Die 17-jährige Leyla verbringt mehr Zeit mit ihrer besten Freundin Sevim, als in ihrer Familie, der sie nur entkommen möchte. Selbst bei ihren widerspenstig angenommenen Dates darf Sevim nicht fehlen. Leylas 20-jähriger Bruder Erol hat sich als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters für die türkische Staatsbürgerschaft entschieden und erhält nun seine Einberufung zum Militär nach Istanbul, der er entgegen der Ratschläge seiner Mutter und seines Bruders Ahmed nachkommen möchte. In Berlin erwarten den Arbeitslosen in naher Zukunft ohnehin ersteinmal nur die Rückzahlungen seiner Schulden – auf die eine oder andere Weise. Ahmed macht gerade das Abitur und hängt in der Beziehung zu seiner Freundin und den Kulturen seiner Herkunft etwas durch.
Während das Empfinden der Charaktere einem Publikum rein deutscher Herkunft eher türkisch vorkommen wird, wirkt die Filmstruktur sehr deutsch. So beliebt wie in keinem anderen Land werden besonders in Berlin spielende Filme mit z.B. in den USA verpönten Szenen angereichert, in denen eine U- oder S-Bahn in den Bahnhof einfährt oder die Charaktere die Straße entlanglaufen, ohne dass sich ein wesentlich notwendiger Informationsgehalt daraus ergäbe. Besonders letzteres wird in Geschwister zur Kunstform erhoben. Was in diesem Kontext der einzige Film sein dürfte, in dem das auch Sinn macht, denn viele der porträtierten Jugendlichen, wie auch einmal Tamer Yigit, der Darsteller des Erol, verbringen einen Großteil ihrer Zeit tatsächlich mit dem Herumlaufen in Cliquen. In der Tat wird Geschwister bereits als Kiez-Roadmovie ohne Auto gehandelt. Viele Beiläufigkeiten haben so einen gewissen Wiedererkennungswert, wie das ungenierte Dauerrotzen, die Begrüßungszeremonien, bei denen mann im Gegensatz zur deutschen Hetero-Reserviertheit auch weiß, dass jeder jeden wahrgenommen hat (hier mit codierten Handschlägen, die zweifachen Wangenküsse werden nur einmal bei Fremden beobachtet), sowie die leichtherzig aufgenommenen Schulden bei wirklichen jedem, der eine müde Mark zu entbehren hat. Dies natürlich nicht bei allen, bzw. nur bei einem Charakter, um neuen Klischees vorzubeugen. Oder etwa die gelegentliche unfeine Razzia, die auf nichts anderem basiert, als dass die Jugendlichen verdächtig türkisch aussehen. Auch erhebt Geschwister bewusst nicht den Anspruch auf Vollständigkeit beliebter Freizeitaktivitäten. Ritualisierte Besuche in atmosphärischen Hasch-Cafés oder die Gruppengänge in kerhanes, den verstecktliegenden, preisgünstigen Puffs, finden beispielsweise keine Erwähnung. Die Musik, auch von Yigit beigesteuert, wirkt im Gegenteil eher untypisch. Hoffen wir, dass sie nicht als Kreuzberger Rap aufgenommen wird und aus Geschwister etwa einen deutschen Hoodfilm macht.
Oft entlockt Thomas Arslans zweiter Spielfilm ein wohltuenderes Lachen, als es vom deutschen Komödienfach selbst der Fall ist. Die besten Dialoge werden sich dabei mit Leyla geliefert, die sich hier nicht gegen Kopftücher oder Zwangshochzeiten durchsetzen muss, sondern im Gegenteil die selbstsicherste der drei Geschwister ist. Allerdings bleibt ihr leider im Gegensatz zu ihren Brüdern fast nichts anderes zu tun, als über oder mit Jungs über Beziehungen zu selbigen zu sinnieren.
Wer unbedingt 'ne richtige Handlung braucht, um Vergnügen am Kino zu finden und einige tatsächlich überflüssige Einstellungen nicht verzeihen kann, sollte auf Geschwister verzichten, alle anderen werden die angenehme Erfahrung machen, dass deutsches Kino auch jenseits der Katja Riemann-Unterhaltungsware und drögen Autorenfilmen existiert.
Filmdaten:
Offizieller Link: Nicht vorhanden oder nicht bekannt.