Freundschaftsspiel 1973/74: BFC Dynamo - FC Dynamo Moskau 1:3

Faszinierender Angriffswirbel der Moskauer Dynamos / Die junge Gäste-Elf begeisterte mit einer Fülle technisch-eleganter Aktionen / BFC hielt da nur zwanzig Minuten ernsthaft mit
Gawriil Katschalin lächelte. "Ein interessantes Spiel, lebhaft, lebendig, mit vier Toren, die allen viel Freude machten", resümierte der bekannteste und erfolgreichste unter den UdSSR-Trainern. 30.000 Zuschauer im randvollen Jahn-Sportpark - unter ihnen das Mitglied des Politbüros des ZK der SED Horst Sindermann, Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, UdSSR-Botschafter Michail Jefremow sowie weitere hohe Persönlichkeiten - hegten die gleichen Empfindungen. Die Berliner Dynamos begannen mit jenem Elan, der Gastgebern Ehre macht.

Neuformiert, ohne die verletzten Lihsa, Stumpf, Terletzki und Kapitän P. Rohde, ließen sie zwanzig Minuten lang erkennen, welche spielerischen Wege der neue Cheftrainer Harry Nippert zu beschreiten gedenkt. Wer zu diesem Zeitpunkt, erst recht nach Wroblewskis Führungstor, jedoch annahm, die beiden befreundeten Dynamo-Mannschaften würden eine Neuauflage ihrer beiden begeisternden EC-II-Treffen aus der Saison 1971/72 liefern, verkannte die unterschiedlichen Voraussetzungen. Katschalin fand die rechten Worte: "Wir stehen mitten in der Saison, spielten mit einem Maximum an Kraft, Kondition und Formstärke, die Berliner sind dagegen erst am Anfang ihrer Vorbereitungen auf die kommende Serie. Da mußten die Unterschiede kraß zutage treten."

So hart das ungleiche Geschehen die Männer von der Steffenstraße auch anpackte, die Lehrstunde in Sachen Schnelligkeitsentwicklung, Tempoforcierung und Ballfertigkeit, die ihnen die Moskauer offerierten. wird sie auf das Maß an eigener Arbeit aufmerksam gemacht haben, das noch zu leisten ist. Vier-, fünfmal vermochten Brillat, Johannsen (ob er der Vorstopper ist, blieb unbeantwortet), Filohn und Fleischer Direktpassagen zwischen Koshemjakin, Pudyschew, Machowikow und Eschtrekow zwar zu unterbinden, dann waren sie schon mit ihrem (physischen wie taktischen) Latein am Ende. "Vor allem unsere junge Mittelfeldachse trumpfte so großartig wie in den letzten Meisterschaftsspielen auf", freute sich der berühmte Lew Jaschin. In der Tat, Petruschin (21), Pudyschew (19) und Machowikow (22) liefen Fleischer, Lauck und Schütze förmlich in Grund und Boden.

Die jungen Moskauer boten einen Tempowirbel, der ihnen minutenlange Powerplays am und im BFC-Strafraum gestattete. Mühelos, elegant in der Ballführung, wirbelten die Katschalin-Schützlinge die Gastgeber durcheinander, das ihnen Hören und Sehen verging. Tore waren da nur eine Frage der Zeit, sie fielen wie reife Früchte von den Bäumen. "Vor drei Jahren hatte ich gemeinsam mit Martin Skaba Gelegenheit, 14 Tage in Moskau bei den Dynamos zu hospitieren. Deshalb wußte ich genau, was uns diesmal, bei der Hochform dieser Klasse-Elf erwartete. Wir taten das, was im Augenblick in unseren Möglichkeiten liegt, wobei sich jeder bemühte, seine Aufgaben zu erfüllen", wies Harry Nippert sachlich-kritisch auf die Kräfteverhältnisse hin. Wo er sich zum Auswechseln gezwungen sah, da der enorme konditionelle Aufwand die Widerstandsfähigkeit auf ein Minimum reduziert hatte, schickte Gawriil Katschalin unbeschwert sein gesamtes Aufgebot auf den Rasen. "Schließlich hatten wir allen Grund zum Feiern, jeder sollte spielen, um sein persönliches Festivalerlebnis mit nach Hause zu nehmen", erläuterte Katschalin, wie eh und je ein feinfühliger Psychologe.

Um die Spielfreude seiner Schützlinge brauchte ihm nicht bange zu sein. Bei der individuellen Klasse und kollektiven Ausgewogenheit seiner Elf weiß Katschalin, wie jeder auf seine Chance brennt. Reservespieler? Die zweite Reihe? Koslow, Shukow. Gerschkowitsdi, Dolmatow, Komarow und Gontar waren es in Berlin, aber Katschalin und sein Assistent Zarjow können sie ebenso bedenkenlos als erste Wahl nominieren. Von derartigen Qualitätskriterien aber waren Filohn, Fleischer, Labes, Wroblewski (sehr einsatzfreudig), Weber und Stobernack weit entfernt. Ganz zu schweigen davon, daß Union-Zugang Lauck etwa schon die richtige Bindung zu seinen neuen Mitspielern hätte. Eines ist sicher: Ob 1951 oder 1973, Festival-Fußball mit den Moskauer Dynamos war freundschaftliche Verbundenheit wie lehrreicher Anschauungsunterricht zugleich!


BFC Dynamo:
Creydt; Brillat (46. Carow); Filohn, Johannsen, Hübner; Schütze (55. Weber), Lauck, Fleischer; Labes (59. Stobernack), Wroblewski, Schulenberg
FC Dynamo Moskau:
Pilgui (85. Gontar); Dolbonossow; Bassalajew, Nikulin, Sykow (80. Dolmatow); Petruschin, Pudyschew (80. Komarow), Machowikow (70. Shukow); Eschtrekow, Koshemjakin (46. Koslow), Jewrushichin (70. Gerschkowitsch)

1:0 Wroblewski         ( 6.)
1:1 Petruschin         (27.)
1:2 Pudyschew          (61.)
1:3 Shukow             (75.)

Schiedsrichter:        Swistek (Polen)
Zuschauer:             30.000


Günter Simon, Neue Fußballwoche, 07.08.1973