Jungstürmer und Hitlergruß / Vor allem ostdeutsche Fußballvereine werden zunehmend von rechtsradikalen Gruppierungen unterwandert

Mario Weinkauf ist Präsident des Oberligisten BFC Dynamo. Der Rekordmeister der DDR war der verhätschelte Stasiklub, heute hat er den Ruf als Sammelbecken für rechtsradikale Hooligans. "Es ist fast unmöglich, dieses Image loszuwerden", sagt Weinkauf. Er hat die aktuelle Gewaltdebatte intensiv verfolgt, die rassistischen Schmähungen, die Randale in Berlin, Leipzig oder Zwickau und die Drohungen von Dresdner Fans gegen die eigenen Spieler. Ein Begriff kam immer wieder auf: Unterwanderung. Weinkauf weiß, worum es geht. Es ist nicht so, dass alle Fanszenen im Osten Deutschlands von rechtsextremen und gewaltbereiten Anhängern dominiert werden, doch in vielen Amateurvereinen ist die Mitte rechts. "Diese Entwicklung kam nicht über Nacht, das ging schon nach der Wende los", sagt Weinkauf. "Wer hätte den Vereinen damals helfen sollen? Es war niemand da."

Rund um Traditionsklubs wie den BFC, Lok Leipzig oder Dynamo Dresden haben sich Hartgesottene versammelt. Die Vermarktungsrechte des BFC-Wappens sicherten sich Mitglieder der Hell's Angels, für einen Spottpreis. Die Rockerbande ist in Berlin nicht verboten, wird aber mit Zuhälterei, Drogenhandel und Anstiftung zum Mord in Verbindung gebracht. Mario Weinkauf wollte den BFC wieder gesellschaftsfähig machen, doch er ist gescheitert: "Viele heben mahnend den Finger. Aber wie sollen wir die Probleme ohne Hilfe von außen lösen?" Weinkauf hat oft die Augen geschlossen, wie seine Kollegen in Leipzig, Dresden oder Chemnitz. "Blieb uns was anderes übrig?" Sie nahmen Spenden an, um Schulden zu senken, auf die Herkunft des Geldes achteten sie nicht. Es ist paradox, aber jene Fans, die den Klubs mit ihrer politischen Gesinnung und ihrer Gewalt Schaden zufügten, haben sie mit Spenden am Leben erhalten. Dadurch ist ihre Macht gewachsen. Wohin das führen kann, zeigte sich gerade in Dresden: Vermummte Anhänger drohten ihren Spielern mit Prügel.

Den Klubmanagern fällt es schwer, diese Strukturen aufzubrechen. Manchmal sind sie sogar selbst Teil des Problems. Rainer Lüdtke, Fanbeauftragter des BFC Dynamo, war früher Hooligan. Peter Meyer, Vorstandsmitglied im Klub, wurde für einen Platzsturm in Babelsberg angeklagt. Olaf Schäfer, kaufmännischer Geschäftsführer in Dresden, soll in der Schlägerszene aktiv gewesen sein. Steffen Kubald, Präsident von Lok Leipzig, bekennt sich zu seiner Vergangenheit als Hooligan. In der Öffentlichkeit lässt das an der Glaubwürdigkeit zweifeln, manche Anhänger sehen darin sogar ein Alibi ihrer Aggressionen. Michael Kühnen, einst Anführer der Neonazibewegung, hatte bereits in den achtziger Jahren in der BRD ein System aufgebaut, um Fanszenen zu unterwandern. Er ließ Flugblätter in den Stadien verteilen. Diese Methoden nutzen NPD, DVU und freie Kameradschaften noch immer: in Franken, auch im Saarland - aber vor allem im Osten.

NPD-Politiker sprechen von einem "fruchtbaren Boden". 60,2 Prozent der Ostdeutschen sollen laut einer Studie des Bielefelder Konflikt- und Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer fremdenfeindlich eingestellt sein, und die Zahl der rechtsextrem motivierten Gewaltdelikte ist dreimal so hoch wie im Westen. Die Regionen, die der Staat aufgibt und die von demokratischen Parteien vernachlässigt werden, besetzen die Rechten. "Sie schaffen sich eine Infrastruktur", sagt Martin Gerster, Sportausschuss-Mitglied im Bundestag und Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Rechtsextremismus. Jugendklubs oder Seniorengruppen werden geschlossen, rechte Splittergruppen stoßen in das Vakuum. In manchen Kleinstädten werden selbst die freiwillige Feuerwehr und Arbeiterwohlfahrt von Neonazis geprägt. Martin Gerster meint: "Auch den Fußball benutzen sie als Köder, um Mitglieder zu gewinnen." Kameradschaften organisieren Turniere, NPD-Lokalpolitiker bieten sich als Sponsoren von klammen Provinzvereinen an.

Im Gegensatz zu früher hat die Unterwanderung ihre Lautstärke verloren. Neonazis treten weniger martialisch auf, ohne Reichskriegsflaggen und Springerstiefel. "Sie gehen subtiler vor", sagt der Soziologe Gerd Dembowski. "Sie arbeiten mit Codierungen und Symbolen. Es handelt sich um einen schwelenden Prozess unter der Oberfläche." Jugendliche, die ohne Perspektive sind, sehnen sich nach einer Gemeinschaft. Ihre Parolen, die sie am Mittagstisch unterdrücken, fallen in den Fanmassen weniger auf. Sie können unter Emotionen schnell auf neutrale Zuschauer überspringen. Deshalb bezeichnet Dembowski den Fußball nicht als Spiegelbild, sondern als Brennglas der Gesellschaft, unter dem Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie an Schärfe gewinnen können. Deutlich wird das im Umfeld von Lok Leipzig, dem Chemnitzer FC, dem Halleschen FC oder Viktoria Frankfurt/Oder. Manche Kameradschaften haben hier schon Schlägertrupps für Demonstrationen gesucht und gefunden.

Matthias Gärtner erforscht den Rechtsextremismus seit 1990. Der PDS-Politiker aus Wittenberg hat erschreckende Bilder gesehen. So stimmt sich eine sächsische Mannschaft in der Kreisklasse mit dem Hitlergruß ein; ein Freizeitteam trägt den Namen "Jungsturm Löbau/Zittau"; ein Amateurtorwart, der mit der Rückennummer 88 aufläuft, in Anlehnung an die Buchstaben HH - Heil Hitler. "Manchmal sind das dieselben Personen, die später bei Nazi-Demonstrationen gesichtet werden", erzählt Gärtner. Hohe Sicherheitsstandards und Fanprojekte, die in den Profiligen Gewalt und offenen Rassismus eingedämmt haben, sind in den unteren Ligen Utopie. Den Politikern fehlt der Einblick. Die Funktionäre, zumeist ehrenamtlich tätig, haben andere Sorgen. Vorfälle wie im Februar 2006 können sich jederzeit wiederholen: Fans von Lok Leipzig hatten während des A-Jugend-Spiels gegen Sachsen Leipzig ein menschliches Hakenkreuz gebildet.

Auch die Ordnungsdienste sind oftmals unterwandert. Ein szenekundiger Polizeibeamter, der anonym bleiben möchte, schildert seine Erfahrungen: "Gerade im Osten rekrutieren sich Ordner aus der Türsteher- und Rotlichtszene. Die provozieren eher, als dass sie schützen." Der BFC Dynamo suchte einige seiner Ordner in einem Boxklub. Jeder von ihnen benötigt eigentlich einen so genannten Sachkundenachweis, diese Ausbildung kostet mehrere hundert Euro. "Die wissen nicht einmal, wo der Feuerlöscher steht", sagt der Polizist. "Und die Gewerbeaufsicht ist überfordert." Helmut Spahn ahnt, dass das Abdriften einiger Fanszenen in Ostdeutschland wohl sein größtes Problem ist. Der Sicherheitschef des Deutschen Fußball-Bundes sagt, er habe "leider keinen direkten Zugriff auf jeden Amateurverein". Doch er will um mehr Verantwortungsbewusstsein in den Klubs werben und sich um schärfere Kontrollen vor Ort einsetzen, vor allem, "was die Quantität und die Qualität der Sicherheitsdienste betrifft". Zudem soll ein Meldesystem etabliert werden. Spahn bittet jedoch um Geduld, was bleibt ihm anderes übrig.

Ronny Blaschke, Berliner Zeitung, 03.03.2007