NBK Neuer Berliner Kunstverein 

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'body of the message' 
Ortsbegehung No. 4 
NBK Berlin 1998 
curated by Inke Arns

body of the message   

Inke Arns 
 

Das Alltägliche setzt sich aus allen möglichen Arten
des Wilderns zusammen.
Michel de Certeau (1)
 
(Illustrationen mit einem  + sind nicht Teil der Ausstellung, stellen jedoch den thematischen Rahmen dar)

So unterschiedlich die verwendeten neuen Medien und die künstlerisch / ästhetischen Strategien, eines verbindet die in der Ausstellung body of the message vertretenen Arbeiten von Sandra Becker, Daniel Pflumm und Joachim Blank & Karl Heinz Jeron: Sie thematisieren die gegenwärtig sich vollziehende radikale Neu- und Umstrukturierung des öffentlichen Raumes, die, obgleich unsichtbar für das menschliche Auge, von weitreichender Bedeutung ist. Jeder urbane Raum, so schreibt der französische Philosoph Michel de Certeau in der Kunst des Handelns, zeichne sich durch zwei grundlegende Eigenschaften aus: einerseits durch den statischen Plan der sogenannten ‘Konzept-Stadt’, die sich in der gebauten Ordnung materialisiert. Gleichzeitig besteht jedes urbane Geflecht aber auch aus fließenden Strukturen und Strömen, wie Verkehr und Informationen. Diese folgen den materiellen Strukturen der gebauten Stadt, können diesen jedoch auch zuwiderlaufen und somit den statischen Ort verändern: "Eine metaphorische oder herumwandernde Stadt dringt somit in den klaren Text der geplanten und leicht lesbaren Stadt ein." (2) Ergänzend möchte man an dieser Stelle hinzufügen, daß der Gegensatz zwischen statischer und fließender Stadt kein absoluter ist, sondern nur Aggregatzustände des urbanen Raumes mit unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten bezeichnet: Es gibt hier schnelle und weniger schnelle Flüsse von Architekturen, Körpern, Waren, Zeichen und Informationen. In den Arbeiten von Becker, Pflumm und Blank & Jeron geht es um jene neuartigen medialen Strukturen, die als nomadische und ephemere Extensionen auf unseren öffentlichen Räumen aufsetzen und diese - auch in einem politischen Sinn - qualitativ verändern (3). Sie widmen sich der Sichtbarmachung dessen, was in diesen neuartigen urbanen Transiträumen sich bewegt; der Sichtbarmachung bestimmter Flüsse von Zeichen, Waren, Körpern und Informationen, jener Elemente, die eben diese neuartigen Räume durchqueren. Kurz, es geht um das, was der Titel dieser Ausstellung bezeichnet: body of the message; unvollkommen übersetzt mit "Nachrichtenkörper". Der Ausdruck body of the message stammt aus dem Bereich der e-mail Kommunikation und bezeichnet hier - im Gegensatz zu dem an Maschinen adressierten Programmcode - den Teil einer elektronischen Nachricht, der sich an einen menschlichen Leser richtet. (4) 

Was machen nun die - und vor allem was sind - "Nachrichtenkörper" in diesen neuartigen Räumen? Als Eckpunkte der Kartographierung können die Begriffe "Körper", "Nachricht", "Schreiben", "Text" und "Lesen" dienen. In Sandra Beckers Arbeiten sind es "reale" menschliche Körper von Passanten, die "Nachrichten" oder Botschaften aussenden; die, indem sie einem urbanen Text folgen, sich bewußt in diesen einschreiben (können), gleichzeitig aber auch Spuren hinterlassen, von denen sie nichts wissen. Bei Daniel Pflumm bezeichnet der Körper nicht mehr den eines Individuums, sondern vielmehr den eines transnationalen Unternehmens, einer Korporation, die nur noch in ihrem Logo als ein einheitlicher Körper erkennbar ist. Der global lesbare metalinguistische (Zeichen)Körper wird zur einer sich selbst genügenden Botschaft. Im Internet wiederum, dem Medium, dessen sich Blank & Jeron bedienen, wird zunehmend ununterscheidbar, ob Nachrichten noch von einem (menschlichen) Körper oder von einem (maschinellen) Code aus emergieren: hier wird der Nachricht mehr und mehr die Existenz eines vom Sender unabhängigen Körpers unterstellt. Biokörperlichkeit ist fragwürdig geworden, Authentizität hat nurmehr einen ambivalenten Status. Die künstlerischen Ansätze von Becker, Pflumm und Blank & Jeron beleuchten verschiedene Aspekte von "Nachrichtenkörpern" in gegenwärtigen medialen urbanen Räumen: die Bewegung von Menschen in diesen Räumen; die Fluktuation von Zeichenkörpern sowie die zunehmende Digitalisierung (d.h. die radikale Reduktion) von bis dato analogen Körpern und deren sukzessiven Übergang in den informationellen Raum.  
 

 
Sandra Becker, Persona Grata 1-4 

In Sandra Beckers Arbeit sind die "Nachrichtenkörper" ganz offensichtlich "reale", in Bewegung befindliche menschliche Körper, die zu Hunderten durch U-Bahn Gänge hasten, auf Rolltreppen stehen und in "Transiträumen", den „Kathedralen der Hin- und Rückfahrt" (5), das Vergehen der Zeit erwarten - von der Künstlerin als "Poesie des Wartens" bezeichnet. Der Rausch der Beschleunigung im 19. Jahrhundert führte dazu, daß man seither „in Geschwindigkeit" sein kann, „so ähnlich wie in China, einer anderen Gegend, einem anderen Kontinent, den wir zu kennen vorgeben." (6) Sandra Beckers Interesse gilt dem gewöhnlichen Benutzer der Stadt, den Passanten in New York, Berlin, Moskau und Tokio, „deren Körper dem mehr oder weniger deutlichen Schriftbild eines städtischen "Textes" folgen, den sie schreiben, ohne ihn lesen zu können." (7 

  
+ Downtown Tokyo              + Rush hour in a Japanese manga 

Diese Körper hinterlassen Spuren (Überwachungskameras, Kreditkarten), ohne daß sie sich dessen bewußt sind; sie schreiben einen Text, den sie zwar nicht lesen können, der aber von anderen gelesen wird. Dieser Text wird erst von einem panoptischen Zentrum aus lesbar. Zwar zitiert Sandra Becker in ihren Arbeiten die Ästhetik von im öffentlichen Raum installierten Überwachungskameras, sie unterläuft jedoch gleichzeitig die normative Totale dieses Blickes indem sie ihr eine Vielzahl von Standpunkten entgegenstellt. Ihre Kamera spürt den Fragmenten fiktiver Geschichten nach, die an transitorischen Orten, auf der Reise zwischen hier und dort, entstehen. Das ‘Gehen in der Stadt’ läßt Orte zu Räumen werden, die „die Stadt an bestimmten Punkten verschwinden lassen und an anderen Stellen wieder wuchern lassen, sie verzerren, zerlegen und von ihrer dennoch unbeweglichen Ordnung abbringen." (8) Es ist de Certeaus metaphorische oder herumwandernde Stadt, der man in den Arbeiten von Sandra Becker begegnet. 
 

Technologies to the People, Street Access Machine 
 

Critical Art Ensemble, in: The Electronic Disturbance, NY, 1994

Bei Daniel Pflumm reduzieren sich die "Nachrichtenkörper" auf den "schönen Schein" reiner Oberflächen: bunte Logos, Corporate Identities und Markenzeichen lösen einander in rasendem Tempo ab. Diese "Nachrichtenkörper" verweisen hier bereits auf überindividuelle Korporationen, geografisch verteilte Unternehmungen und deren Produkte, die in unserer globalisierten Ökonomie weltweit abgesetzt und deren "Images" daher auch weltweit wiedererkennbar sein müssen; es sind Steuerzeichen, die sich an globale Adressaten richten. Diese Zeichen durchqueren den urbanen Raum und das kollektive globale Unterbewußtsein und verweisen somit auf die Geschwindigkeit einer fast instantanen weltweiten Präsenz. Pflumm löst die Labels aus ihrem Kontext (Fernsehen oder Internet), baut sie am Computer nach, zerlegt sie in ihre strukturellen Elemente und läßt diese Teile dann in Endlosschleifen rotieren. In anti-logo video (1997) eliminiert er jegliche Schrift von Hand bzw. rastert sie elektronisch bis zur Unkenntlichkeit auf; in SILENCER (1997) wird ein ähnliches Ergebnis durch extrem unscharfe Videoaufnahmen ab- und aufblendender, im städtischen Raum installierter Leuchtreklamen erreicht. Pflumm kombiniert gefundenes Material auch mit Labels eigener Projekte (die teils appropriierte Firmenlogos sind): in seinen Videos verschwimmen die Grenzen zwischen Elektro (Club, 1992-94), AT&T, Panasonic (Club, 1995-97), Esso, PAN AM, WMF (Club) und Microsoft. Einerseits durchbrechen die Videos durch eine gegenüber normaler Werbung abweichende Wiederholungsfrequenz die konventionellen Wahrnehmungsmuster, andererseits zeigt sich „in der Monotonie dieser ablaufenden Bildabfolge [...] der Symbolcharakter von scheinbar nur nebensächlich aufgenommenen Bildformen." (9) Gleichzeitig haftet besonders den vom Künstler eigenhändig "zensierten" oder "entkernten" (10) Logos, - aus denen jeglicher Text entfernt wurde und nur noch die minimale grafische Form für sich steht - etwas Fragiles und sehr Vergängliches an. Daniel Pflumms Videos sind Archive einer sich rasch wandelnden Werbe- und Medienästhetik. 
 

 
+ makrolab <http://makrolab.ljudmila.org> scanning the skies and mapping data flows over Lutterberg during documenta X, Kassel 1997

Information ist als künstlerischer Rohstoff heute im Überfluß vorhanden. Unter dem Projektnamen sero.org (11)  thematisieren Joachim Blank & Karl Heinz Jeron seit 1997 den Begriff der Information und die Probleme des Informations-Smogs (i-smog) in der sogenannten Informationsgesellschaft. Vor allem seit dem Beginn der massenhaften Nutzung des Internet hat auch diese "Informationsgesellschaft" aufgrund des Überflusses an Daten mit Müllproblemen zu kämpfen. Blank & Jeron entwickeln daher Konzepte für das Recycling von Informationen (i-recycling), die jedoch perfiderweise nicht der Behebung der Ursache des lästigen information overload dienen, sondern die Summe der vorhandenen Informationen noch erhöhen. Ihre Internet-Projekte without_addresses (12) (1997) und DUMP YOUR TRASH! (13) (1998) verwischen ironisch den schmalen Grat zwischen Information / Desinformation und hinterfragen den „wahren Wert von Information in unserer Gesellschaft": während without_addresses als simulierte bzw. dysfunktionale Suchmaschine die im Internet vorhandenen data bodies und Spuren (z.B. zu einer Person) als handgeschriebene unleserliche Dokumente zugänglich macht, ermöglicht es DUMP YOUR TRASH! aus per se ephemeren web sites massive, von einem Steinmetz in Marmor gehauene Tafeln herstellen zu lassen.  

Scanner++ (1998) invertiert diesen Prozeß: Über einen begehbaren Scanner bewegen sich hier "reale" Körper in den virtuellen Raum hinein; hier wird die physikalische Masse dieser "realen" Körper zu Information, zu "Spuren von Körpern"; kompatibel, sauber, weltweit abrufbar und - archivierbar <http://sero.org>. Das Prinzip Suchmaschine, eigentlich eine unsichtbare fleißige Software im Internet, materialisiert sich hier in schon fast obszöner Weise in einem symptomatischen Objekt, das als solches nun auf den Realraum aufgesetzt wird und diesen systematisch einliest. Eine absurde Maschine - während allein ihre Größe den stetig anwachsenden Konsum von Informationen verkörpert, ist sie gleichzeitig ein Ort der Produktion, denn sie trägt auch unserem Bedürfnis Rechnung, durch aktive Einschreibung diesseits des Interfaces Spuren in der Datengalaxie zu hinterlassen. 

Auch wenn sich alle in der Ausstellung body of the message vertretenen künstlerischen Positionen neuer Medien bedienen - z.B. Video, PC, Internet -, so arbeiten sie sowohl auf der formalen als auch auf der ästhetischen Ebene sehr unterschiedlich. Sandra Becker verwendet niedrigauflösende Videobilder von Passanten in den U-Bahnen von New York, Berlin, Moskau und Tokyo; Aufnahmen, deren reduzierte Farben der Ästhetik von in öffentlichen Räumen installierten Überwachungskameras ähneln. Sie montiert kurze Elemente des Bildmaterials zu rhythmisch sich wiederholenden Videoschleifen, die sie in serieller Anordnung präsentiert. Zwar arbeitet auch der "Minimalist" Daniel Pflumm mit der Granulierung vorgefundenen Materials, er de- und rekonstruiert jedoch den "schönen Schein" - farbige Logos, Corporate Identities und Labels - und läßt in seinen Videos diese "Pseudo-Logos" in atemberaubender Geschwindigkeit aufeinander folgen. Blank & Jeron wiederum entwickeln hybride Projekte, die das Internet miteinbeziehen, sich jedoch als Hängungen, Objekte und interaktive Installationen auch auf den "realen" Raum ausdehnen. Die in body of the message vertretenen künstlerischen Positionen sind Teil einer Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die sich neuer Medien als Teil ihrer quasi "natürlichen" Umgebung bedienen, folglich auch den Begriff der "Medienkunst" nicht explizit bemühen müssen, diesen teilweise sogar ablehnen. Sie arbeiten mit minimalem technischen Aufwand (consumer technology) und benötigen keinen großen Maschinenpark - im Gegensatz zur inzwischen musealisierten spektakulären Medienkunst. 
 

Fußnoten  

1 Michel de Certeau, Kunst des Handelns [1980], Berlin 1988, S. 12 
2 Kunst des Handelns, S.182 (Hervorhebung von de Certeau). 
3 Gilles Deleuze konstatiert einen Übergang von den Foucault’schen Disziplinargesellschaften hin zu den sogenannten Kontrollgesellschaften. Vgl. Postscript on the Societies of Control, <http://www.modcult.brown.edu/students/segall/deleuze.html> 
4 Eine e-mail besteht aus dem Textkorpus (body of the message), der teils halbautomatisch generierten Überschrift (subject line) und der (an Maschinen gerichteten) Adressierung. Die Adressierung ist der Weg, der sich in die Botschaft einschreibt; sozusagen als das Unbewußte der Botschaft. 
5 Paul Virilio, "Fahrzeug" [1975], in: K. Barck, P. Gente, H. Paris, S. Richter (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S.47-72, hier S.68 
6 Paul Virilio, "Fahrzeug", S.47 (Hervorhebung P.V.) 
7 Kunst des Handelns, S.182 
8 Kunst des Handelns, S.196 f. 
9 Arbeitsprobe Daniel Pflumm, Loops, 1996-97, Presseinformation der Galerie NEU, Berlin 
10 Veit Loers, "Loops & Spooks", in: ars viva 97/98, Köln 1997, o.S. 
11 Das Recyclingsystem Sero (kurz für: "Sekundärrohstoff") wurde 1949 in der DDR gegründet und besteht heute als "Sero Entsorgungs AG" weiter. 
12 <http://sero.org/without_addresses> 
13 <http://sero.org/dyt>