Haus der stummen Schreie
(If These Walls Could Talk)
USA, 1996, 95min
Regie: Nancy Savoca ("1952" und "1974"), Cher ("1996")
Cast: Jada Pinkett, Demi Moore, Sissy Spacek
ACHTUNG: Filmbesprechung verrät weite Teile des Inhalts
Emotionale Geschichten dreier weisser Frauen mit
ungewollten Schwangerschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
1952:
Durch den Korea-Krieg frisch verwitwet, versucht die Krankenschwester Claire
Donnelly, ihr in besseren Zeiten erstandenes Haus halten zu können.
In einem gesellschaftlichen Klima, dass selbst scheidungswillige ausgrenzt,
ist Claire entsetzt, als sie feststellen muss, dass sie in einem Moment
schwanger wurde, in dem sie Trost bei ihrem Schwager suchte. Claire kann
das Baby unmöglich behalten, darf es aber per Gesetz nicht abtreiben.
Trotz ihres Berufes kennt sie keine andere Möglichkeit, als sich in
verlassenen Häusern unsauberer Prozeduren zu unterziehen. Erleichtert
findet sie nach einem missglücktem Selbstversuch einen Arzt, der auch
Hausbesuchen zustimmt. Dieser hat es allerdings lediglich auf das Geld
abgesehen und kümmert sich weder um die Sterilisierung seiner Instrumente,
noch um die zurückbleibende, blutende Frau...
1974: Inzwischen ist Barbara Barrow mit ihrem Mann in das Haus eingezogen.
Nachdem sie bereits vier Kinder in die Welt gebracht hat und nun endlich
ihr Studium wiederaufnehmen möchte, wird sie erneut schwanger. Ein
Kampf mit ihrer politisch bewussten Tochter entbrennt, der mit den neuen
finanziellen Einschränkungen die eigenen Studienpläne davonschwimmen...
1996: Das Haus wurde in eine StudentInnen-Wohngemeinschaft umgebaut.
Als Cristina Anez ihrem Freund, einem Familienvater in den 40ern, eröffnet,
dass sie schwanger ist, beendet dieser die Affäre, bietet ihr als
seinen Beitrag zur Lage Geld fuer die Abtreibung an. Cristina will kein
Kind alleine großziehen und spielt mit dem Gedanken der Abtreibung,
was die Freundschaft zu ihrer Mitbewohnerin Patti in Mitleidenschaft zieht.
Als Cristina eine Entscheidung gefällt hat und zur Klinik fährt,
gerät sie ins Kreuzfeuer der militanten Pro-Life Bewegung. Unter Polizeischutz
werden sie und die für die Rechte der Frau kämpfende Dr.Thompson
hineingeführt, die nicht aus übertriebener Vorsicht mit kugelsicherer
Weste zum Arbeitsplatz fährt...
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Die FilmemacherInnen stellten sicher, dass sie nichts versäumten,
um ihrer Aussage grösstmögliche Wirkung zu verleihen. Allein
der Titel verspricht bereits leidvolle Geschichten. Und wenn es im nordamerikanischen
Kino tatsächlich einmal kein Happy End geben sollte, so wird dies
kein Zufall sein: Das Publikum soll von Emotionen getrieben zur Tat schreiten.
Haus der stummen Schreie besteht aus drei Teilen - keiner
davon endet glücklich. Damit nehmen wir nichts vorweg, denn in den
letzten Jahrzehnten gingen für Frauen ungewollte Schwangerschaften
nicht nur in den USA selten erfreulich aus. Warum ein Film endlich einmal
Partei für die Frauen ergreift, das uns überlassene Pressematerial
aber mit der Behauptung verwirrt, Haus der stummen Schreie beziehe
keine Stellung und lasse das Publikum seine eigenen Schlüsse ziehen,
mag ebenso durch die gnadenlose Jagd nach möglichst vielen Kinokassen-Dollar
zu erklären sein, wie das Plakat zum Film, auf dem die drei Stars
Demi Moore, Sissy Spacek und Cher im Glanze ihrer
überschminkten Gesichter ausdruckslos wie für das Cover eines
Modemagazins vor sich hin starren. Der deutsche Titel nun treibt die angebliche
Neutralität auf die Spitze. Es kann genauso herausgelesen werden,
dass die stummen Schreie von den Frauen kommen, die in einer Männergesetzgebung
keine eigenen Rechte haben, wie es auch umgekehrt heißen könnte,
dass niemand die Schreie einer Abgetriebenen hört.
Von alledem sollte sich die geneigte LeserIn nicht abschrecken lassen,
ist die filmische Umsetzung des Argument-Gegenargument-Kaleidoskops zum
Thema Abtreibung der bis dato bedeutenste und eindrucksvollste Beitrag.
Dabei geht es nicht nur um Föten- vs. Frauenrechte, sondern auch
um eine Gesellschaft, in der es schwierig ist, jemanden weiter zu achten,
die sich anders als frau selbst entschieden hat. "Wie schaffen es die Leute
nur, zu koexistieren?" wundert sich am einen Tag noch eine Mitarbeiterin
der Klinik ueber den alltäglichen Umgang zwischen Klinikpersonal und
den vor dem Gebäude campierenden Abtreibungsgegnerinnen. Wie schnell
der Hass die Gewaltbereitschaft unter der Oberfläche hervorholt, soll
der nächste Tag demonstrieren.
Haus der stummen Schreie ist das seltene Beispiel eines
feministischen Films, in dem erfahrene Hollywood-Stars vor das Publikum
treten. In einem Land, in dem Interessengruppen im Fernsehen für den
Verzicht auf Sex werben aber nicht für den Gebrauch von Verhütungsmitteln,
ja, in einem Land, in dem es in weiten Teilen verboten ist, Kondomautomaten
an Schulen aufzustellen, oder über die Möglichkeit einer Abtreibung
zu informieren, ist ein Film wie dieser wichtiger denn je.
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Im Heimatland USA wird Haus der stummen Schreie die seit
Jahren kultivierte Kontroverse zur Abtreibungspolitik
anheizen. In anderen westlichen Ländern wird die durchgehende
Emotionalität des Films sein Publikum aufwecken und verstärkt
ins Kino locken, sollte die Produktion des TV-Senders HBO es jemals dorthin
schaffen.
ki, Mailand-Berlin
Kein deutscher Kinostart (TV: 9. September '97)
US: Nein (TV: 13. Oktober '96)
GB: ?
Frankreich: ?
Gesehen während der:
63. MIFED 1996
English version
Filmdaten:
Offizieller Link: Nicht vorhanden oder nicht bekannt.
copyright:
Queer View, 2. April 1997