Gottes Werk und Ottos Beitrag - Im fränkischen Himmelkron wurde die dreizehnte deutsche Autobahnkirche geweiht

von Christian Welzbacher


Es gab eine Stufe in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, da fand das gesamte Leben im Auto statt. Beim Drive-in-Banking gab es schnellen Kredit, Auto-Zoos und Auto-Kinos versüßten die mobile Freizeit, für die Mahlzeit im Drive-in-Restaurant mußte lediglich das Fenster heruntergekurbelt werden, und die Shopping Malls am Rande der Stadt eröffneten Parkflächen, auf denen die Sonne nicht unterging. Schließlich geriet sogar der Fels, auf dem die Kirche einst gebaut worden war, ins Rollen. Ausgerechnet jene Institution, der allzu oft mangelnde Fähigkeit zur Modernisierung angelastet wird, entwickelte einen Sakralbautyp, der von Amerika aus seine Siegesfahrt durch die christliche Welt startete: die Autokirche.

Die zunächst eher peinlich anmutende Bauaufgabe mobilisierte durchaus einige der besten Architekten. Der im kalifornischen Garden Grove ansässige Reverend Robert Schuller etwa beauftragte 1962 Richard Neutra mit dem Bau einer Drive-in-Kirche: Von einer Plattform aus konnte der Geistliche bis zu sechshundert Autos samt Insassen segnen. Gut fünfzehn Jahre später gewann Schuller, mittlerweile als Fernseh-Prediger durch seine wöchentliche "Hour of Power" reich und berühmt geworden, Philip Johnson, um den Altbau durch eine rundum verglaste "Crystal Cathedral" zu erweitern. Doch schon kurz nach Fertigstellung des Baus regte sich bei den Besuchern des Gottesdienstes Unmut. Sie störten sich am parkenden Blech, das durch die transparente Hülle während der Andacht zu sehen waren. Selbst Johnsons Replik: "Is God not in the car?", konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ära der Verkehrberuhigung angebrochen war.

Noch vor dem Beginn dieser glücklosen Zeiten hielt auch hierzulande die Autokirche Einzug. Die erste katholische Autobahnkirche, eine private Stiftung, wurde 1958 unweit von Augsburg auf den Namen "Maria - Schutz der Reisenden" geweiht. Nur ein Jahr darauf widmeten die Protestanten einen älteren Bau am Rande der Autobahn nahe Exter in Westfalen um. Bereits durch die Definition als "Raststätte der Seele" verdeutlichen die beiden Kirchen ihr erklärtes Ziel, den Fahrern neben den Tank- und Snack-Stops auch Gelegenheit zu Ruhe und Einkehr zu bieten. Diesen Zweck heiligen auch die Mitglieder der "Gemeinschaft Christlicher Motorradfahrer", die über ihr Publikationsorgan "Der Kradapostel" regelmäßig zu Zweirad-Gottesdiensten zusammengerufen werden.

Freilich müssen die Besucher hiesiger Autobahnkirchen, anders als ihre amerikanischen Brüder und Schwestern im Glauben, die letzten Meter zu Fuß zurücklegen. Selbst der im Oktober 1993 unternommene Versuch eines Mannes, mit seinem Mercedes durch die verschlossenen Portale des Fuldaer Doms bis vor den Altar zu fahren, um dort zu beten, änderte daran nichts.

An der A 9, auf halber Strecke zwischen München und Berlin wurde jüngst die dreizehnte deutsche Autobahnkirche dem Publikumsverkehr übergeben. Sie dient zugleich als katholische Dorfkirche der unterfränkischen Gemeinde Himmelkron. Am hochfrequentierten Verkehrknotenpunkt zwischen Bayern, Tschechien und den neuen Bundesländern gelegen, muß sich der Sakralbau gegenüber einem Gewerbepark behaupten, neben dessen Einerlei von Kistenarchitektur er gleichsam als déjà vu des Urbanen wirkt. Auf dem höchsten Punkt zwischen Dorf und "Trabantendorf" schiebt sich der wie ein großzügig portioniertes Tortenstück geformte Bau des Bamberger Diözesanbaumeisters Eugen Vonmetz dem Ausrufezeichen seines freistehenden Glockenturms entgegen. Die schräge Altarwand und das schwungvoll aufsteigende, einer Skischanze nicht unähnliche Dach, verhelfen dem Bau trotz seiner bescheidenen Dimensionen zur großen Geste. Dabei revitalisiert die Dynamik der Umrißlinien die Forderung der Moderne, die Bewegung des Verkehrs in der Architektur widerzuspiegeln und verweist auf das direkte Vorbild des Neubaus, Hans Schwipperts unrealisierten Wettbewerbsentwurf für die Frankfurter Frauenfriedenskirche von 1927.

Auf dem Vorplatz der Kirche empfängt ein in den Boden eingelassenes Labyrinth aus Kopfsteinen den Besucher. Es verknüpft das Symbol für den Pilgerweg der mittelalterlichen Jerusalemfahrer dekorativ mit den profanen Reiseunternehmungen der freien Bürger der Gegenwart. Sie betreten das Innere des geweihten Solitärs mit seinen geschickt verschachtelten Raumkompartimenten durch einen breiten Erschließungsgang entlang der gerundeten Eingangfront. Der Kirchenraum der Dorfgemeinde mit Taufbecken, Tabernakelnische und Empore nimmt etwa zwei Drittel des Bauvolumens in Anspruch. Ebenso wie im kleineren Meditationsraum im Obergeschoß, der über eine steile Treppe erreichbar ist, vereinen der konische Grundriß und der dramatische Deckenschwung sämtliche Fluchtlinien beim Altar. Durch die Glasverdachung über dem Retabel streift Tageslicht über die Wände, deren Flächen teils weiß belassen, teils mit intensivem Blau gefaßt wurden, um eine meditative Aura zu schaffen. Konterkariert wird dieses Bestreben jedoch durch Material und Möblierung, wie abwaschbare Bodenfliesen, Gebetsbänkchen aus dem Katalog oder die beige-grau-furnierten Holzlamellen an der Decke. Auch auf die mittlerweile gängige Aufstellung von Straßenlaternen im Sakralraum wurde nicht verzichtet. Ähnlich wie in Gottfried Böhms 1968 fertiggestellter Wallfahrtskirche in Neviges soll so auch in Himmelkron die Verbindung von Vorplatz und Innerem betont werden.

Ein Hinweis, der gar nicht nötig wäre, ist doch die schnöde Welt auch in anderer Form durch die Tore des Bauwerks gedrungen. Neben den obligatorischen Sinnspruch-, Papst- und Christophoruspostkarten, entwickelten christliche Merchandising-Experten auch Schlüsselanhänger, Kugelschreiber und Aufkleber mit der wohlklingenden Aufschrift "Autofahrer machen gern Station in Himmelkron". Ob dies wirklich an der Kirche oder eher an Raststätte, Motel und Erotikmarkt um die Ecke liegen mag, läßt sich jedoch nicht mehr eindeutig beantworten.



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