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Gerrit Gohlke zu Blank & Jeron Der Schuh sucht den Kontakt zum Bildschirm. Er tastet die gesprächige Außenfläche des Computers ab, auf der sonst immer nur ein dünner Film von Zeichen und Andeutungen entweder an das Denkvermögen oder doch eher an einen sich alles unterwerfenden Verwaltungssinn appelliert. Endlich also wird mit den Füßen, nicht den auf die Tastatur schlagenden Händen, die flimmernde Front des Monitors berührbar. Der Zugang zum Rechner ist ein vom Sehsinn inszenierter Betrug, den der Benutzer in armweitem Abstand zu einem hellen Rechteck erträgt. Hier aber beschreitet er die Projektionswand seiner Sehnsüchte leibhaftig. Bei Joachim Blank und Karl Heinz Jeron betritt er den Schirm. Er betritt ihn nicht ganz. Er steht in Wahrheit nicht auf dem Monitor, sondern auf dessen symmetrischem Gegenstück. Er steht auf einem Scanner, dem Lesegerät, das so flach wie schematisch die Bildvorlagen und Akten digitalisiert und in die Computer speist. Scanner++ heißt eine Bühne aus einem Dutzend begehbarer, gläserner Platten, jede so groß wie ein Schulzeichenblock, unter denen ebensoviele Flachbettscanner in regelmäßigem Rhythmus die Welt erfassen. Diese Welt hat zwanzig Zentimeter Tiefe, weil Kopierer kursichtige Geräte sind, die nur abtasten, was sich in ihrer unmittelbaren Nähe befindet, während alles Entferntere undurchdringlich dunkel bleibt, ausgeblendet und auf dem Abbild geschwärzt. Bewußtlos, aber nach der Choreographie eines Algorithmus, kartographiert die Maschine schematisch ihr Publikum, dem sie von unten auf die Sohlen blickt, während die Köpfe der Menschen der mechanischen Reproduktion enthoben bleiben. So diktiert die berührungssüchtige Apparatur Blanks und Jerons die Bedingungen, unter denen die Physis ihrer Nutzer lesbar wird. Sie folgt auf eigenartige Weise der alt gewordenen Utopie einer Internet- enthusiastischen Gründergeneration. Wie diese sich von dem entstehenden weltweiten elektronischen Netz die befreiende Entkörperlichung seiner Teilnehmer versprach, erfaßt Scanner++ die Menschen: Unterschiedlos, nach dem Maß ihrer Nähe zur technischen Oberfläche und übersetzt in Daten und Zeichen. Dem Sinnesorgan des Rechners werden nur die zufälligen Fußspuren der Flaneure lesbar, standfest real, aber ohne die Ideale des Überbaus. Aus mathematischer Schematik erzeugt die Apparatur Augenblicksprotokolle einer räumlich beschnittenen Wirklichkeit, Abbildungen dessen, was auf einer geräthaften und begrenzten Erhebung Stand der Dinge ist. Ihre Kopien werden in genauer Entsprechung der Installation auf drei mal vier Flächen nicht nur an die Wand gegenüber den Scannern projiziert, sondern über das Internet am Bildschirm zugänglich gemacht. So wird uns die Monitorscheibe als Spiegelachse vorgeführt. Es scheint, als stünden auf der anderen Seite Menschen. Wir sehen sie von unten. Sie stehen auf der Innenseite unseres Bildschirms, als sinnloses Anschauungsmaterial an unsere Scheibe geleimt. Nicht wirklich indes sehen wir sie wie Fliegen auf dem Fensterglas. Die Unzulänglichkeit der Technik abstrahiert die Objekte zu Schemen, und die Fläche auf dem Monitor ist ein Auswahlmenü. Ihre zwölf Felder sind zugleich ein Bilderlager, das jeweils sichtbare Bild ist nur das oberste Blatt eines in absteigender Aktualität geordneten Stapels, von dem der Benutzer abheben kann, als habe er es mit aufgeschichteten Spielkarten zu tun. Eines nach dem anderen verwirft er so, um die Neugier zu stillen, ob darunter noch eines käme, das lohnender als das vorangegangene sei. So etwas heißt bei Blank und Jeron nicht ohne leise Häme SERO, Sekundärrohstoff-Verwertung. SERO ist das DDR-Schlagwort für Recycling gewesen und macht heute Börsenkarriere als Firmenname des ehemaligen staatlichen Abfallverwerters, der, ganz dem Wettbewerb verschrieben, mit "individuell zugeschnittenen, technisch ausgereiften Verwertungskonzepten" wirbt (1). SERO ist auch der Markenname, den Blank und Jeron ihren Projekten gegeben haben, und der gleichermaßen als ihr Ersatzbegriff für die Inflationsvokabel WorldWideWeb wie als Metapher ihrer Kritik der Informationstechnologie verstanden werden kann. SERO ist die Beschreibung und Analyse eines Mediums, das aus einer Sprachnorm leichter Übertragbarkeit entstanden ist und einem Denken in Schaubildern, Diagrammen und Firmenzeichen entstammt. SERO zitiert nicht nur diese Sphäre der Signets und Corporate Identity. Seine Erfinder sind selbst gezwungen, den Gesetzmäßigkeiten ihres Mediums zu folgen und sich in der grenzenlosen Pluralität eine Identität als ästhetischer Handelsartikel zu verleihen. Scanner++ zitiert im Titel die Pluszeichen, mit denen Hersteller ihre Software als erweiterte Version auszeichnen, und gleicht so zugleich der Programmiersprache C++, die sich seit dem Ende der 80er Jahre, unsichtbar für den nicht programmierenden Konsumenten, als verbreitete Sprachnorm am Markt durchgesetzt hat (2). Ihre hygienischen Qualitäten der "sauberen Abstraktion" (3) und leichten Ersetzbarkeit einzelner Programmteile sind das, worum es SERO geht: Betriebsgesetze des Datenverkehrs. Blank und Jeron entwickeln eine Phänomenologie der Grenzübergänge zwischen Benutzer und Computer, sie sind Pathologen der Denkkonventionen und Wirklichkeitsfilterungen, die sie als unausgeprochene Voraussetzungen des elektronischen Informationsaustausches beschreiben. Prototyp dieser Kritik war das 1997 bei der zehnten documenta vorgeführte Projekt without_addresses. Zu Ingenieuren der elektronischen Verformung wurden seine Benutzer selbst, die auf der Suche nach den Befriedigungen der Interaktion in das Eingabefeld der Internetseite ihren Namen eintrugen. Jede Eingabe wurde von einer Suchmaschine beantwortet, die in der beliebigen Vielfalt des WorldWideWeb nach der nächstbesten Seite suchte, die irgendwo den eben eingegebenen Namen trug. Wurde sie fündig, verfertigte sie eine Kopie des Datenmaterials und legte es in veränderter Form in einer Datensammlung ab. Die Veränderung bestand aus der Anwendung einer programmierten Schablone, mit deren Hilfe die elektronischen Fundstücke in ihre Bestandteile zerrisen, in eine andere Hintergrundfarbe getaucht und in einer handschriftähnlichen Typographie neu zusammengesetzt wurden. Vor der Maschine waren alle Informationen gleich. Den Selbstdarstellungen und Annoncen, der genormten Individualität und unverlangten Vielfalt, verlieh sie nach stereotypem Reglement auf Kosten der Lesbarkeit den authentischen Anschein historischer Manuskripte. Sie profitierte von den typisierten Sprachcodes des Internet, in dem alles als sagbar gilt, aber zugunsten schneller Übermittlung nur in einigen Dutzend Formatierungen darstellbar ist. Wie eine Parodie auf die Utopien der Datenkommunikation entstand eine sich selbst fortschreibende Bibliothek, ein Magazin endlos aneinander anschließender Informationen, die nach dem Muster einer technologischen Ästhetik zum Ornament ihres Mediums zerfließen. Die Architektur des Internet ist Dekor. Die Botschaft degeneriert zum überfließenden Füllstoff einer grafischen Maschinerie. Daraus pressen Blank und Jeron den Genuß eines ästhetischen Spiels. Es war ihre Raffinesse, dieses Archiv des Bedeutungsverlustes als Topographie zu präsentieren. Statt jene Seite vor Augen geführt zu bekommen, deren Erzeugung er gerade veranlaßt hatte, fand der Benutzer nur einen Stadtplan vor. Auf ihm leuchteten kleine, gelbe Punkte als anonyme Auswahl aus dem bisher zusammengesetzten Datenbestand. Wer mit dem Mauszeiger einen Punkt auswählte, rief eine der archivierten Fundseiten auf. Die enthielt dann zwar ihren Adreßcode als senkrechtes Signet ihrer Herkunft. Sie war aber so wenig einzuordnen wie eine Fassade in einem unbekannten Straßenbild. Es entstand ein Zerrbild der Stadt- und Raummetaphern der Internetgemeinde, ein absurdes Theater der buchstabengläubigen Datenordnung, deren strenge Hierarchie durch eine alle Inhalte einebnende Physiognomik ersetzt worden war. Das Netz glich so nicht nur einer Kopiermaschine, es schien offensichtlich selbst noch unter den Bedingungen der Ziellosigkeit und des Bedeutungsentzugs jene Zirkulation schöner Oberflächen zu erzeugen, die es als Archiv der Attraktionen verführerisch macht. Wiederaufbereitung
heißt dabei Rückführung in eine Sphäre leibhaftiger
Realität. SERO macht Virtualität und Physis zu Gegenständen
eines logischen Vergleichs. Die Vielfalt und pathetisch beschworene Unendlichkeit
des Internet wird zu Lasten des Publikums und unter den Bedingungen der
geltenden Ökonomie handgreiflich gemacht. Die maschinellen Transkriptionen
"ohne Adressen" werden als auratische Siebdrucke dem staunenden Kunstpublikum
angeboten, daß die Bürde der Informationsvermehrung nun als
Sammler tragen muß, auf Rechnung, nicht in den abschaltbaren Rechner
gebannt. In der Logik der Archive gibt es keine Entsorgung. Und trotz "grünem
Punkt" (4) als Markenzeichen der without_addresses
Homepage bedeutet SERO nicht Beseitigung, sondern Sekundäraufbereitung
in der räumlich begrenzten Wirklichkeit. Diese Übersetzungsarbeit
zwischen virtueller und körperlicher Sphäre vollendet den Wunsch
nach Selbstdarstellung im Internet mit einem Kaufangebot und bietet mit
dem Projekt Dump Your Trash! der Kundschaft das Recycling ihrer
Homepages an. Wer seine Web-Adresse in ein Formular einschreibt, erhält
nach kurzer Zeit einen elektronischen Abholschein. Unter der darin angegebenen
Kennung ist auf dem SERO-Server ein verfälschtes Abbild der Homepage
zu finden, als seien deren Bestandteile in einen dunkelgrauen und porösen
Sandstein gehauen. Das eigene Informationsangebot als Epitaphplatte: Kaum
lesbar und voller Würde. Internet heißt Variation ohne Prüfung
des Nutzens, und die Antwort darauf kommt einer Drohung gleich. Wer zu
zahlen bereit ist, bekommt seine Homepage als Steinmetzarbeit in Marmor
oder Granit ins Haus geschickt. Gegen Aufpreis mit Transportwagen im Format
einer rollbaren Einkaufstasche.
So wird nicht nur der Zweifel
an den ungenügenden Inhalten provoziert, deren Verfallsdaten solche
Haltbarkeit kaum je vertragen werden. SERO läßt Negativformen
elektronischen Materials entstehen, an denen die Grundprinzipien der Datenverarbeitung
als Mangel lesbar werden. Dem guten Glauben an das leichthin fließende
Medium stellen sie die materiellen Bedingungen seiner Benutzung als Trägheitsmoment
gegenüber. So ist mit maschineller Automatik die Frage gestellt, was
eigentlich der Primärrohstoff sei, dessen Bestimmung im Netz die sekundäre
Aufbereitung ist.
Fußnoten: (1) SERO
Entsorgung AG, Berlin; vgl. <http://www.sero.de/sero/index/frame.htm>,
Link "Das Unternehmen"
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