Jagdszenen im Sportforum

Die Szenen ähnelten einer Straßenschlacht. In der 77. Minute des Derbys in der Fußball-Oberliga zwischen dem BFC Dynamo und dem 1. FC Union stürmten beim Stand von 1:1 viele Fans der Heimmannschaft auf das Spielfeld Richtung Union-Kurve. Auslöser war unter anderem ein BFC-Anhänger, der mit einer Kamera im Innenraum des Sportforums Hohenschönhausen ungestört mit abfälligen Gesten den Köpenicker Anhang in Wallung bringen konnte. Die knapp 200 zuständigen Ordner, die sich aus ehrenamtlichen Helfern beider Vereine und professionellen Kräften zusammensetzten, ließen ihn zunächst gewähren. Als Union-Ordner ihn wegschubsten, stürmten plötzlich hunderte "BFC-Fans" den Rasen. Ordnungskräfte und die etwa 1.000 eingesetzten Polizisten waren zunächst überfordert. Einige Ordner öffneten die Fluchtore, noch mehr Fans liefen auf das Spielfeld. Als die Polizei schließlich die Union-Kurve sicherte und die Fans über die Fluchttore evakuierte, waren bereits mehr als 30 Minuten vergangen. Die Spieler mußten unterdessen schutzlos in die Kabine flüchten.

Nach mehr als 40 Minuten Bedenkzeit gab der Unparteiische Thomas Gerber den Spielabbruch bekannt. Sichtlich angeschlagen wirkte BFC-Präsident Mario Weinkauf: "Ich weiß auch nicht, was los war. Fest steht nur, daß die Polizei versagt hat. Aber auch die Ordner haben sich nicht richtig verhalten. Wir werden das analysieren und abstellen." Kein gutes Haar ließ Weinkauf auch an Polizeidirektor Michael Knape: "Herr Knape stand ja bereits in der Kritik. Ich will nicht hoffen, daß die schlechte Organisation vielleicht sogar ein Racheakt von ihm war." Dynamo-Trainer Rajko Fijalek fand kaum Worte: "Es verbietet sich eigentlich, jetzt noch über Sport zu sprechen. Der Fußball wird hier von sogenannten Fans mit Füßen getreten." Von den Union-Verantwortlichen war nach dem Spiel keine Stellungnahme zu bekommen. Daß die Partie bis zum Abbruch vor 6.471 Zuschauern recht ansehnlich war (Suwary traf für den BFC, Teixeira für Union), interessierte niemanden mehr. Knapp vier Wochen vor Beginn der WM haben vielmehr die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen Fragen aufgeworfen.


Manuel Holscher, Berliner Morgenpost, 14.05.2006