Dynamo Berlin-Fans / Schuld und Sühne

Ein Verein bekehrt sich selbst - unter dem Ex-Hooligan Meyer befrieden die einstigen Schläger des Berliner Fußballclub Dynamo ihre gewaltbereiten Nachfolger im Fanblock. Geht das?
Der Nigerianer Solomon Okoronkwo von Hertha BSC fängt einen Pass ab. Sekundenbruchteile dauern die Dschungelrufe im Publikum: "Uh, uh, uh!" Blitzschnell schalten sich die Aufpasser im Dynamo-Fanblock ein, sonnenstudiogebräunt und durchtrainiert. Ihre Macht flammt auf wie Schießpulver, bringt die Ausfallenden zum Schweigen. Dann singen sie alle, wie mit einer Stimme: "Dynamo! Dynamo!" Früher hätten die Rassisten zu Hunderten auf den Stühlen gestanden. Vor wenigen Jahren warfen die BFC-Fans noch wüste Beschimpfungen über den Zaun - "Asylanten" und "Kanaken", einmal auch Fladenbrote, bei einem Spiel gegen den Berliner Oberligisten SV Yesilyurt 73. Inzwischen haben sich die Anhänger des BFC Dynamo verändert.

Bewusst geworden ist den Schlägern von einst, dass sie ihrem Fußballverein schaden. Der Grund für den Wandel ist zwei Meter groß, massig, mit kurz rasiertem Schädel. Der Ostberliner Peter Meyer, 39, und der BFC gehören zusammen wie ein Fanblock und Schlachtgesänge. "Wenn Dynamo spielt, sind alle Überwachungskameras auf uns jerichtet", erzählt Peter Meyer, nicht ohne Stolz, auf der Tribüne im Ludwig-Jahn-Sport-Park, beim Freundschaftsspiel gegen Hertha BSC Berlin. Der Besitzer der mehrere Millionen schweren Telekommunikationsfirma Infinity ist Hauptsponsor des Vereins. Vor einem Jahr half er dem Club auf die Beine, als der drohte, unter seinen Schulden zusammenzubrechen. Und schon viel früher kämpfte er für seinen Club: Er prügelte sich in der berüchtigten "Dritten Halbzeit" der BFC-Spiele. Damals war der Verein noch als Stasiclub des SED-Funktionärs Erich Mielke verpönt. In den 80ern wurde der DDR-Rekordmeister zum Magnet für gewaltbereite Skinheads.

Spätestens seit der Wende gilt das BFC-Stadion als Gomorrha des Fußballs. Die Bilder von Platzstürmen wurden zum Symbol für den Verein. Seitdem stecken die BFC-Anhänger bis zum Hals im Hooligan-Sumpf - eine Vergangenheit, die nicht vergehen will. In der Person Peter Meyer spiegelt sich die ganze Ambivalenz des BFC. Angefangen hat seine Schläger-Karriere mit 15. "Sich ausprobieren", nennt er das heute. Die Ausprobierphase dauert volle zehn Jahre. In dieser Zeit wird Meyer zum wahren Recken und treibt Kampfsport. Er verabredet sich mit Gleichgesinnten zur Schlacht ohne Ball, "vor dem Stadion, hinter dem Stadion, überall". Mitte der 90er kommt das Umdenken. Meyer hat genug von den wilden Jahren und steigt in die Wirtschaft ein. Er baut Unternehmen auf, eröffnet ein Hotel. In seinem sechsstöckigen Haus in Berlin-Weißensee arbeiten 18 Leute für seine Firma Infinity. Er beliefert 400 Filialen mit Kommunikationssoftware. Meyer trägt Verantwortung.

Heute könne er sich gar nicht mehr prügeln, sagen alte Bekannte: Dafür sei er zu sehr aus der Form geraten. Mit dem Aufstieg kommt auch der Ehrgeiz, in den Fußballclub einzusteigen. Jetzt will Meyer nur noch sportlichen Erfolg - und Ruhe im Verein. Heute steht er im schwarzen Anzug auf der VIP-Tribüne und genießt die Früchte seines Erfolgs: Hertha gegen den BFC. Vor einem halben Jahr hätte es so ein Freundschaftsspiel nicht gegeben. Bundesliga-Trainer lehnten Angebote ab. "Wir sind uns der Vergangenheit des Vereins bewusst", sagt Hertha-Sprecher Hans-Georg Felder heute. Doch man habe sich ausführlich mit Peter Meyer und den BFC-Fangruppen unterhalten und festgestellt, dass sie eine zweite Chance verdient hätten. "Wenn es ihnen hilft, aus der Hooligan-Ecke herauszukommen, dann unterstützen wir sie darin", sagt Felder.

Ein Banner auf dem Feld zeigt das Motto des Spiels: "Gegen Rassismus und Gewalt". Als Meyer Hauptsponsor wurde, krempelte er den Verein um. Er tauschte den Ordnungsdienst komplett aus. "Wir brauchen Männer, die von den Fans respektiert werden und och wat im Kopp haben", sagt Meyer. Deswegen stellte er Leute aus den eigenen Reihen ein: Alte Freunde, mit denen er seit 25 Jahren im Fanblock sitzt und früher auf andere Hooligans losgegangen ist. Seitdem rührt niemand mehr die Ordner am Spielfeldrand an. Und keiner erkennt so gut wie die Eingeweihten den Augenblick, in dem bierseliges Gegröle in echte Bedrohung umschlägt. Die Fans sehen in Meyer ihre letzte Chance. Er ist einer von ihnen. Und er ist seit Juni der mächtigste Mann im BFC: Mit über 90 Prozent der Stimmen wurde er zum Vorsitzenden des Wirtschaftsrats gewählt.

"Wir haben es selber in der Hand", sagt Meyer. Seine Kandidaten für den Vorstand setzte er mit klaren Mehrheiten durch. Im BFC regieren jetzt die Fans. Natürlich lebt ein Verein wie der BFC Dynamo von seinem Biotop. In Berlin- Hohenschönhausen, wo das Vereinsstadion steht, bietet der Club frustrierten Jugendlichen einen Halt, steht als Symbol für die Härte des Lebens. Dynamo macht hier viel Jugendarbeit. "Wir sind wenige, aber geil", propagieren die Fans auf ihren Internetseiten. Bei Spielen kokettieren sie mit der Schurkenrolle und tragen Pullover vom Label "Hoolywood" mit Aufdrucken wie "Kategorie C" oder T-Shirts der rechten Kult-Marke "Thor Steinar", auf denen "Problemfan" steht. "Von allen gehasst zu werden, schweißt zusammen", sagt Michael*, 27. Im Fanladen des SV Babelsberg 03 schaffen speckige Ledersofas und ein Kicker alternative Gemütlichkeit. Hier treffen sich die rastalockigen und gepiercten Gegenspieler der Dynamo-Anhänger, sitzen auf den Wiesen vorm Fanladen und stimmen Gesänge an. Fußballhippies.

"Der BFC ist eine Subkultur, die Rechtsgesinnte anzieht", sagt Michael. Der Student mit Basecap und Dreitagebart macht Antifa-Arbeit. Im vergangenen Jahr haben die Babelsberger Ultras ein BFC-Spiel boykottiert. Sie wollten verhindern, dass "zwielichtige Unternehmen" im Umfeld des Vereins von den Eintrittsgeldern profitieren. Diese schalten Anzeigen im Programmheft des BFC. Zum Beispiel der "Germanenhof", eine Kneipe in Hohenschönhausen, in der Met aus Hörnern getrunken wird - angeblich auch von Neonazis. Meyer kann das rechtfertigen. Allein der Fanbeauftragte Rainer Lüdtke sei verantwortlich. "Det is ja nich det Stadionheft des BFC, sondern det des Fanbeauftragten. Wenn der zum Germanenhof jeht und nach Geld fragt, dann ist det nich Sache des BFC, det sind nich wir." Immerhin sorgte Meyer dafür, dass es keine Banner mehr vom "Germanenhof" im Stadion gibt. Die Babelsberger im Fanladen beobachten die Umstrukturierung beim BFC mit großer Skepsis, genau wie den Aufstieg Meyers.

Mit ihm haben sie hier keine guten Erfahrungen gemacht. 2004 wurde Meyer der Prozess gemacht, wegen Körperverletzung gegen einen Babelsberger Fan. Es wurde ein Verfahren im Blitzlichtgewitter. Am Ende stand ein Freispruch. Aber die Staatsanwaltschaft legte Revision ein, wegen neuer Beweise, heißt es. Schuldig oder nicht schuldig - der Vorfall wurde von der Öffentlichkeit als weiterer Sündenfall verbucht. Für Meyer spricht, dass der Verein erste Schritte in Richtung Bekehrung macht. Seit einem Jahr gab es keine gewaltsamen Ausschreitungen mehr. Seit März 2007 trainiert der türkischstämmige Trainer Volkan Uluc die Mannschaft, zu der auch nichtdeutsche Spieler gehören. Meyer schwärmt vom ehemaligen Spieler Adeck Akah Mba aus Kamerun, "unsrer schwarzen Perle". Von Sühne könne keine Rede sein, finden dagegen die Babelsberger Fans. Es fehle im Verein an einer Distanzierung zur Neonazi-Szene. Die Restzweifel an seiner Läuterung habe Meyer nie ausgeräumt.

Noch immer würden Rechte zu den Spielen eingeladen, es gebe sie auch im engeren Vereinskreis, der "Infinity-VIP-Lounge". Meyer kann das vertreten. Er wolle keine Gesinnung vorschreiben, erklärt er und redet sich langsam in Rage, das Hertha-Spiel im Hintergrund fast vergessend. Lieber sitze er mit seinen Ehrengästen und dem türkischen Getränke-Lieferanten des BFC an einem Tisch und trinke auf die Freundschaft. Meyer hält nichts vom Aussortieren der Problemfans: "Dann jehen sie eben zu den Eisbären", der Eishockeymannschaft. Stattdessen stellt er klare Regeln auf. Wenn jemand rechte Parolen ruft, dann wird er von Ordnern zum Schweigen gebracht: "Dann jibt's wat auf die Glocken". Die Vergangenheit will er nicht schönreden. Doch die Anhänger hätten dazugelernt, findet Meyer. Heute passe der Fanblock auf sich selber auf: Hooligans erziehen Hooligans. Am Ende des Freundschaftsspiels verlassen die Hertha-Fans das Stadion.

Das Tor auf der BFC-Seite bleibt noch geschlossen. Das war der Kompromiss, mit dem Meyer den Bundesligisten gewinnen konnte. Zehn Minuten Zeit für die Herthaner, sich aus dem Staub zu machen. Der Fall des BFC zeigt, dass sich eine gewaltbereite Szene aus sich selbst heraus weiterentwickeln kann - die Frage ist nur, wohin. Inzwischen verabredet man sich zur Dritten Halbzeit einfach woanders. Irgendwo, wo man ungestört ist, im Wald. Vor kurzem trafen sich BFC-Fans mit Hooligans eines polnischen Fußballvereins, fünfzig gegen fünfzig. Schlagen als Sport und Grenzerfahrung: Fight Club in Brandenburg. Solche Schlachten tun dem lieben Frieden im Stadion keinen Abbruch, solange die Fans dort brav für Ruhe sorgen. Aber sie zeigen, dass der BFC trotz der erfolgreichen Befriedung seiner Fankurve längst noch kein Verein der Geläuterten ist. Der Hang zur Gewalt und die Nähe zur rechten Szene bleiben haften. Am Ende bleibt die Schuld stärker als die Sühne.

* Name geändert


Lydia Harder, taz, 05.09.07