| Knapp vier Wochen vor Beginn der Weltmeisterschaft kommt der Fußball weltweit aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Ob verhaftete Funktionäre in Ekuador oder manipulierte Meisterschaften in Italien, an allen Ecken und Enden geht ein Stückchen Glaubwürdigkeit verloren. Im Gastgeberland Deutschland freilich ist es weniger die Spitze, die in Verruf geraten ist, auch wenn die Sache mit dem Calmund entgegen dessen Beteuerungen doch ein bißchen zum Himmel stinkt. Die meisten Kratzspuren am Lack aber hinterläßt die NOFV-Oberliga, Staffel Nord, die derzeit von einem Skandal in den nächsten schlittert. Unter der Last schier erdrückender Verdachtsmomente, die eine Manipulation einzelner Spiele und somit fortgesetzten Wettbetrug als wahrscheinlich erscheinen lassen, ächzt und stöhnt die Liga bereits genug. Als ob das noch nicht reichen würde, haben nun gewaltbereite Verbrecher, als Fußballfans getarnt, den Abbruch des Spiels BFC Dynamo gegen 1. FC Union provoziert.
Im Fadenkreuz der Kritik stehen einmal mehr die Anhänger des einstigen Serienmeisters der DDR, die in regelmäßigen Abständen immer wieder Angst und Schrecken verbreiten und die größtenteils der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden. So sehr der Vorwurf in manchen Fällen auch zutreffen mag, so sehr ist das stete Bemühen der aktuellen Dynamo-Führung anzuerkennen, die Auswüchse einzudämmen und die Anhängerschaft zu disziplinieren. Erste zarte Erfolge waren durchaus sichtbar, wurden aber durch die Ereignisse des vergangenen Samstags jäh zunichte gemacht. "Ein herber Rückschlag", gestand BFC-Präsident Mario Weinkauf, und sein Trainer Rajko Fijalek verdammte "die Bekloppten, die den Sport aufs Übelste mit Füßen getreten haben." Die Frage, die sich in solchen Fällen stets stellt: Waren es wirklich nur Dynamo-Fans, die über den Zaun gesprungen und auf den Union-Block zugerannt sind? Oder haben sich, wie es in der Vergangenheit häufig geschehen ist, Fußballfremde aus allen Richtungen unter die Fans gemischt, um unter dem Deckmantel des Sports mal richtig die Sau rauszulassen?
Auch aus Sicht des BFV-Präsidenten Bernd Schultz, der Augenzeuge der Randale war, habe es sich überwiegend um Täter gehandelt, "die eigentlich mit dem Fußball nichts zu tun haben und die den Bemühungen der Dynamo-Führung Schaden zufügen wollten." Den Schwarzen Peter bekam ohnehin nicht allein der BFC Dynamo zugeschoben. Es hagelte auch heftige Kritik am komplett überforderten Ordnungsdienst und vor allem an der Polizei, die mit immerhin 1.000 Beamten im Sportforum vertreten war, aber keinerlei Anstalten machte, die losgelassene Meute aufzuhalten. Mit dem Verweis auf die alleinige Zuständigkeit der Ordner für den Innenraum und der Bemerkung, man habe Dynamo ja nahegelegt, mit diesem hochbrisanten Spiel in den sicherheitstechnisch besser präparierten Jahn-Sportpark auszuweichen, zog sich die Ordnungsmacht eher schlecht als recht aus der Affäre.
"Zig Sicherheitskonferenzen" habe es im Vorfeld gegeben, betonte Weinkauf, und viele Beobachter fragten sich in begründeter Besorgnis: Wenn 1.000 Polizisten ein simples Viertligaspiel nicht absichern können, wie soll es im Ernstfall bei der Weltmeisterschaft aussehen? An Schuldzuweisungen fehlte es hinterher nicht. So wie Dynamo auf die Polizei eindrosch, drosch die Polizei auf Dynamo ein, und beide zusammen kassierten die Rote Karte vom Bezirksamt Lichtenberg: Der BFC habe "solch übles Steinzeit-Benehmen ein für allemal zu unterbinden", und die Polizeiführung habe zu erklären, "weshalb sie den Mob minutenlang tatenlos gewähren ließ." Statt aber nun sich gegenseitig zu zerfleischen, sollten lieber Überlegungen für eine gemeinsame und wirkungsvolle Strategie angestrengt werden. Ohne den vielzitierten Schulterschluß wird es vermutlich nicht gehen.
Raimund Wilheim, Fußballwoche, 15.05.2006
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