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Publikationen

 

Wolfgang Jonas

26.01.2002

 

Die Spezialisten des Dazwischen

- Überlegungen zum Design als Interface-Disziplin

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Design im modernen Verständnis entsteht, als sich eine vermittelnde ­ trennende und verbindende - Instanz zwischen das Machen und das Nutzen der Artefakte schiebt. Schon diese Beobachtung legt nahe, die Begriffe des Mediums und der Schnittstelle im Hinblick auf eine Theorie des Entwerfens näher zu beleuchten. Als treibende Kraft auch der Entstehung des Designs lässt sich die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft mit ihren Folgen für die Prozesse der sozialen Interaktion und Kommunikation identifizieren. Dies führt zu der Entscheidung, als wichtige Theorielieferantin die soziologische Systemtheorie ins Auge zu fassen. Der Text experimentiert auf designerische - d.h. synthetisierende, aber auch dilettantische und respektlose - Weise mit Bausteinen der Design- und Systemtheorie. Das Ziel besteht darin, die Topologie und Dynamik des Entwerfens auf einem Abstraktionsniveau zu fassen, das in der Lage ist, die zahlreichen zeitgeistigen Designtheorien in einem flexiblen Rahmen zu integrieren.

 

1 Einstieg

Dies ist ein weiterer Versuch, den Kern, oder - weniger essentialistisch - das Spezifische des Designs, dieses Phänomens, das umso undeutlicher wird, desto genauer man hinschaut, gegenstandsneutral, expansiv und möglichst wenig zeitgeistig zu treffen. Die Kombination der beiden alles (und damit eigentlich sehr wenig) sagenden Megabegriffe "Design" und "Medien" als Aufhänger für diese Überlegungen stellen eine echte Herausforderung dar. Das diffuse Gefühl des Stocherns im Nebel der Metaphern wird nur stellenweise unterbrochen durch klarer herausragende Spitzen, die eine Topografie des Terrains erahnen lassen.

Menschen sind spezialisiert auf das Nichtspezialisiertsein. Sie sind die einzigen Lebewesen, die sich in (fast) allen Umwelten einrichten können. Von seiner "Konzeption" her ist der Mensch ein "universeller Dilettant". Gerade dies macht ihn zum Menschen. In diesem Sinne sind seine Artefakte immer schon Medien im Sinne von praktischen und symbolischen (Hilfs-) Mitteln zur Auseinandersetzung mit seiner materiellen und sozialen Umwelt, zur "Einrichtung" darin. Artefakte als "zweite Natur" ermöglichen das Distanzieren von der ersten Natur und damit überhaupt erst deren Erkennen. Die zeichenhaften Aspekte der Artefakte sind so alt wie diese selbst. Nicht erst die Produktsemantik hat sie entdeckt und genutzt.

Die andauernde Spezialisierung / funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaften führt dazu, dass diese lebensnotwendige Trans-Kompetenz des universellen Dilettantismus ihre Bedeutung verliert und sogar die weitere Entwicklungsdynamik, etwa in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft, behindert. Die Do-It-Yourself Bewegung ist domestizierter Ausdruck dieses urtümlichen menschlichen Charakteristikums und als expandierender Wirtschaftszweig längst in die moderne Gesellschaft eingepasst.

Design im heutigen Verständnis entsteht also, als sich eine vermittelnde - trennende und wieder-verbindende - "Instanz" zwischen das Machen (Produktion) und das Nutzen (Rezeption) der Artefakte schiebt. Die revolutionäre Umwälzung besteht in der bewußten, externalisierten, reproduzierbaren Planung des Machens im Hinblick auf das Nutzen im Medium der Konstruktions- bzw. Fertigungszeichnung. Hier ist der Medienbegriff noch wunderbar klar.

Das Phänomen der funktionalen Differenzierung ist also die paradoxe Grundlage, die Existenzbedingung des heutigen Designs. Paradox, weil es diese Differenzierung gleichzeitig als vorlaute, sich überall einmischende "Un-Disziplin" permanent negiert, negieren muß, um Design zu sein. Die einstmals universelle Trans-Kompetenz wird zum Spezialwissen einer Trans-Disziplin, die seit Kurzem auf universitärem Niveau agiert.

Wofür sind nun Designer die Spezialisten? BONSIEPE (1996) beschreibt Design als Expertendisziplin an der materiellen, grafischen, digitalen Schnittstelle zwischen Nutzer, intendierter Handlung und Artefakt. Man könnte es dabei bewenden lassen: Design als das Herstellen der Passungen zwischen den Menschen und den Dingen. Nicht besonders theoriebeladen, aber dafür auf den ersten Blick plausibel und vernünftig. Designer als die Orthopäden und Mechaniker des Prothesengottes.

Aber dieses Interface-Konzept erklärt nicht das Nichtrationale, das Paradoxe des Designs. Es erklärt auch nicht die Dynamik des Phänomens. Es befriedigt vor allem nicht die Suche / Sucht der Theoretiker nach beschreibenden oder gar erklärenden Modellen für das Funktionieren der Disziplin.

Dies alles legt nahe, die Begriffe des Mediums und der Schnittstelle im Hinblick auf eine Theorie des Entwerfens näher zu beleuchten.

 

2 Design als Medium?

Der Begriff wird kaum weniger inflationär verwendet als der des Designs. Niklas Luhmann bezeichnet Medien als Einrichtungen, die der Umformung von unwahrscheinlicher in wahrscheinliche Kommunikation dienen. Medien verbinden die Kommunikationen, die sonst keine Anschlüsse finden würden. Eine dazu passende kybernetische Definition: Alles was Rückkopplung organisiert, kann als Medium begriffen werden (ENGELL 1999: 427).

Friedrich Kittler (KLOOCK; SPAHR 2000: 166, 167) definiert als Medien jene Techniken, deren Funktion im Speichern, Übertragen und Verarbeiten von Information bestehen. Dabei sei Information nur in Verbindung mit einem Medium denkbar. Wissen ist damit immer auch bezogen auf seine Voraussetzungen medialer bzw. materieller Art. Die Formgenerierung durch In-Formation eines Mediums stellt den Bezug zum Design her. Ein Artefakt ist damit immer auch potentielle Informationsquelle.

GLU (1997: 59, 60): Die Funktion der Kommunikationsmedien

"... liegt darin, die ständige Kopplung / Entkopplung der Elemente des Mediums ­ also die ständige Produktion von Formen ­ zu ermöglichen. Die Formen entsprechen zum Beispiel den Worten und Sätzen der Sprache, den geschriebenen und gedruckten Texten, den Zahlungen, den wissenschaftlichen Theorien, den Rechtsnormen usw. Die Kommunikationsmedien bilden also ein schwaches und formloses Substrat: Die Sprache spricht nicht, der Buchdruck bestimmt nicht, was geschrieben wird, die wissenschaftliche Wahrheit als Medium bildet keine Erkenntnis usw.

Die Unterscheidung Form / Medium wird in allen Fällen angewendet, in denen die Kondensation und Versteifung der Verbindung zwischen zuvor lose gekoppelten Elementen beobachtet wird: in der Varietät des Mediums setzen sich redundantere Konfigurationen durch (siehe Varietät / Redundanz). Auf der Ebene der Gesamtgesellschaft kann eine evolutionäre Ausdifferenzierung von Kommunikationsmedien (wie Schrift, Buchdruck, Macht, Geld, etc.) beobachtet werden, die es ermöglichen, Kommunikationen mit weiteren Kommunikationen zu verbinden und dadurch Formen zu schaffen, die generalisiert und erwartbar gemacht werden können (siehe Evolution). In diesem Sinne sind die Kommunikationsmedien soziale Strukturen, die die Autopoiesis der Kommunikation ermöglichen."

SCHMIDT (1992) präsen-tiert den noch undeut-lichen Entwurf ei-ner "prozessual konzipierten Medienkulturtheorie". Danach um-faßt Kultur von Menschen für Menschen Gemachtes, nämlich Sinn, der in Kommunikationen, Handlungen und Objek-ten materialisierbar ist. Er bezeichnet Kultur als Programm, dessen An-wendung unter jeweils konkreten sozio-historischen Bedingun-gen das hervorbringe, was Beob-achter dann als "kulturelle Phänomene" einschätzen.

Dies hat deutliche Ähnlichkeit mit dem Foucaultschen "Diskurs" als der determinierenden Ordnung des Wissens. Diskurse sind geregelte Formationen von Aussagen, die sich wiederum zu einem "Archiv" ordnen, das als historisches Apriori die Bedingungen aller Aussagen einer Epoche enthält. Es passt auch zu meiner Hypothese, daß Design keine axiomatische Wissensbasis, sondern lediglich ein Archiv besitzen kann (JONAS 1999).

SCHMIDT führt Massenmedien als ge-sell-schaftliche Teilsysteme ein. Kommunikation, produ-ziert Kom-munikation und trägt so zur Autono-misierung von Sozialsystemen gegenüber ihrer Umwelt bei. Kommunikationsprozesse werden heute ganz wesentlich durch Medienangebote in Gang gesetzt und gehalten. Kognition und Kommunikation laufen in jeweils autonomisierten Syste-men ab und Medienangebote koppeln kognitive mit kognitiven, kognitive mit sozialen und soziale mit sozia-len Systemen. Massenme-dien sind, so SCHMIDTs neue These, beschreibbar als eigen-ständige Sozialsy-steme; er nennt sie Medienteilsysteme.

Ich habe daraus (JONAS 1994: 181) die mögliche Sicht von Entwerfen als eigenständigem Medienteilsy-stem wie Presse, TV, etc. formuliert bzw. das Verständnis von Design als Medium gesellschaftlicher Kommunikation. Designobjekte fungieren als temporäre Materialisierungen / temporäre Formbildungen in kommunikativen Prozessen (nicht: Design als Kommunikation!). Design als Mas-sen-medium?

Unabhängig davon, ob nun Design als Medium zu sehen ist oder nicht: wir benötigen das systemtheoretische Konzept von Sinn als Medium. Sinn ermöglicht die selektive Erzeugung aller sozialen und psychischen Formen. Sinn kann verkürzt definiert werden als Anschlußfähigkeit in der Kommunikation. Hier zeigt sich bei aller Komplexität des gesamten Baus auch die Archaik vieler systemtheoretischer Konzepte:

"Die gesamte germ. Wortgruppe beruht auf der idg. Wurzel sent- ´gehen, reisen, fahren´, deren ursprüngliche Bedeutung wohl ´eine Richtung nehmen, eine Fährte suchen´ war." (Duden, Herkunftswörterbuch, Mannheim 1989: 675).

Sinn scheint ein universelles Hilfsmittel zu sein, wenn es nicht mehr weitergeht.

Es fällt auf, dass Siegfried Gronert in seinem Exposé die Begriffe Design, Gestaltung, Entwurf abwechselnd verwendet, allerdings wohl hauptsächlich deshalb, um einen semantischen Kurzschluss zu vermeiden. Ich verwende überall Design:

"... Zugrunde liegt der Gedanke, daß alle Gegenstände und Formen, die unter dem Label "Design" kursieren, einem gemeinsamen Medium angehören. So ist nach der klassischen Definition von Nikolaus Pevsner ein Designer der Designer eines Produktes, das er nicht selber herstellt - das Medium des Designs wäre demnach das Design (im Gegensatz zur Herstellung). ..."

Damit wären wir bei der merkwürdig zirkulären Konzeption vom Design als dem Medium des Designs. Da wir nicht genau wissen, was Design ist, können wir Design aus dem Satz eliminieren. Was bleibt ist das Medium, von dem wir auch nichts Genaues wissen. Also bleibt das Medium als Message, die (Form der) Message als Medium? Ich forme den Satz vom Design als Medium um in: Design als (mediales) Hilfsmittel und stelle die beiden Fragen:

1) Wie funktioniert das (mediale) Hilfsmittel Design?

2) Wofür ist Design das (mediale) Hilfsmittel?

Den Vorschlag der Einladung: "...Es soll versucht werden, die Einheit des Designs aus der Unterscheidung zwischen Form und Medium herauszuarbeiten." kann ich dabei als Ausgangspunkt akzeptieren. Wobei einem zum Thema Form und Medium sofort der klug klingende Allgemeinplatz einfällt: Form ist Medium im Design! (s.o.) Ein Objekt ist nur deshalb Designobjekt, weil es in sich die Möglichkeit verkörpert, auch anders zu sein. Die In-Formation ist grundsätzlich revidierbar. Die Kontingenz der Form ist das Medium, in dem sich die Kontingenz der Designlösung manifestiert und temporär auflöst. Die Problemstellung, als antizipierter Zweck, ist das Medium, in dem sich die Beliebigkeit der Problemlösung spiegelt. Das Problem ist die Lösung und die Lösung ist das Problem.

Das aufgeladene und überladene Konzept der "Problemlösung" wird obsolet. Es wird abgelöst durch die Form des Projekts, die aus dem Prozess der Oszillation von Medium und Form einen zeitlich begrenzten Abschnitt heraustrennt und dessen Anfang recht willkürlich als "Problem" und dessen Ende nicht weniger willkürlich als "Lösung" bezeichnet. Der Verzicht auf das Konzept von Problem und Lösung hat zur Folge, daß die Lösung zur Entscheidung wird, den Prozess abzubrechen. Aus Zeitmangel, aus Geldmangel, oder auch weil bestimmte Kriterien der Passung erfüllt sind. Design hat auch keinen Anfang in dem Sinne, dass es Probleme gäbe. Oder soll man die Aufgabe, Anwendungen für eine neue Technologie zu erfinden, um damit Umsatz zu machen, mit dem Ehrentitel "Problem" veredeln? Die Form des Projekts setzt Anfang und Ende. (Eine Frage: Ist das dummes Gerede?)

Abb. 1: Medium und Form im Designprozess.

 

Die Skizze versucht, die elementarste Stufe dieser Oszillation im Designprozess zu illustrieren (der Rezeptionsprozess funktioniert vermutlich ähnlich). Das Artefakt ist noch die Einheit von Medium und Form. Die Betrachtung des Prozesses schiebt das Medium der Zeichnung (die aber auch wieder nur in der Einheit von Medium und Form Zeichnung ist) zwischen das mentale Modell des Artefakts und das Artefakt selbst. Mit Zoom auf die Strecken "Dazwischen" treten in selbstähnlicher Weise immer mehr dieser Einheiten / Kettenglieder / Netzknoten von Medium und Form hervor.

Das gesamte "Dazwischen" scheint Design zu sein. Design zeigt sich hier als Medium der Überbrückung von Sinn-Lücken. Andockstelle für den Sinn ist jeweils die Form-Komponente dieser Kettenglieder, die Medien sind austauschbar. Die Länge dieser immer noch auf eine rudimentäre Weise "kausalen" Ketten wird größer. Das tiefgründige Konzept "Inhalt" (beruhend auf der Unterscheidung Form / Inhalt, Verpackung / Wesen, Oberfläche / Tiefe) wird dabei überflüssig. Das Aufgeben des Inhalts legitimiert die Oberfläche als den zentralen Gegenstand und die Oberflächlichkeit als Denkweise von Design.

 

3 Medien sind "dazwischen": Design als Interface

Produktions- und Rezeptionsprozesse sind eng gekoppelt durch Design, nicht erst seitdem Alvin Toffler den "prosumer" beschrieben hat. Design hat offenbar auf beiden Seiten mit Verbindungen, Relationen, Passungen zu tun: mit Interfaces. Es handelt sich um hybride, sinngebundene Mischungen von Handgreiflichkeiten, Wahrnehmungen und Kommunikationen. Dinge, Ereignisse, Situationen, Verhaltensweisen von Personen, Lebensstile,... senden permanent Signale (vorwiegend visueller Natur) aus, d.h. sie bieten Wahrnehmungsangebote. Sie fungieren als Vermittler zwischen zunächst Inkompatiblem, indem sie Andockpunkte bereithalten und generieren und vollziehen auf diese Weise Sinnprozesse. SERRES (1964) spricht von "Determinationsflüssen". Weiter unten dazu mehr.

Eine der klassischen Formulierungen hierzu, wenn auch nicht die erste, liefert SIMON in seinen "Sciences of the Artificial" (1990:6):

"Ein Artefakt kann als Punkt der Begegnung - in der heutigen Terminologie: als ´Schnittstelle´ - zwischen einer ´inneren´ Umgebung, der Substanz und inneren Gliederung des Artefakts selbst, und einer ´äußeren´ Umgebung, der Umwelt in der es operiert, gedacht werden. Wenn die innere Umgebung der äußeren angemessen ist oder umgekehrt, dann wird das Artefakt seinen Bestimmungszweck erfüllen. ..."

Es gibt in letzter Zeit aus unerwarteten Richtungen ein auffallendes Interesse am Design, dieser unscharfen Disziplin, die trotz allgemeiner Ungewissheit, trotz heilloser Komplexität, trotz allgemeiner Verabschiedung der einfachen Kausalitäten, trotz Prognoseunfähigkeit, etc. so munter weiter Entscheidungen trifft. BAECKER verwendet die Bezeichnungen innen und aussen etwas anders als SIMON. Er führt die Metapher des "12. Kamels" ein, welches als Joker oder als Passepartout fungiert (2000: 161):

"Im Design wird die Mode als zwölftes Kamel eingesetzt, weil man nur so die beiden Seiten des Designs, die äußere Umwelt der Dinge und die innere Umwelt unserer symbolischen und stilistischen Platzierungen dieser Dinge in immer neuen Kombinationen und in einer endlosen Suche nach der Logik dieser Kombinationen miteinander in Berührung bringen kann."

Hier ist also nicht Design das Medium von Was-auch-immer, sondern die Mode ist Medium (oder auch Kontingenzformel) des Designs. BAECKER (2000: 163) führt dann das Konzept des Interface ein und illustriert die Bedeutung von Designdenken über den engen Bereich des Designs hinaus:

"Man wird das Design als Praxis des Nichtwissens auf unterschiedlichste interfaces hin lesen können, aber dominierend sind wahrscheinlich die Schnittstellen zwischen Technik, Körper, Psyche und Kommunikation: Wenn man diese ´Welten´, die jeweils von einem mehr oder weniger elaborierten Wissen beschrieben werden, miteinander in Differenz setzt, verschwindet dieses Wissen und macht Experimenten Platz, die die Experimente des Design sind. ... Hier nichts mehr für selbstverständlich zu halten, sondern Auflösungs- und Rekombinationspotential allerorten zu sehen, wird zum Spielraum eines Designs, das schließlich bis in die Pädagogik, die Therapie und die Medizin reicht. ..."

Das schmeichelt uns als Design(theoretik)ern ungemein.

Die Evolutionäre Erkenntnistheorie (VOLLMER 1998) wendet das Konzept der Passung auf unseren Weltzugang generell an. Die transzendentale Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis erfährt hier eine Antwort durch die These von der Passung unserer Erkenntniskategorien an die Welt im Laufe der Evolution - eine Lösung, die zwar, so POSER (2001: 263), "von den meisten Philosophen nicht akzeptiert wird, die aber bei einem breiten interessierten Publikum als völlig einsichtig gilt." Die Systemtheoretiker scheinen hier ausnahmsweise einmal dem "breiten interessierten Publikum" anzugehören.

Passung meint nicht Anpassung, sondern bedeutet Ko-Evolution von System und Umwelt. Das Prekäre im Design ist: Wir haben es mit beschleunigter soziokultureller Evolution zu tun und nicht mit der behäbigen natürlichen Evolution. Und selbst diese gerät nun zunehmend unter den Einfuß der Technologien. Die Passungen verändern sich, werden brüchig, reißen auseinander, weil sich die Systeme verändern. Die Artefakte verändern die Umwelten, in denen sie agieren und sind möglicherweise längst wieder verschwunden, bevor die Umwelten reagieren. Das ist ziemlich theoretisch, deshalb ein Beispiel zur Illustration. Wir haben 2 Artefakte: (1) Ein eisernes Schiff im Jahre 1860, 200m lang, doppelt so groß wie alles bis dahin übliche, geplant zur Verlegung von Transatlantikkabeln. (2) Ein hölzerner Kutter im Jahre 1980, 13m lang, der Entwurf seit 50 Jahren unverändert, gebaut zur Krabbenfischerei in der Nordsee.

Beide Artefakte sind in sich kohärent, d.h. sie funktionieren als isolierte Artefakte, die Korrespondenz mit der Umwelt, dem Produktmilieu, ist jedoch nicht gegeben. Im Fall (1) ist das Artefakt seiner Umwelt weit "voraus", der Bedarf existiert noch nicht. Im Fall (2) ist die Umwelt dem Artefakt "voraus", der Bedarf existiert nicht mehr. Externe Selektionsfaktoren sorgen für das "Aussterben" der Artefakte.

Vielleicht ist in der Situation von hoher Umfeldturbulenz und immer weniger Planbarkeit die beste Strategie diejenige, das Umfeld der Artefakte inclusive der Einbindungen darin gleich mit zu entwerfen. Das Interesse an Scenarioansätzen ist ein Beleg dafür. Nutzungs- und Umfeldscenarios richten ihr Augenmerk nicht nur auf die Artefakte, sondern auch auf das erweiterte Milieu, in dem sie funktionieren müssen.

Die Auffassung von Design als Interface ­ Disziplin bedeutet den Wechsel vom Code Problem ­ Lösung zum Code Passen ­ Nicht-Passen. Eine Folge davon: Es gibt keinen Fortschritt im Design, weil keine Probleme gelöst werden. Design bildet, wie erwähnt, eine Wissensbasis, die primär archivarisch ist, exemplarisch, temporär und lokal. So etwas wie "Common Ground", eine axiomatische Grundlage, ein Konsens über Struktur und Inhalt von Designwissen, ist nicht in Sicht. Dennoch sollten wir keine Angst vor Oberflächlichkeit im Design haben! Wenn wir Form / Inhalt durch Form / Medium ersetzen, dann wird die Beschäftigung mit Oberflächen, mit der In-Formation von Medien durch Formgestaltung, zur hochprofessionellen Aufgabe. Und sie geschieht auf allen Ebenen der kommunikativen Systeme und in allen Gliedern der Vermittlungsketten.

Je höher man in den Systemebenen steigt (in der Abb. 2 tiefer), desto vermittelter ist die Wahrnehmung der sichtbaren Oberflächen. Hier ist horizontale Vermittlung über zahlreiche Schritte erforderlich. Die Kausalketten / Determinationsflüsse werden länger und riskanter. Feedback braucht längere Wege und sein Erfolg wird fraglich. Mittel und Zwecke sind vielfach gebrochen, auch diese oszillieren, wenn sich etwa wertbeladene Zwecke in instrumentelle Mittel des übergeordneten Systems verwandeln. Das klassische Design der sichtbaren öffentlichen Oberflächen rückt weiter nach "Aussen". Aber in einem erweiterten Verständnis fungiert Design als Vermittlungsleistung durch Form in allen Schritten. Auch die Planung einer Organisationsstruktur ist Design, selbst wenn sie erst nach zahlreichen Vermittlungen vom "end-user" wahrgenommen wird. Und selbst wenn diejenigen, die sie entwerfen, nicht als Designer firmieren, Designdenken ist es dennoch, wenn es gut ist. Und manchmal muss Design eben tatsächlich passen.

Abb. 2: Ebenen der kommunikativen Systeme und Vermittlungsleistungen des Designs.

 

Design im Sinne der SIMONschen Passung zwischen Kontextuellem und Artefaktischem hat also vielfältige sinnstiftende Funktionen:

- Verbindungen und Durchlässigkeiten herstellen,

- Einwirkungen und Rückwirkungen organisieren,

- Kausalitäten induktiv und deduktiv konstruieren,

- Unbekanntes bekannt machen,

- Analogien herstellen, etwa durch Metaphern,

- Gegensätze und Widersprüche handhabbar machen,

- ...

Einige Beispiele:

- LEHMANN (2001) beschreibt Design als Inklusions- / Exklusionsagentur: Wenn funktional differenzierte Gesellschaften davon ausgehen, dass alle im Prinzip an allen Kommunikationen teilnehmen können, dann kommt den Mechanismen der Inklusion / Exklusion besondere Bedeutung zu, um das "im Prinzip alle" handhabbar zu machen. "Impression management" muss praktiziert werden: Ich (Ego) muß wahrnehmen, dass jemand (Alter) mich in meinem So-Sein wahrnimmt. Aber ich darf nicht signalisieren, daß ich sein Wahrnehmen wahrgenommen habe. Denn das wäre der Anfang von Kommunikation über das Wahrgenommene und würde den Zweck des Designeinsatzes verfehlen, nämlich mein Dazugehören zu befördern. Vgl. FRAAS (2001: 3):

"Caro trägt eine Weste von Replay. Ich glaube, das ist ihr egal. Ich könnte sie fragen. Natürlich würde sie sagen, daß es egal ist. Caro kocht sich Kaffee in einer italienischen Espressokanne. Ich glaube, das ist ihr wichtig. Sie würde sagen, daß sie es so mag."

- Design als (nicht immer unbeteiligte) Mediationskompetenz an der Schnittstelle zwischen Funktionalem und Ästhetischem / Emotionalem / Irrationalem. Von der Trennung Funktion / Emotion gelangen wir zur Emotion als zusätzlicher Funktion (Produktsemantik), und schließlich zur Funktion als emotionaler (z.B. orientierender) Qualität.

- Design als Vermittlungsinstanz an der (im Zuge der Entwicklung zur nachindustriellen Gesellschaft wieder verschwimmenden) Schnittstelle zwischen Produktionssphäre und Konsumtionssphäre. LIEBL (2001) macht ökonomischen Erfolg am "Interface-value" fest: Design hat dabei die Funktion des effizienten Einsatzes der heute knappsten Ressourcen: Aufmerksamkeit und Orientierung. Das bedeutet u.U. auch, dem Anbieter den individuellen Nutzer optimal verfügbar zu machen.

- Design als Agentur der ästhetischen Integration an den vielfältigen Schnitt- und Bruchstellen zwischen den Aggregationsebenen der gebauten Umwelt, "vom Löffel bis zur Stadt" (Max Bill).

- Design als verantwortliche Bindungsinstitution an der strapazierten Schnittstelle zwischen Bewahrung und Innovation, zwischen "paleoteric" und "neoteric" thinking (BUCHANAN 1998). Konkret kann das etwa auch bedeuten: die Vermittlung von Öko-Ideologie und Nano-Technologie.

- Design als alchimistisches Labor für die Verbindung des Inkompatiblen im Hinblick auf neue Produkt- und Servicekonzepte. Das Neue in die Welt setzen, auch wenn es nur hypothetisch ist. LIEBL (2001: 64, 65): Interface-value entsteht häufig durch das gezielte Aussetzen eines Virus, der sich netzwerkartig, wie eine Epidemie verbreitet, selbstorganisiert und immer auch mit dem Risiko, außer Kontrolle zu geraten.

Alle Beispiele beschreiben Design als Passung für Entitäten, die eigentlich nicht zusammenpassen. Design als Lösungsmittel, Design als Gleitmittel, "Design schleimt sich ein." Oder seriöser formuliert: Design als Paradoxiemanagement.

 

4 Topologien und Dynamiken des Interface

Das "Dazwischen" entwickelt im Prozessieren von Design topologische und zeitliche Ordnungen. Es entstehen nebeneinander liegende und verschachtelte Cluster der unterschiedlichsten Art, sowohl auf der Entwerferseite wie auf der Nutzerseite: Zielgruppen, Interaktionsformen, Lebensstile, Designstile, Schulen, Produktgruppen, Servicefelder, Organisationsformen, Communities, Abgrenzungen, Trends, Moden, ...

Michel SERRES (1964) beschreibt das "Dazwischen", als "Kommunikationsnetz Penelope" auf präzise und teilweise fast poetische Art: Es besteht aus Punkten / Gipfeln und Wegen / Verbindungen. Die Verbindungen schaffen die bereits erwähnten Determinationsflüsse. Die Punkte sind variabel in ihrer Stärke. Es gibt viele Verbindungswege zwischen zwei Punkten. Auch die Verbindungen sind nach Typ (Einwirkung, Analogie, Widerspruch, Kausalität, ...) und Stärke verschieden. Die Fähigkeiten der Punkte hängen von ihrer Konstellation im Netz ab. Es lassen sich Teilmengen / Cluster identifizieren. Das Netz hat Substrukturen, es gibt Lokales und Globales. Die Folgen davon sind näherungsweise Zerlegbarkeit (near decomposability), Selbstähnlichkeit der Topologien auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Das Netz evolviert im Raum ­ Zeit ­ Kontinuum. Dabei gibt es unterdeterminierte (Zufall) und überdeterminierte Situationen (Notwendigkeit). Der Determinationsfluss benötigt Zeit (von Null bis Unendlich).

Auf diese Weise entsteht eine neue Form von Kausalität, die (SERRES: 164):

"sowohl mit der logischen Irreversibilität der (logischen) Folge als auch mit der zeitlichen Irreversibilität der (zeitlichen) Folge bricht: Sender und Empfänger gleichermaßen, Wirkung und Ursache zugleich. ..."

Die Methode kann nun, so SERRES weiter, mit abstrakten und mit empirischen Inhalten gefüllt werden (164, 165):

"... Auf dem abstrakten Pol entsteht auf diese Weise eine Mathematik, eine Kurventheorie, eine kombinatorische Topologie oder eine Theorie der Schemata; auf dem empirischen Pol bietet sich uns ein ausgezeichnetes Organon für ein Verständnis historischer Phänomene. Das ist nur deshalb möglich, weil hier endgültig mit der Linearität der traditionellen Konzepte gebrochen worden ist. Komplexität ist nun kein Hindernis für die Erkenntnis und erst recht kein bloß deskriptives Urteil mehr; vielmehr ist sie zu einem ausgezeichneten Hilfsmittel des Wissens und der Erfahrung geworden."

SERRES beschreibt hier in sehr "geisteswissenschaftlicher" Art einen methodischen Ansatz, der heute auf vielfältige Weise durch Verfahren der Systemanalyse, System-Modellierung, Cognitive Mapping, Simulation, etc. instrumentell umgesetzt werden kann. Man vergleiche nur das Konzept der "Sensitivitätsmodellierung" nach VESTER (1999).

 

Dynamiken des Dazwischen, Design als soziales System?

Das Stichwort Simulation weist auf die prozessualen Aspekte. Welches sind die treibenden Kräfte der Entwicklung? Wie läßt sich die Designdynamik dort unterbringen? Es geht offenbar um die Aufrechterhaltung der Autopoiesis des Designs (auch wenn Design kein System ist), die Kontinuität der designbezogenen Organisationen, der Prozesse von Produktion und Rezeption. LEHMANN (2001) beschreibt die Notwendigkeit des Managements von Inklusion / Exklusion als treibende Kraft. Dies ist noch sehr abstrakt.

HUTTER (2001) geht einen Schritt weiter bzw. wird präziser: Design beruht auf der Trennung von Machen und Nutzen. Der Nutzen hat funktionale und ästhetische Komponenten. Der ästhetische Nutzen wiederum läßt sich unterteilen in den Nutzen für mich und in den für andere, die das registrieren. Erst an dieser Stelle kommt eine neue, nicht-wirtschaftliche Dynamik ins Spiel, die für das Verstehen von Design heute nötig ist.

Es entsteht nämlich ein Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozess, der neben dem rein wirtschaftlichen eine Eigendynamik entwickelt.

Neben dem Geld als Medium des Prozessierens in der Wirtschaftskommunikation führt HUTTER Aufmerksamkeit als Medium des Prozessierens im Bewußtsein ein, Beachtung durch andere als menschliches Bedürfnis: "Ökonomien der Aufmerksamkeit bestehen immer ausschließlich aus Kommunikationsereignissen, und sie binden lebendige Aufmerksamkeit an sich."

HUTTER geht dann so weit, diese "Ökonomien der Aufmerksamkeit" als "synonym mit sozialen Systemen im Sinne Luhmanns" zu bezeichnen. Kann man das tun? Es gibt Wahrnehmungen, Beobachtungen von Design, Interaktionen, Organisationen. Die Versuche der Beschreibung als ein soziales System im Sinne der Subsysteme Wissenschaft, Wirtschaft, etc. waren bisher nicht sonderlich erfolgreich. Die "Designsysteme" sind, dies ist Ausdruck ihres medialen Charakters, durch große Flexibilität / Instabilität gekennzeichnet. Prinzipienlosigkeit und Mangel an "Haltung" wird Designern nachgesagt. Das Bild von der Mode als dem "12. Kamel" (BAECKER 2000) des Designs umschreibt dies im Grunde auch nur. Symbolisch generalisierte Medien und binäre Codes sind tatsächlich nur schwer konstruierbar. Oder ist Passen / Nicht-Passen ein Kandidat? Vgl. LEHMANN (2001).

 

Designdynamik als soziokulturelle Evolution

Soziokulturelle Evolution als Operationsweise sinnkonstituierter Systeme kann, so die Theorie, auf das Interpenetrationsverhältnis von psychischen und sozialen Systemen zurückgeführt werden. Interpenetration ist die spezifische Weise der strukturellen Kopplung von Systemen, die sich in Ko-Evolution entwickeln. Die Interpenetration führt durch gegenseitige Irritationen "Zufälligkeit" in die Kommunikation ein. Im Fall psychischer Systeme kann man den Zufall auch als "Kreativität" idealisieren. Ähnlich wie Sprache kann Design in diesem Prozeß die Funktion übernehmen, durch gegenseitiges Aufprägen von Formen Komplexitätssteigerung anzuregen und die Evolution voranzutreiben. Im Sinne des evolutionären Schemas von Variation, Selektion, (Re-) Stabilisierung, usf. hat Design die Aufgabe, diese Irritationen zeitlich beschleunigt und thematisch fokussiert zu liefern. Ohne Erfolgsgarantie, aber möglichst mehr als "zufällig".

Design agiert an der evolvierenden Wellenfront zwischen dem Existierenden und dem Möglichen, am Rande des Chaos, usf. Es wird wieder metaphorisch. Die Dynamik dieser Situation, in der sich das Design nicht nur momentan, sondern prinzipiell, befindet, wird im Bild von Alice und der roten Königin illustriert:

Abb. 3: Alice und die rote Königin.

 

Vgl. CARROLL (1974: 38, 39):

"´Jetzt! Jetzt!´ rief die Königin. ´Schneller! Schneller!´ Und nun sausten sie so schnell dahin, daß sie beinahe nur noch durch die Luft segelten und den Boden kaum mehr berührten, bis sie plötzlich, als Alice schon der Erschöpfung nahe war, innehielten, und im nächsten Moment saß Alice schwindlig und atemlos am Boden.

Die Königin lehnte sie mit dem Rücken gegen einen Baum und sagte gütig: ´Jetzt darfst du ein wenig rasten.´

Voller Überraschung sah sich Alice um. ´Aber ich glaube fast, wir sind die ganze Zeit unter diesem Baum geblieben! Es ist ja alles wie vorher!´

´Selbstverständlich´, sagte die Königin; ´was dachtest du denn?´

´Nun, in unserer Gegend´, sagte Alice, noch immer ein wenig atemlos, ´kommt man im allgemeinen woandershin, wenn man so schnell und lange läuft wie wir eben.´

´Behäbige Gegend!´ sagte die Königin. ´Hierzulande mußt du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. Und um woandershin zu kommen, muß man noch mindestens doppelt so schnell laufen!´"

Design ist Sisyphosarbeit. Es gibt keinen Fortschritt. Oder, etwas gelassener gesagt: "Es gibt kein Problem, weil es keine Lösung gibt." (Marcel Duchamp)

 

5 Zusammenfassung, Fazit

Es zeigen sich Ansätze eines Theoriegebäudes, das konstitutiv nicht identisch, sondern different ist. Evolution und System sind die zentralen Konzepte, die Selbstreferenz und Paradoxie handhabbar machen. Obwohl selbst durchaus nicht-metaphorisch, sind die beiden Konzepte im Blick auf Designtheorie noch im Stadium der Metapher. Zusammenfassend sehe ich zwei Ausformungen und ein Metakonzept des Designbegriffs:

(1) "Klassische" Ding-Gestaltung. Design als einfaches Interface-Konzept von Nutzer ­ Artefakt ­ Handlung (vgl. BONSIEPE 1996),

(2) "kommunikative" Selbst-Gestaltung. Design als Inklusions- / Exklusions-Agentur im Rahmen der "Ökonomien der Aufmerksamkeit", das Artefakt als Sinn-Medium (vgl. LEHMANN, HUTTER), sowie

(3) "universell-dilettantische" Sozial-Gestaltung. Design als Paradoxiemanagement, als Joker, jedermanns Partner, 12. Kamel, oder auch als nervender Parasit (SERRES 1987).

 

Damit zurück zu den Fragen vom Beginn:

1) Wie funktioniert das (mediale) Hilfsmittel Design?

Es funktioniert im Sinne eines universellen sinnstiftenden Interfaces / Verbindungsmittels für eigentlich Inkompatibles mittels Formgestaltung, Ästhetik, Wahrnehmungstricks, Rhetorik. Der Funktionsbegriff wandelt sich von der Zweckerfüllung zur Integration in ein System der Dinge (Baudrillard) oder in ein Milieu der Artefakte (MARGOLIN 1995).

2) Wofür ist Design das (mediale) Hilfsmittel?

Zur Herstellung, Projektion und Exploration zukünftiger Gegebenheiten auf allen Ebenen des Artifiziellen. Von der Form des Löffels bis zur sozialen Form des Zusammenlebens in der Stadt. Design ist primär Exploration. Im Gegensatz zum begrifflichen, erklärenden Forschen (Philosophie / Wissenschaft), das auf Invarianzbildung und Kohärenz zielt, ist Design eher ein sinnliches, erkennendes Forschen, welches Varianzbildung und höchstens vorläufige, temporäre, hypothetische Selektion bzw. Passung anstrebt. Designdenken und wissenschaftliches Denken sind damit im Schema der kulturellen Evolution (Variation ­ Selektion ­ Re-Stabilisierung) komplementär verbunden.

LATOUR (1998: 192) entwickelt das Konzept des Hybriden und der Quasi-Objekte und gibt den Dingen wieder einen Ort:

"... Die Mittler haben den ganzen Raum für sich. Die Aufklärung hat endlich eine Bleibe. Die Naturen sind präsent, aber mit ihren Repräsentanten, den Wissenschaftlern, die in ihrem Namen sprechen. Die Gesellschaften sind präsent, aber mit den Objekten, die ihnen schon immer Gewicht gegeben haben. Zwar spricht der eine Mandatsträger vom Ozonloch, der andere repräsentiert die Chemieindustrie des Rhône-Alpen-Gebietes, ein dritter die Arbeiter dieser selben Industrie, ein vierter die Wähler aus dem Raum um Lyon, ein weiterer die Meteorologie der Polarregionen, und wieder ein anderer spricht im Namen des Staates. Aber das ist nicht entscheidend, solange sie alle sich über dieselbe Sache äußern, über dieses Quasi-Objekt, das sie alle geschaffen haben, diese Objekt-Diskurs-Natur-Gesellschaft, deren neue Eigenschaften uns alle verwundern und deren Netz sich von meinem Kühlschrank bis zur Antarktis erstreckt, auf dem Weg über die Chemie, das Recht, den Staat, die Ökonomie und die Satelliten. Die Gemenge und die Netze, die keinen Platz hatten, haben nun den ganzen Platz für sich. Sie gilt es zu repräsentieren, um sie herum versammelt sich von nun an das Parlament der Dinge. ..."

WIENER sagte in bezug auf das Entstehen der Kybernetik (1948):

"Viele Jahre lang hatten Dr. Rosenblueth und ich die Überzeugung geteilt, daß die für das Gedeihen der Wissenschaft fruchtbarsten Gebiete jene wären, die als Niemandsland zwischen den verschiedenen anerkannten Disziplinen vernachlässigt wurden."

In diesem Sinne kann es sein, daß aus dem hybriden fruchtbaren Niemandsland, dem Design-Sumpf, weitere (später möglicherweise auch wissenschaftliche) Disziplinen entstehen. Auch die Kybernetik entstand ja aus handfesten Design-Problemen. Design selbst wird jedoch im Sumpf bleiben, bzw. genauer: Design wird der Sumpf bleiben, in dem die potentiellen Sinnpfade sich bilden können. Oder das unverdrahtete Gehirn, in dem sich die Axonen ihre Anschüsse suchen.

Design ist das Medium unseres In-der-Welt-Seins als menschliche Wesen.

Design ist dazwischen.

 

Literatur

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