Start

PARADOX Start

Michael Erlhoff

 

RELIEFPFEILER

- PROLEGOMENA ZU EINER ENTWICKLUNG SPEKULATIVER LEGENDEN ZUM DESIGN

 

von Michael Erlhoff

 

1. Garn und Gel

Offenkundig gehört zum akademischen Besitzstand der Imagination oder auch bloß der Gestik von Wissenschaft oder von Wissenschaftlichkeit im westlich-christlichen Kulturkontext, allemal Grundgesetze zu formulieren oder diese wenigstens vorzugeben ­ und ebenso offenkundig erfüllen solche Spekulationen Sehnsüchte fundamentalistischer Bodenhaftung in allen sozialen und kategorealen Anschauungen und Handlungsweisen: Ein Grundgesetz muß immer her, denn es versichert die Allianz von Ökonomie, Politik und einen intendierten und zukunfts-orientierten Diskurs.

Irgendwie nämlich wabert immer noch die Vertreibung aus dem Paradies als Metapher von Elend und Glückseligkeit der Erkenntnis durch die westliche Geistesgeschichte und prägt dies eine grund-gewandte Eschatologie und Repetitionen des Erkenntnis-Vermögens. Verweise auf ein denkendes Selbst als Ausweis von Eigenheit verströmt alles in privater und ­ zugleich damit schier zwangsläufig ­ öffentlicher Augenweide, Leitern empor zu steigen, sich stets zu verbessern, Altes hinter sich zu lassen, fortzuschreiten, sich nicht im ohnehin bloß taumelndem Kreis zu verlaufen, stattdessen die Linie nach vorn zu finden, Späher zu sein, gesättigt von Grundsätzlichem ("Sättigungsbeilage" hieß das in stets stalinistisch zukunfts-orientierter DDR), am Zukünftigen fortwährend zu nippen.

Kommen wir nun zu Design, denn gerade Design hat zumal in Deutschland eine Leidenschaft entwickelt, aus der leidigen Wirklichkeit ständig leutselig zu entfleuchen und sich ­ das ist wahnsinnig beliebt ­ als Wissenschaft zu stilisieren. Wobei dies zwangsläufig im Mißverstand gegenüber Leben und Denken sich zu dem verläuft, was heutzutage Unternehmen und auch Design-Studios oder viele andere so als "Philosophie" bezeichnen mögen, etwa im Ruin solcher Formulierungen wie: "Unsere Philosophie ist, daß wir unsere Partner lieben und alles können und vieles mögen, alles rot oder gelb bestreichen oder fortwährend Bücklinge betreiben".

 

2. Nebel ­ Leben

Legen wir trotz etlicher permanent aufkeimender Widerstände nun die den sich im deutschen Design Tummelnden weitgehend völlig unbekannten, gleichwohl von ihnen ­ im Sinn plattesten Idealismus ­ hinterhältig dauernd intendierten Theoreme des Philosophen Hegel beiseite (tatsächlich hat man angesichts beispielsweise der "ulmer hochschule" oder vieler anderer Thesen aus dem deutschen Design den Eindruck, all diese fühlten sich als die Inkarnation der "Phänomenologie des Geistes", eben als ausführende Organe irgendeiner Wesenhaftigkeit), und überblicken wir en passant auch alle struktur-gläubigen Apologeten eines Reizklimas andauernder Vorfreude, Vorurteile, Vorteile und vorsintflutlicher Vorgehensweisen im Rahmen einer Glückseligkeit linearen Wirrwarrs (und all dies behauptete sich vorzüglich ohnehin im Hintergrund Hegels): dann böte sich noch einmal jener Immanuel Kant zur Auseinandersetzung an, dem allerdings Gestaltung überaus kurios erschien, doch war er ja bloß mit all jenen kunsthandwerklichen Vergeistigungen konfrontiert, die uns in diesem Zusammenhang an sich doch längst nicht mehr interessieren.

Denn dieser Imanuel Kant verfügte über die Chuzpe, nach seinen Abhandlungen disziplinierter Wissenschafts-Regularien des "Streit der Fakultäten" und nach dem Hammer der Kritiken zur reinen und zur praktischen Vernunft in seiner "Kritik der Urteilskraft" nach auch dort zuerst etlichen sehr kategorialen Auseinandersetzungen das "Genie" einzuführen: Da bricht die vermeintliche Rationalität auf einmal himmlisch aus in diese dunklen Welten avancierter, absolut nicht-linearer Denkungsart. Redlich genug (etwas,das in der gegenwärtigen Wissenschafts-Sehnsucht vielen fehlt), die innere Widersprüchlichkeit seines Systementwurfs nicht bloß zu begreifen, vielmehr auch zu publizieren und der öffentlichen Diskussion preiszugeben, sucht Kant, der gerade noch in derselben Schrift seine innere Erregung angesichts des Naturschönen erläuterte, das ganz Andere zu verstehen, die Künste mitsamt Architektur und Design. Diesen nämlich muß er zugestehen, daß sie aus der Abweichung schöpfen, aus Eigenheiten heraus schaffen, andere Pfade der Erkenntnis einschlagen oder gar eine andere Dimension des Erkennens vermuten, alles verwirrend miteinander verweben, was kategorial nicht haltbar wäre. Kant unternimmt das zu seiner Zeit kaum Beschreibliche und noch heute bloß in Floskeln Formulierte zu beschreiben: den Geist aus der Flasche, die Kompetenz des Spontanen oder der Intuition (beides recht hilflose Kategorien, zweifellos) oder eben die empirisch ersichtliche Qualität, aus Mißverständnissen, aufmerksamen Fehlern und vermeintlichem Mißbrauch oder aus dem Regelverstoß Einsichten und imanente Vision zu gewinnen. Mit Methode im traditionellen Sinn hat das nichts zu tun, und Methode ­ Kant versteht das allemal ­ nützt sich sowieso ab, verengt den Blick, trübt die Erfahrung und endet stets nur in Selbstbestätigung. Methode taugt allenfalls, gezielt und tentativ etwas in Gang zu setzten, ansonsten jedoch allein zur Augenwischerei, sich in der meist selbstreferentiellen Bestätigung von Hypothesen Faktisches auszumalen, sich darin wohl zu fühlen und damit Geld zu verdienen (Geld selber, so lehrte beispielsweise Karl Marx, ist Methode als Fetisch).

Simplifizieren wir einfach am Beispiel des Versuchs, das schlichte Hinuntersteigen einer Treppe (Duchamp im Kopf) zu erörtern: Angesichts einer hinabführenden Treppe stellt sich wahrscheinlich bei jeder und jedem das (Erfahrungs-) Bild solch einer Treppe ein, also das untergründige Wissen darum, daß man einzelne Schritte gleichmäßiger Art mit der Richtung nach unten zu formulieren habe, daß irgendwann absehbar dieses Schreiten nach unten jedoch auch beendet sein wird. Dieses Bild und darin vor allem die Vorstellung der von der Treppe vorgegebenen Regelmäßigkeit ist wichtig nicht nur, um diese Treppe überhaupt zu bewältigen, sondern insbesondere normalerweise und sehr überzeugend, daß die Hinuntersteigenden sich quasi automatisch zur Treppe zu verhalten wissen. Wichtig also sind das Hinunter und die Regelmäßigkeit, deren innere Systematik man eilig herausfinden muß: jeweilige Höhendifferenz zwischen den Stufen, die Breite der Stufen, das Wissen um Schwerkraft, auf daß sich entsprechend ein Fuß vor den anderen Fuß usw. setzen muß. Daß dieses Hinuntersteigen aufgrund erkannter Regelmäßigkeit irgendwann jeweils automatisch verläuft, merkt man von außen gesehen erst daran, daß die meisten Menschen während des Hinabsteigens der ersten Stufen den Blick auf den Boden richten und plötzlich nach einigen Stufen den Kopf wieder heben und auch wieder in die Weite blicken (eine empirische Untersuchung wäre übrigens nicht uninteressant, nach wieviel Stufen dies durchschnittlich geschieht). Wenn man also das Maß der Treppe erkannt zu haben meint, wähnt man sich in Sicherheit, fühlt man sich geborgen, wieder Perspektiven zu ergreifen ­ was in der Natur übrigens schier unmöglich ist, da diese sich viel zu chaotisch für uns darstellt und deshalb für uns ebenso aufregend wie entsetzlich scheint. ­ Soweit, so gut, nun muß man lediglich noch das Ende der Treppe oder den Treppenabsatz erfassen, aber auch dafür existieren Erfahrungswerte. Und dies alles könnte man nun formalisieren und kategorisieren und als Normalität methodisch erfassen.

Was aber, wenn ­ das kann ja passieren ­ beispielsweise die drittletzte Stufe oder die fünftletzte etwa aus bautechnischer Schlamperei oder aus anderen Gründen ein klein wenig niedriger oder höher geraten ist, als die regelmäßigen anderen: Der kategorial Gläubige würde in all seiner handlungsfroh erstrahlenden Sicherheit einfach stürzen und auf den so gepflegten Kopf purzeln.

Die oder der Genialische, so verkürzen wir hier in der Veranschaulichung einiger Gedanken von Kant, fiele nicht auf die Nase, weil wir oder er sich inmitten des Tumults von Maßstäben stets gewahr wäre, daß noch eine andere Logik existiere könnte, etwa als Zusammenschluß von Konfusion, Scherz, Chaos, Naturgewalt und dergleichen. ­ Was nicht heißen will, daß solche "genialischen" Menschen nicht auch verträumt mit dem Blick in die Ferne die Treppe hinuntersteigen, vielmehr träumen sie anders, etwa im Sinn des tagträumenden Ernst Bloch: nämlich allemal in der Gewißheit oder gar in der Sehnsucht qualitativer Fehlerhaftigkeiten. Das aber bereitet sie ständig vor auf jene komplexen immer virulenten Umstände von Regelverstößen. Und: Sollten sie einmal dennoch am Ende gleichfalls straucheln, tendieren sie dazu, darüber zu lachen, sich gar daran zu delektieren, da doch der Regelmäßigen Zorn beim Sturz andererseits gar nicht so sehr den zugefügten Schmerzen, sondern bloß der Beleidigung gilt, daß die Empirie ihr System unheilvoll durcheinander brachte, ihnen schier prinzipiell die Sicherheit raubte, sie in ihre verkapselten Ängste zurückstieß und sie mitsamt ihren Maßregeln dem puren öffentlichen Spot preisgab.

Jenes "Genialische" ist nämlich eine eigensinnige Verflechtung von internierter Theorie, eben zur Erfahrung verarbeiteter Wahrnehmung und dem Vertrauen darauf, daß womöglich der Kopf oft klüger ist, als man denkt. Womit all jene Ideotypien von Wissenschaftlichkeit der Wege und Methoden sich in Luft auflösen und als bloßes Trugbild erscheinen.

 

3. Dein Neid

Ziemlich verstehbar hat einst der Philosoph Ludwig Wittgenstein beschrieben, daß jede Ethik eher zu selbstgefälliger Ideologie denn zur Veränderung der Welt tauge (was übrigens recht plausibel erscheint angesichts all der Fensterreden etlicher Politiker und Wissenschaftler beispielsweise im Kontext gegenwärtiger Debatten um Arbeitslosigkeit, Globalisierung des Kapitals oder des Umgangs mit den Genen oder auch in Betrachtung sozialer Gesten gerade im deutschen Design, dessen Vertreterinnen und Vertreter soziale oder ökologische Ansprüche wie ein Schutzschild ständig vor sich hertragen, auf daß nur niemand frage, was sie wirklich tun, um ihr Geld zu verdienen). Wittgenstein schlug stattdessen einfach vor, sich so zu verhalten: Er verwies also auf die Empirie der Aktionen, auf die Potenzen des Handelns ­ was allerdings mathematisch nicht meßbar, gleichwohl wirkungsvoller sein könnte und redlicher allemal.

Oder viel einfacher: Da warf doch kürzlich ein Design-Professor einem seiner Kollegen vor, er sei "dadaistisch", nur weil dieser einiges zu Dada geschrieben hatte und ansonsten gern der Subversion huldigen mag. Nicht hatte jener Professor dabei den Zusammenhang von Konstruktivismus und Dada übersehen, eben deren beider nur different ausgestalteter Sehnsucht nach Ordnung, die die einen im Rekurs auf bekannte Systeme und Berechenbares gestalten und die anderen verzweifelt nach regellosen Regeln forschen ließ: An sich artikulierte dieser Vorwurf des einen Professors an den anderen ja bloß die Unsicherheit des Angreifenden, mit Subversivität, Spiel und fröhlichem Umgang mit dem Chaotischen selber nicht leben zu können.

In der Tat, eben darin ­ in Autoritätsgläubigkeit, in der Angst vor dem Chaos, im mangelnden Selbstbewußtsein des Tätigkeitsfeldes und der darin tätigen Personen und in deren verklemmter Trostlosigkeit ­ begründet sich jene aktuelle und bloß noch als behaviouristisch stalinistisch beschreibbare Sucht so vieler, die autoritäre Maßregeln zu erlassen trachten, das Denken und das Handeln zu begrenzen und sich selber in dieser Mittelmäßigkeit mit geschwollenen Wissenschaftsbacken behausen.

Es ist zugegeben, ein Elend mit diesen Wissensgläubigen nicht minder als mit den bloß Profitgläubigen, die ohnehin immer nur das eine oder andere vom Leben und auf dem weiten Feld des Denkbaren zur Kenntnis nehmen müßten; denn so, wie sie derzeit nach Maßstäben und nach traditioneller Reputation gieren, verderben sie sich, das Design und diejenigen, die mit all den Produkten und Dienstleistungen und Weltanschauungen solchen Designs leben und arbeiten, also fertig werden müssen.

Möge denn dieser Text verstanden werden als ein Plädoyer für das unendliche Durcheinander, für die Kompetenz im Spiel, für die Schaffenskraft des Gebrauchs, für die Offenheit von Denken und Handeln, für die Träume, für situative Kompetenz und für das Gespräch. Mehr sollte es ja gar nicht sein.

 

Fünf Nachträge aus aktuellem Anlaß

a) "Im Paradies gab es keine Liebe."

b) "Wo finde ich die Tiefe? ­ An der Oberfläche." (Hugo von Hofmansthal)

c) Regelrecht schicksalshaft hat Design ­ zumindest so, wie es derweil meist akzeptiert wird ­ sehr viel mit dem zu tun, was eine Grundlage der Tragödie des zwanzigsten Jahrhunderts genannt werden könnte: Eben mit der Sucht nach dem Authentischen, dem Realitätswahn der verspäteten Moderne von Expressionismus, Bauhaus und dergleichen und jener Dauer-Imagination irgendeines Selbsts, der massenhaften Individuation. Denn Design, das nicht immer wieder sich selbst als Gestaltung und somit Artefakt verdeutlicht, stabilisiert und befördert jenseits des Lustprinzips die repressive Desublimierung, also gewissermaßen die Negation des Lustprinzips zugunsten rigider "reality tv's" und des putativen Scheins eines vermeintlich fortwährend Wahrhaftigen. Die Methodisten im Design tragen daran regelrecht Schuld.

d) "Ach hätte ich doch nie gehandelt ­ ich wäre reicher geworden" (Friedrich Höderlein) und "Just do it" (Nike): irgendwo dazwischen denkt und agiert Design und ist deshalb a priori die Kritik an tradierter Wissenschaft, am Glauben von "Wissen", an den Gelübden akademischer Zirkel ebenso wie am Stumpfsinn von körperlicher Exegese und der Trostlosigkeit des kapitalen Terrains ständigen Konsums.

e) Zweifellos wäre eine der dringend zu lösenden Aufgaben gerade im Design, das klug aufzulösen, was allgemein "intuitiv" genannt wird. Zur Frage steht jener Zwischenraum von Denken und Handeln, von Konzept und Empirie und daraus auch von "volonté de tous" und "volonté générale". Aber das ist noch ein weiter Weg.