Aus den Unterklassen / Nicht auf dem Parteitag

Das letzte Wochenende verlieh uns unirdisches Fußballwetter. Gut gelaunt radelte ich durch ein mediterran anmutendes Berlin nach Hohenschönhausen. Der BFC Dynamo spielte gegen Türkiyemspor. Immer ein besonderes Ereignis, auch diesmal hatte sich viel Volk eingefunden. Eintausendvierhundert Zuschauer, darunter gefühlte 17 Türkiyemfans, sahen ein munteres Spiel mit den üblichen Begleiterscheinungen auf den Rängen. Wenn der BFC gegen türkische Mannschaften kickt, übt das regelmäßig eine magische Anziehungskraft auf Hools, Berliner Dödel und Neonazis aus. Auch diesmal hatten sich diverse Truppenteile eingefunden, schätzungsweise 300, die man sonst nicht beim BFC antrifft, keiften um die Wette. Der BFC um Präsident Weinkauf versucht mancherlei, um das betrübliche Renommee der Vergangenheit loszuwerden. Man veranstaltet diverse Kinder- und Jugendprojekte, unterstützt das Berliner "Fenster gegen Gewalt" und hat Stadionverbote ausgesprochen.

Ebenso wird neuerdings die direkte Auseinandersetzung mit dem rechten Pöbel gesucht. So forderte Stadionsprecher Martin Richter nach Fascho-Parolen "Wir sind hier beim BFC und nicht beim Parteitag. Solche Sprüche wollen wir nicht hören." Was in den Internet-BFC-Fan-Foren auffällt, kann man auch im Stadion merken. In der BFC-Anhängerschaft gibt es mindestens den Kampf zweier Linien. So wurden die Gesänge der Faschos von der Mehrzahl der BFC-Fans mit "Dynamo, Dynamo" übertönt. Auf dem Rasen fand in der ersten Halbzeit ein leidlich spannendes Spiel statt. Türkiyemspor ist das Überraschungsteam der Oberliga Nord. Als Abstiegskandidat gehandelt, steht man momentan im oberen Mittelfeld. Türkiyem ging das Match flink an, dem BFC fielt nichts ein. In der 30. Minute machte Aslan das 1:0 für die Kreuzberger. Nach der Pause erspielte sich Dynamo zahlreiche Großchancen unter der Spielleitung eines unsicheren Schiedsrichters.

Doch das ersehnte Tor fiel nicht für den BFC, sondern in der 72. Minute für Türkiyem. Kurz darauf erhielt ein Dynamospieler die gelb-rote Karte. Das Sportforum kochte. Die feiernde Ersatzbank von Türkiyemspor wurde von Sitzplatz-Zuschauern mit Bierbechern beworfen. Der Türkiyemspieler Öztürk wurde von einem Stein an der Schulter getroffen, konnte aber weiterspielen. Das ist jetzt aber nicht unbedingt Ausdruck des alltäglichen Faschismus, sondern krasse Viertliga-Routine. Cool spielten die Kreuzberger auf Zeit. "Hurra, Hurra", jubelten die Dynamofans und peitschten ihr Team ab Minute 79 nach vorn. In Unterzahl lochte der BFC noch zweimal ein und erreichte ein verdientes Unentschieden. Verglichen mit ihren jüngsten Skandalauftritten hielt sich die Polizei angenehm zurück. Die Gendarmen waren mit einem zehnköpfigem Antikonfliktteam angerückt, eine anerkennenswerte Maßnahme. Als ein verwirrter Trunkenbold während des Spiels über den Zaun kletterte, wurde er nicht niedergeknüppelt. Man überließ es BFC-Kapitän Lenz, die Angelegenheit zu klären.

Frank Willmann, Junge Welt, 01.11.2005