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'body of the message'
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body
of the message
Inke Arns
Das Alltägliche
setzt sich aus allen möglichen Arten
des Wilderns
zusammen.
Michel de Certeau
(1)
(Illustrationen mit einem + sind nicht Teil der Ausstellung, stellen jedoch den thematischen Rahmen dar) So unterschiedlich die verwendeten
neuen Medien und die künstlerisch / ästhetischen Strategien,
eines verbindet die in der Ausstellung body of the message vertretenen
Arbeiten von Sandra Becker, Daniel Pflumm und Joachim Blank & Karl
Heinz Jeron: Sie thematisieren die gegenwärtig sich vollziehende radikale
Neu- und Umstrukturierung des öffentlichen Raumes, die, obgleich unsichtbar
für das menschliche Auge, von weitreichender Bedeutung ist. Jeder
urbane Raum, so schreibt der französische Philosoph Michel de Certeau
in der Kunst des Handelns, zeichne sich durch zwei grundlegende Eigenschaften
aus: einerseits durch den statischen Plan der sogenannten ‘Konzept-Stadt’,
die sich in der gebauten Ordnung materialisiert. Gleichzeitig besteht jedes
urbane Geflecht Was machen nun die - und
vor allem was sind - "Nachrichtenkörper" in diesen neuartigen Räumen?
Als Eckpunkte der Kartographierung können die Begriffe "Körper",
"Nachricht", "Schreiben", "Text" und "Lesen" dienen. In Sandra Beckers
Arbeiten sind es "reale" menschliche Körper von Passanten, die "Nachrichten"
oder Botschaften aussenden; die, indem sie einem urbanen Text folgen, sich
bewußt in diesen einschreiben (können), gleichzeitig aber auch
Spuren hinterlassen, von denen sie nichts wissen. Bei Daniel Pflumm bezeichnet
der Körper nicht mehr den eines Individuums, sondern vielmehr den
eines transnationalen Unternehmens, einer Korporation, die nur noch in
ihrem Logo als ein einheitlicher Körper erkennbar ist. Der global
lesbare metalinguistische (Zeichen)Körper wird zur einer sich selbst
genügenden Botschaft. Im Internet wiederum, dem Medium, dessen sich
Blank & Jeron bedienen, wird zunehmend ununterscheidbar, ob Nachrichten
noch von einem (menschlichen) Körper oder von einem (maschinellen)
Code aus emergieren: hier wird der Nachricht mehr und mehr die Existenz
eines vom Sender unabhängigen Körpers unterstellt. Biokörperlichkeit
ist fragwürdig geworden, Authentizität hat nurmehr einen ambivalenten
Status. Die künstlerischen Ansätze von Becker, Pflumm und Blank
& Jeron beleuchten verschiedene Aspekte von "Nachrichtenkörpern"
in gegenwärtigen medialen urbanen Räumen: die Bewegung von Menschen
in diesen Räumen; die Fluktuation von Zeichenkörpern sowie die
zunehmende Digitalisierung (d.h. die radikale Reduktion) von bis dato analogen
Körpern und deren sukzessiven Übergang in den informationellen
Raum.
In Sandra Beckers Arbeit sind die "Nachrichtenkörper" ganz offensichtlich "reale", in Bewegung befindliche menschliche Körper, die zu Hunderten durch U-Bahn Gänge hasten, auf Rolltreppen stehen und in "Transiträumen", den „Kathedralen der Hin- und Rückfahrt" (5), das Vergehen der Zeit erwarten - von der Künstlerin als "Poesie des Wartens" bezeichnet. Der Rausch der Beschleunigung im 19. Jahrhundert führte dazu, daß man seither „in Geschwindigkeit" sein kann, „so ähnlich wie in China, einer anderen Gegend, einem anderen Kontinent, den wir zu kennen vorgeben." (6) Sandra Beckers Interesse gilt dem gewöhnlichen Benutzer der Stadt, den Passanten in New York, Berlin, Moskau und Tokio, „deren Körper dem mehr oder weniger deutlichen Schriftbild eines städtischen "Textes" folgen, den sie schreiben, ohne ihn lesen zu können." (7)
Diese Körper hinterlassen
Spuren (Überwachungskameras, Kreditkarten), ohne daß sie sich
dessen bewußt sind; sie schreiben einen Text, den sie zwar nicht
lesen können, der aber von anderen gelesen wird. Dieser Text wird
erst von einem panoptischen Zentrum aus lesbar. Zwar zitiert Sandra Becker
in ihren Arbeiten die Ästhetik von im öffentlichen Raum installierten
Überwachungskameras, sie unterläuft jedoch gleichzeitig die normative
Totale dieses Blickes indem sie ihr eine Vielzahl von Standpunkten entgegenstellt.
Ihre Kamera spürt den Fragmenten fiktiver Geschichten nach, die an
transitorischen Orten, auf der Reise zwischen hier und dort, entstehen.
Das ‘Gehen in der Stadt’ läßt Orte zu Räumen werden, die
„die Stadt an bestimmten Punkten verschwinden lassen und an anderen Stellen
wieder wuchern lassen, sie verzerren, zerlegen und von ihrer dennoch unbeweglichen
Ordnung abbringen." (8) Es ist de Certeaus metaphorische
oder herumwandernde Stadt, der man in den Arbeiten von Sandra Becker begegnet.
Bei Daniel Pflumm reduzieren
sich die "Nachrichtenkörper" auf den "schönen Schein" reiner
Oberflächen: bunte Logos, Corporate Identities und Markenzeichen lösen
einander in rasendem Tempo ab. Diese "Nachrichtenkörper" verweisen
hier bereits auf überindividuelle Korporationen, geografisch verteilte
Unternehmungen und deren Produkte, die in unserer globalisierten Ökonomie
weltweit abgesetzt und deren "Images" daher auch weltweit wiedererkennbar
sein müssen; es sind Steuerzeichen, die sich an globale Adressaten
richten. Diese Zeichen durchqueren den urbanen Raum und das kollektive
globale Unterbewußtsein und verweisen somit auf die Geschwindigkeit
einer fast instantanen weltweiten
Information ist als künstlerischer
Rohstoff heute im Überfluß vorhanden. Unter dem Projektnamen
sero.org (11) thematisieren Joachim Blank
& Karl Heinz Jeron seit 1997 den Begriff der Information und die Probleme
des Informations-Smogs (i-smog) in der sogenannten Informationsgesellschaft.
Vor allem seit dem Beginn
Auch wenn sich alle in der
Ausstellung body of the message vertretenen künstlerischen
Positionen neuer Medien bedienen - z.B. Video, PC, Internet -, so arbeiten
sie sowohl auf der formalen als auch auf der ästhetischen Ebene sehr
unterschiedlich. Sandra Becker verwendet niedrigauflösende Videobilder
von Passanten in den U-Bahnen von New York, Berlin, Moskau und Tokyo; Aufnahmen,
deren reduzierte Farben der Ästhetik von in öffentlichen Räumen
installierten Überwachungskameras ähneln. Sie montiert kurze
Elemente des Bildmaterials zu rhythmisch sich wiederholenden Videoschleifen,
die sie in serieller Anordnung präsentiert. Zwar arbeitet auch der
"Minimalist" Daniel Pflumm mit der Granulierung vorgefundenen Materials,
er de- und rekonstruiert jedoch den "schönen Schein" - farbige Logos,
Corporate Identities und Labels - und läßt in seinen Videos
diese "Pseudo-Logos" in atemberaubender Geschwindigkeit aufeinander folgen.
Blank & Jeron wiederum entwickeln hybride Projekte, die das Internet
miteinbeziehen, sich jedoch als Hängungen, Objekte und interaktive
Installationen auch auf den "realen" Raum ausdehnen. Die in body of
the message vertretenen künstlerischen Positionen sind Teil einer
Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die sich neuer Medien
als Teil ihrer quasi "natürlichen" Umgebung bedienen, folglich auch
den Begriff der "Medienkunst" nicht explizit bemühen müssen,
diesen teilweise sogar ablehnen. Sie arbeiten mit minimalem technischen
Aufwand (consumer technology) und benötigen keinen großen
Maschinenpark - im Gegensatz zur inzwischen musealisierten spektakulären
Medienkunst.
Fußnoten 1 Michel
de Certeau, Kunst des Handelns [1980], Berlin 1988, S. 12
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