Frustriert im Vereinsheim / Der BFC Dynamo verliert erneut und ist jetzt Letzter

Es sollte ein Neubeginn werden. Das Spiel eins nach dem 0:8 beim 1. FC Union, nach der Trainerentlassung - und nach dem umstrittenen Polizeieinsatz in der Diskothek Jeton, der dem Berliner FC Dynamo und seinen Fans Solidaritätsplakate in siebzehn Stadien brachte, aber auch das Image des Vereins als Hort von Hooligans weiter zementierte. "Das wird heute für uns die Stunde Null", sagte nach Tagen voller Ärger und Frust Vorstandsmitglied Yiannis Kaufmann vor der Partie gegen den BFC Preussen. Doch zwei Stunden später versank der gesamte Verein in noch tiefere Depression. "Wir sind BFCer - und ihr nicht! Haut ab, ihr Versager!" brüllte die Menge. Das 0:1 durch den Treffer von Ümit Ergirdir (56.) bedeutete nicht nur die vierte Niederlage im vierten Saisonspiel für den selbst ernannten Aufstiegs-Geheimfavoriten, der sich nun auf dem letzten Platz wiederfindet.

Das Debakel war auch schmerzhaft, weil Dynamo nach zwei Platzverweisen in der 44. und 62. Minute gegen einen dezimierten Aufsteiger derart herumstümperte, dass mancher Fan sich vorzeitig abwandte und seinen Frust im Vereinsheim ertränkte. Andere diskutierten mit Kickern, die sich stellten. "Wir fühlen uns auch schlecht und brauchen jetzt eure Hilfe", flehte Philipp Wanski. "Das Tor war wie zugenagelt", klagte Trainer Rajko Fijalek: "Alle wollten, aber an einigen Stellen sind die Mittel halt beschränkt." Es schien, als habe sein beurlaubter Vorgänger Jürgen Piepenburg Recht mit seiner Ansicht, die meisten BFC-Akteure seien zu langsam. Zeitweise wurden hüftsteife Kicker wie Zöphel und Benthin von den Gästen vorgeführt. Bei Dynamo gab es kein Miteinander. "In Überzahl dachte jeder, er könne jetzt einen Schritt weniger machen, statt für den anderen zu rennen", kritisierte Torhüter Nico Thomaschewski. Er hofft, dass das Trainerduo mit Fijalek und Bodo Rudwaleit weitere Chancen bekommt.

Man sei dabei, all das aufzuholen, was Piepenburg versäumt habe: "In zwei, drei Wochen sieht alles anders aus." Ob das Präsidium so lange zuschaut? "Wir machen erstmal so weiter", sagte Kaufmann, "aber natürlich denkt man intensiv nach und hat den Markt im Auge." Doch es fehlt an Geld für einen neuen Übungsleiter. So wartet der Verein nervös auf eine überfällige Rate (angeblich 50.000 Euro) des neuen Hauptsponsors. Am Dienstag kommt es zu einer Krisensitzung. Unruhe herrscht in Hohenschönhausen, wo auch die Jeton-Razzia nachwirkt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte einen Sicherheitsbeauftragten geschickt, um das Sportforum dominierte die Farbe Grün. 200 Beamte sollen es gewesen sein. "Und das, obwohl kein einziger Gästefan da war. Unfassbar", sagte BFC-Fanbeauftragter Rainer Lüdtke. Offenbar fürchtet die Polizei Vergeltung. Das sei unbegründet, sagte Lüdtke: "Es herrscht Wut, aber wir können Unrecht nicht mit Unrecht bekämpfen."

Ähnlich klingt Anwalt René Lau, der den Großteil jener vertritt, die Strafanzeige wegen des Vorgehens der Einsatzkräfte im Jeton gestellt haben: "Kein einziger Mandant schwört auf körperliche Rache", sagt er, "die wollen alle Gerechtigkeit auf juristischem Wege." Mittlerweile würden die ersten Fans zu neuen Zeugenaussagen vorgeladen: "Das lässt hoffen, dass intern Druck gemacht wird und die Verantwortlichen noch zur Rechenschaft gezogen werden." Einstweilen reagieren die Dynamos auf andere Weise: Shirts mit dem Aufdruck "Bravo Polizei - öffentlich gelogen, Wehrlose misshandelt, Frauen geschlagen" sind Verkaufsschlager. Finanzielle Unterstützung für den Rechtsstreit kommt aus der ganzen Republik. Wie Lüdtke betont, sogar von Fans des 1. FC Union. Die haben allerdings eigene Sorgen. Nach dem 1:1 bei Türkiyemspor beträgt der Rückstand auf Ligaprimus Babelsberg 03 vier Zähler.


Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 05.09.2005