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Die chinesische Sprache


Fundort: Fido-Netz /Wissen.ger
Der Verfasser, Ting Chen, gab dort eine zumindest für mich äußerst interessante Erläuterung zur chinesischen Sprache ab.
Ich veröffentliche seine Ausführungen hier ohne Berichtigungen oder Verbesserungen im Ausdruck o. ä.; nicht etwa, um ihn irgendwie zu diskriminieren, sondern um dem Leser Gelegenheit zu geben, durch seinen Satzbau evtl. "Beispiele" zu seinen Erklärungen zu finden.
Jeden, der seine Formulierungen "lustig", "blöd" oder sonstwie "merkwürdig" findet, fordere ich hiermit ausdrücklich auf, mir einen von ihm selbst in chinesisch formulierten Text zuzusenden, den ich dann an Ting Chen "zur Begutachtung" senden werde...

Msg : 11 [1-13]
From : Ting Chen 11-Apr-97 00:07:00 2:241/565.94
To : Wolfgang Horn
Subj : Sprache

Hallo Wolfgang !

WH>(BTW: wie sehen eigentlich die Grundzuege der Grammatik der chinesischen Sprache aus oder was immer Deine Muttersprache ist?

Die Grammatik der chinesischen Sprache ist die einfachste und rudimentaerste, die ich kenne (die franzoesische ist fuer mich die komplizierteste).
Es gibt naemlich keine Zeiten in dem Sinne, dass man zum Beispiel den Satz anders baut, oder die Verben dekliniert.

Zeiten werden damit eingefuehrt, dass man im Satz Adverben einbaut.

Auf Deutsch heisst:
Ich gehe zur Arbeit. Ich ging Gestern zur Arbeit.

Auf Chinesisch heisst:
Ich gehe zur Arbeit. Ich gehe Gestern zur Arbeit.

In gewissem Sinne meinen die Chinesen, ging Gestern waere redundant.

Was ist aber mit "Ich bin zur Arbeit gegangen"?
In diesem Fall wuerde der Chinese sagen:
Ich gehe bereits zur Arbeit.
(wobei in diesem Fall die Schriftzeichen fuer bereits den Sinn impliziert, dass der Vorgang schon abgeschlossen ist. Ich finde auf Anhieb keine deutsche Entsprechung.)

Desgleichen geht es auch mit dem Futur.
Auf Deutsch sagt man:
Ich werde Morgen zur Arbeit gehen.
Auf Chinesisch sagt man:
Ich gehe Morgen zur Arbeit.

Es ist an sich auch kein Problem, komplizierte Sache auszusprechen, so kann ein Chinese genau den Sinn des Satzes "Ich werde Morgen zu dieser Zeit zur Arbeit gegangen sein" ausdruecken:
Ich gehe morgen zu dieser Zeit bereits zur Arbeit.

Der Satzbau auf Chinesisch ist immer starr, und nur in Sonderfaellen darf die Ordnung der Saetze veraendert werden (zum Beispiel bei Gedichten).

Die Reihenfolge ist so festgelegt:
Attribute - Substantiv - Adjektiv - Verb - Attribute - 1.Objektiv - Attribute - 2.Objektiv.

Da der Satz so starr ist, ist es nicht noetig, die Normen zu beugen, also wie auf Deutsch in 1., 2., 3. und 4.Faellen. (Bei aehnliche starre Sprache wie Englisch zum Beispiel gibt es auch weniger Faelle.)

Auf Deutsch sagt man:
Ich anvertraue meinen Bruder Dir,
auf Chinesisch sagt man Ich anvertraue Du mein Bruder,
weil es kein Gefahr besteht, dass man das den Satzbau aendert (auf Deutsch kann man genau so gut sagen:
Meinen Bruder anvertraue ich Dir, auf Chinesisch waere das fatal.)

Dadurch bedingt gibt es in Chinesisch viel weniger Nebensaetze.
Das ist mitunter immer eine der haeufigsten Taetigkeit bei der Uebersetzung:
Man zerhackt lange Saetze in kuerzere.
Frueher, auf Altchinesisch, benutzte man kaum Attribute und Adjektive, und damals waren die Saetze noch viel kuerzer.
Ich schaetze mal, in Durchschritt waren damals ein Satz mit ueber 10 Schriftzeichen ein extrem langer Satz. (Und ein Satz mit 10 Silben waere wahrscheinlich selbst fuer die Bild-Zeitung ein Schnitt.)
Dazu kommt noch, dass die Altchinesen keine Satzzeichen kannten.
Sie schrieben alles ohne Komma und Punkte und Absaetze ganz schoen zusammengereiht.
Die Satzzeichen sind eine der segenreichste Erfindungen, die man aus dem Westen in die chinesische Kultur eingefuehrt hat.

Dabei ergibt sich wiederum ein Problem.
Wie machen die Chinesen mit der Frage?
Ein Deutsche wuerden sagen: Anvertraue ich meinen Bruder Dir?
Wie wuerde ein Chinesen das ohne Umbau seines Satzes (und wenn auf Altchinesisch sogar ohne das Fragenzeichen) machen?
Es gibt naemlich zwei Sorten von Fragen, die erste beginnt oder enthaelt immer ein Fragenwort, wie zum Beispiel wer, wo, was. Sie kennzeichnen einen Satz als Frage (wobei auch hier immer die Reihenfolge des Satzbaus behalten wird.
Ein Chinese fragt also nicht:
Wen schlaegst Du, sondern, Du schlaegst wer.

Bei dem obigen Beispiel gibt es aber kein Fragenwort, also haengen die Chinesen am Ende des Satzes ein Schriftzeichen (oder aequivalent, eine Silbe) hinzu, man sagt:
Ich anvertraue Du mein Bruder ma?
(Wobei das "ma" dieses hinzugefuegte, fragenverdeutlichende Wort ist.)

Drittens unterscheiden die Chinesen zwischen den Normen nicht.
Also es gibt kein maennliches, weibliches oder neutrales Wort (auf Englisch gibt es sie auch kaum, weswegen fuer einen Chinesen Englisch ein relativ einfacher Einstieg ist.)

Tja, nun habe ich wohl auch verdeutlicht, wo ich so meine Schwierigkeiten immer habe, oder? ;-)

Es gibt natuerlich auch Sachen, wo die Chinesen sich schwer tun.
Eine der wahnwitzigsten Ideen ist die Erfindung des Einheitswortes.
Man sagt also auf Chinesisch nicht ein Mensch, zwei Menschen, etc. Sondern haengt zwischen der Zahl und das Wort ein Einheitswort hinzu.
Das schlimmste ist, dass es fuer fast jedem Objekt ein individuelles Einheitswort gibt.
So unterscheidet das Einheitswort fuer "Stier" mit dem fuer "Pferd".
Als Chinese ist das nicht schwer, weil man bis zur Schule 7 Jahre Zeit hat, das alles in sich einzupraegen (und zu diesen Zeiten sind die Eltern und die Tanten und Onkeln ja auch noch so geduldig.
Klein Kinder nehmen meistens auch nur ein einziges Einheitswort fuer alles moeglichen, und die Eltern sind so hartnaeckig, dass sie sie jedesmal korrigieren.)
Es ist natuerlich so eine der unsinnigen Sachen der menschlichen Sprache.
An sich braucht man das Einheitswort ueberhaupt nicht.
Aber ohne sie, oder bei eine Vertaeuschung rufen sie bei den Chinesen meistens Gelaechter aus.
Und wie immer sind solche Unsinnigkeiten die besten Spielplaetzen fuer Variationen, Wortspiele, Gedichte, also fuer das, wodurch eine Kultur eben seine Flare bekommt.

Und damit moechte ich auch mit diesem Thema Schluss machen.
Es geht nicht darum, dass man sagt, diese Sprache ist sinnvoller als die andere.
Es geht mir darum, dass viele Sachen (und gerade bei menschliche Kultur) auch anders geht, und zwar ganz ganz anders als man es gewohnt ist, und das auch ohne eine Bewertung.
Nachdem ich mittlerweile auf 3 Sprache (mehr oder weniger gelungene) Gedichte geschrieben habe, finde ich sie alle sehr schoen.
Sie sind einander sehr verschieden, aber man kann mit jedem von ihnen eine ganze Menge Spass haben, und als Gedichte aufgesagt sind sie alle anmutig.

[...]

Liebe Gruesse!

Ting


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