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Ranulph Glanville

 

DAS ERFORSCHEN DES ENTWERFENS UND DAS ENTWERFEN DER FORSCHUNG (1)

 

von Ranulph Glanville

(Übersetzung Wolfgang Jonas)

© Massachusetts Institute of Technology 1999

Geringfügig modifizierte Version eines Essays, das in den Proceedings der "No Guru-No Method?" Konferenz, Helsinki 1997, erschienen ist.

 

Prolog

Als die Designforschung begann, so etwa in den 1960er Jahren, nahm man an, dass die Wissenschaft letztendlich erfolgreich sein werde. Schon auf der berühmt-berüchtigten Oxford Konferenz von 1956 akzeptierte man in der Architekturausbildung in UK (und ihrer Einflusssphäre), dass die Architektur ein zweitklassiger Gegenstand sei, d.h. nicht richtig wissenschaftlich. Wissenschaft (in Wirklichkeit Technologie) wurde als so erfolgreich angesehen, dass alles wissenschaftlich sein sollte: der Stein der Weisen! Architekten (eine bedeutende Untergruppe der Entwerfer) waren dazu bestimmt wissenschaftlich zu werden. Der Lehrplan wurde verändert und Designwissenschaft (design science) wurde erfunden. Sogar die Architectural Association School widmete mehr als ein Drittel der Zeit im (undergraduate) Studium der Designwissenschaft. Premierminister Wilson und seine Regierung verkündeten die "Weißglut der technologischen Revolution" (White Heat of the Technological Revolution).

Es ist nicht verwunderlich, dass Design nicht als eigenständige Disziplin gesehen wurde. Design war unzulänglich: tatsächlich eine mangelhafte Wissenschaft. Es war fehlerhaft. Aber diese Mängel konnten durch die ordnungsgemäße Anwendung wissenschaftlicher Methoden geheilt werden.

Es tat nichts zur Sache, dass die Wissenschaft, so wie sie praktiziert wurde, weder den Beschreibungen in den wissenschaftlichen Publikationen noch denen der Wissenschaftstheorie entsprach, oder dass die Philosophen diesen Konzepten ihren Nimbus nahmen. Design sollte wissenschaftlich werden und es sollte (wissenschaftliche) Forschung betrieben werden. Die Ergebnisse würden dann schon für sich selbst sprechen. Mit der Anwendung der richtigen wissenschaftlichen Methoden würden die Probleme des Designs gelöst werden. Anstrengungen in dieser Richtung wurden unternommen und einige zeigten Wirkungen (so hatten frühe CAD-Softwarepakete im Bereich Krankenhausentwurf einigen Erfolg: unter bestimmten Bedingungen kann man Krankenhäuser durchaus als Maschinen ansehen, auch wenn es heute eine Gegenbewegung gegen diese Sicht gibt). (2)

Forschung war das, was man brauchte. Anständige wissenschaftliche Forschung (Forschung wurde mit Wissenschaft identifiziert) würde die Geheimnisse der Designer lüften und uns ganz unsentimental in die Lage versetzen, die richtigen Antworten auf Probleme zu finden. Forschung war wesentlich für Wissenschaft. Design, in schmachvollem Gegensatz dazu, war nicht wissenschaftlich. Aber Design sollte "wissenschaftlich" sein. Deshalb brauchte Design Forschung. (3) Da Forschung wissenschaftlich war, müsste auch Designforschung wissenschaftlich sein. Und dann wäre folglich auch Design selbst wissenschaftlich. Forschung gab der Wissenschaft ihre Vorrangstellung, was sich auch heute noch in der Zunahme von evidenz-basierten Studien zeigt.

In diesem Aufsatz betrachte ich die Forschung experimentell wie theoretisch so wie sie tatsächlich durchgeführt wird, verglichen damit wie darüber berichtet wird, und vergleiche dies mit dem Kern des Entwerfens (wie ich es verstehe), um auf diese Weise die mögliche Beziehung zwischen Forschung und Design zu erhellen. Auf diese Weise kann die Balance wieder hergestellt werden, so dass dem Design der Ort zugebilligt wird, der ihm meiner Ansicht nach gebührt. Schließlich werde ich untersuchen, ob es einen Wissensbereich gibt, der in eigener Kompetenz bereits das erreicht hat, was Design für sich anstreben sollte.

Die Zielsetzung dieses Aufsatzes besteht in der Konstruktion eines Arguments, das dem Design seinen rechtmäßigen Platz in der Forschung zurückgibt: d.h. welches Forschung als (beschränkten) Designakt erweist und nicht umgekehrt Design als unzulängliche Forschung. (4)

 

Teil I: Die Welt der Forschung

Forschung

Was ist das Ziel von Forschung? Was wollen wir mit ihr erreichen?

Forschung ist ein Unternehmen, durch das wir unser Wissen (über die Welt) vergrößern wollen. (5) Das Wort "research" (ebenso wie das Wort "design") ist im Englischen sowohl Substantiv als auch Verb. In diesem Aufsatz bin ich besonders an Forschung und Design als Aktivitäten interessiert, deshalb benutze ich die Wörter zumeist als Verben.

Forschung wird üblicherweise als das Herstellen von erweiterbarem und prüfbarem sozialen Wissen verstanden. Ein typisches Merkmal (6) besteht darin, dass wir unser Wissen nehmen, es auf neue Bereiche ausdehnen und es testen, bis es "versagt", um es dann neu aufzubauen. Auf diese Weise erweitern wir das, was wir wissen. Die Zirkularität und das Scheitern (das zur "Wiedergeburt" führt) sind zentral für das Unternehmen Forschung.

Das was Forschung produziert ­ das Ergebnis ­ sollte stabil sein, um bei der Herstellung von Wissen brauchbar zu sein, d.h. das Ergebnis sollte wiederholbar und unzweideutig (stabil in der Interpretation) sein.

Es sollte auch kohärent sein: das Ergebnis sollte mit dem, was schon bekannt ist, zusammenpassen (bzw. zuweilen auch dessen Neubetrachtung veranlassen). Forschung befasst sich sowohl mit einzelnen Wissensbatzen wie auch mit ihrer Zusammenstellung zu größeren Strukturen. Es ist wichtig, dass die Batzen innerhalb der größeren Strukturen zusammenhalten. Dies bedeutet, dass die Kohärenz eng verbunden ist mit der Konsistenz: die Wissensbatzen innerhalb der Strukturen müssen in sich selbst konsistent sein.

Ein wichtiger Weg zu bestimmen, dass unser Wissen konsistent und wiederholbar ist (d.h. vollständig) besteht in der Vorhersage von Ergebnissen. Wenn Wissen dies erfolgreich leistet, dann verstärken wir unser Vertrauen in dieses Wissen und gelangen zu einer Wissenschaft der Vermutungen (conjectures). Die Tatsache, dass wir (wenigstens in der Theorie) bereit sind, diese Vermutungen bis zu ihrer Zerstörung zu testen führt zu einer Wissenschaft der Widerlegungen (refutations) im Popperschen Sinne. (7)

Wissenschaftliche Forschung wird jedoch nicht immer entsprechend dem Popperschen Ideal durchgeführt, das für unperfekte Menschen unmöglich ehrgeizig ist. Kuhn (8) argumentierte auf der Grundlage historischer Beobachtungen darüber, wie wissenschaftliches Wissen sich aufbaut und zusammenbricht, wie es modifiziert wird, um anerkannte Theorien zu stützen, so lange bis diese Theorien durch Zusätze und Erweiterungen so kopflastig werden, dass sie nicht mehr überleben können. Er unterteilte die Wissenschaft in die "revolutionäre" und die "normale" Wissenschaft, die sich mit den profaneren und technischen Aufgaben der Konservierung des status quo befasst. Lakatos (9) hat die Entwicklung im Umkreis anerkannter Theorien mit dem Bild des "Schutzgürtels" bezeichnet, der das Unkonventionelle abstößt.

Wissenschaft, so wie sie betrieben wird, entspricht nicht dem von Popper propagierten Ideal. Wir können sie anstreben, aber wir werden Poppers Ideale wahrscheinlich nicht erreichen. Dieser Unterschied zwischen der Wissenschaft wie sie dargestellt wird und der Art, wie sie tatsächlich betrieben wird, ist wichtig.

Forschung wird auf zwei hauptsächlichen Schauplätzen betrieben. Der erste ist das Experiment, der zweite die Theorie. Ich befasse mich hier mit dem, was wirklich passiert, im Gegensatz zur "offiziellen Darstellung".

All dies findet statt vor einem Hintergrund von Annahmen; zum Beispiel dass etwas das immer passiert ist nicht notwendigerweise immer wieder passieren wird. Aber wir nehmen an, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es weiter passiert zunimmt, je öfter es bereits passiert ist, bis... (10)

 

Experiment

Experimente sind die hauptsächlichen Mittel, mit denen Wissenschaftler Wissen aus der von uns bewohnten Welt extrahieren. (11) Sie tun dies durch radikale Vereinfachungen. Im (idealisierten) wissenschaftlichen Experiment unterteilen wir Systeme in klar bestimmte, isolierte Variablen. Wir halten alle Variablen bis auf eine fest und verändern einen Faktor, den wir im System für einflussreich halten und den wir als freie Variable nehmen. Während der Veränderung dieses Faktors beobachten wir jegliche Veränderung im Systemverhalten und rechnen sie der Reaktion dieser Variablen zu. Wir organisieren die "Inputs und Outputs" so, dass eine einfache Beziehung erscheint und wir bestimmen, dass diese Beziehung durch die variable bestimmt sei. (12)

Wir haben uns Methoden (zum Beispiel Statistik) ausgedacht, um diese Bedingungen in komplexen Systemen dort zu "fingieren" (fake), wo wir die Variablen nicht isolieren können und / oder wo keine Wiederholbarkeit herstellbar ist.

Ich bin sicher, dass der Leser mit diesem Bild vertraut ist. Was herausgelassen wird ist der Experimentator. Aber wie kann es ein Experiment ohne Experimentator geben?

Die Antwort (auf der Grundlage einfacher Erfahrung: des Experimentierens und des Sprachgebrauchs und seiner Implikationen für das handeln) ist ganz freimütig. Es geht nicht.

Der Experimentator entscheidet sich das Experiment durchzuführen und richtet es ein / baut es auf (einschließlich der Bestimmung der Variablen). Er oder sie beobachtet und bestimmt, was die Ergebnisse sind und führt die Handlungen aus. Die Tatsache dass der Experimentator von sozialen faktoren und epistemologischen Einstellungen beeinflusst ist, vermindert seine oder ihre Verantwortlichkeit nicht: der Experimentator akzeptiert diese sozialen Faktoren und handelt dem entsprechend.

Der Experimentator fährt so lange fort bis das System beginnt sich wie gewünscht oder gefordert zu verhalten (zum Beispiel durch Verschieben der Lichtquelle / des Schirms / der Linse um ein scharfes Bild zu bekommen). Und der Experimentator bestimmt wann genug getan worden ist, d.h. wenn der Zirkel abgebrochen wird. Der Experimentator entwirft das Experiment und entwirft es erneut, falls es nicht (oder nach ihrer oder seiner Meinung nicht gut genug) funktioniert. Der Experimentator gestaltet das Ergebnis und setzt unterschiedliche Beobachtungen zu einem kohärenten Ganzen zusammen (indem sie in Beziehung gesetzt werden). Der Experimentator kann das Ergebnis dann in eine Theorie zusammenfassen und dieses damit folglich entsprechend modifizieren. In der Reaktion auf Veränderungen des Wissensstandes aufgrund der Experimente kann der Experimentator das Experiment erneut durchführen, möglicherweise mit einem neuen Arrangement der Variablen oder an einem anderen Ort, um die Wiederholbarkeit (d.h. Stabilität) zu überprüfen. Er oder sie kann Vorhersagen machen (was immer einen neuen Durchlauf erfordert). Der Experimentator spielt so lange mit allen Aspekten des Experiments bis es Resultate der gewünschten Art liefert.

Diese Handlungen des Experimentators sind zirkulär. Als Ergebnis ihrer Zirkularität kann Neuheit (das Unerwartete) beobachtet werden, was zu einem Neudurchlauf unter veränderten Bedingungen führt. Zirkularitäten gibt es in Aufbau und Durchführung des Experiments, in der Bewertung des Gefundenen und in seiner Integration. Es gibt auch Zirkularitäten der Wiederholung. Der gesamte Prozess ist tief in Zirkularität eingebettet, ganz speziell in die größte aller wissenschaftlichen Zirkularitäten: das aktive Engagement des Experimentators (des Beobachters).

 

Betrachtung (account)

Der traditionelle Zusammenhang von (wissenschaftlicher experimenteller) Forschung ist hochgradig formalisiert ­ wie eine russische Ikone! Diese Darstellung, die allen Schulkindern eingetrichtert wird, hat die Absicht bestimmte epistemologische Ansprüche herauszustellen.

Es werden also Beobachtungen in und von Experimenten durchgeführt. Es gibt keinen Handelnden, niemand führt die Beobachtung durch. Das Experiment entsteht einfach (niemand denkt es sich aus oder bastelt herum bis es funktioniert ­ d.h. produziert das gewünschte (von wem gewünschte?) Ergebnis). Ergebnisse erscheinen einfach so, ohne einen Akteur, der das Experiment justiert um den geforderten Output zu bekommen, der also etwa die optischen Elemente bewegt bis ein scharfer Focus vorliegt und erst dann die Messungen vornimmt. Alles ist automatisch, ein Mechanismus von großer Schönheit und Komplexität, in sich selbst wahr, jenseits und ohne Bedarf nach menschlicher Intervention. (13)

Das Unternehmen wird auf eine Art präsentiert, welche die Sicht unterstützt, die Große Wissenschaftliche Anstrengung (Great Scientific Endeavour) bringe von menschlicher Intervention unbesudelte Wahrheiten hervor, Wahrheiten, die der Entdeckung in der Großen Realität Dort Draußen (Great Reality Out There) harren. Diese Position ist heute unberechtigt und unhaltbar: es ist schwierig, die Konsequenzen bis zu einem logischen Schluss zu verfolgen und die konstruktivistische Sicht aufzunehmen, die zu entstehen (emerge) scheint. In der Wissenschaft sind wir lange anders gedrillt worden.

Diese Art der Betrachtung ist Nachrationalisierung: die ordentliche Erklärung dessen was möglicherweise war, nach dem Geschehen, eine ganz andere Erfahrung. Emergenz ist eine unzutreffende Bezeichnung, beobachtet im Licht der Prozesse, aus denen heraus das Auftreten der Emergenz angenommen wurde. Und dies kann nur nach dem Ereignis betrachtet werden. denn die Beziehung zwischen dem Mechanismus und seiner Herstellung kann nur bestimmt werden, nachdem die Herstellung passiert ist und (metaphorisch) sichtbar werden für den Beobachter, der dann von Emergenz sprechen kann. Von Emergenz als einer Eigenschaft zu sprechen ist Unsinn; es muss stets ein post hoc Zuschreibung sein.

In dieser traditionellen Sicht gibt es eine Macht, ein "Recht". Es gibt Lösungen für Probleme, weil in den Mechanismen alles zusammen passt. Tatsächlich ist in der Natur bereits alles zusammen gefügt: auf diese Weise funktioniert das Universum. Definiere das Problem, führe saubere Handlungsschritte durch und der sich ergebende Output der wissenschaftlichen Maschine muss richtig sein. Die Macht dieser Sichtweise besteht in ihrem Funktionieren ­ ziemlich gut, wenigstens innerhalb der Annahmen des Rahmens, den sie demonstrieren soll. Diese Modifikation bietet die Basis für Studien über Chaos. (14) So konnte man annehmen, Forschung führe zu "richtigen" Antworten, zumindest bis zu Popper. (15)

Hier ist nicht der Ort für die interessante Diskussion darüber, warum wir diese Sicht nicht länger unterstützen sollten (angenommen sie war jemals gültig). Ein Grund, und gar nicht einmal der schlagkräftigste, ist die Transkomputabilität (transcomputability) basierend auf Hans J. Bremmermanns Berechnung des Rechenpotentials der Erde. (16) Wir erkennen, dass das von der traditionellen Betrachtung vorgestellte Bild weder genau noch glaubwürdig ist ­ weder was die Art betrifft wie wir Forschung treiben, noch was die Ergebnisse betrifft, die wir vernünftigerweise erwarten können. (17) Die allgemein verkündete Sicht, nach der wir mittels des wissenschaftlichen Experiments unsere Forschung begründen, ist inkorrekt. (18) Und tatsächlich wird sie von führenden Wissenschaftlern auch nicht mehr vertreten. (19)

Über die vergangenen dreißig Jahre hat die Sprachanalyse die Ziele von wissenschaftlicher Kommunikation und Sprachverwendung beschrieben und darauf hingewiesen, dass diese sich verändert haben. Publikationen sind nicht länger mit "der Wahrheit" befasst; sie kommunizieren vielmehr den Wunsch des Autors (oder Herausgebers), in einer Gruppe von Kollegen aufgenommen zu werden oder zu bleiben. (20) Diese Erkenntnis trifft für Physiker ebenso zu wie für Sozialwissenschaftler. Das Schreiben in der ersten Person ist bei Aufsätzen wieder populär geworden. Entwerfer wissen, dass sie nicht mit "der Wahrheit" befasst sind außer im metaphysischen Sinne, beispielsweise Wahrheit / Ehrlichkeit im Material (das Motto der Architectural Association ist "Design in Beauty, Build in Truth"): und sie wissen, dass es kein Design ohne sie, die Designer, gibt. Wir verstehen auch, dass die Beschreibung nicht die Erfahrung ist; die Erklärung nicht die Wirklichkeit; die Voraussage kein Mechanismus. (21) Und schließlich versäumen wir es, die tatsächlichen Prozesse des Schreibens / Berichtens zu erwähnen ­ wie oben!

 

Theorie

Theorie ist das was die (Sammlung von) Beobachtungen, die wir aufbauen, in Wissenschaft verwandelt. Vielleicht macht sie diese Sammlungen nicht zu Wissenschaft, aber sie ist notwendig, selbst in unzureichender Form. Dieser Aufsatz befasst sich jedoch nicht primär mit der Frage was Wissenschaft ausmacht, sondern mit der Rolle von Theorie in der Forschung. In meinem Verständnis hat Theorie in der Forschung die beiden folgenden Funktionen:

Zuerst das Kombinieren, Koordinieren und Vereinfachen der Ergebnisse von Experimenten durch die Entwicklung verallgemeinernder Konzepte; und,

Zweitens die Untersuchung dieser Konzepte, um sie zu klären und weiter zu entwickeln und die erweiterten Verständnisse in die Theorie zurückzuspiegeln: und daraus resultierend das Vorschlagen weiterer Experimente zur Verifikation der Theorie. Die Beziehung zwischen Theorie und Experiment ist grundsätzlich zirkulär. Man kann sie als Partner in einer sehr langsamen, über eine sehr lange Zeit betriebenen Konversation denken. Und die Rolle der Theorie besteht in Vereinfachung und Verallgemeinerung.

 

Theorie aus dem Experiment

Die erste Art von Theorie, Theorie aus dem Experiment, umfasst das Finden von Mustern. Menschen suchen nach Mustern. Piaget besteht darauf, das Kind entwickle eine Sicht von der Welt, wenn es fähig wird Objekte zu unterscheiden: d.h. Konstanz zwischen verschiedenen Wahrnehmungen zu verschiedenen Gelegenheiten herzustellen ("Objektkonstanz"). (22) Das Finden von Mustern, das Herstellen eines Konzepts aus vielen unterschiedlichen Wahrnehmungen, ist eine intensiv menschliche Aktivität. Theorien sind Muster, denen verbreitet Glauben geschenkt wird und die als Erklärungen für einen Teil unserer Erfahrung akzeptiert werden. George Spencer Browns "Logik der Unterscheidung" (logic of distinction) basiert auf diesem Konzept. (23) Meine erste Doktorarbeit befasste sich damit wie wir, obwohl auf unterschiedlichen Wahrnehmungen beruhend, noch glauben können, das selbe "Objekt" zu sehen. (24)

Da Theorien laut Popper nicht beweisbar sind, bleiben sie nur für eine bestimmte Zeit gültig und warten auf ihre Widerlegung. Sie fallen in eine Kategorie, die auch Ockhams Rasiermesser enthält. Das Kriterium von Ockhams Rasiermesser ­ relative Einfachheit ­ ist nicht besser beweisbar als "Zufälligkeit". (25)Die Behauptung etwas sei zufällig bedeutet nur, dass bisher kein Muster gefunden wurde. Es gibt keine absolute Wahrheit in der Einfachheit, es gibt lediglich Zweckmäßigkeit, Kohärenz und Konsistenz. (26) Ockhams Kriterium kann weder bewiesen (es ist eine Geschmackssache) noch ordentlich getestet werden (auch wenn es intuitive Gültigkeit besitzt und wir mögen, wenn es zutrifft). Es ist das Mittel, durch das beispielsweise Newtons Universum als Unterfall in das von Einstein eingegliedert wird.

Warum wollen wir vereinfachen? Um das "Kontinuum unserer Erfahrung definitiv (definite) zu machen, um es im Rahmen begrenzter (finite) Ressourcen handhabbar zu machen. (27)

Wenn wir nicht vereinfachen würden, indem wir (andauernd) (gleiche) Objekte gleich machen, dann wären wir niemals in der Lage, sie zu erkennen: ebenso wenig würden wir "Wahrnehmungen" als solche von "Objekten" "erkennen". Die Welt in der wir lebten hätte keinen Gegenstand und wir wären nicht in der Lage uns etwas vorzustellen, geschweige denn von unseren eigenen "Ichs" zu sprechen. "Erkennen" (to cognize) wäre jenseits von unvorstellbar. Wir lebten in einem Kontinuum, der Leere: über die wir nicht reden können, denn Sprechen bedeutet Unterscheiden und Objekte herstellen. In einem Wort, Nirvana.

Ebensowenig könnten wir verallgemeinern, Ähnlichkeiten im Verhalten finden und aus Wiederholungen lernen um die Überzeugung zu wagen, dass ein bestimmtes (beobachtetes) Verhalten eines Objekts immer auftreten wird, weil es bisher immer aufgetreten ist. Wir glauben so stark in derartige Vereinfachungen, dass wir Diskrepanzen als Irrtümer wegerklären anstatt sie als Hinweis darauf zu nehmen, dass die Vereinfachung offensichtlich irgend etwas übersehen hat. Durch diesen Kunstgriff erhalten wir unsere Theorien. Die Theorie formalisiert die Bedeutung und Notwendigkeit von Mustern. Muster geben uns Objekte und erkennbare Verhaltensweisen und erlauben uns so Vorhersagen und das Leben aufgrund unserer Vorhersagen. Ich werde die Verbindung zwischen unserem Denken und Design in einem anderen Aufsatz untersuchen, aber diese Überlegungen verdeutlichen meine Überzeugung: dass Design unsere Art zu denken konstituiert.

Vorhersage ist ein Mittel, um die Reichweite unserer Beobachtungen und die Muster, die wir konstruiert haben zu vergrößern ­ ein Mittel um unsere Welten zu präformieren (preforming). Indem wir mit der Behauptung leben, dass Muster X existiert, und dass es immer geschehen wird weil es immer geschehen ist, erweitern wir die Reichweite der Anwendung des Musters zu einer Prognose und übernehmen so mittels bestimmter Handlungsabläufe die Kontrolle über die Zukunft. Der Glaube, etwa sei konstant, führt uns dazu, nicht weiter darüber nachzudenken: es wird zur Gewohnheit. Wenn ich zum Beispiel eine Route habe, die ich regelmäßig benutze, dann formt dies (und beschränkt beträchtlich) meine Aktionen und ich behandle dies schließlich als ursächlich verbunden. Ein Zufall führt zu Verwirrung und Kontrollverlust. Meine Ursache-Wirkungs-Kette ist zerbrochen.

Ganz ähnlich machen wir Vereinfachungen, welche die Grundlage unserer Wissenschaft (und unseres persönlichen Wissens) bilden. (28) Wir bestimmen, dass Objekte, wenn sie nicht behindert sind, zur Erde fallen und wir verallgemeinern. Wenn wir die Verallgemeinerung genauer anschauen, dann gewinnen wir ein einfaches Prinzip. Wir benutzen das Prinzip, um andere Beobachtungsbereiche abzudecken: Objekte, die an Schnüren herumwirbeln fallen so lange nicht zur Erde wie sie schnell genug herumwirbeln, was wir wiederum ausdehnen auf das Verständnis der Planeten, die sich wie an unsichtbaren Schüren bewegen. Hier schreiten wir fort von Theorie zu Theorie.

 

Theorie aus der Theorie (aus dem Experiment)

Die zweite Art von Theorie besteht in der Untersuchung von Konzepten zur weiteren Klärung (und damit Weiterentwicklung) dieser Konzepte, im Zurückbeziehen des erweiterten Verständnisses auf die Theorie und im Vorschlagen von Experimenten zur Verifikation.

Wenn die Wissenschaft sich im Wesentlichen als empirisch eingeschätzt hat, so gab es doch immer auch einen theoretischen Bereich. In mancher Hinsicht ist die Mathematik (oder die Logik) die Königin der Wissenschaften. (29) Theoretische Wissenschaft ist heute sehr stark vertreten. So lebt etwa die Teilchenphysik in einem Universum des theoretischen Diskurses und ist ganz wesentlich theoriegetrieben. (30) Zuweilen kehren derartige Bereiche zum Experiment zurück, aber nicht immer. Wissenschaft hängt nicht nur von Theorie ab, die auf dem Sammeln und Organisieren von empirischer Evidenz (und deren Vereinfachung zu Mustern) beruht, sondern auch von solcher Theorie, die sich auf die Untersuchung der Konsequenzen dieser Evidenz und ihrer Vereinfachung durch logische Folgerungen gründet, etwa der parallelen Untersuchung eines bestimmten Musters und von Mustern generell.

Beim Bauen von Theorie aus (und über) Theorie verwenden wir die gleichen Hilfsmittel wie beim Bauen von Theorie: Vereinfachung und das Finden von Mustern. Ebenso wie die Objekte die wir gefunden haben, behandeln wir die Beziehungen und die Muster, denen sie angehören als Objekte. Bei der Anwendung der theoretischen Hilfsmittel auf die Theorie selbst agieren wir selbstreferentiell: und Selbstreferenz ist notwendigerweise zirkulär. Wir machen Theorie über Theorie ebenso wie wir Theorie machen: wir finden die Muster von Mustern.

Wir benutzen diese Verständnisse (Hilfsmittel) ­ Vereinfachung und das Finden von Mustern ­ um unsere Verständnisse zu entwickeln, besonders das Verstehen dieser Verständnisse (das Verstehen von Verstehen). So helfen uns unsere Verständnisse, unsere Verständnisse zu entwickeln, aber schränken sie auch ein. Wenn wir Widersprüche finden, dann modifizieren wir sie oder weisen sie zurück und starten neu: vom Ausgangspunkt, wenn nötig, d.h. wir kehren zu unseren ursprünglichen Vereinfachungen zurück.

Dieser zirkuläre Prozess ist, so behaupte ich, ein Designprozess: ein Prozess der kontinuierlichen Veränderung und Vereinheitlichung, der Inklusion von immer mehr Teilen in ein kohärentes Ganzes; gelegentlicher Neustart, Erweiterung und Umsturz; die Steigerung der Reichweite und der Vereinfachung ("Less is more"). Auf der Basis unseres erneuerten Verständnisses schlagen wir Experimente vor, die es uns erlauben unsere Vereinfachung durch eine Interaktion zu testen, in der wir selbst und die persönliche Wirklichkeit, die wir für uns herstellen, Bestätigung, Erweiterung und Veränderung (und Erneuerung) erfahren.

Man beachte, wie all dies einen Agenten / Akteur erfordert. Wir machen das. Es passiert nicht von selbst. Wir entdecken nicht einmal: wir machen und wir testen, und, wo nötig verändern wir. Wir sind als aktive Agenten immer anwesend. Was wir tun ist zirkulär, weil das eben der Weg ist wie wir es tun.

Eine Form des Betreibens von Theorie aus Theorie ist Kritik. Dieser Aufsatz ist eine Form von Kritik, indem sie Theorie aus einer Position der Theorie (und als Theorie) neu betrachtet. Der Akt des Lesens (oder Schreibens) dieses Artikels ist das Herstellen von Theorie aus Theorie (über die Theorie aus der Theorie gemacht ist!). Er ist so Teil eines Designprozesses: er reflektiert die Theorie (der Wissenschaft) zurück auf sich selbst. Er konzentriert sich (vereinfacht) auf die Reflektion bestimmter Aspekte und findet ein Muster: eins der Zirkularität und des Engagements des Beobachters. In diesem Aufsatz ist die Kritik wesentlich selbstreferentiell. Aber Kritik, die sich nicht von der Theorie selbst ableitet, ist trotzdem, in einem weiteren Rahmen, Theorie angewandt auf Theorie. Kritik umfasst ein Abstrahieren vom Theoretisieren, um eine (allgemeine) theoretische Übersicht zu erlauben und anzuregen.

 

Teil II: Die Welt des Designs

Reflex

Ich habe behauptet, das in Teil I dieses Textes Beschriebene sei Design und zwar auf vielen Ebenen. Und deshalb ist (wissenschaftliche) Forschung eine Form von Design ­ eine besonders eingeschränkte Form. Wenn dies so ist, dann ist es unangemessen an Design die Forderung zu stellen "wissenschaftlich" zu sein: denn wissenschaftliche Forschung ist eine Untermenge (eine eingeschränkte Form) von Design, und im Allgemeinen verlangen wir ebenso wenig, dass die (Ober-)Menge einer Untermenge als Unter-Untermenge dieser Untermenge agiert, wie wir vom Fundament eines Gebäudes verlangen sein Dachboden zu sein.

Dass (wissenschaftliche) Forschung ein verborgener Zweig des Designs ist führt zu Eigentümlichkeiten! Es ist seltsam, dass ein Feld, das so lange das Aufdecken der Wahrheit als seinen ureigensten Zweck beansprucht hat, nun unehrlich erscheint im Hinblick auf das was es tut und wie es dies tut. Um so überzeugend wie möglich zu zeigen dass (wissenschaftliche) Forschung eine Variante von Design ist werde ich erklären, was ich unter "Design" verstehe und den Leser daran erinnern wie die Merkmale dieser Charakterisierung in der vorstehenden Beschreibung der (wissenschaftlichen) Forschung zu finden sind. Ich glaube, dies gilt für sämtliche Forschung, denn um von der bloßen Behauptung verschieden zu sein braucht Forschung Beweise: es genügt nicht ein paar Ideen zusammenzubauen wie es uns gerade einfällt. Wir müssen diese Ideen (ehrlich und fair) im Hinblick auf Konsistenz, Korrespondenz mit der Erfahrung (Wirklichkeit) und Verbundenheit (communion) testen.

 

Was ist Design?

Es hat viele Antworten auf die Frage gegeben was Design ist. Die in diesem Aufsatz benutzte Charakterisierung konzentriert sich auf Design als ein Hilfsmittel der Ausübung unserer Kreativität.

Nochmals, Design ist ein Wort, das auf mehrere Arten verwendet wird, das im Englischen sowohl Substantiv als auch Verb sein kann. Hier wird Design hauptsächlich als Verb benutzt, um Handlung anzuzeigen. Zirkularität ist zentral für den Akt des Entwerfens. Hier kommt meiner Meinung nach Kreativität ins Spiel, die im Zentrum meines Interesses steht. (31) Ich bleibe dabei, andere Aspekte (zum Beispiel das Lösen eines gestellten Problems), wie wichtig sie auch sein mögen und obwohl häufig als wesentlich angesehen, sind nicht zentral für die Untersuchung des Designakts. Problemlösung ist eine eigene Disziplin. Ich bin froh, dies denen zu überlassen, die daran interessiert sind. (32)

Ich charakterisiere Design als eine Konversation, die normalerweise mittels eines Mediuns wie Papier und Bleistift mit jemand anderem (entweder ein "tatsächlicher" Anderer oder man selbst in der Rolle des Anderen) als Konversationspartner geführt wird. (33) Das Wort "Konversation" wird in einer erkennbaren und alltäglichen Weise verwendet. (34) (Pask hat die Begrifflichkeit der Konversation in eine hochgradig verfeinerte technische Theorie von einiger Raffinesse und Schwierigkeit weiterentwickelt. (35)

Design-als-Konversation ist vertraut, vom Gekritzel auf der Rückseite eines Umschlags an aufwärts. Ich glaube der Wert des Gekritzels liegt in dem Moment der Kreativität, der den Enthusiasmus des Kritzlers, seinen persönlichen Forschungsdrang und sein Engagement anfeuert. Kreativität ist auch anderswo zu finden. Aber dieser zirkuläre Prozess ist sicher einer in dem Neuheit ­ ein kennzeichnendes Merkmal von Design und so typisch für Kreativität ­ generiert werden kann, ob diese Neuheit nun global ist oder nur für die entwerfende Person in diesem Augenblick besteht.

 

Design und Forschung

(Wissenschaftliche) Forschung (ob Experiment oder Theorie) ist eine Designaktivität. Wir entwerfen Experimente, aber wir handeln auch in der Durchführung dieser Experimente als Designer. Wir entwerfen die Erfahrungen und die Objekte, die wir im Experiment durch das Finden von Gemeinsamkeiten (Vereinfachung) finden: und wir entwerfen, wenn wir sie zu Mustern zusammenfügen (Erklärungsprinzipen, Theorien). Wenn wir auf diese Muster schauen, dann entwickeln wir daraus neue Muster ­ die Theorien unserer Theorien. So lernen wir, wenn wir Wissenschaft betreiben.

Die Weise wie wir dies tun ist zirkulär ­ konversationell (im Sinne von Pask): wir agieren iterativ, solange bis wir selbst verstärkende Stabilität oder Nichtpassung erreichen. Wir testen bis wir etwas erreichen, das unsere Wünsche befriedigt ­ nach Stabilität / Erkennbarkeit / Reproduzierbarkeit / etc. So gelangen wir zu unseren Verständnissen. Wir testen wieder und wieder, wiederholen mit Verfeinerung und dehnen die Anwendung aus: und wenn wir auf die Extreme zugehen und unsere Muster nicht mehr passen, dann erneuern wir sie (rejig them) oder starten wieder von Null. Wir bezeichnen andeutungsweise das Spezielle im Allgemeineren und gelangen zu Haltepunkten, wo wir (wie im Design) sagen "Das ist OK, ich kann hier jetzt nicht weiter gehen".

Wir sind es, die dies tun: wir handeln. Die Rolle des Beobachters-als-Teilnehmer beim Herstellen von Wissen, bei seiner Abstraktion zu Theorie, beim Theoretisieren über Theorie und bei der Konstruktion des Vorgehens zum Erlangen dieses Wissens, schließlich bei seiner entsprechenden Aneignung, ist zentral / wesentlich / unvermeidlich und ganz und gar wünschenswert. Ohne die aktive Teilnahme dieses Akteurs gäbe es nichts was wir wüssten. Bei jedem Schritt, in jeder Handlung ist der Beobachter / Teilnehmer aktiver Entwerfer. Nichts ist hierbei passiv, automatisch oder ohne eine beteiligte Person (Agent, Wissenschaftler oder Designer).

Egal wie bedauerlich oder geschmacklos dies traditionellen Wissenschaftlern oder anderen erscheinen mag, die in der Konvention (der Verzerrung) der Darstellung gedrillt wurden wonach die Wissenschaft ihre Entdeckungen und ihre damit verbundenen Ansprüche herausstellt, es handelt sich um eine Konsequenz dieser Untersuchung der Art wie wir Wissenschaft betreiben und was wir mit dem daraus Gelernten anfangen. (Wissenschaftliche) Forschung ist ein Zweig des Designs, in dem der Designer eine zentrale Rolle hat und wodurch wir die Welt des (und entsprechend dem) wissenschaftlichen Wissen konstruieren, das wir entwerfen. So hat der Designakt, so wie wir ihn verstehen und schätzen, viel zu bieten als Beispiel dafür, wie Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung in einer neuen Ära aussehen könnten: einer Ära, die Designer-Leser als ihr gegenwärtiges Paradigma erkennen werden und die dem entspricht wie Wissenschaftler, wenn wir mit ihnen reden, ihr eigenes Handeln verstehen und charakterisieren. Design als der allgemeinere Fall befriedigt im Hinblick auf Einfachheit Ockhams Rasiermesser: so wie Einstein sich zu Newton verhält, so verhält sich Design zu Wissenschaft und wissenschaftlicher Forschung.

 

Schlussfolgerung: Forschung und Design

Es gibt Unterschiede zwischen Design und (wissenschaftlicher) Forschung: andernfalls wären beide nicht unterscheidbar und wir bräuchten nur ein Wort. (36) Die traditionell betonten Unterschiede sind nicht mein Anliegen. Meine Intention war aufzuzeigen dass (wissenschaftliche) Forschung, so wie sie ist und praktiziert werden muss, richtigerweise als ein Zweig von Design aufgefasst werden muss: (wissenschaftliche) Forschung ist eine Untermenge von Design und nicht umgekehrt. Dies ist der Grund für den kurzen historischen Abriss im Prolog. Wir die wir an Design und seiner Erforschung interessiert sind, neigen immer noch dazu darauf zu bestehen, dass wir unsere Forschung entsprechend dem alten und nicht länger haltbaren Bild (wissenschaftlicher) Forschung durchführen: diese Sicht nimmt dem Design ­ und unserer Betrachtung und Darstellung des Designs ­ das, was es zentral, wichtig und wertvoll macht; genau das, was es charakterisiert. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wenn die Wissenschaftler beginnen, ihr kreatives Engagement in ihren eigenen Prozessen zu erkennen.

Wir sollten dieses Ungleichgewicht in der Designforschung beseitigen und den Vorrang und die Zentralität des Designs sowohl als Gegenstand der Forschung wie auch als Mittel zur Durchführung dieser Forschung aufzeigen; wir sollten auf der Ungehörigkeit der Forderungen bestehen, Design solle entsprechend den Kriterien der (wissenschaftlichen) Forschung arbeiten, während es doch gerade diese letztere einschließt. (Wissenschaftliche) Forschung sollte nach Designkriterien bewertet werden und nicht umgekehrt. Wir müssen lernen an Design zu glauben und dies zu leben, uns nicht länger entschuldigen, sondern es ablehnen, das was wir tun herabzuwürdigen und vor einer alten und fälschlicherweise erhöhten Sicht zu katzbuckeln.

Wir sollten uns die falschen Darstellungen der (wissenschaftlichen) Forschung nicht wie eine gefühllose Zwangsjacke aufzwingen lassen. Dies bedeutet nicht, dass wir uns nicht in den Erfolgen (und der Schönheit) der (wissenschaftlichen) Forschung sonnen sollten. Wir sollten von dem was sie uns bietet lernen, einschließlich der Lehren dieses Aufsatzes. Es gibt für Design wesentliche (und allzu oft vergessene) Qualitäten, die in der (wissenschaftlichen) Forschung beachtet werden und Priorität besitzen, wie etwa Strenge, Ehrlichkeit, Klarheit und das Testen, sowie die relative Stärke der Argumentation gegenüber der Behauptung. Besonders heute, wo Designforscher wieder nach dem aus anderen Disziplinen beziehbaren Nutzen fragen, sollten wir nach Disziplinen Ausschau halte, die Zirkularität und den eingeschlossenen Beobachter-Teilnehmer untersuchen; im Hinblick darauf, was sie uns an Einsichten in die Operation und die Konsequenzen dieser Prozesse in unserer eigenen Forschung bieten können und was das für uns bedeuten könnte. Das heißt Disziplinen, die in ihrer Grundlage dem Design wohl gesonnen sind. Andernfalls geben wir unseren Vorrang auf und tanzen zur falschen Melodie, gespielt vom falschen Fiedler, der selbst kaum noch an die Melodie glaubt, der aber dennoch die Melodie spielen wird wenn wir ihn danach fragen, weil dies seine Vorrangstellung bewahrt.

Design ist der Schlüssel zur Forschung. Forschung muss entworfen werden. Die sorgfältige Untersuchung von Design (Theoriebildung aus Design oder seine Erforschung) kann aufzeigen, wie man besser handeln kann, forschen ­ Forschung entwerfen. Und wie man Design in der Forschung besser anerkennen kann: als ein Weg des Verstehens, Handelns, Schauens und Suchens. Aber Design sollte zu den Bedingungen des Designs studiert werden. Denn Design ist die Form, die Grundlage. Und Forschung ist ein Designakt. Vielleicht ist sie aus diesem Grunde schön.

 

Designs heimlicher Partner in der Forschung

Zufälligerweise gibt es eine Disziplin, die sich mit der philosophischen, psychologischen und mechanischen Untersuchung eben dieser Fragen beschäftigt: die Kybernetik.

Während der letzten dreißig Jahre, und sichtbar größtenteils durch Anwendungen in anderen Gebieten, hat sie (in Gestalt der "Kybernetik zweiter Ordnung" oder der "Kybernetik der Kybernetik" bzw. der "neuen Kybernetik") die Natur zirkulärer Systeme und derjenigen Handlungen erforscht, in denen der Beobachter (im allgemeinsten Sinne) ein Teilnehmer ist. Kybernetik hat die Konversation erhellt, die Kreativität und die Erfindung des Neuen; multiple Standpunkte und ihre Implikationen für die betreffender Gegenstände der Aufmerksamkeit; Selbst-Erzeugung und die "Emergenz" von Stabilität, Nach-Rationalisierung, Repräsentation und Erfahrung; Konstruktivismus; sowie das Treffen von Unterscheidungen und die Theorie der Grenzen.

Dabei war die Kybernetik explizit mit denjenigen Qualitäten befasst, mit denen wir Forschung ausstatten wollen und die "designerisch" sind. Diese jüngste Manifestation der Kybernetik darf nicht mit derjenigen verwechselt werden, in deren Namen die großen und absurden Ansprüche erhoben wurden, genau zu der Zeit als auch die frühen deterministischen ("wissenschaftlichen") Ansätze im Design als der machtvolle Weg nach vorne propagiert wurden. Es handelt sich hier um ein viel freundlicheres und introspektiveres Gebiet, auch wenn es klar aus dem Original hergeleitet werden kann. (37)

Mit der Ähnlichkeit des Anliegens und der Formation ist es keine Überraschung, dass die Kybernetik während der letzten dreißig Jahre viel vom Design gelernt hat; und auch nicht dass viele derjenigen, die am engsten bei der Entwicklung dieser neuen Kybernetik engagiert waren aus dem Design gekommen sind oder eng damit verbunden waren. (38)

Nach meiner voreingenommenen Meinung ist es an der Zeit, dass Design die Balance wieder herstellt und seinen "heimlichen Partner" in der Forschung näher betrachtet, diejenige Disziplin, die unser Verständnis von designerischen Qualitäten dadurch geklärt hat, dass sie ihrerseits viel vom Design gelernt hat. Ich hoffe, dies in allgemeinerer Form in einem späteren Aufsatz weiter ausführen zu können. (39)

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1. This paper is developed from my earlier paper, "Why Design Research," in R. Jacques and J. Powell, eds., Design: Science: Method (Guildford, UK: Westbury House, 1980). It was written while I was a Visiting Fellow at the School of Design, Hong Kong Polytechnic University.

2. K. Blair, "Cubal Grids: Invariable Civilizational Assumptions, Variable Human Values" in R. Glanville and G. de Zeeuw, eds., Problems of Values and Invariants (Amsterdam: Thesis Publishers, 1995).

3. It also needed theory, for similar reasons. This need continues today, with the consequent import of endless new theoretical structures from outside design itself.

4. I lived in this intellectual environment and believed its simplifications. My (student) sketch books are full of Venn diagrams and directed graphs, rather than sketches of sensitive corners of proposed buildings. If I hadn't had the opportunity for additional study through teaching and higher degrees, I might still think this way.

5. I prefer the word "knowing" to "knowledge," because knowing requires an agent to know whereas knowledge appears to be knower-free. But, in this paper, I use knowledge to reduce pedantry. Please remember, however, that it needs a knower.

6. G. Swanson, "Building ISSS Success-One Failure at a Time," Incoming 1998 ISSS Presidential Address (Website: www.isss.org).

7. K. Popper, Conjectures and Refutations, 3rd ed. (London: Routledge and Kegan Paul, 1969).

8. T. Kuhn, The Nature of Scientific Revolutions, 2nd ed. (Chicago: University of Chicago Press, 1970).

9. I. Lakatos, "Falsification and the Methodology of Scientific Research Programmes" in I. Lakatos and A. Musgrave Criticism and the Growth of Knowledge (Cambridge: Cambridge University Press, 1970).

10. L. Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 2nd ed., translated D. Pears and B. McGuinness (London: Routledge and Kegan Paul, 1971). Wittgenstein elegantly points out this age-old "problem" of induction.

11. I insist investigative actions must have active agents (I am a constructivist), which are, in the case of science, scientists (who are people).

12 The theory of the Black Box, which has the added advantage we can never talk about "truth" as a result of using it. See Glanville, "Inside Every White Box There Are Two Black Boxes Trying to Get Out," Behavioral Science 12:1 (1982).

13. P. Medawar, "Is the Scientific Paper a Fraud?" The Listener (September 12, 1963): 377-8.

14 J. Gleick, Chaos: Making a New Science (London: Penguin, 1987).See also G. Pask, R. Glanville, and M. Robinson, Calculator Saturnalia (London: Wildwood House, 1981, and New York: Random House, 1981).

15. K. Popper, Conjectures and Refutations.

16. H. Bremmermann, "Optimization Through Evolution and Re-Combination" in M. Yovits, G. Sawbi, and G. Goldstein, eds., Self-Organizing Systems (Washington, DC: Spartan Books, 1962).

17. R. Ashby, "Introductory Remarks at a Panel Discussion" in M. Mesarovic, ed., Views in General Systems Theory (Chichester, UK: John Wiley and Sons, 1964).

18. R. Glanville, "The Value of Being Unmanageable: Variety and Creativity in CyberSpace," Procs. of the Conference "Global Village '97" (Vienna, 1997).

19. R. Feynman, QED: the Strange Theory of Light and Matter (Princeton, NJ: Princeton University Press, 1985).

20. S. Hunston, "Evaluation and Ideology in Scientific Writing" in M. Ghadessy, ed., Register Analysis in Theory and Practice (London: Pinter Press, 1993). Also, K. Hyland, "Scientific Claims and Community Values: Articulating and Academic Culture," Language and Communication 17:1 (1997). And R. Glanville, G. Forey, and S. Sengupta, "A (Cybernetic) Musing 9: The Language of Science," to be published in Cybernetics and Human Learning.

21. For a rather nice account of the consistent effort not to notice this, and the results of finally realizing it cannot be overlooked for ever, see the early parts of James Gleick's account of chaos.

22. J. Piaget, The Child's Conception of Reality (New York: Basic Books, 1955).

23. G. Spencer-Brown, Laws of Form (London: George Allen and Unwin, 1969).

24. R. Glanville, "A Cybernetic Development of Theories of Epistemology and Observation, With reference to Space and Time, as Seen in Architecture" (Ph.D. Thesis, 1975, unpublished, Brunel University). Also known as "The Object of Objects, the Point of Points-or Something About Things."

25. G. Chaitin, "Randomness and Mathematical Proof," Scientific American (May, 1975).See also, R. Glanville, "The Nature of Fundamentals, Applied to the Fundamentals of Nature" in G. Klir, ed., Proceedings 1 International Conference on Applied General Systems: Recent Developments & Trends (New York: Plenum, 1977). Also see R. Glanville, "Occam's Adventures in the Black Box" in G. Lasker, ed., Applied Systems & Cybernetics, Vol. II (Oxford: Pergamon, 1981).

26. This is the problem facing those wishing to demonstrate absolute "scientific" certainty in, for instance, the non-transmission of BSE, or, more recently, of H5N2 (Hong Kong bird flu) to humans. Popper's point is that science attempts to disprove, so validity is temporary.

27. R. Ashby, "Introductory Remarks at a Panel Discussion." See also, R. Glanville, "Variety in Design," 11:3 Systems Research (1994). And, R. Glanville, "The Value of Being Unmanageable."

28. G. Kelly, A Theory of Personality (New York: Norton, 1955).

29. B. Russell and A. Whitehead, Principia Mathematica, 2nd ed. (Cambridge: Cambridge University Press, 1927).

30. The machinations in constructing evidence from photographic "evidence" is astonishing. But not as astonishing as image enhancement creating patterns telling us "truths" in, for instance, space exploration!

31. R. Glanville, "The Architecture of the Computable," Design Studies 1:4 (1980). Also Glanville, "Architecture and Computing: A Medium Approach" in Procs. 15th Meeting of Association for Computing in Architectural Design in America (Seattle: University of Washington Press, 1995).

32. Some postulate primitive problem solving as a first venture towards design. History is as much a construction as any other account. I do not deny problem- solving and design coincide. But I insist design takes a space of its own.

33. G. Pask, "The Architectural Relevance of Cybernetics," Architectural Design (9/1969).

34. A conversation is a circular form of communication, in which understandings are exchanged. In a conversation, participants build meanings through the conversational form, rather than trying to communicate a predetermined meaning through coding. In conversation, words do not hold meaning-we do. See footnote 35, Glanville, "Communication Without Coding."

35. G. Pask, Conversation Theory (London: Hutchinson, 1975). Also see G. Pask, Conversation, Cognition and Learning (New York: Elsevier, 1976). See also, R. Glanville, "Pask: A Slight Primer" in Glanville, ed., "Gordon Pask, a Festschrift," Systems Research 10:3 (1993). And, R. Glanville, "Communication Without Coding: Cybernetics, Meaning, and Language (How Language, Becoming a System, Betrays Itself)," Modern Language Notes 111:3 (1995).

36. R. Glanville, "The Same is Different" in M. Zeleny, ed., Autopoiesis (New York: Elsevier, 1980).

37. R. Glanville, "The Question of Cybernetics," Cybernetics, An International Journal 18 (1987); republished in the General Systems Yearbook (Losville, KY: Society for General Systems Research, 1988). Also see R. Glanville, Cybernetic Realities (Bialystok: Technical University, 1998). See also, H. von Foerster, "Cybernetics of Cybernetics" (Biological Computer Laboratory, University of Illinois, Champaign-Urbana, 1974).

38. Particularly, Gordon Pask became a staff member at the Architectural Association, from which school many of his successful doctoral students came, and where many architecture students and teachers learned, quite unwittingly, to do second-order cybernetics.

39. R. Glanville, "The Value When Cybernetics Is Added to CAAD" in K. Nys, T. Provoost, J. Verbeke, and J. Verleye, eds., The Added Value of Computer Aided Architectural Design (Brussels: Hogeschool voor Wetenschap en Kunst Sint-Lucas, 1997). Also see footnote 37, Glanville, Cybernetic Realities.

 

Weitere Referenzen

R. Glanville, "Gordon Pask" Luminaries Section (1998 Website: www.isss.org).

R. Glanville, "Keeping Faith With the Design in Design Research," A. Robertson, ed., Design Research Society Conference (1998 Website: www.dmu.ac.uk/ln/4dd/drs9.html). R. Glanville, "Emergence" in review to be published in special issue of Systems Research.