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Gleich südlich der Berliner Stadtgrenze, in Stahnsdorf, liegt das Gelände des ehemaligen Halbleiterwerks der DDR. In den früheren Verwaltungsbauten haben sich verschiedene kleine und mittelständische Unternehmen angesiedelt. In einem dieser Blöcke liegt auch die Computerfirma von Reiner Doss. Der Diplom-Ingenieur war hier schon tätig gewesen als das Werk noch existierte. Nach dem Mauerfall hat er sich an Ort und Stelle selbständig gemacht. Aus seinem Büro im dritten Stock blickt man auf das Dach der alten Fertigungshalle für die Elektronikproduktion - heute das Domizil eines Baumarktes. Doch was sich dort draußen abspielt, ist für Doss und seine Mitarbeiter nicht von Bedeutung. Hier oben dreht sich alles um den Computer. Die letzten drei Monate benutzte Bernd Ullmann, Mitarbeiter im Büro von Doss und Fachmann in Sachen Computeranimation, um alle bekannten Daten über die Ruine des ehemaligen Zisterzienserklosters Chorin in den Computer einzuspeisen. Mit Hilfe eines CAD-Programm (CAD bedeutet Computer Aided Design - Programme, die vor allem in der Welt der Architekten Anwendung finden) entstand eine dreidimensionale Animation. "Wir haben die Grundlage für eine virtuelle Rekonstruktion der Klosteranlage entwickelt.", so Ullmann. Seit dem 19. Jahrhundert streiten sich Kunsthistoriker darüber, wie das Kloster im Mittelalter ausgesehen haben mag. Durch Grabungen und Vergleiche mit anderen Zisterzienserbauten in der Mark Brandenburg haben sich eine vielzahl Varianten ergeben. Dr. Fred Sobik, Mathematiker und Informatiker, ist für die wissenschaftliche Betreuung des Stahnsdorfer Projektes zuständig: "Nach dem heutigen Kenntnisstand können wir über das Aussehen der verschwundenen Bauten zu keinem endgültigen Ergebnis kommen." Sein Vorschlag zur Güte ist einfach. Denn durch die Möglichkeiten der Computeranimation können die Rekonstruktionsvorschläge einfach verglichen werden. Alle existierenden Varianten sollen demnächst in den Stahnsdorfer Computer eingespeichert werden. Sie können dann per Mouseklick an den Klostertorso virtuell angebaut werden. Die Kunsthistoriker hätten damit eine dreidimensionale Diskussionsgrundlage. Einen kleinen Nachteil der Computeranimation benennt Sobik allerdings. Die Details der gotischen Fassade könnten nur mit erheblichem Aufwand in den Rechner einprogrammiert werden. Die Arbeit am Fries etwa, der sich unter dem Dachansatz der Kirche um den gesamten Bau zieht, würde Wochen dauern. Auch das aufgehende Mauerwerk im märkischen Verband ist nur durch eine Textur imitiert. Doch solche Details, meint Ullmann, könnte man durch Ausschnittvergrößerungen für den Betrachter sichtbar machen. Ausgewählte Stellen des Gesamtbildes könnten dann per Mouseklick auf Bildschirmgröße hochgezoomt und vom Betrachter studiert werden. Doch das wäre Teil einer späteren Fortführung des Projektes. Nach Abschluß der dreimonatigen Arbeit kann man in der virtuellen Klosteranlage bereits spazieren gehen. Und hiervon soll demnächst auch die breite Öffentlichkeit profitieren. Diese soll noch stärker als bisher auf Chorin aufmerksam gemacht werden. Vom Nutzen des Projektes für die Tourismusförderung war schließlich auch das Land Brandenburg überzeugt: Das Finanzministerium bewilligte kurzfristig Fördergelder für die Macher in Stahnsdorf. Über den Tourismus erhoffen sich die Computerexperten dann wieder einen Rückkopplungseffekt zu Gunsten der Forschung. Denn auch hier gibt es in Zukunft noch viel zu tun: Eine Bauaufnahme zum Beispiel, die den Bestand der Gebäude fachmännisch katalogisiert, ist bisher nur für das Brauhaus und den Westflügel geschehen. Durch mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wird vielleicht auch für die Grundlagenforschung wieder der Geldhahn aufgedreht. Auf der diesjährigen Internationalen Tourismus Börse (ITB) haben die Stahnsdorfer ihr Projekt bereits präsentiert. Ab April wird der virtuelle Rundgang durch Kloster Chorin auch im Internet möglich sein. |