Startseite
'body of the message'
Ortsbegehung No. 4
NBK Berlin 1998
curated by Inke Arns |
Greifen
Sie zu
Gerrit Gohlke zu Blank &
Jeron
Der Schuh sucht den Kontakt
zum Bildschirm. Er tastet die gesprächige Außenfläche des
Computers ab, auf der sonst immer nur ein dünner Film von Zeichen
und Andeutungen entweder an das Denkvermögen oder doch eher an einen
sich alles unterwerfenden Verwaltungssinn appelliert. Endlich also wird
mit den Füßen, nicht den auf die Tastatur schlagenden Händen,
die flimmernde Front des Monitors berührbar. Der Zugang zum Rechner
ist ein vom Sehsinn inszenierter Betrug, den der Benutzer in armweitem
Abstand zu einem hellen Rechteck erträgt. Hier aber beschreitet er
die Projektionswand seiner Sehnsüchte leibhaftig. Bei Joachim Blank
und Karl Heinz Jeron betritt er den Schirm.
Er
betritt ihn nicht ganz. Er steht in Wahrheit nicht auf dem Monitor, sondern
auf dessen symmetrischem Gegenstück. Er steht auf einem Scanner, dem
Lesegerät, das so flach wie schematisch die Bildvorlagen und Akten
digitalisiert und in die Computer speist. Scanner++ heißt
eine Bühne aus einem Dutzend begehbarer, gläserner Platten, jede
so groß wie ein Schulzeichenblock, unter denen ebensoviele Flachbettscanner
in regelmäßigem Rhythmus die Welt erfassen. Diese Welt hat zwanzig
Zentimeter Tiefe, weil Kopierer kursichtige Geräte sind, die nur abtasten,
was sich in ihrer unmittelbaren Nähe befindet, während alles
Entferntere undurchdringlich dunkel bleibt, ausgeblendet und auf dem Abbild
geschwärzt. Bewußtlos, aber nach der Choreographie eines Algorithmus,
kartographiert die Maschine schematisch ihr Publikum, dem sie von unten
auf die Sohlen blickt, während die Köpfe der Menschen der mechanischen
Reproduktion enthoben bleiben.
So diktiert die berührungssüchtige
Apparatur Blanks und Jerons die Bedingungen ,
unter denen die Physis ihrer Nutzer lesbar wird. Sie folgt auf eigenartige
Weise der alt gewordenen Utopie einer Internet- enthusiastischen Gründergeneration.
Wie diese sich von dem entstehenden weltweiten elektronischen Netz die
befreiende Entkörperlichung seiner Teilnehmer versprach, erfaßt
Scanner++ die Menschen: Unterschiedlos, nach dem Maß ihrer
Nähe zur technischen Oberfläche und übersetzt in Daten und
Zeichen. Dem Sinnesorgan des Rechners werden nur die zufälligen Fußspuren
der Flaneure lesbar, standfest real, aber ohne die Ideale des Überbaus.
Aus
mathematischer Schematik erzeugt die Apparatur Augenblicksprotokolle einer
räumlich beschnittenen Wirklichkeit, Abbildungen dessen, was auf einer
geräthaften und begrenzten Erhebung Stand der Dinge ist. Ihre Kopien
werden in genauer Entsprechung der Installation auf drei mal vier Flächen
nicht nur an die Wand gegenüber den Scannern projiziert, sondern über
das Internet am Bildschirm zugänglich gemacht. So wird uns die Monitorscheibe
als Spiegelachse vorgeführt. Es scheint, als stünden auf der
anderen Seite Menschen. Wir sehen sie von unten. Sie stehen auf der Innenseite
unseres Bildschirms, als sinnloses Anschauungsmaterial an unsere Scheibe
geleimt.
Nicht wirklich indes sehen
wir sie wie Fliegen auf dem Fensterglas. Die Unzulänglichkeit der
Technik abstrahiert die Objekte zu Schemen, und die Fläche auf dem
Monitor ist ein Auswahlmenü. Ihre zwölf Felder sind zugleich
ein Bilderlager, das jeweils sichtbare Bild ist nur das oberste Blatt eines
in absteigender Aktualität geordneten Stapels, von dem der Benutzer
abheben kann, als habe er es mit aufgeschichteten Spielkarten zu tun. Eines
nach dem anderen verwirft er so, um die Neugier zu stillen, ob darunter
noch eines käme, das lohnender als das vorangegangene sei.
So etwas heißt bei
Blank und Jeron nicht ohne leise Häme SERO, Sekundärrohstoff-Verwertung.
SERO ist das DDR-Schlagwort für Recycling gewesen und macht heute
Börsenkarriere als Firmenname des ehemaligen staatlichen Abfallverwerters,
der, ganz dem Wettbewerb verschrieben, mit "individuell zugeschnittenen,
technisch ausgereiften Verwertungskonzepten" wirbt (1).
SERO ist auch der Markenname, den Blank und Jeron ihren Projekten gegeben
haben, und der gleichermaßen als ihr Ersatzbegriff für die Inflationsvokabel
WorldWideWeb wie als Metapher ihrer Kritik der Informationstechnologie
verstanden werden kann. SERO ist die Beschreibung und Analyse eines Mediums,
das aus einer Sprachnorm leichter Übertragbarkeit entstanden ist und
einem Denken in Schaubildern, Diagrammen und Firmenzeichen entstammt. SERO
zitiert nicht nur diese Sphäre der Signets und Corporate Identity.
Seine Erfinder sind selbst gezwungen, den Gesetzmäßigkeiten
ihres Mediums zu folgen und sich in der grenzenlosen Pluralität eine
Identität als ästhetischer Handelsartikel zu verleihen. Scanner++
zitiert im Titel die Pluszeichen, mit denen Hersteller ihre Software
als erweiterte Version auszeichnen, und gleicht so zugleich der Programmiersprache
C++, die sich seit dem Ende der 80er Jahre, unsichtbar für den nicht
programmierenden Konsumenten, als verbreitete Sprachnorm am Markt durchgesetzt
hat (2). Ihre hygienischen Qualitäten der "sauberen
Abstraktion" (3) und leichten Ersetzbarkeit einzelner
Programmteile sind das, worum es SERO geht: Betriebsgesetze des Datenverkehrs.
Blank und Jeron entwickeln eine Phänomenologie der Grenzübergänge
zwischen Benutzer und Computer, sie sind Pathologen der Denkkonventionen
und Wirklichkeitsfilterungen, die sie als unausgeprochene Voraussetzungen
des elektronischen Informationsaustausches beschreiben.
Prototyp dieser Kritik war
das 1997 bei der zehnten documenta vorgeführte Projekt
without_addresses. Zu Ingenieuren der elektronischen Verformung
wurden seine Benutzer selbst, die auf der Suche nach den Befriedigungen
der Interaktion in das Eingabefeld der Internetseite ihren Namen eintrugen.
Jede Eingabe wurde von einer Suchmaschine beantwortet, die in der beliebigen
Vielfalt des WorldWideWeb nach der nächstbesten Seite suchte, die
irgendwo den eben eingegebenen Namen trug. Wurde sie fündig, verfertigte
sie eine Kopie des Datenmaterials und legte es in veränderter Form
in einer Datensammlung ab. Die Veränderung bestand aus der Anwendung
einer programmierten Schablone, mit deren Hilfe die elektronischen Fundstücke
in ihre Bestandteile zerrisen, in eine andere Hintergrundfarbe getaucht
und in einer handschriftähnlichen Typographie neu zusammengesetzt
wurden. Vor der Maschine waren alle Informationen gleich. Den Selbstdarstellungen
und Annoncen, der genormten Individualität und unverlangten Vielfalt,
verlieh sie nach stereotypem Reglement auf Kosten der Lesbarkeit den authentischen
Anschein historischer Manuskripte. Sie profitierte von den typisierten
Sprachcodes des Internet, in dem alles als sagbar gilt, aber zugunsten
schneller Übermittlung nur in einigen Dutzend Formatierungen darstellbar
ist. Wie eine Parodie auf die Utopien der Datenkommunikation entstand eine
sich selbst fortschreibende Bibliothek, ein Magazin endlos aneinander anschließender
Informationen, die nach dem Muster einer technologischen Ästhetik
zum Ornament ihres Mediums zerfließen. Die Architektur des Internet
ist Dekor. Die Botschaft degeneriert zum überfließenden Füllstoff
einer grafischen Maschinerie. Daraus pressen Blank und Jeron den Genuß
eines ästhetischen Spiels.
Es war ihre Raffinesse, dieses
Archiv des Bedeutungsverlustes als Topographie zu präsentieren. Statt
jene Seite vor Augen geführt zu bekommen, deren Erzeugung er gerade
veranlaßt hatte, fand der Benutzer nur einen Stadtplan vor. Auf ihm
leuchteten kleine, gelbe Punkte als anonyme Auswahl aus dem bisher zusammengesetzten
Datenbestand. Wer mit dem Mauszeiger einen Punkt auswählte, rief eine
der archivierten Fundseiten auf. Die enthielt dann zwar ihren Adreßcode
als senkrechtes Signet ihrer Herkunft. Sie war aber so wenig einzuordnen
wie eine Fassade in einem unbekannten Straßenbild. Es entstand ein
Zerrbild der Stadt- und Raummetaphern der Internetgemeinde, ein absurdes
Theater der buchstabengläubigen Datenordnung, deren strenge Hierarchie
durch eine alle Inhalte einebnende Physiognomik ersetzt worden war. Das
Netz glich so nicht nur einer Kopiermaschine, es schien offensichtlich
selbst noch unter den Bedingungen der Ziellosigkeit und des Bedeutungsentzugs
jene Zirkulation schöner Oberflächen zu erzeugen, die es als
Archiv der Attraktionen verführerisch macht.
Wiederaufbereitung
heißt dabei Rückführung in eine Sphäre leibhaftiger
Realität. SERO macht Virtualität und Physis zu Gegenständen
eines logischen Vergleichs. Die Vielfalt und pathetisch beschworene Unendlichkeit
des Internet wird zu Lasten des Publikums und unter den Bedingungen der
geltenden Ökonomie handgreiflich gemacht. Die maschinellen Transkriptionen
"ohne Adressen" werden als auratische Siebdrucke dem staunenden Kunstpublikum
angeboten, daß die Bürde der Informationsvermehrung nun als
Sammler tragen muß, auf Rechnung, nicht in den abschaltbaren Rechner
gebannt. In der Logik der Archive gibt es keine Entsorgung. Und trotz "grünem
Punkt" (4) als Markenzeichen der without_addresses
Homepage bedeutet SERO nicht Beseitigung, sondern Sekundäraufbereitung
in der räumlich begrenzten Wirklichkeit. Diese Übersetzungsarbeit
zwischen virtueller und körperlicher Sphäre vollendet den Wunsch
nach Selbstdarstellung im Internet mit einem Kaufangebot und bietet mit
dem Projekt Dump Your Trash! der Kundschaft das Recycling ihrer
Homepages an. Wer seine Web-Adresse in ein Formular einschreibt, erhält
nach kurzer Zeit einen elektronischen Abholschein. Unter der darin angegebenen
Kennung ist auf dem SERO-Server ein verfälschtes Abbild der Homepage
zu finden, als seien deren Bestandteile in einen dunkelgrauen und porösen
Sandstein gehauen. Das eigene Informationsangebot als Epitaphplatte: Kaum
lesbar und voller Würde. Internet heißt Variation ohne Prüfung
des Nutzens, und die Antwort darauf kommt einer Drohung gleich. Wer zu
zahlen bereit ist, bekommt seine Homepage als Steinmetzarbeit in Marmor
oder Granit ins Haus geschickt. Gegen Aufpreis mit Transportwagen im Format
einer rollbaren Einkaufstasche.
So wird nicht nur der Zweifel
an den ungenügenden Inhalten provoziert, deren Verfallsdaten solche
Haltbarkeit kaum je vertragen werden. SERO läßt Negativformen
elektronischen Materials entstehen, an denen die Grundprinzipien der Datenverarbeitung
als Mangel lesbar werden. Dem guten Glauben an das leichthin fließende
Medium stellen sie die materiellen Bedingungen seiner Benutzung als Trägheitsmoment
gegenüber. So ist mit maschineller Automatik die Frage gestellt, was
eigentlich der Primärrohstoff sei, dessen Bestimmung im Netz die sekundäre
Aufbereitung ist.
Fußnoten:
(1) SERO
Entsorgung AG, Berlin; vgl. <http://www.sero.de/sero/index/frame.htm>,
Link "Das Unternehmen"
(2) C++
wurde zuerst 1985 kommerziell veröffentlicht. Die Sprache gelangte
Im Laufe der 80er Jahre zu verbreiteter Verwendung in Industrie und Wissenschaft,
und etwa seit 1990 begannen die großen Hersteller von Computern und
Software, ihren Anwendern C++ als Standard anzubieten. Während in
den 80er Jahren und Anfang der 90er Jahre die Anwenderzahl sich alle siebeneinhalb
Monate verdoppelte, verlangsamt sich die Verbreitung nun, steigt aber noch
immer kontinuierlich an. Die Zahl der C++ Programmierer wurde nach Angaben
einer amerikanischen Standardisierungsbehörde 1997 auf 1,5 Millionen
geschätzt.
(3) Zitiert
aus einer Produktionformation des Anbieters.
(4) Das
deutsche Recyclingzeichen für wiederverwertbare Verpackungen.
|