Telefonkette gegen Abschiebung

von Thomas Klatt

Die "Protestversammlung gegen die Massenabschiebung bosnischer Flüchtlinge" in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche am vergangenen Donnerstag, den 23. Juli, stieß auf großes Interesse. Etwa 600 Berliner und Bosnier riefen gemeinsam: "So nicht, Herr Innensenator Schönbohm!" und verabschiedeten per Handzeichen und Unterschrift einen "Berliner Appell". In der gemeinsamen Resolution heißt es: "Am 9. und 10. Juli 1998 sind trotz anderweitiger Ankündigungen 74 bosnische Flüchtlinge bei Nacht und Nebel verhaftet und dann per Flugzeug nach Sarajevo abgeschoben worden. Dabei kam es zu völlig unnötigen und überzogenen Maßnahmen und Razzien in Wohnheimen bosnischer Flüchtlinge, zur Trennung von Familien, zu unzumutbarten Zuständen im Abschiebegewahrsam der Flüchtlinge...Vor diesem Hintergrund bitten wir daher den Senat von Berlin, Bundestag und Bundesregierung, zu einer Politik der Vernunft zurückzukehren und von weiteren Abschiebemaßnahmen abzusehen."

Pfarrer Jürgen Quandt übermittelte den Versammelten Solidaritätsfaxe, unter anderen von den Bundespolitikern Herta Däubler-Gmelin und Heiner Geißler. "Viele sind jetzt im Sommer nicht in der Stadt, sonst würden heute abend noch viel mehr Menschen hier in der Kirche protestieren." sagte der Vorsitzende des Vereins "Asyl in der Kirche". "Ich komme aus der Nachkriegsgeneration. Uns wurde das 'Nie wieder!' beigebracht. Nie wieder KZ! Nie wieder Abschiebung! Aber dieses 'Wieder' ist plötzlich in Berlin passiert. Da werden die Flüchtlinge von deutschen Polizeibeamten nachts aus den Betten geholt. Und sie sollen dahin abgeschoben werden, wo die Kriegsverbrecher als Bürgermeister, Polizisten und Zollbeamte noch frei herumlaufen." sagte Bosiljka Schedlich von Südost-Europa Kultur e.V., die auch den ganzen Abend ins Bosnische übersetzte.

Die Psychologin Sybille Rothkegel vom Behandlungszentrum für Folteropfer berichtete, daß auch die durch Folter und Haft Schwerst-Traumatisierten in Berlin keinen Schutz genießen könnten. "Das verstößt gegen internationale Vereinbarungen. Der Innensenator hat die Chance humanitären Handelns leider nicht wahrgenommen!" sagte sie. Michael Maier-Borst von amnesty international forderte dazu auf, den Innensenator für sein illegales Vorgehen verantwortlich zu machen. "Die Hauptstadt benimmt sich wie die flüchtlingspolitische Provinz. In der Ausländerfrage steht ein Politikwechsel in Berlin und Deutschland an. Statt einer unseriösen Lokalpolitik sollten aus Berlin positive bundespolitische Signale ausgehen." sagte er. Der Verwaltungsrichter Percy McLean beeindruckte mit seiner sachlichen Analyse der Vorgänge. "In meiner ganzen Berufszeit ist mir so etwas noch nicht vorgekommen. Die zuständige Ausländerbehörde wurde nicht miteinbezogen und der Innensenator hat eine Geheimaktion durchgeführt. Die Postzustellung an die Bosnier erfolgte nicht persönlich und ohne ausreichende Fristen. Die Abschiebung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Bei den Bosniern muß das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat nun schwer erschüttert sein. Wegen finanzieller Engpässe einer Provinzbehörde können nicht internationale Standards mißachtet werden. Es muß hier in Berlin eine Aufenthalts-Befugnis statt einer Duldung geben, damit wieder Frieden einkehrt!" bekräftigte er.

Die Beauftragte für Migrationsfragen im Erzbistum Berlin, Schwester Cornelia Bührle, mahnte zur Besinnung auf die komplizierte Situation in Bosnien. "Sowohl der Hohe Flüchtlingskommissar als auch Bundesverteidigungsminister Volker Rühe raten dringend von einer Rückkehr der Flüchtlinge ab." erinnerte sie. Zuletzt rief der Ausländerbeauftragte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Hanns Thomä-Venske, zur Bildung von Bürger-, Presse-, und Anwalts-Telefonketten auf, um neue Abschiebungen zu verhindern. "Liebe Flüchtlinge, es gibt auch gute Menschen hier in Berlin. Wir sind an ihrer Seite!" versicherte er.

Die Telefonketten werden koordiniert im Büro des Ausländerbeauftragten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Tel.: 030/ 31 92 178, Fax: 030/ 31 92 244. Der Berliner Appell wird gesammelt beim Südost-Europa Kulturzentrum, Tel.: 030/ 25 37 79 90, Fax: 25 29 85 74



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