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Zeugen: Knüppel diktierten Einsatz im Jeton / Polizeipräsident verteidigt Razzia gegen Hooligan-Szene / BFC-Fan-Beauftragter: Grundlos und überzogen

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Seltene Aufmerksamkeit erfuhr gestern der Innenausschuss - vor dem Hohen Haus waren einige Polizeiwannen aufgefahren, nicht wenige Polizisten auch im Nebenzimmer des Tagungsraumes 311 postiert. Dorthinein kam man wiederum nur nach Ausweiskontrolle. Und die Stuhlreihen für die Gäste waren anders als sonst geradezu überfüllt - mit BFC-Fans. Aber anders als im Stadion verhielt man sich ausgesprochen still, etwa als Polizeipräsident Dieter Glitsch seinen Bericht zu Hintergründen und Abläufen der Razzia im "JETON" gab, einer Disko in der Frankfurter Allee. Man habe zuverlässige Informationen erlangt, dass beim Spiel Union gegen den BFC die Kasse am Haupteingang überrannt werden sollte, dass sich ein harter Kern der BFC-Hooligans im "JETON" treffen wollte, um konspirativ Gewalt zu verabreden - in einer "dritten Halbzeit"", lokal und dezentral.

Es habe am Spieltag, so Glietsch "eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben" vieler Leute bestanden. Mit der Aktion habe man deshalb Ausschreitungen verhindern wollen. Glietsch räumte ein, dass es entgegen früherer Äußerungen zu keinem Widerstand im "JETON" gekommen sei. man habe heftige Gegenwehr erwartet und deshalb sofort hart durchgegriffen. Es seien "unvermeidbare Schäden" am Disko-Mobiliar sowie Verletzungen entstanden, wenn Gäste den Weisungen der Polizisten nicht folgten. Für den Fall, dass Unbeteiligte zu Schaden gekommen seien, bedauere er das ausdrücklich und entschuldigte sich, sagte Glietsch und verwies auf entsprechende Ermittlungen. Demnach gehen derzeit ein Staatsanwalt sowie eine achtköpfige "SoKo Jeton" 76 Anzeigen von 39 Betroffenen nach.

Auf die Nachfrage der PDS-Abgeordneten Marion Seelig, auf welcher Rechtsgrundlage Telefone abgehört wurden, um an Informationen zu gelangen, lehnte Glietsch es ab, die Vorgehensweise offen zu legen. Er erklärte aber, dass es keine Telefonüberwachung gegeben habe. Bei der Razzia waren 158 Personen festgenommen worden, darunter laut Polizei 66, die durch Gewalt bei Sportveranstaltungen ins Strafregister eingetragen waren, 45 wegen anderer Kriminalfälle. bei 47 Personen habe es sich um unbescholtene Bürger gehandelt. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann kritisierte die Härte des Vorgehens in die Disko.

Er bezog sich auf Zeugen, die ausgesagt hätten, einen Knüppel über den Schädel gezogen bekommen zu haben, ehe sie überhaupt reagieren konnten. 14 Zentimeter lange Platzwunden seien ein beleg dafür. Rainer L., BFC-Fan-Beauftragter, der beim Discosturm zu Boden gerissen wurde, bezeichnete die Razzia als grundlos und überzogen. Keineswegs habe es Pläne für Randale gegeben. Die Polizei habe mit tendenziösen Aussagen den Durchsuchungsbefehl erlangt. Ein erheblicher Teil des harten Hooligan-Kerns sei gar nicht zugegen gewesen, habe ohnehin Anwesenheits-Verbot für den Stadtbezirk. Ihm lägen 63 Gedächtnis-Protokolle vor, so L., die im Detail schilderten, dass es sich um einen Einsatz jenseits von Rechtsstaatlichkeit gehandelt habe.

Rainer Funke, Neues Deutschland, 30.08.2005


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