schon gar nicht dort im Design, wo man darin nichts anderes erblickt als einen ,Problemlöser' (Simon), so als handle es sich dabei um so etwas wie ein Kreuzworträtsel. Ohne hier all die entsprechenden design-positivistischen Positionen zu nennen, lässt sich vielleicht vereinfacht sagen, dass Paradoxa natürlich dort am wenigsten beliebt sind, wo man unter Design eine Problem-Beseitigungsstrategie versteht. Da das Paradoxe eine Steigerungsform des Problematischen ist, sieht selbstverständlich das vorherrschende Designkonzept, das in der Negation des Problematischen besteht, Design erst recht als Paradox-Vermeidungsstrategie. Nun lässt sich jedoch daraus, dass sich Paradoxien vornehmlich im Gefolge der Rekurse aufs Fundamentale hin einstellen, und daraus, dass Design auch nicht ,grundloser' ist als irgendetwas anderes, nicht folgern, dass Design in nichts weiterem bestehe als darin, problemlos Probleme zu lösen. Tatsächlich ist das Design gekennzeichnet durch eine ganze Reihe spezieller Schwierigkeiten, die nicht die üblichen Fundamental-Dilemmata sind. Von daher ist sogar einigermassen nachvollziehbar, dass die Profession sich schon prophylaktisch gegen problemallergische Reaktionen zu verwahren sucht. Das entspricht im übrigen auch dem herkömmlichen Umgang mit dem Paradoxen: Dem Paradoxen gegenüber pflegt man meist in der Weise zu begegnen, dass man es, wo man es nicht aufzulösen und so aus dem Weg zu räumen vermag, schlicht leugnet oder es ­ was dasselbe ist ­ statt als ,Katastrophe' (Russell zum einen) mehr als etwas ,Unerhebliches' betrachtet, das eine ,ernste Betrachtung nicht verlohnt' (Russell zum zweiten). Nur selten schätzt man das Paradoxe, obwohl die logische Ungereimtheit ja nicht seine einzige Eigenschaft ist. Ein Paradox hat ­ nur zum Beispiel ­ mindestens partiell auch ästhetische Qualitäten, insofern es gegebenenfalls eine Art ,logischer Eleganz' besitzt, rhetorische Qualitäten, insofern es mindestens ambivalent und daher interessant ist, oder sogar praktische, insofern es von heuristischem Wert ist. Den hat Kant in der ,Anthropologie' benannt als die Fähigkeit des Paradoxen, "das Gemüt zur Aufmerksamkeit und Nachforschung (...), die oft zu Entdeckungen führt", zu wecken. (1, §2, 7, 129) Nichts ist interessanter an einem Paradox ­ als seine Folgen. Und die ,Brillanz' des Paradoxen kann sogar ein Mathematiker goutieren, der den logischen Lapsus wohl kaum, aber ein ,glänzendes Scheitern' am Paradoxen sehr wohl für immerhin so brillant hält, dass "mancher, der sich eine funktionierende Theorie ausgedacht hat, froh wäre, wenn sie so brillant wäre" wie Russells Paradox (Nicholas Griffin). Brillanz allerdings ist keine logische Kategorie mehr. Man neigt dazu, bei der Diskussion des Paradoxen die Furcht davor, alles sei doch nur auf Sand gebaut, zu über- und andere Funktionen des Paradoxen zu unterschätzen. Diese Furcht rührt sicherlich auch daher, dass eine allzu fundamentalistische Perspektive einem dann tatsächlich keinen Ausweg mehr aus den logischen oder unlogischen Sackgassen zu lassen scheint. Eine weniger fundamentale, sprich: eine oberflächlichere Sicht des Zusammenhangs von Design und Paradox böte da mehr Chancen. Es wäre oberflächlich, das Oberflächliche zu unterschätzen. Die Form beispielsweise ist in unserer Welt der Schwerkraft immer die letzte, äusserste oder eben oberste Schicht. Auch wenn man es nicht gern hört, und auch wenn die Diskussion im Design inzwischen einen so hybriden Dekadenzgrad erreicht hat, dass man Design offenbar lieber als ,journey' definiert denn als ,Formgebung' ­ was einen schon fast wieder mit Wehmut an die gute alte ,gute Form' denken lässt: Wie man Design auch immer definiert ­ Design ist in diesem genannten und ganz bestimmten Sinne ein Oberflächenphänomen, sei es als ,Schnittstelle' oder Interface, als Werkzeug oder allgemeiner als Vermittlungsinstanz zwischen Welt und Bewusstsein, sei es als ästhetisches Phänomen o.a.m. Design lässt sich problemlos als ,(inter)aktive' oder Benutzer-,Oberfläche' verstehen ­ wie das längstens Mode ist ­, ohne dass diese Definition als oberflächlich abgetan werden könnte. So ist es nicht gänzlich illegitim, Design einmal oberflächlich zu betrachten ­ denn so wird es nun einmal von den meisten meistens wahrgenommen, und dies wie gesagt nicht ganz zu unrecht.

Fünfter Anlauf

Wenn Design überhaupt Probleme löst, dann sind es sozusagen die eigenen: Designprobleme als Designprobleme. Und das ist ein Problem des Design. Zum weitaus überwiegenden Teil besteht Design darin, ein bestehendes Designkonzept durch ein neues Designkonzept zu ersetzen ­ das Problem ist immer das Design. Darauf hat schon Lawson hingewiesen. Designprobleme sind Designprobleme, zirkulär ausgedrückt ­ oder: Designlösungen sind Designprobleme, vc., kontradiktorisch gesagt. Das ist einigermassen paradox, und dieses Paradox zeigt sich schon bei flüchtigem Hinsehen. Dass es sich hier allerdings um ein so oberflächliches Paradox handelt, dass es eher an einen Sophismus gemahnt denn an ein Paradox, wird man zu konzedieren haben. Aber es gehört seit der Antike zur Tradition des Paradoxen, darunter auch Formulierungskünste zu verstehen, verblüffende Aussagen, überraschende Sprüche oder widersprüchliche Wendungen, Sätze also, wie sie noch stets die Pointe jedes zweiten Witzes ausmachten ­ hier also im Stile von: ,Die Lösung ist das Problem'. Auch hier lebt das Paradox vom Wechsel und von der Verwechselbarkeit der Handlungsebenen, der Verwirrung zwischen Objekt- und Sprachebene etwa. Und dass die Formulierung eines Sachverhalts gerade im Design mehr ist als nur die Formulierung eines Sachverhalts, zeigt sich in folgender Umformulierung: Wenn Design überhaupt etwas löst, dann ist es die Formulierung von Problemen. Will heissen: Wie ein Sachverhalt, den man als ,zu lösendes Problem' auffasst, wahrgenommen, dargestellt und formuliert wird, bestimmt weitgehend darüber, wie die ,Lösung des Problems' ausfällt. Das ist insofern ein Problem von gewisser Tragweite, als damit erstens an der Objektivität von Sachverhalten überhaupt gelinde gezweifelt und zweitens damit nicht erst die Lösung, sondern schon das Problem stark relativiert wird. Die Wahl eines Analyse- oder Darstellungsmodells entscheidet darüber, welche Lösungsmöglichkeiten überhaupt ins Blickfeld rücken. Paradox wird die Angelegenheit dann, wenn man sagen kann: ,Ein Problem ist kein Problem', denn wie sollte ein Problem, dessen Problematik massgeblich von seiner Formulierung abhängt, problematisch sein? Oder: Wenn schon die Problemstellung mehr oder weniger beliebig ist, was soll dann erst für deren Lösung gelten? Quodlibet ex falso! Wenn, wie Horst Rittel (Dilemmas in a General Theory of Planning, in: Policy Sciences 4 (1973), 155-169; IGP Universität Stuttgart S-77-1) postuliert, die Formulierung eines Problems das Problem ist, weil jede Spezifizierung des Problems eine Spezifizierung der Richtung ist, die man einschlägt, um ein Problem zu lösen, und das Problem sozusagen erst gefunden werden kann, nachdem die Lösung gefunden wurde, dann ist das in einem Masse paradox, dass sich die Frage aufdrängt: Was folgt eigentlich daraus? Was nun? Was tun? ­ Nun: was tun! Malgré tout, trotzdem handeln, etwas anderes ist kaum möglich, denn: Entweder es handelt sich tatsächlich um ein Paradox ­ dann hat es keine Lösung. Oder es gibt eine Lösung, so hat es sich auch nicht um ein Paradox gehandelt. Dasselbe lässt sich übrigens für Probleme sagen: Probleme, die gelöst werden können, waren keine Probleme im eigentlichen, hartnäckigen Sinn. Demnach gehört die Unlösbarkeit zum Begriff sowohl des Problems wie des Paradoxons. Doch ist damit noch niemandem so recht geholfen. Hilfreicher wäre vielleicht zu sagen, dass der adäquatere Umgang mit dem Paradoxen nicht darin besteht, es zu ,lösen', sonder eher darin, es zu ,suspendieren'. Das ist auch spannender: ,suspense'!

Sechster Anlauf

Wie das geht, genügt vielleicht schon ein flüchtiger Blick aufs usuelle entwerferische Handeln. Da sieht es nämlich so aus: Eines der allerharmlosesten aber verbreitetsten Probleme des Design, wie es bei jedem Gartenzaun auftritt und nicht nur beim Design von Hängebrücken, und ein Problem, das alles Design zwischen Tesafilm-Rollern und Wolkenkratzern (Henry Petroski) heimsucht, ist das unverhältnismässige Verhältnis von Sollvorstellung und Realisation, von Seinsollen, Seinkönnen und Sosein. Was soll er nicht alles sein, so ein Tisch zum Beispiel. Gross genug, um Platz zu bieten, klein genug für ein Tête à tête bei Kerzenschein, abwaschbar und pflegeleicht, doch nicht klinisch glatt, für Kinder wie Erwachsene gleichermassen geeignet, stabil, aber nicht plump, leicht zu verrücken, aber nicht wacklig, und selbstverständlich sollen die Tischbeine der Beinfreiheit nicht im Wege stehen. Darüber hinaus soll auch solch ein Tisch, der nicht mehr als ein ,Tisch an sich' sein soll, preiswert sein, allerdings auch schön ­ was gar kein Widerspruch sein muss ­ es gelegentlich aber doch ist. Und so weiter ­ das Beispiel stammt von David Pye, und er zählt wohl noch weitere und andere ,Tischsitten' auf. Mit einem Wort: Ein so einfaches Objekt wie einen Tisch zu entwerfen kann ­ nicht zuletzt für Theoriegläubige ­ schon ein unlösbares Problem darstellen. Natürlich hilft hier die Orthodoxie gegen die Paradoxie ­ nur: sie suspendiert das Paradoxe meist zu früh. Wie auch immer ­ wir haben alle Tische, irgendwelche, und wir können ohne weiteres damit leben. Nichtsdestoweniger geht unser Sinnen und Trachten unentwegt auf: neue, andere, bessere Tische. Die logisch-geometrische Unvereinbarkeit sich widersprechender ,Solls' verhindert bis auf den heutigen Tag, dass wir den ultimativen, universal gültigen Tisch haben. In einem Objekt ­ definiert als eine Relation von Eigenschaften (Ujomov) ­ lassen sich nicht beliebig viele und beliebig beschaffene Attribute realisieren. Ob es sich bei Pyes Tisch um ein Paradox handelt, mag man füglich bezweifeln. Auf jeden Fall aber handelt es sich um eine Reihe von paradoxen Anforderungen an einen möglichen Tisch, handelt es sich doch um einander ausschliessende Möglichkeiten, die ,irgendwie' ,integrativ' zu behandeln sind. Im Grunde gibt es hier für den magischen Tisch drei Verfahrensmöglichkeiten: 1. die Faustkeil-Methode, also die reduktive oder abstrakte, die durch Reduktion der Form die Nutzungsmöglichkeiten vermehrt ­ eine Nullantwort, aber eine deshalb für viele situative Möglichkeiten gangbare ­, 2. die ,Swiss Army Knife'-Methode, also eine multifunktionale Summierung unterschiedlichster Funktionen bis zu einem Grad, der schliesslich jede Nutzung erschwert bis verunmöglicht, sowie 3. die paradoxe Möglichkeit, die sich dadurch auszeichnet, dass ich sie hier nicht benennen kann, weil sie jeweils erst erfunden werden muss. Man nennt sie gemeinhin ,genial', weil sie immer ein Moment des Inventiven enthält, gemeint ist aber nicht mehr und nicht weniger als: der gelungene Umgang mit dem Paradox bzw. die ,paradoxe Form'. Hier erfolgt dann doch ein zuerst unwirklich scheinender Transfer der paradoxen Vorgaben in die Form des Objekts. Anders gesagt: Man hat zum einen die Möglichkeit der Wahl bestimmter Kriterien, die man einzubauen gedenkt, oder der Ausgrenzung anderer, die man nicht berücksichtigt. Man hat zum anderen die Möglichkeit, eine Art Kompromiss zu realisieren, in dem möglichst viele Teilaspekte des Soll-Komplexes enthalten sind. Man hat aber auch eine dritte Möglichkeit: nämlich einen innovativen Transfer des Paradoxen in ein Objekt, das diese Paradoxien gewissermassen aus- und am Leben hält. Es kommt hier nicht darauf an, alle Paradoxe zu finden, die sich beim Design zeigen könnten. Es kommt darauf an zu zeigen, dass Design in einem Ausmass vom Paradoxen lebt, dass man schon fast sagen kann: Design ist ein Paradox. Und dies nicht im fundamentalen, sondern im phänomenalen Sinne. Da Design unbestritten fast stets die Umsetzung einer Kompromissformel und ein Kompromiss immer der Versuch ist, unvereinbare Positionen unter Abstrichen doch zu vereinbaren, ein Kompromiss also so etwas wie die Schwundstufe eines Paradoxons darstellt, ist eine Designlösung entweder ein Kompromiss ­ oder paradox. Im schlechteren Fall ist ein Designobjekt ein Kompromiss, im besten Fall ein Paradox. So weit, so gut. Aber ­ kann ein Gegenstand überhaupt paradox sein?

Siebter Anlauf

,Most advanced, yet acceptable' ­ Raymond Loewys ,Maya-Formel' bietet ein anderes, ebenso bekanntes wie typisches Beispielverhältnis zwischen Optimierung und Kompromiss. Sie ähnelt im übrigen dem vielbenutzten informationstheoretischen Quotienten (Information=) Innovation/Redundanz bzw. Ordnung/Komplexität. Antagonistische Terme ­ wie ,innovativ' und ,redundant' etwa ­ lassen sich häufig so zähmen, dass man sie als Proportion betrachtet. So generiert man Kompromissformeln, an welchen man sich im Design häufig orientiert, obzwar auch eine solche Kompromissformel noch relativ wenig darüber aussagt, wie ein zu entwerfendes Objekt dann tatsächlich aussieht. Die Hoffnung auf einen formalen Kompromiss lässt allerdings Lösungen prinzipiell möglich scheinen, währenddem die Hoffnungslosigkeit, wie sie einer paradoxen Situation entspricht, eine solche Lösung eher unmöglich erscheinen lässt. Es ist aber wohl gerade diese unwahrscheinliche Unwahrscheinlichkeit, die zu besonderen Lösungen führt ­ wenn sie dazu führt. Denn während die Aussicht auf einen Kompromiss nicht dazu zwingt, die Ebene, auf der die Widersprüche virulent wurden, zu verlassen, hält eine als paradox definierte Situation dazu an, diese Ebene wie auch immer zu verlassen, um ­ zum Beispiel ­ von einem logischen Niveau zu einem ästhetischen zu kommen oder von einem Urteilsniveau zu einer Handlungsebene ­ um dann, auf einer anderen Ebene ­ die Spannweite der Polarität zum Gegenstand der Gestaltung zu machen. Ob ein Objekt mit solcher Genesis allerdings als ,paradox' zu bezeichnen ist, mag dahingestellt bleiben. Denn die gemachten Dinge geben den Blick auf ihre Genese ex post prinzipiell nicht frei. ,Paradoxe Objekte' im eigentlichen Sinne gibt es nicht. An ,paradoxen Gegenständen' ­ wenn man darunter solche verstehen will, die ersichtlich unvereinbare Attribute verkörpern ­ fallen einem zunächst wahrscheinlich Follies oder Gadgets ein, Nonsens-,Objekte' wie das ,Messer ohne Stiel und Klinge' Lichtenbergs vielleicht, das nur verbal existiert, oder der Carelmansche Hammer mit Beleuchtung, der real existiert, aber wirklich nicht zu gebrauchen ist, die japanischen ,Chindogu'-Objekte oder womöglich der ,Zweifelswagen' von Hermann Finsterlin. Natürlich werden die Grenzen des Objektbegriffs bis hin zum ,Unding' immer wieder strapaziert ­ man erinnere sich der Diskussion des ,goldenen Bergs' bei Brentano etwa ­ und auch das Design hat die Aufgabe, dies zu testen. Und natürlich liesse sich bei entsprechender Definitorik auch ein Objekt als Paradox einführen. Doch entlang konventionellem Wortgebrauch und usueller Begriffsvorstellung verbleibt das Paradox im Mentalen. Sensu strictu bleibt ein ,paradoxes Ding' ein ,Ding der Unmöglichkeit'. Auch ein für den Skeptiker wie den Designer so symbolgeladenes wie attraktives Spielzeug wie der erwähnte ,Zweifelswagen' kann nur ,paradox' heissen im Kontext dessen, was an Vorstellungsmöglichkeiten und -unmöglichkeiten zum Gegenstand selbst hinzugedacht werden kann. Von paradoxen Gegenständen sprechen macht also nur Sinn, wenn der Kontext des Gemachtwordenseins selbst Gegenstand der Diskussion ist, auch wenn man nicht voraussetzen kann, dass der Gestaltungsprozess durchsichtig ist. Aber was heisst schon ,sensu strictu'? Design ohne Paradoxien wäre kein Design. Und dies hat ­ wie gesagt ­ nichts mit den Standard-Grundlagen-Dilemmas zu tun, wie man sie aus allen Disziplinen kennt und ad acta zu legen gelernt hat, um dennoch mit der wirklichen Lebenspraxis zurechtzukommen. Solche Paradoxien an der Oberfläche des Design müssen nicht als Kuriosa daherkommen. Im Gegenteil sind die kurioseren Kontrafakte oder Widerspruchsobjekte wohl nur Anschauungsmaterial für die Tatsache, dass Artefakte stets, mehr oder weniger, aus Widersprüchen gemacht sind. Das Paradox ist der Stoff, aus dem Design gemacht ist, so oder so. Man muss hier vielleicht daran erinnern, dass immerhin das ,moderne' Industrial Design sich historisch aus einer Koordinationsfunktion entwickelt hat, einer eher organisatorischen Vereinbarungsfunktion, die notwendig wurde zu einer Zeit, da unterschiedliche Arbeitsabläufe innerhalb eines Produktionsprozesses nicht mehr ohne weiteres vom einzelnen überblickt werden konnten, wie noch zu Zeiten der handwerklich-individuellen Fertigung möglich. So beschreibt es Adrian Forty in ,Objects of Desire'.

Achter Anlauf

Es liegt also, wenn man so will, in der Natur der Sache, dass designspezifische Paradoxa sich ­ wo es sie denn gibt ­ als Oberflächen-Paradoxa zeigen und sich dadurch von den genannten generellen Fundamental-Paradoxien unterscheiden. Während letztere vom Zweifel zur Verzweiflung führen können, scheinen erstere vom Zweifeln zum Handeln führen zu können. Es macht einen Unterschied, ob ein Raum, den man verlassen möchte, zwei verschlossene oder zwei offene Türen hat. Das Dilemma, dass man nicht weiss, welche Tür richtigerweise zu wählen wäre, ist je dasselbe. Aber die Handlungsmöglichkeiten sind im einen Fall gleich Null, im anderen gleich zweifach. Das macht erforderlich, an die aristotelische Version des Paradoxen zu erinnern: "Paradox werden heisst: Verlust der Bestimmbarkeit, also der Anschlussfähigkeit für weitere Operationen". (Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, 1984, 59) Der ,Verlust der Anschlussfähigkeit' kennzeichnet das Paradoxe jedoch nur im Hinblick auf die systemimmanente Unterbrechung, nicht aber im Hinblick auf eine Handlungsperspektive etwa. Im Gegenteil: Zwar ist klassisches Merkmal der Paradoxie, dass sie eine Kette von Schlüssen oder anderen Gedankenverbindungen abbricht und zu einem Schwebezustand führt, bei dem man zunächst nicht ein noch aus weiss. Amphibolie nannte das Aristoteles, Isosthenie (Gleichmächtigkeit) nannten es die Skeptiker und Jean Buridan erfand dazu bekanntlich ­ wenn auch apokryph ­ das Gleichnis von jenem Esel, der verhungert, weil er sich zwischen zwei gleichweit entfernten und gleichbeschaffenen Heubündeln nicht entscheiden kann. Diese Unentscheidbarkeit ist dann aber auch das Moment, das nach der Pause des Innehaltens und der Unterbrechung des selbstverständlich gewordenen Verlaufs den Ausbruch aus dem Denk- und Erwartbaren und den Aufbruch zu etwas Unerwartetem lanciert. So etwa sieht es schon die Rhetorik des 4. Jahrhunderts n.Chr. Insofern mögen auch designspezifische Paradoxa auf der Ebene der Theorie ein Problem sein ­ können aber in gewisser Weise der Praxis doch zugutekommen, nämlich dann, wenn Entscheidungen aus Ungewissheit zu treffen sind. Jede Entscheidung ist ja überhaupt nur dann eine eigentliche Entscheidung, wenn sie in Ungewissheit getroffen wird, denn ­ so Kierkegaard: andernfalls, in nicht-ungewissen Situationen, bräuchte es gar keine Entscheidung. Wer sich im Besitz des Wahren weiss, muss sich nie entscheiden. Darum impliziert Entscheidungsmüdigkeit fast immer ein hohes Mass an Orthodoxie ­ und umgekehrt. Orthodoxie ist der Widerpart zur Paradoxie. Während die orthodoxe Rechthaberei prinzipiell nur einen einzigen Wahrheitswert zulässt, beinhaltet bereits der einfache Widerspruch (p ungleich nicht p) ein ,Entweder Oder', das zur Entscheidung steht. Das Paradoxe aber bietet entweder ein ,Sowohl Als Auch' oder ein ,Weder Noch' ­ die Angelegenheit ist also nicht so oder so entscheidbar, vielmehr bleibt die Sache ausdrücklich unentscheidbar ­ das klassische ,Ja und Nein'. "Heirate oder heirate nicht, du wirst es bereuen, entweder du heiratest oder du heiratest nicht, du wirst beides bereuen ...", heisst es in Kierkegaards "ekstatischem Vortrag" in ,Entweder Oder', der das Beispiel noch weiter wortreich durchspielt. Es gehört zu den Bestimmungsstücken der Paradoxie, nicht zur Entscheidung zu stehen. Diese Lage in Form zu bringen aber ist Aufgabe und ­ gegebenenfalls auch ­ eine Leistung des Design. Das zeigt die spezifische Natur der Probleme des Design (vgl. Rittel, Dilemmas, a.a.O.). Designprozesse haben keine ,Stopregel', man kann ­ wie in der Kunst im übrigen auch ­ nicht sagen, wann das ,optimale' Resultat erzielt und der Prozess ,zuende' ist. Sie haben desgleichen ­ und deshalb ­ keine abzählbare Lösungsmenge. Designprozesse sind nie ,vollständig' ,gelöst', sondern immer an irgendeiner geeigneten oder auch weniger geeigneten Stelle abgebrochen. Jedes Designproblem ist essentiell einzigartig ­ auch wenn es sich um den hunderttausendsten Tisch handelt, den man gerade entwirft. Ort und Zeit und Kontext sind jeweils ganz bestimmte. Das wirkt sich auf die Modalitäten des Designprozesses aus: Jeder Vorschlag schlägt als ,one-shot operation' zu Buche, man hat keine Chance, mittels Versuch-und-Irrtum-Verfahren zu lernen, jeder Versuch zählt signifikant. Vorab absichernde Tests sind im Prinzip nicht oder nur partiell möglich. Daraus wieder ergibt sich, dass der Entwerfer nicht das Recht hat, sich zu irren ­ und das im Rahmen einer Tätigkeit, die sich ohnehin nicht an Wahrheiten, sondern bestenfalls an Wahrscheinlichkeiten orientieren kann ­ Wahrscheinlichkeiten mit einem Unsicherheitsfaktor, die jeder Wetterbericht übertrumpft. Design ist ein nur schwach determinierter, zukunftsoffener Prozess inklusive all der damit verbundenen Unsicherheiten ­ und einer der Bewertung. Sollfragen sind Fragen der Beurteilung, nicht nur der Logik, nicht nur der Technik ­ auch wenn in einem indeterminierten Prozess alle Arten von Determinatoren eher erwünscht sind als unerwünscht. Entsprechend ist Design nicht wahr oder falsch, sondern gut oder schlecht, besser oder weniger gut, erträglich oder schwerer erträglich ­ und so weiter. Ein Entwurf könnte immer auch anders sein. Alles Kennzeichen einer Prozedur, die mehr oder weniger paradoxe Züge trägt. Mit der Bewertung kommt aber noch ein weiteres Design-,Problem' in den Blick, das symptomatisch die iterativen Tendenzen des Planens demonstriert und die inhärenten Paradoxien schon an der Peripherie illustriert: Jedes Designproblem ist ,im Grunde' Symptom eines anderen Problems. Was bedeutet: jeder Lösungsversuch ist bestenfalls eine Teillösung.

Neunter Anlauf

Die Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand fordert Erklärungen. Bei der kausalen Rückverfolgung der Gründe für diese Lücke zeigt sich, dass es stets tieferreichende Gründe dafür gibt, warum etwa eine Verkehrskreuzung besonders unfallträchtig ist, und dass es nicht mit der einen oder anderen planerischen Massnahme getan sein wird. Die singuläre Kreuzung ist Symptom vieler anderer und ganz anderer Zusammenhänge: Zahl der Fahrzeuge, Potential der zur Verfügung stehenden Infrastruktur, Ausbildung der Fahrzeuglenker, Lage der Weltwirtschaft und anderes mehr. Designprobleme sind in der Hierarchie und Genealogie der Probleme dieser Welt tatsächlich nie mehr als Symptome anderer Probleme, und zwar solcher, die sich dem Einflussbereich des Gestalters in aller Regel entziehen. Mag sein, dass sich dieses Problem bei dem Entwurf von Eierbechern oder Tee-Servicen weniger scharf stellt. Dies freilich ist nun aber auch kein allzu ernstzunehmendes Problem. Ein Planungsprozess ist keine Teegesellschaft. Auch wenn man die Kreuzung durch einen Kreisverkehr ersetzt hat, wird man nie feststellen können, welche Unfälle man durch die Massnahme verhindert hat, wie Gilbert Ryle in ,The Concept of Mind' einmal exemplifizierte. Im Grunde wissen wir von keiner entwerferischen Massnahme, wie weit sie die Auswirkungen des einmal definierten Problembereichs überhaupt erfasst. Und wir wissen nicht einmal, wie wir die einzelnen Modelle zu bewerten haben. Und genau dies führt uns wieder zum ,Grund'-Problem des Design zurück, und zur Paradoxie-Bewältigung des Design. Es führt uns zu der Frage, worauf wir uns, wenn wir entwerfen, überhaupt beziehen (optimistisch ausgedrückt) oder stützen (etwas pessimistischer ausgedrückt) können. Und diese Frage ist wohl kaum anders als folgendermassen darzustellen. Auffallend ist, wie selten sich gestalterische Urteile als gestalterische Urteile geben. Das hat seinen Grund. Es gehört zum Phänomen der Oberflächenparadoxien im Design, dass ein Entwurf nur selten mithilfe von formalen oder ästhetischen Argumenten gerechtfertigt wird ­ begründet muss er aber werden, wenn er realisiert werden will. Und es gehört dazu, dass nicht einmal innerhalb des Entwurfsverfahrens die Wahl der jeweiligen Entscheidungen ,rein ästhetisch' ausfällt. Man sucht nach ,stärkeren' Determinanten, technischen, pragmatischen oder anderen, die in irgendeinem Sinne ,verbindlicher' sind als ,nur ästhetische'. Das hat Gründe, denen hier nicht weiter als nur soweit nachzugehen ist, als klar ist, dass man sich zum einen selbst nicht immer sicher sein kann, in Ungewissheit ,richtig' entschieden zu haben und deshalb objektivere Massgaben sucht, und dass man aber auch Dritten gegenüber gehalten ist, Konzepte als Minimum an Zustimmung wenigstens nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Das Problem dabei ist nur, je ausdifferenzierter man Design als Design zu begründen sucht, mit desto grösserer Gewissheit endet man in Begründungen, die mehr mit eigenen Grundüberzeugungen als mit dem eigentlich anstehenden aktuellen Designproblem zu tun haben. Je deliberierter ein Urteilsvorgang, desto grösser wird die Zahl der daran beteiligten undeliberierten Spontanurteile. (Vgl. Rittel, Urteilsbildung und Urteilsrechtfertigung, IGP Universität Stuttgart, A-77-1) Diese zahlreichen und nicht deliberierten Begründungen, die sich eigentlich dem seriösen Bestreben verdanken, seriös zu begründen, führen schliesslich zu einem Begründungstypus, den man als Design von Gründen bezeichnen kann, und der sich vielleicht am besten mit dem Begriff des ,Geländers' illustrieren lässt. Denn nachdem man lange und ausführlich deliberiert hat, kommt mit Sicherheit der Punkt, an dem man nicht mehr zu eigentlichen Begründungen greifen kann, sondern zu aussergestalterischen Fundamentalien oder Grundüberzeugungen Zuflucht nehmen muss ­ im Stile von ,das gehört sich (nicht)', ,das war immer so', ,ich habe mit eigenen Augen gesehen' und so weiter. Geländer der guten Sitte, der Usualität, der Tradition, der Evidenz, der Autorität, der Legalität und Legitimität, der Religiosität und so fort fungieren ab jetzt als ,letztbegründende' (Spontan-)Urteile und fundieren die gesamte vorgängige Begründungskonstruktion aus deliberierten Urteilen. Selbstverständlich werden diese Entscheidungsgeländer selten beim Namen genannt, denn sie mögen zwar für den Entscheider selbst starke Gründe sein, doch nicht immer auch für diejenigen, denen gegenüber die Entscheidung begründet werden sollte. Dass in diesem Zusammenhang das ,ästhetische Urteil' eine besondere Rolle spielt, muss nicht eigens betont und hier auch nicht eingehend begründet werden.

Zehnter Anlauf

Diese ,Geländer' sind also letztlich die Basis, auf die sich auch die Entscheidungsfindung in gestalterischen Prozessen stützt ­ nur: es handelt sich dabei nicht um ,gestalterische' Gründe oder Argumente, oder jedenfalls nur sehr bedingt. Vielmehr handelt es sich um Abgründe letzter Gewissheitshoffnung in Ungewissheit. Wenn Gründe Nicht- oder Abgründe sind, dann ist das schon paradox genug. Bei diesen Geländern handelt es sich auch nicht nur um nicht-gestalterische Begründungen, sondern auch nicht um etwa juristische, medizinische, soziologische oder solche anderer Profession, sondern ganz allgemein um nichtprofessionelle Argumentationen unterschiedlichster Provenienz. Es handelt sich um ein Grund-Design, das wer weiss woher stammt. Solche Grundlegungen jedoch einfach als ,willkürlich', ,subjektiv' oder nur als ,Meinung' zu apostrophieren, griffe übrigens schon deshalb zu kurz, weil der Rückgriff auf letzte Instanzen tiefster Überzeugung ausgesprochen Ausdruck einer ausdrücklichen Sehnsucht nach so etwas wie Objektivität ist ­ und von daher partiell sicher mehr ,objektifizierender' als subjektivistischer Natur. Eine andere Frage scheint da wichtiger: Handelt es sich bei diesen Geländern nun um handlungsstrangulierende und ideologisierende Dogmen oder um Möglichkeiten eröffnende Freiheitssignale? Es ist beides: Es ist dies der Punkt, an dem Orthodoxie paradox wird und die Paradoxie orthodox. Das zu sagen aber ist seinerseits: paradox. Und: das ist Design. Also ist Design paradox. Das Paradoxe bleibt in der Vorhand, trotz aller orthodoxen Hilfskonstruktionen, die es zu brauchen scheint. Design ist ­ in diesem Kontext ­ nichts anderes als Ausdruck dieser Begründungsnot beziehungsweise -dilemmas und zugleich die Substitution immer schwächer werdender Gründe durch einen starken Grund ­ nämlich das Designkonzept selbst. Es kommt, mit anderen Worten, nicht darauf an, Design zu fundieren. Umgekehrt: Design ist eine Fundierung des Umgangs mit dem Paradoxen. Die Suspension der Paradoxie ist der Entwurf. Da aber Paradoxien nie wirklich zu suspendieren sind, leben sie in dem Entwurf, den sie prinzipiell kennzeichnen, fort ­ mehr oder weniger kenntlich: entweder, wenn man daraus so etwas wie ein arithmetisches Mittel aller Parameter bildet, zum Kompromiss verschmiert, oder, natürlich seltener, als intelligente Eleganz oder elegante Intelligenz. Es kommt also weniger darauf an, Designkonzepte vollständig zu begründen ­ ,hinreichend' reicht. Es kommt vielmehr ­ wenn auch zugegeben überspitzt formuliert ­ im Design darauf an, solche Fundierungen zu vermeiden, gerade weil sie aus dem Design herausführen und mehr Scheingründen gleichen als Gründe sind. Die Fundierung muss das Design selbst leisten, mit so vielen Schwächen ein Konzept auch behaftet sein mag. Insofern ist Design nie einfach nur Design, sondern immer auch ein Design von Gründen. Im übrigen war der beste Entwurf noch nie der, der am exaktesten begründet werden konnte. Dass etwas Unfundiertes anderes fundieren kann, klingt paradox, ist es aber recht besehen nicht einmal. Es ist normal. Die Betrachtung des Design selbst als ,grundloser Grund' wäre eine eigene Diskussion wert ­ eine Diskussion, die hier jedoch nicht geleistet, zu der höchstens ermuntert werden kann. Voraussetzung dazu wäre freilich: ein gelockerterer Umgang mit Widersprüchen und ein gewisses Faible fürs Paradoxe. Beides kann man selten genug voraussetzen. Darum stagniert auch die Diskussion. ,Es gibt zu jedem wahren Satz mindestens einen weiteren, der das genaue Gegenteil behauptet, aber nicht weniger wahr ist', heisst es im ,Grundriss der pyrrhonischen Skepsis' des Sextus Empiricus. Aufs Design übertragen liesse sich dieser Satz in etwa so umformulieren: ,Es gibt zu jeder Möglichkeit eine weitere, die das Gegenteil meint, aber nicht weniger möglich ist'. Das ist das unvergängliche Dilemma des Design ­ aber: darin besteht auch das unverwechselbare und unerhörte Potential des Design, denn: die Rede ist hier ja von Möglichkeiten. Und das ist schon viel. Wozu also nun überhaupt die Frage nach einem Zusammenhang von Design und Paradoxie? Weil: Design ist doch paradox, aber auf eine eigene, ganz unfundamentale Weise, die nichts mit den üblichen Grundlegungsproblemen zu tun hat ­ ein Oberflächenphänomen, und das macht die Angelegenheit erst recht paradox. Denn Grundlagenparadoxien sind wie gesagt ,normal', richtig interessant wird es bei den zutageliegenden Normalfall-Paradoxien, denn sie sind nicht ganz so ,normal'. Paradoxe haben ausser der logischen Bredouille, die sie darstellen, auch eine weitere Eigenschaft, die nicht zu verachten ist: Sie sind grundsätzlich interessant, interessanter und daher in gewissem Sinn auch gelegentlich wichtiger als Wahrheit, Echtheit, Wirklichkeit. Eine Rhetorik des Design würde das ausdifferenzierter zeigen können. Doch es geht nicht nur um ,Worte', es geht auch um ,Taten': Paradoxa wirken handlungsfördernd. Ein gutes Gewissen ist nämlich ein schlechtes Gewissen und ein schlechtes ein gutes: Ein gutes Gewissen ist ein gutes Ruhekissen, aber ein schlechtes Gewissen, insofern es das Handeln storniert. Ein schlechtes Gewissen ist ein gutes Gewissen, insofern es das Handeln forciert. Paradoxa sind vielleicht selber weder wahr noch falsch oder beides zugleich, aber sie sind handlungsfördernd. Und dienen sie auch nicht der Wahrheitsfindung, so dienen sie doch sehr wohl der Formfindung. Das Paradoxe ermöglicht Design als Design, und Design verleiht dem Paradoxen eine Form, manchmal sogar eine schöne. Also: Keine Angst vor Widersprüchen ­ sie wirken stets belebend. Und: Keine Angst vor Paradoxen! Sie wirken sogar wiederbelebend.