Rosan Chow
DESIGN + DIE ZERSTÖRUNG VON WISSEN: EIN SEITENBLICK / ANDERER BLICK AUF DIE BEZIEHUNG VON DESIGN UND WISSEN
von Rosan Chow (Übersetzung W. Jonas)
Die traditionellen Wege des Theoretisierens über Designhandeln als angewandte Kunst oder angewandte Wissenschaft, werden von einer erheblichen Anzahl von Designdenkern, darunter Alan Findeli, in Frage gestellt und als überholt angesehen. Findeli argumentiert, dass Designhandeln weder künstlerische oder ästhetische Theorie auf Praxis anwendet, noch eine logisch-deduktive Anwendung von wissenschaftlichen Fakten darstellt. Bei seinen Bemühungen, Designhandeln aus seinem intellektuellen Trott herauszuziehen, nennt Findeli Design eine "beteiligte" (involvierte), "verortete" (situierte), oder "eingebettete" (embedded) Wissenschaft. In seinen Worten:
"Ein solches Modell berücksichtigt, dass die wissenschaftliche Untersuchung und Haltung in das Projekt- und Praxisfeld hineingetragen (anstatt darauf angewendet) werden, so dass die ersteren (wiss. Untersuchung und Haltung) von den letzteren (Projekt und Praxis) modifiziert werden, und umgekehrt. Donald Schöns Konzept der 'reflection-in-action' (Reflektion-in-der-Handlung) wird so aus seinem vorwiegend methodologischen in den erkenntnistheoretischen Bereich überführt. Oder besser, die Unterscheidung zwischen methodologischem und epistemologischem Bereich ist nicht mehr nötig." (Findeli 2001: 531)
Findeli ist sicher nicht die erste oder einzige Person, die versucht, einen Platz für Designhandeln zu finden, oder die versucht, Design in Beziehung zur Wissenschaft zu positionieren. Ich habe aber beschlossen, Findeli zu zitieren, denn er hat begonnen, Designhandeln in einer Art zu charakterisieren, die ich, wie ich denke, noch einen Schritt weiterführen kann, allerdings in eine andere Richtung, eine sehr andere Richtung. Findeli hebt die Sicht auf Design als angewandte Kunst oder Wissenschaft als unangemessen hervor und stellt den Bedarf für ein neues konzeptuelles Modell fest. Diesen ersten Schritt folge ich ihm. Ich wünschte mir aber, bevor er seine Ideen an denjenigen von Schön ausrichtet, er sagte uns mehr darüber, was nach oder während des Zeitraums geschieht, wenn wissenschaftliche Untersuchung und Haltung in das Feld der Projekte und der Praxis hineingetragen werden. Welche Veränderung findet statt, welcher Natur ist diese Veränderung, und warum überhaupt eine solche Veränderung? Macht das Hineintragen von wissenschaftlicher Forschung und Haltung in das Feld daraus notwendigerweise Designhandeln? Meiner Ansicht nach ist der Kern (das Wesen) von Designhandeln nicht wirklich bestimmt, solange wir uns nicht mit diesen Fragen beschäftigen.
Das Ziel dieses Essays besteht darin, durch einen Seitenblick / einen anderen Blick auf die Beziehung von Designhandeln und wissenschaftlichem oder nichtwissenschaftlichem Wissen einen Beitrag zur Charakterisierung von Designhandeln zu leisten.
Ich hoffe, dass dieser andere Blick uns hilft, Designhandeln aus einer anderen Perspektive zu betrachten und einen neuen Diskussionsstrang zu eröffnen. Dies heißt auch , zur Kenntnis zu nehmen, dass die methodologischen und erkenntnistheoretischen Diskussionen über Design momentan dazu tendieren, die Konzeption von Design, als einer von der Wissenschaft zu unterscheidenden Aktivität, unklar werden zu lassen. Ebenso sollten wir erkennen, dass die anhaltende Diskussion und Forschung über Designhandeln als einer vom wissenschaftlichen Wissen unterschiedenen Art des Wissens uns davon ablenken können, zum wahren Kern von Designhandeln vorzustoßen. Meine Hypothese ist, dass ein essentieller Unterschied zwischen Wissenschaftshandeln und Designhandeln darin besteht, wie sie Wissen behandeln.
Ich erinnere mich, als ich vor ein paar Jahren begann, ernsthaft über Designhandeln nachzudenken, war ich sehr aufmerksam hinsichtlich der Unterscheidungen, die die Leute zwischen Wissenschaft und Design machten. Ich kann die Unterscheidungen ganz kurz auflisten: Ist gegenüber Soll, richtig oder falsch gegenüber gut und schlecht, 'wertneutral' gegenüber 'wertend' (value-laden), beschreibend gegenüber vorschreibend , abstrakt gegenüber konkret, analytisch gegenüber synthetisch, deduktives Schlussfolgern gegenüber abduktivem Schlussfolgern, losgelöste Beobachtung gegenüber verkörperter (embodied) Beobachtung, Sprache / Symbol gegenüber einem visuellen Modell. Für eine Weile war ich überzeugt davon, diese detaillierten Charakteristika zur Unterscheidung von Designhandeln und Wissenschaftshandeln zu benutzen. Aber je länger ich darüber nachdachte, um so weniger klar schien mir diese Liste die charakteristischen Merkmale von Designhandeln darzustellen. Der Grund für dieses Unbehagen liegt darin, dass die Unterscheidungen sich mehr auf graduelle denn auf Wesensunterschiede beziehen, die zwischen Designhandeln und Wissenschaftshandeln als existent angenommen werden können. Mit anderen Worten, wir können alle diese Charakteristika benutzen, um Designhandeln und Wissenschaftshandeln irgendwie zu beschreiben. Aber sie sind nicht in der Lage, mir zufriedenstellend etwas über die wesentlichen Kriterien von Designhandeln zu sagen: was hat es mit Designhandeln auf sich, das es von Wissenschaftshandeln unterscheidet? Ich denke, der Unterschied kann nicht in den erkenntnistheoretischen oder methodologischen Bereichen liegen, denn hier finden wir viele Überschneidungen der beiden. Dennoch, ein möglicher Unterschied kann benannt werden: ihre Ziele und damit ihr Umgang mit Wissen.
Wissenschaft ist eine Kunst im Sinne eines kreativen menschlichen Strebens. Aber der Grund, die Absicht und das Ziel von Wissenschaft unterscheiden sich von anderen Arten menschlichen Strebens. Das unmittelbare Ziel der Wissenschaft besteht darin, explizites theoretisches Wissen zu schaffen. Für die Wissenschaft ist es bedeutungsvoll und richtig, einen Diskurs über Anwendung, Modifikation und (Re-)produktion von Wissen zu führen, denn Wissen ist ihre Substanz. Diese Begriffe charakterisieren sehr knapp die wissenschaftlichen Vorgehensweisen und Produkte. Durch verschiedene wissenschaftliche Verfahren wird Wissen angewandt, verändert und produziert. Wissenschaftliche Arbeit beginnt mit Wissen und hört mit Wissen wieder auf, Punkt.
Im Falle von Designhandeln ist es weniger korrekt, die Wörter 'anwenden' oder 'modifizieren' zu benutzten, um die Beziehung zwischen Design und Wissen anzudeuten, sei diese theoretisch oder stillschweigend (tacit). Dies ist keine haarspalterische Übung, sondern ich betrachte dies als einen kritischen Sprachgebrauch, der die Art umschreibt, wie wir über Designhandeln denken. Beim Entwerfen geht es weder den Prozess noch das Ziel betreffend darum, Wissen anzuwenden, zu modifizieren oder zu produzieren. Wenn Wissen in das Design 'hineingetragen' wird, dann handelt es sich beim Designhandeln um einen Prozess der Wissenszerstörung und Umwandlung in etwas anderes. Das unmittelbare Ziel von Designhandeln hat mit diesem 'etwas anderes' zu tun. Daher, was auch immer das Ergebnis von Designhandeln sein mag, und welche Anhaltspunkte für Spuren von Wissen man im Ergebnis finden mag, es ahndelt sich nicht mehr um Wissen. Es kann kein Wissen sein. Das Wesen von Designprodukten unterscheidet sich grundsätzlich vom Wesen von Wissen. Wenn moderne Wissenschaft die Kunst der theoretischen Wissens(re)produktion ist, dann ist Design die kreative Kunst der Wissenszerstörung. Es kann nicht anders sein.
Zugegeben, die Zerstörung von Wissen hört sich etwas unangenehm an, denn Wissen ist ein so wertvolles 'Ding'. Und sie steht darüber hinaus der momentanen Wahrnehmung von Designhandeln als einer Demonstration des Besitzes von Wissen, einer Weise des Wissens und der Wissensproduktion, diametral entgegen. Aber ich will dafür streiten, dass nicht nur die Zerstörung als Metapher in das Schema passt, sondern auch dazu beiträgt, zu erkennen, was andere Ansichten uns nicht haben sehen lassen. Die Zerstörung von Wissen setzt voraus, dass der Designer entsprechendes Wissen besitzt, das Wissen zu zerstören und das Wissen, welches zerstört werden soll. Aber an diesem Punkt müssen wir der Versuchung widerstehen zu klären, was dieses Wissen ist, wenn wir vorwärts kommen wollen und weg von den eingefahrenen Wegen. Ich glaube, dass wir durch die vielen Argumentationen, die auf der Basis von Arten oder Typen des Wissens (Wissen als Denken / Erkennen (cognition) oder als Gruppe von Aktivitäten) zwischen Design und Wissenschaft unterscheiden, lange aufgehalten worden sind. Diese wurden mehr verwirrend als hilfreich, da sie uns von der Einsicht abhalten, dass der wirklich wichtige Unterschied zwischen Designhandeln und Wissenschaftshandeln nicht in der Art zu denken oder der Praxis besteht, sondern vielmehr in der Absicht und im Ergebnis. Die Diskussion über die Art des Wissens, das Designer benötigen, oder auf welchem Wege Designer wissen, um zu entwerfen, führen uns zu dem Missverständnis, beim Designhandeln ginge es um Wissen, obwohl dem nicht so ist. Deswegen glaube ich, Design methodologisch oder erkenntnistheoretisch zu betrachten hilft uns nicht dabei, Designhandeln vollständig zu begreifen. Solange wir diese beiden Bereiche nicht hinter uns lassen, laufen wir Gefahr, uns im Kreis zu bewegen und wieder einmal mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen Wissenschaftshandeln und Designhandeln zu finden.
Das Ersetzen von 'Anwendung' und 'Veränderung' durch 'Zerstörung' hilft uns, über die Beziehung von Wissenschaft, Wissen und Design anders und vielleicht konstruktiver nachzudenken. Die Metapher der Zerstörung von Wissen lässt uns sehen, dass es keine Rolle spielt, ob dieses Wissen theoretisch oder stillschweigend (tacit) ist; oder auf welchem Wege es erlangt wird, als 'Reflektion-über-Aktion' oder 'Reflektion-in-Aktion'; ihre Beziehung zum Design ist die gleiche. Es muss in etwas anderes verwandelt werden. Für mich liegt das Wesen von Designhandeln im Bereich der Ontologie (Lehre des Seins), und wie es unser Sein beeinflusst, im Unterschied zur Wissenschaft oder zu anderen Aktivitäten. Die Behauptung, Designhandeln zerstöre Wissen, richtet unsere Aufmerksamkeit wieder die wichtige und einmalige Rolle, die Designhandeln, verglichen mit der Wissenschaft und anderen kreativen menschlichen Aktivitäten, in dieser Welt spielt. Sie fordert uns auf, ernsthaft darüber nachzudenken, welche Beiträge Design leisten sollte.
Über die Autorin
Rosan Chow is a HongKong-Chinese-Canadian pursuing a Ph.D. in design in the North Carolina State University in the U.S. She holds two degrees in Visual Communication Design from the University of Alberta, Canada. She has practiced design for several years until one morning she found no more motivation to go to work. She returned to graduate school in 1996 for some soul searching, and still searching. Being the youngest in a working class family of seven children, she learns early on to share and to fight for her fair share. She also holds very strong working class values: being honest, hard-working and critical of all authorities.