Der Ghettoswinger von Theresienstadt


Rezension

Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger von Theresienstadt, eine Jazzlegende erzählt

von Thomas Klatt


Erst als die Nazis ihn nicht in die Hitlerjugend aufnehmen wollten, wurde Coco Schumann klar, daß er ab sofort ein sogenannter "Halbjude" war. Frei nach dem Berliner Magenbitter galt er jetzt als "Mampe".

Coco Schumann wurde 1924 in Berlin geboren und wuchs zunächst im Scheunenviertel in der Nähe des Roten Rathauses auf. Dieses Viertel galt als besonders berüchtigt: viel Prostitution, Gewalt, Verbrechen, und völlig überbevölkert mit Juden aus dem Osten Europas. Aus Angst vor den Nazis zog seine Familie in den Westen Berlins. In Halensee eröffnete seine jüdische Mutter einen Friseursalon. Mit neuen "arischen" Kunden fühlte sie sich sicherer vor dem plumpen Antisemitismus.

Als zwölfjähriger "Stepke" lernte Coco Schumann die sogenannten "Swings" kennen: jazzbegeisterte Jugendliche, die nicht in die nationalsozialistische Gleichschaltung passen wollten. Überraschend macht die Auto-Biographie Schumanns klar, daß die HJ vor allem bei den Jugendlichen in den deutschen Großstädten recht unbeliebt war. Wer hip sein wollte, orientierte sich an anglo-amerikanischer Mode und Musik. Die Nazis haben diese "Swings" unerbittlich bekämpft. Viele von ihnen starben später an der Front. Die Wortführer kamen in's KZ, die "Girls" nach Ravensbrück, die "Boys" nach Moringen bei Göttingen.

Coco Schumann kam wegen seiner halbjüdischen Abstammung aber auf Drängen seines arischen Vaters zunächst in das Vorzeige-KZ Theresienstadt. Er überlebte den Holocaust durch seine Berliner Schnauze. Groß, blond und blauäugig paßte er nie in das Nazi-Klischee eines zu vernichtenden "Untermenschen". In Theresienstadt gab es mehrere Orchester. Coco spielte bei den "Ghetto-Swingers", erst Schlagzeug, später Gitarre. Die Band dachte schon über eine gemeinsame Karriere nach dem Krieg nach. Doch kaum war der deutsche Propagandafilm abgedreht, der später als "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" bekannt wurde, deportierten die Nazis alle Ghetto-Swinger nach Ausschwitz. Dort spielten die Jazzer täglich um ihr Überleben. Sie machten in der Hölle Musik: "So brachte jeder Morgen auf's Neue das Grauen: lange Reihen ausgemergelter Menschen auf ihrem letzten Gang. Immer wieder sagte ich mir, die Musik kann nichts dafür. Die Musik rettet dir, wenn schon nicht das Leben, so doch den heutigen Tag." schreibt Schumann. Die Lagerältesten und Aufseher unterhielten oft in Konkurrenz zueinander ihr je eigenes Orchester. Schon ein falscher Titel oder mißlungener Ton konnte den sofortigen Tod für die Musiker bedeuten. "In diesen Stunden habe ich einiges gelernt. Zum einen, daß nichts so stinkt wie Menschenfleisch. Zum anderen, daß ich Jude bin. Ich habe trotz allem einen Glauben gefunden, der nicht einen bestimmten Gott im Himmel meint. Ich weiß seither, daß es 'etwas' gibt, daß da 'etwas' ist, was mich gerettet hat, aber was es war uns ist, weiß ich bis heute nicht. Auf jeden Fall kein Gott, den ich in einer Kirche besuchen kann, eher ein irgendwie andersgeartetes Wesen, ein Schutzengel."

Nach der Befreiung wird er erneut Mitglied der jüdischen Gemeinde von Berlin. In der zweiten Hälfte seiner Autobiographie beschreibt Schumann sein Comeback in der deutschen Musik: "Soviel Anfang war nie!" Wie die Jazzer Ernst Mosch und Helmut Zacharias mußte auch Coco Schumann nach dem Krieg sein Geld immer mehr mit seichter Musik verdienen. Vom neuen west-deutschen Staat sind er und seine jüdische Ehefrau tief enttäuscht. Eine Entnazifizierung fand nie statt. Die Deutschen fühlten sich in der Lebenslüge ihrer Wirtschafts-Nettigkeit und oberflächlichen Harmonie wohl. Frustriert gingen die Schumanns nach Australien, aber das Heimweh des Berliners trieb sie 1954 wieder zurück. Die Deutschen bewaffneten sich wieder und Coco Schumann versuchte sich als Jazz-Gitarrist durchzubringen:"Wer den Swing in sich hat, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren." Spät erhält Coco Schumann das Bundesverdienstkreuz, aber seine Distanz zum Staat blieb bis heute. Sein Hüftleiden verbietet ihm das Schlagzeug spielen, aber mit seiner geliebten Gibson tritt er immer noch regelmäßig in Berliner Jazz-Kellern auf.

Coco Schumann hat ein wichtiges Zeugnis über die deutsche Geschichte und den deutschen Jazz abgelegt!

Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger von Theresienstadt, eine Jazzlegende erzählt, dtv, September 1997, 28 DM



Ev.JournBKlatt@snafu.de