Tee für den Feuergott

In den Weiten der mongolischen Steppe erlebst du das Gefühl tiefer Ruhe und ungestümer Natur.

Ungestüm zerrt der Wind an meinem Zelt. Vor einer Stunde noch sind wir durch die endlose Weite der Steppe gefahren und genossen das Gefühl von tiefer Ruhe. Jetzt trommeln dicke Regentropfen gegen die Zeltwand. Wie aus dem Nichts taucht ein Reiter auf, der ungeachtet des Gusses seinen Reitermantel lässig einseitig trägt, so daß eine seiner Schultern nackt ist. Die dunkle, wettergegerbte Haut verleiht dem Reiter etwas Verwegenes. Ruhig lenkt er sein Pferd in meine Richtung. "Sein bei no?" ­ "Geht es gut?" Die Begrüßung wird von meinen mongolischen Begleitern mit ein paar Erklärungen über unsere Reise fortgesetzt. Dann werden wir in eine der nicht weit von unserem Lager stehenden Jurte gebeten. Draußen ist es plötzlich still geworden. Ein strahlendblauer Himmel leuchtet uns auf dem Weg zur Jurte entgegen.

Eine Frau schaut aus der aufgeklappten, mit Mustern verzierten Tür. Der Schritt ins Innere führt tief gebückt über die Schwelle, die nicht berührt werden darf. Stieße man mit dem Kopf an den niedrigen Türrahmen, gäbe man dem Gastgeber zu verstehen, daß einem sein Heim zu klein dünkt. Gegenüber dem Eingang des Rundzeltes auf einem kleinen Hocker nehme ich Platz. Von hier aus kann ich, wenn die Tür offen steht, direkt ins Freie sehen. Der Eingang liegt immer nach Süden, auf der Sonnenseite. Und im Innern ist noch immer die linke Seite den Männern, dem großen ledernen Airak-Beutel und dem Sattelzeug vorbehalten und die rechte Seite den Frauen, den Melkeimern und Kochgeräten und, neuerdings, der Nähmaschine. Durch das Deckenloch fällt etwas Licht in das runde Zimmer mit dem Herd in der Mitte. Neben dem Herd steht ein Eimer mit getrocknetem Mist, dem Heizmaterial. Auf dem Herd dampft Milch in einer Aluminiumschüssel.

Bilder voller Harmonie

Ulzid, die Frau des Reiters, schöpft mit einer großen Kelle heiße Milch, die sie dann aus einiger Höhe zurückgießt, daß es schäumt. So entsteht aus der Milch ein sahniger Fettschaum, Gutse genannt. Ist er abgekühlt, wird die schmackhafte schaumige Haube wie ein Kuchen von der Milch genommen. Bevor Ulzid mit der Arbeit begann, hat sie etwas von der Milch vor der Jurte in die vier Himmelsrichtungen geschüttet: zum Dank an die Natur und zum hoffnungsvollen Segen für ihre Familie ­ ein alter Brauch, der noch auf heidnische Traditionen zurückgeht. Man serviert mir auf einem Teller einen Teil vom gestrigen Sahnekuchen, über saure, getrocknete Käsestücke gelegt. Was nicht vom Gutse gegessen wird, wandert in einen vorbereiteten Kuhmagen als Fettreserve für den Winter. Bevor ich Käse mit Gutse probiere, reicht mir der Hausherr eine Schale mit Airak, vergorener Stutenmilch. Ich gebe die Schale weiter und habe Zeit, mich umzusehen. Diese Jurte ist ein Schmuckstück, mit weichen Teppichen ausgelegt, die Holzmöbel, Tür und Dachsparren in der glücksbringenden Farbe des Feuers orangerot gestrichen und mit traditionellen Mustern in Blau, Grün und Gold verziert.

In Khujirt, im Herzen der Mongolei, hängen schwere Regenwolken fast bis auf das Jurtendach, und aus sämtlichen Ofenrohren steigt dicker, weißer Rauch in den naßgrauen Morgen. Gegen Mittag scheint die Sonne. Hunderte von Kranichen ziehen an ihr vorüber, gleiten elegant in die Steppe hinab und schwingen sich neu formiert wieder hinauf ­ ein Bild vollkommener Schönheit und Harmonie. Bald danach beginnt sich die Ebene in gigantische Zebrastreifen einzuordnen: schwarz-gelb, schwarz-gelb und manchmal grün-gelb.

Dieses fruchtbare Orchon-Tal hat schon seit Urzeiten den Menschen als Brotkammer gedient, wie viele Überreste früher Ansiedlungen bezeugen. Hier schuf Ögödi die Hauptstadt Dschinghis Khans "Karakorum" mit ihren Moscheen, Tempeln und christlichen Kirchen. Hier lag der prunkvolle Palast mit dem sagenhaften silbernen Baum, getragen von vier silbernen Löwen, wie Marco Polo berichtete, und verziert mit silbernen Schlangen, aus deren Hals Wein, Stutenmilch und Honigwasser flossen. Von hier aus führte Dschinghis Khan die wilden Reiterhorden aus Asien bis nach Europa und schuf damals das flächenmäßig größte Imperium in der Geschichte der Menschheit, das dann an seiner eigenen Größe zugrunde ging. Und hier liegt noch immer Erdene Zuu, das aus den Steinen des zerfallenden Karakorum 1586 erbaute Lamakloster. Daneben steht ein neues Kloster im tibetischen Stil, von vielen Mönchen bewohnt.

Außerhalb der Klostermauern, nur wenige Schritte nach Süden, verweile ich nachdenklich bei der großen steinernen Schildkröte, dem Symbol langen Lebens. Fast unberührt hat sie Karakorum überdauert und wacht nun einsam über die kahle Grabstätte der einst blühenden Stadt.

Am Stadtrand von Mörön, der nördlichsten Provinzhauptstadt der Mongolei, wird die Straße zur Piste, die sich alsbald in unendliche Reifenspuren verzweigt. Es dämmert schon, als wir am Hubsgulsee ankommen, von dem aus es dann zu Pferd bis in die Taiga weitergehen soll.

Die Luft duftet würzig nach Lärchen, Holzfeuer und See. Mutter Meer nennen die Mongolen den Hubsgulsee. Er ist so groß wie der Bodensee. Sein Wasser, türkisblau und glasklar, hat beste Trinkqualität. Weiße Kiesel liegen am Seeufer, darauf malerisch ein weißgebleichter Baumstamm, wie absichtlich dort hingelegt, damit man sich hinsetzen und den Sonnenuntergang betrachten kann. In der großen Gastjurte spielen abends drei junge Leute mongolische Lieder. Die pferdeköpfige Geige, die einst ein Hirte aus Knochen und Schweifhaar seines Pferdes gemacht haben soll, kann einem die Gänsehaut in den Nacken treiben. In den Liedern schwingt die ganze Weite des Landes, manche folgen dem Rhythmus galoppierender Pferde.

Am nächsten Tag brechen wir auf in die Taiga, wo die Tsaaten leben, Rentierzüchter mit ihrer eigenen Sprache und Kultur. Basar, ein Ortskundiger, soll mich zu ihnen führen, denn ihre Lagerplätze sind schwer zu finden. Pferdehufe trappeln über Edelweißwiesen und durch lichte Lärchenwälder am Seeufer. Bis wir endlich ein Zelt entdecken.

Bei den Tsaaten

Im Zelt knistert ein Ofen, Kinder haben die Pferde versorgt, eine junge Frau, deren Augen wissend blitzen, legt schweigend Holz nach und kocht Tee mit viel Rentiermilch. Er ist heiß und gut: Rentiermilch hat 14 Prozent Fett. Neugierig drängen sich die Kinder ins Zelt, lutschen meine letzten Bonbons. Die junge Frau, sie heißt Bjamba, opfert noch von jeder Kanne ein paar Tropfen Tee für den Feuergott, der im Ofen wohnt. Nicht alle Traditionen halten dem Tourismus stand: Seit Japaner Medikamente dagelassen haben, sind einige Heilkräuter in Vergessenheit geraten. Wofür die fremden Tabletten gut sind, weiß niemand so genau.

Seit Tagen sind die Männer der Tsaaten-Familien auf Jagd nach Wildziegen. Das Fleisch ist knapp, denn ihre Rentiere schlachten die Tsaaten nur äußerst selten. Basar packt unsere Hammelkeulen aus: Die Nudelsuppe wird damit angereichert. Im Ofen glimmt die letzte Glut und durch die Öffnung im Zeltdach verlieren sich die letzten Sonnenstrahlen. Als ich schon auf dem Pferd sitze, kommt Bjamba noch einmal zu mir und überreicht mir ein Geschenk: Zwei kleine Fettkuchen für unterwegs.