Kramkiste


Überlichtgeschwindigkeit - Das vielzitierte Experiment


Immer wieder, ob Fido, Newsgroups oder andere Medien, begegnet man einer "Neuigkeit":
"Überlichtgeschwindigkeit nachgewiesen!"
heißt es dann, oder
"Synfonie mit 4,7facher LG übertragen!".

Nun bin ich persönlich zwar davon überzeugt, daß so etwa irgendwann einmal möglich sein kann, die JETZIGEN Meldungen jedoch beruhen (wieder einmal) leider nur darauf, daß "Journalisten" schlampig recherchieren oder vielleicht sogar wissentlich Falschinformationen verbreiten!

Hier die Erläuterung des Experimentes; gegeben von Ting Chen:

Fundort: Fido-Netz /Wissen.ger

Msg : 32 [1-64]
From : Ting Chen 07-Oct-96 22:53:00 2:241/565.94
To : Marcin Honke
Subj : Re: Relativitaetstheorie
* Copied from: WISSEN.GER

Hallo Marcin !

MH>Die sollen doch eine Symphonie von Beethoven damit gesendet haben. Also irgendwie klappte es anscheinend.

Auch wenn ich Mail dieses Inhalts schon zum zehnten Mal schreibe, aber ein Fehler zu belassen ist eine Suende.

Nein, der guter Professor Nimtz von der Universitaet Koeln hat bei seinem Experiment eine falsche Messung durchgefuehrt.
Was hat er falsch gemacht?

Wenn man eine Welle ueber einem engen Kanal durchschickt, muss die Breite des Kanals mindestens so breit sein wie die halbe Wellenlaenge.
Stell Dir mal ein Wasserkanal vor, und Du schickst vom einen Ende eine Wasserwelle durch.
Was macht die Welle?
Genau, die Welle schwingt.
Mal haben wir an eine Stelle Wellenberg, und ein Paar Momente danach haben wir da Wellental.
Was gerade an welche Stelle ist, nennen die Physiker die Phase der Welle. Der Wellenberg hat die Phase 90 Grad, der Wellental die Phase 270 Grad.

Wenn die Welle (wie in dem Wasserkanal) sich also ausbreitet, laeuft auch die Phase der Welle mit. Die Phase der Welle kann aber keine Information tragen, deswegen kann diese Phasegeschwindigkeit groesser als die Lichtgeschwindigkeit sein, das widerspricht die Relativitaet nicht.
Die eigentliche Geschwindigkeit der Welle, mit der als die Energie transportiert wird, ist immer niedriger als die Lichtgeschwindigkeit.
In unserem Beispiel der ungehinderten Wasserkanal gleicht die Phasengeschwindigkeit die Energiegeschwindigkeit (auch Wellengeschwindigkeit genannt).

So auch normalerweise in einem Mikrowellen-Hohlleiter.

Wenn aber der Kanal sich verengt, und zwar so stark, dass die Breite des Kanals kleiner als die halbe Wellenlaenge wird, dann wird die Welle zusammengequetscht.
Das tut sie aber nicht gern.
In einem solchen engen Kanal gibt es dann keine Welle mehr, sagen wir mal, wenn am Anfang des Kanals gerade ein Wellenberg ist, dann bleibt der Wellenberg ueber der ganzen Strecke der Verengung Wellenberg. Er nimmt in Amplitude ab, aber am Ende kommt er nach wie vor als Wellenberg raus.
Was sehen wir da?
Wir sehen, dass die Phasengeschwindigkeit in eine solche Verengung unendlich gross ist.
Die Phase bleibt ueber der ganzen Strecke konstant, sie ueberquert die ganze Strecke ohne Aenderung, als ob die Strecke gar nicht existierte.
Die tatsaechliche Welle muss natuerlich nach wie vor mit der viel kleineren Wellengeschwindigkeit ueber der Verengung hindurchquetschen.

Was hatte Herr Nimtz gemacht?
Genau, er laesst die Mikrowelle durch so eine Verengung hindurchquetschen (tunneln), und er hatte dann faelschliche Weise die Phasengeschwindigkeit, statt Wellengeschwindigkeit gemessen.

Kein Wunder also, dass am Ende eine ungeheuerlich grosse Geschwindigkeit herauskommt.

Ungefaehr zeitgleich mit Herrn Nimtz machte Herr Chiao in der New York bei der Rochester University ein aehnliches Versucht, nur machte Herr Chiao mit sichtbarem Licht.
Und er erhielt das gleiche Ergebnis.
Anders als Herr Nimtz aber hatte Herr Chiao sein Ergebnis richtig interpretieren koennen.

Professor Nimtz schrieb nach seinem Experiment ein Artikel in der Zeitschrift "Physik in unsere Zeit". (Professor Chiao hatte sein Ergebnis zeitgleich aber unabhaengig von Professor Nimtz in "Scientific American" veroeffentlicht, die dann spaeter auf Deutsch in "Spektrum der Wissenschaft" erschien 1993 / 10 S.40 - 49.)
Der Artikel auf "Physik in unsere Zeit" wurde von einem eifrigen Wissenschaftsjournalisten von FAZ uebernommen.
FAZ machte daraus eigens ein DIN A3 fuellendes Artikel.
Dieser wiederum erregte die Aufmerksamkeit diverser Fernsehsender.
Waehrend dessen hatte, kurz nach der Veroeffentlichung auf "Physik in unsere Zeit" eine intensive Debatte zwischen den Physikern auf der gleichen Zeitschrift gegeben.
Man konnte den Fehler von Professor Nimtz nachweisen. Danach hatte dann Professor Nimtz auch nichts mehr weiter dazu gesagt.
Aber die Medien fuehren ein Eigenleben.
Und die Experimente werden von Sendung zu Sendung, von Sender zu Sender weitergereicht, immer fantasiereicher und fantastischer.
So weit ich informiert bin, war 4,7c mit der Beethoven-Symphonie der Rekord.
Wahrscheinlich haben die Moderatoren der Sendungen selber nicht verstanden, worum es geht.

Das ist auch der Grund, warum Fernsehsendungen keine gute Quelle fuer Wissen.Ger ist.

Und wenn ich an einigen anderen Legenden der Geschichte im Allgemeinen und Wissenschaftsgeschichten in Speziel denken, dann bin ich mir ganz sicher, dass noch nach fuenfhundert Jahre das unterdrueckte Experiment mit der Ueberlichtgeschwindigkeit von einem deutschen Professor in der Milieu der Esoterik geistern wird.

Zum Schluss, man tut Professor Nimtz unrecht, wenn man wegen seiner fehlerhaften Interpretation seines Ergebnisses ihn ganz abstempelt.
Das Experiment an sich ist ein Meisterwerk, die Schwierigkeiten, die man dabei ueberwinden muss, ist so gross, dass erst vor kurzem das Experiment gelungen ist.

Ich finde, diese Leistung soll man wirklich anerkennen.

Liebe Gruesse!

Ting


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Frank Schmidt

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