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Wenn Holger Losch morgens seinen zweieinhalb Jahre alten Sohn Conrad für den Kindergarten fertig macht, gehen ihm die Gedanken für seinen Unterricht am Nachmittag durch den Kopf. Er lebt mit seiner Familie seit einem halben Jahr in Templin, der "Perle der Uckermark", und baut dort den Evangelischen Religionsunterricht am Templiner Gymnasium auf. Der gebürtige Sauerländer ist gelernter Pfarrer. Er hat bereits sein Vikariat in der Uckermark gemacht. Er und seine Frau Kerstin lieben die Uckermarck und sie wohnen gerne hier. Aber die Landeskirche hat keine Pfarrstelle für Holger Losch. Jetzt setzt er seine Talente in der Schule ein. Doch wie in Berlin ist auch in Brandenburg die Teilnahme am Religionsunterricht obligatorisch, das heißt kein Zwang und keine Noten. Nur ca. 6% der etwa 850 Gymnasiasten machen bei diesem freiwilligen Unterrichtsangebot am späten Nachmittag mit. Die wenigsten von ihnen sind kirchlich oder religiös. Holger Losch hat daher in den ersten Monaten oft Exkursionen zu den Stätten religiösen Lebens in Berlin angeboten. Die Ergebnisse dieser Entdeckungsreisen haben seine Schülerinnen und Schüler mit Photos und Plakaten anschaulich im Galerieturm der Schule zusammengetragen. Doch Berlin ist weit und die Schüler müssen jedesmal etwa 25 DM Fahrgeld für einen Besuch aufbringen. Jetzt wollen sich die Schüler mit ihrem Religionslehrer um die religiöse Vergangenheit vor Ort kümmern. "Es geht darum, daß in Templin einmal eine jüdische Synagoge war. Wir wollen an diese Synagoge und an das jüdische Leben in Templin erinnern. Und wir wollen dazu ein Denkmal aufstellen, wahrscheinlich einen Mahnstein" berichtet Andrea aus der Jahrgangsstufe 11, die begeistert an der neuen Projektgruppe des Evangelischen Religionsunterrichtes teilnimmt. "Wir wollen, daß die Leute anfangen, darüber nachzudenken und sich damit auseinanderzusetzen, daß es hier mal Juden gab." bekräftigt Andrea ihre Motivation. Noch vor hundert Jahren meldete der Brockhaus, daß in der Kreisstadt neben einer katholischen Minderheit auch 31 Israeliten lebten. Heute erinnert nichts mehr an die ehemalige Synagoge von Templin, die sich im Hinterhof eines Fachwerkhauses befindet. Die jüdische Gemeinde hat sich Ende der 20er Jahre aufgelöst. Dennoch schändeten die Nazis 1938 die leere Synagoge. Bis zur Wende hing hier noch eine Gedenktafel, die aber seit der Renovierung des Vorderhauses abmontiert blieb. Es steht nur noch ein kleiner Gedenkstein auf der Fläche des ehemaligen jüdischen Friedhofs unweit der Synagoge vor den Toren der Stadt. Aber dieser Stein wurde bereits mehrmals umgestoßen, angeblich durch einen Fuchs. Ob dieser Fuchs auch die Schmierereien auf dem Gedenkstein verursacht hat? Statt eines schlauen Fuchses stecken da doch eher dumme Jungen dahinter? Oder handelt es sich hier schon um rechtsradikale Aktionen? Für Andrea ist die Frage klar zu beantworten:"Die Sache ist nun einmal so, daß hier die meisten Leute rechts sind, das heißt sie sind gegen Ausländer, gegen Juden, gegen Linke!" Die Schüler berichten, daß die Rechtsradikalität in der Uckermark innerhalb des letzten Jahres stark zugenommen hätte. Allein Sylvester hatten sich auf dem Templiner Marktplatz über 100 Rechtsradikale versammelt und randaliert. Die Polizei ist der Lage erst nach Stunden Herr geworden. Anne aus der Jahrgangsstufe 12 fühlt sich hier allerdings sicherer als in der Großstadt. Sie hat so ihre Erfahrungen:"Ich wurde schon zweimal verprügelt, aber das war immer in Berlin, und nicht in Templin. Also in Templin kriege ich immer nur blöde Sprüche zu hören." Für den Lehrer Holger Losch ist die rechtsradikale Erscheinung der Jugendlichen mehr eine Provokation, um sich bei den Erwachsenen und politischen Entscheidungsträgern besser Gehör verhaffen zu können. Schon während seines Vikariats in Boitzenburg in der Uckermark machte er die Beobachtung, daß sich bei den Jugendlichen hinter Vandalismus und Alkoholismus selten eine rechtsradikale Überzeugung verbirgt. Er sieht die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte Templins nicht ernsthaft von Rechtsradikalen bedroht: "Ich denke,es wird ein Großteil dieses Projektes darin bestehen, zunächst erstmal Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich rechne da auch mit erheblichem Widerstnd, weniger in den politischen Gremien als vielleicht eher bei den Anwohnern. Ich würde es schon sehr sinnvoll finden, wenn eine solcher Mahnstein entstehen würde, wobei das nur ein Teil des Projektes ist. Mir geht es um eine wissenschaftliche und historische Aufarbeitung der Geschichte der Juden hier in Templin. Dieser Mahnstein als sichtbares Ergebnis wäre natürlich sehr schön und Krönung dessen, womit wir uns beschäftigen wollen." Der ganze Nachmittag ist dem Religionsunterricht vorbehalten. Zur Abendbrotzeit ist Holger Losch wieder zu Hause. Die kleine Deborah muß gewickelt werden und Conrad will Musik machen. Würde er nicht doch lieber wieder Pfarrer sein? Nach kurzer Bedenkzeit steht die Antwort für Holger Losch fest: "Es ist für mich eine Sache, bei der ich sehr viel zurück bekomme. Gerade in meiner religiösen Identität ständig auch angefragt zu werden von eher kirchenfernen Schülerinnen und Schülern, das ist eine Tätigkeit, die ich im binnenkirchlichen Raum in dieser Form eigentlich nicht hatte." |